Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Konstanzer Hans Teil 20

W. Fr. Wüst
Der Konstanzer Hans
Merkwürdige Geschichte eines schwäbischen Gauners
Reutlingen, 1852

Zwanzigstes Kapitel

Hans kommt in neue Gefahren, denen er entrinnt. Er zeigt sich als guter Stiefvater und zieht als Quacksalber umher.

Es war Winter und tiefer Schnee bedeckte die Erde, als Hans’ Vater sein in Lützenhardt liegendes Gepäck abholen wollte, wozu er seinen Sohn um Hilfe ansprach. So bereit Hans hierzu war, so wenig Lust zeigte sein Weib, recht als ob sie ein Vorgefühl von ihrem künftigen Schicksal gehabt hätte. Sie musste aber den Drohungen Hans’ nachgeben.

Lützenhardt bei Horb war zuerst nur ein Hof mit einer Schäferei, daher es auch der Schafhof hieß. Später ließen sich dort Kräuterhändler und Quacksalber, Kessler, Spielleute usw. nieder. Diese Leute verließen im Frühjahr, wenn sie das Feld bestellt hatten, ihre Wohnungen und zogen im Land herum ihren gewohnten Geschäften nach. Im Herbst kamen sie wieder zurück und blieben den Winter über da, den sie meistens recht lustig zubrachten.

Als Hans mit seinem Gefolge in Lützenhardt ankam, ging es gleich auch bei Tanz und Wein gar lustig her. Erst gegen Mitternacht ging die Gesellschaft auseinander. Hans mit seinem Weib und Peter hatte sein Nachtquartier im letzten Häuschen des Dorfes. Kaum eingeschlafen, wurde Hans durch ein heftiges Pochen an der Haustür von seinem Lager aufgeschreckt und sah das Haus von Streifern umringt. Durch die Küche blieb ihm noch ein Ausweg offen, weil die Streifer wegen des Eises diese Seite nicht besetzt hatten. Er entkam unbemerkt nur halb angekleidet. Weil sein Weib und Peter ihm nicht nachkamen, so war er begierig, zu erfahren, was aus ihnen geworden sei. Er schlich sich wieder gegen das Haus hin und versteckte sich in dem Gebüsch daneben. Nachdem er so 2 Stunden lang gewartet hatte, wurden beide als Gefangene weggeführt, zuerst nach Horb, dann nach Sulz, wo damals gar viele Gauner im Verhaft lagen.

So schmerzlich es für Hans war, seinen Kameraden Peter zu verlieren, so tröstete er sich damit, dass dieser sich in letzter Zeit öfters treulos und brutal gegen ihn gezeigt habe. Die Göhringer bedauerte er, dass sie unschuldig in der Gefangenschaft sei. Da aber ihr Geld beinahe ganz durchgebracht war und sie einen entschiedenen Widerwillen gegen das Stehlen hatte, so beruhigte er sich damit, dass das Verhältnis zwischen ihm und ihr doch nicht von langer Dauer sein konnte.

Auf ernste Gedanken aber hätte Hans durch den Umstand kommen sollen, dass nun seit kurzer Zeit alle seine Bekannten und Vertrauten entweder ihr Leben oder doch ihre Freiheit verloren hatten. Dies hätte ihn zu gar ernsten Betrachtungen stimmen können; aber sein Herz war solchen ganz und gar verschlossen.

Doch zeigte er sich bei aller seiner Verworfenheit nun auch von einer Seite, die alle Anerkennung verdient und ihm zur Ehre gereicht hatte. Das zweijährige Kind der Göhringer, das er angetreten hatte, war ihm mit der Ölkiste geblieben. Dieses wollte er nicht hilflos lassen, viel weniger aussetzen, wie man ihm geraten hatte. Sein Entschluss war, die übernommenen Vaterpflichten mit Treue und Sorgfalt zu erfüllen, wenigstens so lange, bis er das Kind bei jemanden unterbringen könnte, von dessen Pünktlichkeit und Treue er überzeugt war. Diesem Entschluss blieb er auch treu, obwohl ihm diese rühmliche Sorgfalt nicht nur viele Kosten verursachte, weil er eine eigene Wärterin für das Kind halten musste, sondern ihn auch manchen Gefahren aussetzte.

Doch seine Ölkiste trug ihm viel ein. Von seiner Lehrmeisterin im Medikastern hatte er manches gelernt. Den Mangel an Kenntnis wusste er durch schlaue Lügen und durch seine Mundfertigkeit zu ersetzen. Er gab sich die Miene, jede Krankheit bei Menschen und Tieren gleich zu erkennen, und hatte für jedes Übel ein Mittel, das Wunder tat, wenn es nach vorgeschriebener Art mit den nötigen Zeremonien angewendet wurde. Besonders war es das leichtgläubige Landvolk im Nagolder, Herrenberger und Tübinger Amt, das den marktschreierischen Anpreisungen seiner Arzneimittel unbedingt vertraute und so Hans’ Kasse füllte.

Obwohl ihm nun dieses Geschäft so viel eintrug, dass er nicht nur seine bedeutenden Ausgaben bestreiten, sondern auch noch etwas erübrigen konnte, folglich keinen Grund zum Stehlen hatte, so war ihm dieses doch so zum Bedürfnis geworden, dass er dem Drang seines Herzens nicht länger widerstehen konnte. Da bedurfte er aber zu seiner Sicherheit eines Passes, den ihm auch sein Vater in Weilerstadt besorgte, was dieser wohl unterlassen haben würde, hätte er Hans’ Gesinnung gewusst.