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Die Theomanie der Jeanne d’Arc und deren Nachahmung

Die Theomanie der Jeanne d’Arc und deren Nachahmung
Aus: Der Wahnsinn in den vier letzten Jahrhunderten. Nach dem Französischen des Calmeil. Bearbeitet von Dr. Rudolf Leubuscher. Halle. 1848

Im Jahr 1410 wurde Jeanne d’Arc in einem Flecken des alten Lothringen geboren, 1431 starb sie auf dem Scheiterhaufen. Kaum hatte sich das Grab, in das Karl VI. nach mehr als dreißig Jahren eines verderblichen Wahnsinns hinabgestiegen war, geschlossen, und die Zeit war nicht mehr fern, wo Karl VII., der sein Königreich aus der Hand der Jungfrau empfangen hatte, von finsterem Argwohn befangen, seinen Tod durch freiwilliges Hungern beschleunigte. Mit dem Verdacht eines Mordes belastet, bestieg Ludwig XI., ein finsterer Tyrann oder besser ein Monomaniakus, den Thron von Frankreich. Die Geschichte von Karl VI., das unglückliche Ende von Karl VII. und die finstere Zeit Ludwigs XI. zeigen hinlänglich, dass nicht der Besitz einer Krone und der Ursprung aus königlichem Blut vor dem Verlust der Vernunft und vor dem Naturgesetz behütet, welches die Krankheiten der Väter auf die anderen Geschlechter überträgt. Gegenüber dem düsteren Bild der Könige steht das Beispiel der Jungfrau, wo ein vollkommen ausgebildeter Wahnsinn zu großartigen und heldenmütigen Taten begeistert.

Es ist schwer zu glauben, dass Jeanne d’Arc mit ihrem schnellen und sicheren Blick, ihrem richtigen Urteil, ihrem festen Willen, ihrem Mut, ihrer edlen Beredsamkeit, mit all den Gaben, die das Vaterland und ihren König gerettet hatte, geisteskrank gewesen sein soll. Und doch war sie es. Aber ihre Theomanie hatte, anstatt die Richtigkeit und Schärfe ihres Unheils, ihres Verstandes zu schwächen, nur dazu beigetragen, ihre geistigen Kräfte zu einer schwunghaften Entwicklung zu führen.

Schon frühzeitig war an Jeanne d’Arc eine Neigung zu einer träumerischen Kontemplation und eine innige religiöse Hingebung zu bemerken. Fern vom Kreis ihrer Altersgenossen liebte sie die Bilder der Heiligen mit Blumen zu bekränzen. Je größer sie wurde, desto mehr traten männliche Neigungen in ihr hervor. Sie fand Freude an körperlich schweren Arbeiten, an Pferden und horchte lebendig auf die Erzählung von den Kämpfen und dem Unglück ihres Landes. Wahrscheinlich infolge des Fehlens der Menstruation hatte sie schon im dreizehnten Jahr häufige Halluzinationen des Gesichts und Gehörs. Lichtströme blendeten ihr Gesicht am hellen Mittag. Unbekannte Stimmen riefen ihr zu, wenn sie sich allein glaubte. Später besuchte sie der Erzengel Michael, der Engel Gabriel, die heilige Katharine und die heilige Margarethe. Von den beiden letzten Heiligen, für die sie eine besondere Hingebung an den Tag legte, deren Bilder sie hauptsächlich mit Blumen schmückte, glaubte sie, dass sie mit ihr in das Dickicht der Wälder hineingingen und ihr dort ihren Rat zuteilwerden ließen. Ein Biograf versichert, dass Jeanne d’Arc niemals, selbst im Kerker nicht, nur unmittelbar vor den Schrecken ihres Todes an der Wirklichkeit dieser Erscheinungen irregeworden ist. Sie behauptete stets, dass die Heiligen ihr häufig erschienen seien und noch erschienen, dass sie mit ihr sprächen, dass sie dieselben nicht mit ihren geistigen, sondern mit ihren leiblichen Augen gesehen, dass sie alles, was sie gesagt und was sie unternommen hatte, nur auf den Rat der Heiligen getan habe.

»Jeanne war zu aufrichtig, um zu lügen, zu unwissend, um dergleichen zu erfinden. Sie war von einem Wahn ihrer Sinne befangen.«

Indem man diesen Wahn benutzte und die von einer glühenden Einbildungskraft den Sinnen vorgespiegelten Bilder für Gunstbezeugungen der Heiligen gelten ließ, rettete man ein Königreich. Jeanne selbst war jede trügerische Absicht fremd.

»Es ist mein Heiland«, sagte sie zu Beaudrimont, den sie von der Wahrheit ihrer Sendung zu überzeugen versuchte. »Es ist der König des Himmels, der mir geboten hat, Orleans zu befreien.« Den Theologen, die ein wunderbares Zeichen ihrer Macht verlangten, sagte sie: »Ich bin nicht nach Poitiers gekommen, um Zeichen und Wunder zu tun. Das Zeichen, welches meine göttliche Sendung bekräftigen soll, ist die Aufhebung der Belagerung von Orleans. Man mag mir Soldaten geben, so viel und so wenig man will, und ich werde gehen.« Als sie sich der englischen Armee nähert, schreibt sie an deren Anführer: »Im Namen Gottes, des Königs der Himmel, hätten sie die Schlüssel aller guten Städte, die sie in Frankreich erobert haben, wieder auszuliefern.«

»Die Stimmen ihrer heiligen Beschützerinnen«, versichert sie, hätten ihr geboten, nichts ohne ähnliche Aufforderung zu unternehmen.» Kaum ist die Krönung von Karl VII. in Rheims beendet, als sie ausruft: »O möchte es doch Gott, meinem Schöpfer gefallen, dass ich jetzt die Waffen niederlegen und meinen Eltern wieder dienen könnte, mit meinem Bruder und meiner Schwester ihre Schafe hütend.«

Die Stimmen hatten ihr verkündet, dass ihre Sendung erfüllt, sobald der Dauphin gekrönt sei.

Es ist kein Zweifel, dass Jeanne d’Arc eine pathologische Erscheinung ist. Aus dem Erfolg ihrer Waffen die Wahrheit ihrer Sendung herzuleiten und ihre geistige Gesundheit zu beweisen, wäre ein trügerischer Schluss. Sie ist krank, weil sie Dinge sieht, die nicht existieren, weil sie der festen Überzeugung ist, dass ihre eigenen Gedanken ihr von anderen Wesen zugeflüstert werden.

Dass Jeanne d’Arc verurteilt wurde und verurteilt werden musste, kann niemand Wunder nehmen. Alle Richter in England und in Frankreich mussten überzeugt sein, dass sie wirklich unzählig oft mit übernatürlichen Wesen verkehrt und dass der wunderbare Erfolg ihrer Unternehmungen nur dem Beistand dieser mächtigen Helfer zuzuschreiben sei. Man fragte ferner, ob sie sich nicht selbst getäuscht oder ob sie nicht absichtlich habe täuschen wollen, wenn sie versichert, dass sie mit Heiligen und mit Engeln Umgang gepflogen habe, ob nicht vielmehr höllische Geister an der Vernichtung der englischen Armeen teilgehabt hatten. 1431 zweifelte niemand an der Gewalt und dem Eifer der Teufel, solche Dinge zu unternehmen. In Frankreich hatte man sich, ehe man sie bewaffnete, mit der größten Vorsicht erst unterrichtet, ob sie nicht der Magie ergeben sei. Man schickte Geistliche nach Vaucouleurs, um Nachrichten über ihre Sitten, ihre Lebensweise, ihre religiösen Übungen zu sammeln. Man befragte sie genau über die Form der Personen, die sich ihren Blicken darstellten. Man ließ sie heimlich Tag und Nacht beobachten, ob sie nicht mit abgefallenen Geistern verkehre. Weil man annahm, dass der Teufel sein Werk damit beginne, dass er die Jungfrauen schände, schickte man alte Weiber zu ihr, um ihre Jungfräulichkeit zu untersuchen. Der König, der Hof, die hohe Geistlichkeit, das ganze Land hatten gefürchtet, dass sie eine Zauberin sei, und wenn man dies gefunden hätte, so würde man dem Gesetz, das ihr Opfer verlangt, unweigerlich Folge geleistet haben. Wie konnten darum ihre Feinde anders handeln?

Die Theomanie von Jeanne d’Arc wurde kontagiös.

Zwei Mädchen aus der Umgegend von Paris erklärten sich ebenfalls für inspiriert und für berufen, die Sendung der Jeanne d’Arc zu vollenden. Sie wurden festgenommen und das heilige Gericht entschied nach einer sorgfältigen Prüfung, dass ihr Gehirn von bösen Geistern gestört sei. Die eine, die bei der Behauptung blieb, vom Geist Gottes erfüllt zu sein, wurde verbrannt. Die andere leistete auf ihre Pläne Verzicht, nachdem man ihr bewiesen, dass sie von Teufeln besessen sei, und entging dem Scheiterhaufen. Eine dritte Amazone in voller militärischer Ausrüstung zeigte sich plötzlich auf den öffentlichen Plätzen in Köln. Es stritten sich damals zwei Bewerber um den Bischofssitz in Trier, und diese Kreatur, die ganz gemeine Sitten hatte und sich unverschämterweise mit der Pucelle verglich, behauptete, sie sei berufen, den einen von beiden Prätendenten zu weihen. Sie entkam, obwohl vor ein Inquisitionsgericht gefordert, unter dem Schutz eines Grafen, und wurde bloß exkommuniziert. Sie heiratete später einen französischen Offizier. Es war bei ihr wahrscheinlich Simulation. Ihr Auftreten ist aber die Ursache von der Behauptung einiger Schriftsteller, dass anstelle von Jeanne d’Arc eine Verbrecherin verbrannt worden sei, und dass Jeanne d’Arc nach dem Tod des Herzogs von Bedford verheiratet in Metz gelebt habe.