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Das Gespensterhaus – 1. Kapitel

August Heinrich Brass
Das Gespensterhaus
Eine Geistergeschichte aus Berlins Gegenwart
Verlag Louis Quien, Berlin, 1847

1. Kapitel

Welches alle diejenigen überschlagen können, die gewöhnt sind, keine Vorreden oder Einleitungen zu lesen.

Wir können ebenso gut behaupten, es sei der Schimmel gewesen, welcher zuerst stehen blieb, denn es ist durchaus nicht gerechtfertigt, die Schuld immer auf den Schwarzen zu schieben, obwohl es nicht geleugnet werden kann, dass der allerdings oft genug die wunderlichsten Launen und Einfälle hatte, und zuweilen im stärksten Galopp (denn es ist eine Verleumdung, wenn man behauptet, dass er es nie weiter als bis zum Trab gebracht habe) unversehens inne hielt, um sich einen vorübergehenden Jungen mit gespannter Aufmerksamkeit anzusehen oder einen merkwürdig gewachsenen Baum oder ein neues Haus oder sonst etwas, wie irgendein alter Herr vom Lande, der mit neugierigen Augen bei jeder ungewohnten Erscheinung stehen bleibt. Aber es ist, wie gesagt, sehr ungerecht, die Schuld immer nur auf ihn zu schieben. Besonders für jenen Abend kann durchaus nichts mit Gewissheit darüber gesagt werden, da es so dunkel war, dass man kaum die Hand vor Augen sehen und selbst der Kutscher, die einzige kompetente Behörde in diesem Fall, kein bestimmtes Urteil darüber abgeben konnte.

Er sagte daher auch nichts weiter, als »Hott« im Allgemeinen, um nicht dem einen oder dem anderen seiner Pferde ungerechterweise weh zu tun, da er doch wohl sonst »Hott, Schwarzer« gesagt haben würde.

Als dieser Zuruf die gewünschte Wirkung hervorgebracht hatte, sagte er zu mir, gleichsam als Entschuldigung für das ungewöhnliche Benehmen der Tiere:

»Sie gehen nicht gern so spät abends am Gespensterhaus vorüber.«

»Am Gespensterhaus?«, fragte ich ihn verwundert.

»Jawohl, Gespensterhaus. Das da ist es«, fuhr er fort und zeigte mit der Peitsche auf ein mittelgroßes Gebäude, dessen Umrisse undeutlich und schattenhaft aus der Dunkelheit hervortraten. »Es ist ihnen schon einmal hier etwas über den Weg gekommen, und sie wissen die Stelle aufs Haar.«

»Was ist ihnen über den Weg gekommen?«, fragte ich wieder.

»Was? Nun irgendein Geist oder Gespenst. Was weiß ich! Es war grade so dunkel wie heut, und mit einem Mal standen sie still und gingen keinen Schritt weiter. Ich hätte ihnen die Veitsche auf dem Rücken zerschlagen können. Endlich stieg ich ‘runter, um nachzusehen, und da lag zwar einer dicht vor den Pferden, der war betrunken. Aber das kann es nicht gewesen sein, denn ich habe schon fünf überfahren. Es ist mir nie passiert, dass je ein Pferd so wie verzaubert gestanden hätte. Dabei zitterten sie am ganzen Leib, wie ich sie zurückzoppte. Nur mit Mühe konnte ich sie auf der anderen Seite vorbeibringen. Es muss offenbar ein Gespenst gewesen sein. Na, na, Schimmel, sachte, sachte.«

Das Rasseln des Wagens auf dem Steindamm machte hier unserer Unterhaltung ein Ende. Ich warf nur noch einen Blick zum Gespensterhaus zurück, hinter dessen trüben Fenstern hin und wieder ein schwaches schwindsüchtiges Licht herüberschimmerte, während die anderen Gebände in der Nähe fast alle in tiefer Dunkelheit dalagen.

Das war also das Gespensterhaus.

Es gibt noch andere Gespensterhäuser in Berlin, warum nicht. Es ist ja alles bei uns zu haben: Gespensterhäuser, in denen die Bigotterie und der Fanatismus spuken und die blödsinnige Dummheit; aber solche finden wir nicht in Berlin allein, sondern im ganzen Land verbreitet.

Auch von einem anderen Haus könnte ich euch noch erzählen, in welchem ein riesiges Gespenst, das da vor vielen, vielen Jahren eingemauert worden ist im tiefuntersten Gewölbe, allnächtlich umgeht und eine lange Kette rasselnd mit sich herumschleppt, eine Kette, aus Bajonnetten und Kartätschkugeln zusammengeschmiedet, und das stöhnend schon so lange vergeblich auf seinen Befreier wartet. Wer es aber erlösen will, muss ein Ritter sein vom heiligen Geist, und ein gutes Schwert haben, geschmiedet aus einer zerbrochenen Kette und einem verrosteten Kruzifix. Das ist die Waffe, mit der er es vollbringen wird. Aber die Ketten und Kruzifixe werden jetzt noch zu anderen Dingen gebraucht, als um Schwerter daraus zu schmieden, und die Ritter vom heiligen Geist sind selten. Das Gespenst wird noch lange auf seine Erlösung warten müssen.

Es ist indessen nicht dieses Gespensterhaus, mit welchem wir es hier zu tun haben. Es wird eine würdigere Feder sein, welche die Geschichte desselben liefert, sondern wir sprechen hier von jenem kleinen, mageren, gelbsüchtigen Haus, zu welchem euch jedes Kind hinzeigen wird, wenn ihr vor das Rosenthaler Tor hinausgeht und nach dem Gespensterhaus fragt.

Da steht es am Weg, welcher zum Gesundbrunnen hinführt, etwas abgesondert zwar von den übrigen Gebäuden, aber nicht etwa öde und unbewohnt , wie man vielleicht vermuten möchte, denn im 19. Jahrhundert ist man tolerant genug, selbst Gespenster in ruhigen Wohnhäusern zu dulden, wenn sie nur nicht etwa von jüdischer Abstammung sind, oder kleine Kinder haben, welcher letztere Stand indessen nur sehr selten bei ihnen vorkommt, indem sich der Aufenthalt  der Gespenster von zarterem Alter größtenteils nur auf Waisenhäuser oder Alumnate beschränkt, wo die dort an zu häufiger Mehlsuppe gestorbenen Kleinen nach ihrem Tod umgehen, um das Wiedervergeltungsrecht an den dicken Hausvater zu üben, der sich mit dem gemästet hat, was er ihnen an jedem Bissen abzwackte

Da steht das Gespensterhaus, wie gesagt, so ehrlich und treuherzig aussehend, wie ein ganz gewöhnliches Haus, als sei gar kein Wesen davon, ein wahrer Jesuit von einem Haus, wenn man bedenkt, was da alles hinter diesem ruhigen Anwehen verborgen ist. Auch ein Laden ist da, in dem Bier und Branntwein ausgeschenkt wird, und ein Schild dabei mit der Inschrift Erholungslokal, nicht für die Gespenster, sondern für die Menschen, die sich da erholen wollen – durchaus alles unverdächtig und selbst das schärfste Auge vermag nirgends etwas zu entdecken, wenn man nicht etwa diesen verdursteten Springbrunnen ausnehmen will da in dem kleinen Vorgarten; aber der gehört doch eigentlich nicht zu dem Haus selbst. Freilich, ja, dieser Springbrunnen hat viel Gespensterhaftes, wenn man sich die Mühe macht, ihn genauer zu betrachten, das heißt, nicht etwa bei Tage, wo er so jämmerlich wehmütig die Vorübergehenden anblickt und sie um Gotteswillen zu ersuchen scheint, ihm doch nur eine halbe Kanne Wasser in das ausgetrocknete Bassin zu gießen, nur ein Viertel, er würde euch ewig dankbar sein. Nein bei Tage nicht, bei Nacht!

In einer stillen Nacht müsst ihr ihn gesehen haben, wo der gelbe Vollmond am Himmel steht und ein leichtes Windrauschen durch die Bäume der Landstraße zieht, als ob sie miteinander von wunderbaren, geheimnisvollen Geschichten plauderten. Und wenn ihr da nicht etwas Schreckhaftes seht, einen Ziegenbock, der euch über den Weg läuft, oder eine ältliche Dame, die auf einem Besenstiel durch die Luft reitet, oder sonst etwas Ähnliches, so liegt die Schuld nur daran, dass ihr keine Sonntagskinder seid und keine Augen für so etwas habt. Und dann dieser Springbrunnen selbst. Aus dem alten grämlichen Brunnen, der den Tag über daneben gestanden hatte, wie ein pensionierter  Professor, welcher sein Leben damit zugebracht hat, Logik zu lehren, und die Genugtuung hat, zu sehen, dass ihm doch keiner glaubt, nachdem er den Strom seiner Beredsamkeit bis auf den letzten Tropfen erschöpft hat. Aus dem alten Brunnen, sage ich euch, quillt ein Strom von frischem klaren Wasser, der hoch aufspringt in dem verfallenen Bassin und das mürrische Gras überflutet, welches in den Mauerritzen gewachsen ist. Die dunkelroten Malven da, die euch bei Tage so hochnäsig angesehen haben, wie ebenso viele dürre, adlige Tanten aus einer heruntergekommenen Familie, in alten verschossenen Seidenkleidern, fangen an, Arm in Arm im Garten zu promenieren, der mit Johanniswürmchen und Leuchtkäfern auf das Glänzendste illuminiert ist. Oder sie setzen sich auf die Rasenbank da neben den Springbrunnen, um eine Tasse Nachttau zu trinken, dessen Tropfen ihr noch anderen Tags auf ihren Blüten wiederfinden könnt. Und in den anderen Landen sitzen oder schwingen sich im Tanz luftige zarte Elfen, die einander erzählen, wie sie dort im Haus gewesen sind, um die Gespenster wegzujagen, welche da innen ihr Unwesen treiben, (denn die Elfen sind die Feinde derselben und Freunde der Menschen, während jene uns quälen) und wie sie den armen Schläfern da drinnen Träume gebracht haben, schöne freundliche Träume von Glück und Zufriedenheit, die bei Tage da nicht zu finden sind.

Oder sie necken und zwicken auch wohl diesen hässlichen Kobold, der da vor der Tür des Branntweinladens sitzt, und sich auch nicht wenig damit zu gut weiß, dass er ebenfalls die Menschen ihr Elend und Kummer vergessen mache, denn es ist einer von den Kobolden, die in Destillierkolben und Branntweinflaschen wohnen. Die Elfen hätten ihn schon lange gern weggejagt, aber er ist stärker und mächtiger als sie.

So geht es in dem kleinen Garten bunt und lustig die ganze Nacht hindurch, bis der erste Morgenschein über die Felder herüberbricht, und der alte Hahn im Hühnerhaus auf dem Hof ein schwaches Krähen von sich gibt, um der Nachbarschaft anzuzeigen, dass er ausgeschlafen habe. Im Nu ist alles wieder in der alten traurigen Ordnung: Das Wasser in dem Bassin ist versiegt, der alte Brunnen steht mürrisch und verdrießlich dabei, schläfrig nicken die Malven hin und her auf den langen Stängeln, um die versäumte Nachtruhe nachzuholen. Im Haus selbst öffnet sich nach und nach ein Fenster und schmutzige Nachtmützen mit nüchternen Gesichtern darunter gucken in den Morgen hinein.

Das alles könnt ihr also vor dem Haus sehen, wenn ihr sonst die gehörige Zeit abpasst, denn nicht immer ist da so muntere Gesellschaft wie gesagt; aber ich will niemandem raten, der an schwachen Nerven leidet, dass er sich verleiten lasse, zur Nachtzeit auf die andere Seite des Hauses herumzugehen, wo auch ein Garten ist, an den Garten die Wiese stößt und an die Wiese der Kirchhof.

Da ist die eigentliche Gespensterseite dieses verwünschten Hauses. Vom Kirchhof herüber kommen sie, um ihre nächtlichen Zusammenkünfte zu halten, Gespenster jeder Art, große und kleine, magere und fette, vornehme und geringe, Gespenster von Hofräten und von Droschkenkutschern, alles bunt durcheinander, ein förmliches Museum von Gespenstern, die da allnächtlich ihr Unwesen treiben und ebenso mit dem ersten Hahnenschrei verschwinden.

Aber wenn ich so fortfahre, bin ich wahrhaftig nahe daran, meine Geschichte, statt hübsch ordentlich und wie es einem vernünftigen Erzähler zukommt, beim Anfang zu beginnen, in der Mitte anzufangen. Indem ich mich noch zur rechten Zeit daran erinnere, dass dieses Kapitel eigentlich nur eine Einleitung und dazu bestimmt fein sollte, dem gütigen Leser in allgemeinen Umrissen eine flüchtige Zeichnung des Gespensterhauses zu geben, sei es mir noch gestattet, Ihnen meine verehrte Frau, deren Güte ich die nachfolgende kleine Geschichte verdanke, meinen Dank dafür auszusprechen und den Wunsch hinzuzufügen, dass es mir gelingen möge, das Interesse des Lesers in demselben Grad dafür zu erregen, als es bei mir der Fall war, da ich dieselbe aus ihrem Mund vernahm.