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Geist-, Wunder-, Hexen- und Zaubergeschichten – Teil 10

Geist-, Wunder-, Hexen- und Zaubergeschichten, vorzüglich neuester Zeit
Erzählt und erklärt von Gottfried Immanuel Wenzel
Prag und Leipzig 1793

Die Blut statt Milch gebenden Kühe

Im Dorf P. lebte ein Mann, dessen ganzer Reichtum in zwei Kühen und einer mageren kleinen Wiese bestand. Kümmerlich ernährten sich hiervon Vater, Mutter und zwei Mädchen, die noch nicht über die Jahre der Kindheit hinaus waren. Dennoch tat der Mann Gutes, so viel seine schwachen Kräfte vermochten. Nicht so leicht ging ein Armer von seiner Tür, den er nicht mit Milch und Brot gelabt hatte. Lag im Dorf ein Krankes verlassen und dürftig, so war gewiss unseres Landmanns Gattin da. Minze, Raute und Polei, Flinder und Pappel sammelte sie fleißig des Sommers, um Leidenden Helferin in der Not zu werden. Die Zeit, die Nahrungsgeschäfte dem arbeitsliebenden Gatten übrig ließen, widmete derselbe unentgeltlich dem mittellosen Nachbarn oder unterrichtete Kinder im Lesen, Schreiben und Rechnen, deren Eltern das Schulgeld zu bezahlen nicht vermögend genug waren. Alle Rechtschaffenen liebten ihn, nur die Bösen verfolgten ihn mit Hass. Dies tat dem Mann in der Seele weh. Oft weinte er bittere Tränen, doch bald ermannte er sich wieder und trug seine Leiden mit Geduld.

So verging der Familie ein Jahr nach dem anderen in Eintracht, Liebe und Gottseligkeit, als mit einem Mal sich der heitere Himmel über der friedlichen Hütte in düstere Wolken verzog und schwarzes Ungewitter über den Bewohnern stand.

Einer der Bauern des Dorfes, unter die Wohlhabenden zählte man ihm, mietete Peter, – so hieß der Name der dörflichen Tugend, zur Arbeit.

»Bestellt mir mein Feld«, sagte er, »ich will Euch nicht geizig belohnen.«

Peter freute sich mit den seinen und dankte der Vorsehung. Mit frohem Mut ging er an die Arbeit. Bald war der Acker bestellt, und der nachsehende Bauer entdeckte mit Vergnügen deutliche Merkmale, dass eine fleißige Hand gearbeitet habe.

»Ihr seid ein redlicher Mann, Peter«, redete er ihn eines Tages an. »Gott hat mich gesegnet. Ich kann Euch mehr geben als die anderen. Nehmt hier 15 Taler.«

Peter wollte nicht; die Summe schien ihm zu groß und unverdient. Der brave Bauer bestand darauf, und Peter nahm die Taler mit Tränen des Dankes im Auge.

Eine hohläugige, zahnlose Alte sah von fern der Szene zu, sah die blanken Taler, die der freigebige Bauer Peter in die Mütze warf. Neid und Missgunst kochten in ihrem Herzen. Sie folgte dem Frohen auf dem Fuß nach. Peters Gattin und Kinder saßen vor der Hütte. Peter verdoppelte seine Schritte, um nur bald den empfangenen Gottessegen der Familie zu verkünden.

Freuet euch, meine Lieben, und lobpreiset den Herrn!«, rief Peter den Sitzenden entgegen. »Seht doch, seht doch, wie reich wir sind!«

Die Alte stand hinter ihm und bat um Milch.

»Ja, Mutter, die sollt Ihr haben. Geh, liebes Weib, und gib der Frau soviel sie will.«

Die Gattin ging, und das jüngere Mädchen folgte ihr. Sie musste in einen tiefen Keller nach der Milch. Das Mädchen der Mutter nacheilend, verfehlte eine Stufe, fiel die Treppe hinab und schrie. Peter erschrak, rannte los, um dem Kind zu helfen und vergaß im Schreck die Mütze mit den Talern auf der Bank vor der Hütte. Das Mädchen hatte sich keinen Schaden getan. Peter brachte es auf dem Arm heraus. Die Gattin kam mit der Milch. Die Alte war nicht mehr da. Nun sah Peter nach den Talern in der Mütze, aber Mütze und Taler sah er nicht. Seufzer entfuhren seiner Brust, doch kein Murren dem Mund. Das ältere Mädchen, das außen sitzen blieb, hatte indessen im Gras gespielt und wusste keine Auskunft zu geben. Peters Frau nannte die Alte die Diebin und weinte.

Peter erzählte die Geschichte im Dorf, und jeder schloss damit: »Die Alte stahl es.«

»O! Es ist ein gefährliches Weib!«, sagten viele.

»Gott sei bei uns! Sie hält es mit dem Bösen«, setzten andere hinzu.

»Sie ist eine Hexe!«, riefen alle. »Hütet Euch vor ihr, Peter, verschmerzt den Verlust.«

Diese Reden kamen der Alten zu Ohren. Nach einigen Tagen besuchte sie Peter in der Hütte.

Die Alte: »Ihr habt Eure Taler verloren, und ich bin Euch verdächtig. Meinen guten Namen habt ihr gekränkt im Dorf.«

Peter: »Dafür wolle mich Gott bewahren! Doch, warum bliebt Ihr nicht, bis …«

Die Alte: »Weil Euer Kind gefallen war und schrie, ich also keine Milch mehr erwartete.«

Soeben trat Peters Frau in die Stube. Kaum erblickte sie die Alte, so über mannte sie auch der Zorn. »Um Gottes willen Mann!«, rief sie, »was hast du mit dem Weib? Sie ist die Diebin, sie ist eine Hexe!« Sie stieß sie bei diesen Worten zur Tür hinaus.

»Ihr sollt es bereuen«, brummte die Alte und ging.

Nach einigen Tagen kam des Morgens, halb außer sich, Peters Frau in die Stube gerannt. »Unser Vieh ist verhext!«, schrie sie schluchzend. »Sieh hier, Blut statt Milch.«

Peter sah es und wusste keinen Rat.

Vierzehn Tage nacheinander gaben die Kühe nur – Blut. Der Nutzen fiel weg.

Die Nachbarn rieten allerlei: Lukaszettel, Segenssprüche in Briefchen, Tolentinbrot usw. musste das Vieh im Futter nehmen, sich räuchern lassen, und der Luft beraubt, eingesperrt im finsteren Stall schwitzen; und doch half alles nichts. Herumziehende Viehärzte kamen und ließen sich Mithridat und Pillen teuer bezahlen; es half nichts. Der Schinder des Orts, ein Praktikus ohne gleichen, legte selbst Hand an, die man ihm versilberte; es half nichts, die Kühe gaben nur Blut. Endlich blieb auch dieses aus. Das Vieh erkrankte und wurde die Beute des Arztes.

Peter verarmte.

Aufschluss

Die hohläugige Alte, nicht vorsichtig genug im Ausgeben der Taler, wurde als Diebin aufs Amt gebracht, überwiesen und zur Strafe gezogen. Die Hexerei bei Peter, deren sie das ganze Dorf beschuldigte, kam gleichfalls vor. Sie leugnete hartnäckig.

Der Amtmann ließ Haussuchung halten, und man fand einen großen Vorrat Krapp, ober Färberröte, Rubia tinctorum, die sie, wie sie nachher selbst eingestand, Gelegenheit gefunden hatte, öfter Peters Vieh unter das Futter zu mengen. Diese Pflanze färbt nicht allein die weißen tierischen Säfte rot, ja, sie dringt in die Gebeine und rötet solche durch und durch, wie man es auch wirklich an den Knochen des geschlachteten Viehs wahrgenommen hat. Dass die Kühe erkrankten, daran waren wieder die Lukaszettel, die Segenssprüche, das Räuchern, die eingesperrte Luft, Tolentinbrot, Mithridat und Pillen Schuld. Das Vieh gab also nicht Blut, sondern nur rot gefärbte Milch.