Romantruhe-Western Band 36
C. C. Slaterman
Romantruhe-Western Band 36
Comanchen sterben einsam
Western, Paperback, Romantruhe, Kerpen-Türnich, März 2019, 64 Seiten, 4,95 Euro, Titelbild: Pojular
www.romantruhe.de
Kurzinhalt:
Das Tipi des Schamanen lag am nördlichen Rand des Dorfes auf einer Anhöhe, von der aus man das bleigraue Band des Canadian Rivers sehen konnte.
Es war klein und alt, hergestellt aus Büffelhäuten, die schon vor vielen Sommern erbeutet worden waren. Neben dem Zelt steckte ein Holzgerüst im Schnee, von dem Skalpe, Tierschädel, Adlerfedern und Perlenketten aus buntem Glas hingen.
Im Inneren brannte ein Feuer in einer von faustgroßen Steinen umgebenen Mulde.
Der schwache Lichtschein der emporzüngelnden Flammen spiegelte sich in den großen dunklen Augen der vier Comanchen wider, die bereits seit dem Morgengrauen stoisch neben einem hageren, fast skelettdürren Mann verharrten, der vor ihnen in Decken gehüllt auf dem Boden lag …
Leseprobe
Das Feuer im Ofen strahlte eine geradezu behagliche Wärme aus und der Duft von frisch gemahlenem Kaffee erfüllte an diesem Nachmittag Linda Wentforts gemütliche Wohnung bis in den hintersten Winkel.
Liebevoll deckte die Lehrerin den Tisch in der Küche.
Nachdem sich die Tassen und Teller, die Zuckerdose und auch die Kaffeelöffel ihrer Meinung nach endlich am richtigen Platz befanden, stellte sie zum Abschluss noch eine Schale mit selbst gebackenen Haferkeksen zwischen das geblümte Geschirr. Einen Moment lang betrachtete Linda das Ergebnis mit einem wohlwollenden Blick, dann drehte sie sich um und ging ins Wohnzimmer. Als sie wieder zurückkam, hielt sie einige Schulhefte in den Händen, die sie in den letzten Tagen korrigiert hatte. Sie legte die Hefte auf den Tisch, warf einen kurzen Blick auf das mit Eisblumen überzogene Küchenfenster und zog fröstelnd die Schultern hoch.
Draußen fauchte seit Tagen ein scharfer Nordwester um die Ecken, der so grimmig kalt war, dass es den Anschein hatte, als schienen sich sogar die Häuser der Stadt unter dem eisigen Wind zu ducken.
Obwohl es bereits auf Ende Februar zuging, waren selbst hier in Rath City die Straßen immer noch von einer fingerdicken Eisschicht überzogen, die nur an einigen wenigen Stellen von den Wagenrädern der Fuhrwerke oder den Hufeisen der Pferde durchbrochen war.
Der Winter schien in diesem Jahr überhaupt kein Ende mehr zu nehmen, dachte Linda, wobei die Lehrerin zu wissen glaubte, dass sie nicht die Einzige in der Stadt war, die das Frühjahr geradezu herbeisehnte. Mit einem leisen Seufzer gedachte sie der wärmenden Sonne, als sie ein lautes Klopfen unvermittelt aus ihren schwermütigen Gedanken riss.
Irgendjemand betätigte draußen den Türklopfer und hämmerte mit dem schweren Messingring gegen das Holz der Eingangstür.
Ein Lächeln huschte über Lindas Gesicht, indes sie zur Tür eilte.
Obwohl sie die Person vor dem Eingang nicht sehen konnte, wusste sie genau, dass es Asha war. Sie war immer auf die Minute pünktlich. Jim Crown, Lindas Verlobter, behauptete sogar, dass man die Uhr nach ihr stellen konnte. Die junge Halbblutindianerin war nach dem Tod der Eltern wieder zum Volk ihrer Mutter zurückgekehrt. Als Wanderer zwischen zwei Welten stellte die intelligente Frau rasch fest, dass die Comanchen nur überleben konnten, wenn sie sich der Welt der Weißen anpassten. Eine der Grundvoraussetzungen dafür war, lesen, schreiben und rechnen zu können, und deshalb erschien sie bei Linda jeden Donnerstagnachmittag um die gleiche Zeit zu einer Art Privatunterricht.
»Hallo Asha, schön, dass du wieder da bist«, begrüßte Linda die junge Frau freudestrahlend und führte sie in die Küche, nachdem sie die Haustür hinter ihr zugezogen hatte.
»Ich muss unbedingt etwas mit dir bereden.«
»Was wollen Sie?«, erwiderte die Halbblutindianerin ungewohnt ernst.
Auf der Stirn der Lehrerin bildete sich eine steile Falte, während sie ihr Gegenüber einen Moment lang nachdenklich musterte. Aber dann schrieb sie Ashas Verhalten einfach den vorherrschenden Witterungsverhältnissen zu und dirigierte sie an den Tisch.
»Stell dir vor«, begann sie von Neuem und in ihrer Stimme schwang erneut ein euphorischer Unterton mit. »Als ich gestern deine Hefte korrigiert habe, kam zufällig Mister Benson auf einen Sprung vorbei, du weißt schon, der Leiter der Schulbehörde, und was soll ich dir sagen? Er war von deinen Arbeiten so begeistert, dass er sich dafür einsetzen will, dass du dich spätestens im Herbst auf einer höheren Schule anmelden kannst. Na, ist das nicht eine tolle Neuigkeit?«
»Vielleicht«, entgegnete das Halbblut und zuckte mit den Schultern.
Die wiederholt einsilbige Antwort machte Linda deutlich bewusst, dass heute irgendetwas nicht in Ordnung war. Während sie damit begann, den Kaffee einzuschenken, richtete sie ihre Augen fragend auf Asha.
»Was ist los mit dir?«, wollte Linda wissen.
»Nichts«, erwiderte die Halbblutindianerin knapp und starrte unbewegt auf den Tisch.
Schweigend beförderte Linda mit einer kleinen Zange ein halbes Dutzend Zuckerwürfel in den Kaffee ihrer Schülerin. Sie wusste um die Vorliebe Ashas, die wie fast alle Indianer geradezu verrückt nach jeglicher Art von Süßigkeiten war.
»Das glaube ich nicht«, sagte Linda schließlich mit einer Stimme, die um einige Nuancen schärfer klang als anfangs zur Begrüßung. »Du kannst mir nichts vormachen, ich kenne dich seit mehr als einem halben Jahr. Also erzähl mir endlich, was los ist, und sag ja nicht wieder, dass da nichts wäre, das nehme ich dir nämlich nicht ab. Wie du selber weißt, haben gerade wir Frauen ein Gespür für derartige Dinge.«
Schuldbewusst senkte Asha den Kopf.
»Sie haben recht, aber ich möchte trotzdem nicht darüber reden.«
»Warum? Ich dachte, wir beide …«
Vergessen Sie es«, unterbrach die Indianerin Linda. »Kein Mensch schenkt den Worten eines Indianers Glauben, auch denen eines Halbbluts nicht.«
Als die Lehrerin aufbegehren wollte, winkte Asha resignierend ab.
»Sparen Sie sich Ihre Worte, ich weiß genau, wovon ich rede.«
Linda Wentfort schüttelte entschlossen den Kopf. So leicht gab sich die Lehrerin nicht geschlagen, schließlich wusste sie in Gestalt von Town Marshal Jim Crown das Gesetz im Rücken und ihr Verlobter war im ganzen County dafür bekannt, dass er sich nicht scheute, auch unbequeme Dinge ans Tageslicht zu zerren.
Ein Umstand, den sie Asha so lange erklärte, bis der Kummer aus der Halbblutindianerin schließlich förmlich herausbrach.
»Gestern ist Big Foot gestorben. Er ist bereits der vierte Tote in diesem Monat und der Februar ist noch nicht zu Ende. Meine Leute sterben, weil sie nichts zu essen haben und nicht einmal Decken gegen die Kälte bekommen.«
Die Augen der jungen Frau füllten sich mit Tränen, als sie mit ihrer Anklage fortfuhr.
»Stafford, der Agent, betrügt uns, wo er nur kann. Er hat die Waage bei der Lebensmittelausgabe manipuliert und fälscht die Bücher, in denen er die Ausgabe von Decken und Medikamenten protokollieren muss. Noch hat Tabequeva alles unter Kontrolle, aber inzwischen wachsen die Unzufriedenheit und der Ärger über die Missstände unter den Comanchen fast täglich. Vor allem die jüngeren unter ihnen beginnen unter der Führung von Powderface allmählich zu rebellieren und das ist etwas, was mir Angst macht. Denn dieser Krieger hetzt nicht nur die Leute auf, sondern schreckt inzwischen selbst vor einem Kampf gegen die Weißen nicht mehr zurück. Im Grunde genommen hat er zwar recht, aber das Schlimme an der ganzen Sache ist, dass ich genau weiß, dass er mein Volk mit seinem Verhalten in einen Konflikt mit den Weißen hineinsteuert, den die Comanchen nicht überleben werden.«
Beruhigend strich Linda ihrer Schülerin über das Haar.
»Keine Angst, ich sage nachher gleich Jim Bescheid. Der Marshal wird sich dann sofort um die Angelegenheit kümmern. Am besten, du gehst jetzt wieder zu deinen Leuten zurück. Ich glaube, es ist besser, wenn wir den Unterricht heute ausfallen lassen.«
Die Halbblutindianerin nickte dankbar und stand auf.
Nachdem Asha ihre Wohnung wieder verlassen hatte, zögerte Linda keinen Moment, um Jim in seinem Büro aufzusuchen. Wer Crown kannte, wusste, dass der Marshal Privates und Berufliches stets streng zu trennen pflegte, deshalb musste die Lehrerin beinahe eine Viertelstunde auf ihren Verlobten einreden, bis er endlich eine Reaktion zeigte.
»Hat sie Beweise?«, fragte Jim Crown geistesabwesend, während er in einem Wust aus Steckbriefen und Telegrammformularen wühlte.
»Nein, sie war alleine, als sie diese Dinge beobachten konnte, aber ich glaube ihr trotzdem.
Dieser Stafford betrügt die Indianer offensichtlich nach Strich und Faden. Er hat die Waage für das Abwiegen der Lebensmittelrationen manipuliert und verteilt nur einen Bruchteil von dem, was den Comanchen normalerweise an Decken und Kleidern zusteht. «
Der Marshal rollte mit den Augen und blickte seufzend nach oben. Einen Moment hatte es den Anschein, als erhoffte er sich aus dieser Richtung irgendeinen Beistand, aber schließlich schüttelte er nur den Kopf und seufzte erneut. Der Blick, den er danach seiner Verlobten zuwarf, war beinahe schon tadelnd.
»Wie stellst du dir das vor, Linda? Angelegenheiten, welche die Reservation betreffen, sind einzig und allein Sache von Regierungsbeamten und der Armee. Selbst ich als gewählter Vertreter des Gesetzes kann da kaum etwas bewegen. Ich erinnere mich noch zu genau an das Gesicht von Colonel Nelson vor einigen Tagen. Der Kommandant von Fort Elliott hat mich fast gefressen, als ich ihn auf einige offenkundige Mängel hin angesprochen habe, die mir von der Bürgerschaft der Stadt zugetragen wurden. Es ist einfach so, dass die Armee von Zivilisten keinerlei Einmischung in ihre Belange wünscht. Du kannst dir also vorstellen, was diese Leute von den Anschuldigungen eines Halbbluts halten werden, wenn sie sogar die Anfragen von Stadthonoratioren oder eines Marshals blockieren. Ich würde mir an deiner Stelle daher keine allzu großen Hoffnungen machen, dass sich nach deiner Offerte irgendetwas grundlegend ändern wird. Am besten, du vergisst die ganze die Sache wieder.«
»Wie kannst du nur so etwas von mir verlangen?«, brauste Linda auf. »In der Reservation hungern die Menschen, weil sich korrupte Regierungsbeamte an ihrem Schicksal bereichern und die Armee dem Treiben stillschweigend zusieht. Wenn du nichts unternehmen willst, dann muss ich das wohl tun.«
Jim lächelte nachsichtig.
»Was kannst du schon alleine ausrichten, und du wirst allein sein, glaub mir. Kein Mensch interessiert sich dieser Tage für die Probleme der Indianer, durch den harten Winter haben die Leute genügend andere Sorgen.«
»Was ich ausrichten kann, das werde ich dir sagen«, entgegnete seine Verlobte kämpferisch.
»Zufällig ist die Frau von einem unserer Stadträte meine beste Freundin und gleichzeitig auch die Vorsitzende des örtlichen Frauenvereins. Du wirst erstaunt sein, was dieser Verein alles in die Wege leiten kann.«
Jim war nicht erstaunt, im Gegenteil, er war entsetzt.
Der letzte Auftritt der Frauenliga von Rath City war ihm nur allzu gut in Erinnerung. Er bekam jetzt noch eine Gänsehaut, wenn er an ihren Protestmarsch wider den Alkohol dachte und an die aufgebrachten Saloonbesitzer, nachdem sich deren Schnapsvorräte, dank dem Einsatz eben dieser Damen, mit dem Wasser des Canadian vermischt hatten.
Okay, Linda war zwar an den Ereignissen nicht beteiligt gewesen, aber allein die Tatsache, dass sie freundschaftliche Beziehungen zu diesen zum Teil bigotten Frauenzimmern unterhielt, verursachte ihm Kopfschmerzen.
Gleichzeitig wusste er aber auch um Lindas Starrsinn und so lenkte er letztendlich doch ein. Als sich Crown am anderen Morgen aber in den Sattel zog, ahnte er noch nicht, dass sein Einsatz bereits um Stunden zu spät kam.