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Geist-, Wunder-, Hexen- und Zaubergeschichten – Teil 19

Geist-, Wunder-, Hexen- und Zaubergeschichten, vorzüglich neuester Zeit
Erzählt und erklärt von Gottfried Immanuel Wenzel
Prag und Leipzig 1793

Der Todesprophet

Ich kannte einen Mann, der sich durch das Wahrsagen, ob dieser oder jener Kranke davonkommen oder sterben werde, einen großen Namen und viel Geld erwarb. Die halbe Stadt lief zu dem Mann und bat ihn, ihre Kranken zu besuchen und den Freunden und Anverwandten das Schicksal der ihren zu offenbaren. Anmerken muss ich hier, dass mein Prophet nicht eher zum Krankenbett ging, bis schon der Leidende von Ärzten verlassen war. Selten prophezeite er Leben oder Genesung, die meisten Male Tod. Da dieses sehr oft eintraf, so glaubte man nicht zu irren, wenn man ihm ein übermenschliches Wissen zuschrieb und gleich Sarg und Sterbehemd besorgte, sobald nur das schauerliche Er wird sterben! aus seinem Mund kam.

Erklärung

Der Mann hatte in seiner Jugend Arzneikunde studiert und war in der Folge durch lange Jahre in Spitälern als Krankenpfleger angestellt gewesen. In der Schule schon hörte er manche nicht allgemein bekannte Anzeichen des Todes und sah noch überdies in Krankenhäusern manchen Fingerzeig, von dem weder Schule noch viele Ärzte was wissen. All dieses war der Stadt, in welcher er lebte, ein Geheimnis.

Niemand wusste, dass ein Schüler des Äskulap und ein ehemaliger beobachtender Krankenwärter am Bette des Patienten stehe. Wenn nun dieser Mann den Tod ankündigte und der Leidende, wie es die meisten Male geschah, wirklich starb, wenngleich die Ärzte das Gegenteil behaupteten, so musste dieses natürlicherweise auffallen und Verwunderung bei dem großen Haufen erregen, der, wären ihm die ehemaligen Verhältnisse des Propheten bekannt gewesen, sich im ungleich minderen Grad gewundert haben.

Dies wusste der schlaue Mann auch und verschwieg daher seine medizinischen Einsichten und praktischen Beobachtungen.

Wenn er nun unter anderen zum Beispiel sah, dass der Kranke Bewegungen mit den Händen machte, als fange er Mücken, so prophezeite er den Tod.

Sah er, dass sich Fliegen über dem Kranken versammelten, um ihn herumflogen, so stand es gefährlich um denselben. Er war dem Tod nahe.

Bemerkte er Verzerrungen an den Gesichtszügen, Erlöschung des Feuers im Auge, krampfartige Zuckungen und Zusammenziehungen des Mundes, der Augenwinkel, usw. mit einem Wort, sah er das, was die Ärzte Faciem Hippocratis nennen, so hieß es: »Er wird sterben.«

»Er wird sterben!«, hieß es, wenn er schon Totengeruch roch, für den andere keine Nase hatten.

Wusste er, dass Hunde die Nächte vorher um das Haus oder im Haus des Leidenden geheult haben, weil sie kadaverösen Geruch schon witterten, der ihr Organ beleidigte, so schloss er mit Zuziehung der übrigen Symptome auf Tod. Alles Zeichen, deren Echtheit in den meisten Fällen die Erfahrung bestätigte.

Sah er aber diese Zeichen nicht, so schwieg er. Kam nun der Kranke davon, so hieß es: »Ich habe ja nicht gesagt, dass er sterben würde.«

Starb der Kranke, so hieß es wieder: »Ihr habt mich zu früh gerufen. Ich traute mir nicht zu, vor der Zeit entscheidend zu sprechen.«