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Aus dem Wigwam – Namatawaschta

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Vierzig Sagen
Mitgeteilt von Chingorikhoor

Namatawaschta

amatawaschta oder der schöne Baum hatte sich schon in zartem Kindesalter mit einem grausamen Häuptling der Minnitari verheiratet. Trotzdem sie tagtäglich dem Großen Geist Opfer gebracht hatte, so war ihre Ehe doch kinderlos geblieben. Ihr Gemahl behandelte sie deshalb so schlecht, dass sie mit dem Gedanken umging, sich das Leben zu nehmen. Doch da wurde ihr von einem alten Medizinmann erzählt, dass in der Nähe zwei heilige Berge seien und dort ein freundlicher Geist hause, der die Gebete unglücklicher Frauen stets erhört habe.

Darauf beschloss sie, dahin zu gehen und ihm ihre Bitte vorzulegen.

»Namatawaschta!«, rief da plötzlich eine Stimme.

Als sie sich umdrehte, sah sie eine schlanke Frau in langem Schleppkleid und blutroten Mokassins vor sich stehen.

»Weshalb weinst du so bitterlich?«, fragte sie.

»Seit sieben Jahren bin ich verheiratet und noch hat kein Kind auf meinem Schoß gespielt. Deshalb bin ich meinem Gemahl im Weg und er schimpft und schlägt mich, wenn er mich nur sieht. Seinen anderen Frauen muss ich stets als Zielscheibe des Spottes dienen, und wenn ich vor die Tür trete, so deuten alle Leute verächtlich mit dem Finger auf mich.«

»Ich weiß nun, was dich hierher gebracht hat, und will dir gern helfen. Der Berg, auf dem du sitzt, war einst eine stattliche Frau und der Hügel gegenüber war ein stolzer Krieger. Als der Große Geist die Erde mit menschlichen Wesen beleben wollte, ließ er sie einfach aus der Erde kriechen, gerade so, wie jetzt die Bäume und Blumen. Da nun jene Frau, auf deren Hügel du sitzt, einem sehr fetten Boden entsprang, so wurde sie das fruchtbarste Weib, das jemals gelebt hat. Beinahe jeden Monat beschenkte sie ihren Gemahl mit einem Sohn oder einer Tochter. Da diese sich wieder ebenso schnell vermehrten und infolgedessen der Große Geist fürchtete, dass bald die Erde zu klein sein würde, so verwandelte er die Stammeltern in jene zwei Berge. Doch sprach er dabei zu der Frau: ›Damit deine Fruchtbarkeit nicht verloren gehe, so sei es dir erlaubt, jeder unglücklichen, kinderlosen Frau, die flehend zu dir kommt, zu helfen. Sage ihr alsdann, sie solle nach zwölf Sonnen wiederkommen und sie werde eins oder auch zwei flinke Kinder zu deinen Füßen spielen sehen. Diese muss sie dann zu fangen versuchen, allein wenn sie sich ängstlich zu dir flüchten, so schließe sie an deinen Busen. Dort wird sie die Kälte bald töten. Ihre Seelen aber werden mit der kummervollen Frau ziehen und sich von ihr wieder gebären lassen.‹

So sprach der Große Geist. Und wenn du seinem Rat folgst, so wirst du sicherlich deinen Wunsch bald erfüllt sehen.«

Namatawaschta tat, wie ihr befohlen und war nach kurzer Zeit Mutter zahlreicher Kinder.

Mit der Zeit wurden die Minnitari jedoch so schlecht, dass sich der Große Geist gezwungen sah, den Berg seiner heiligen Gabe zu benehmen. Seit dieser Zeit ging der genannte Stamm schnell seinem Untergang entgegen.