Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Anne Boleyn Band 1 – Kapitel 2

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Erster Band

2.

Anne in Frankreich als Hofdame

König Heinrich gab mit seiner Gemahlin Katharina von Aragon und ihrem ganzen Hof der königlichen Braut und Schwester das Geleit bis Dover, wo sie sich einschiffen sollte.

In dem hohen Schloss am Meer stieg die Reisegesellschaft ab. Ein ungewöhnlich stürmisches Wetter und widrige Winde verhinderten jedoch die sofortige Abfahrt. Erst nach einigen Wochen konnte diese stattfinden.

Der König führte die Schwester, der er sehr zugetan war, in eigener Person auf das schöne Schiff.

Als er sich anschickte, sie zu verlassen, ließ sich die Prinzessin vor ihm auf die Knie nieder und bat um seinen Segen.

Heinrich küsste sie dreimal in ungewöhnlicher Bewegung auf die Stirn, indem er mit feierlicher Stimme ausrief: »Wir empfehlen dich, unsere viel geliebte Schwester, hiermit der Obhut Gottes, der Gunst des Meeres und der Liebe deines Gemahls, des Königs der Franzosen.«1

Die Prinzessin erhob sich und sank weinend der edlen Katharine in die Arme.

»Sei stark, meine holde Schwester«, flüsterte ihr die hohe Frau leise zu. »Bedenke, dass das Los des Weibes auf Erden ist, der Pflicht würdig zu gehorchen. Die Heilige Jungfrau beschütze dich!«

Der Abschied war vorüber; das königliche Paar hatte das Schiff verlassen. Die Anker wurden vollends gelichtet, die Segel schwellten. Einige Augenblicke später befand sich das Schiff in Bewegung.

Mary lehnte sprachlos über den Rand desselben und winkte mit dem Tuch den am Ufer noch verweilenden Geschwistern zu, bis diese in die Stadt zurückkehrten. Noch einen langen, langen Schmerzensblick warf die Braut zu dem schnell dahinschwindenden Land ihrer Geburt und ihrer stiebe, dann winkte sie ihr junges Ehrenfräulein Anne Boleyn herbei, stützte sich auf deren Arm und begab sich in ihre Kajüte.

Auf ihren Wunsch, allein sein zu wollen, blieb ihre Begleitung zurück. Nur Anne war Zeuge ihres herben Schmerzes – und der Gott, dem sie vertraute.

Anfangs ging die Fahrt glücklich vonstatten. Dann aber erhob sich ein gewaltiger Sturm, welcher die begleitende Flotte zerstreute. Drei Tage lang trieb das Schiff, auf dem Mary sich befand, wie ein willenloses Spielzeug auf dem Meer umher. Jammernd und wehklagend kauerten die Frauen zusammen, Angst bleichte selbst die Wangen der mutigsten Matrosen. Nur Mary blieb ruhig und versuchte die Freunde zu erheitern und zu trösten.

Als einmal Anne weinend zu ihren Füßen kniete und sich an die Gebieterin schmiegte, beugte sich diese zu dem Kind herab und sagte leise: »Für dich trauere ich, liebe Anne, um dein junges Leben – für mich ist der Tod nicht schrecklich – ich fürchte nur das Leben.«

Aber die Vorsehung hatte beschlossen, dass sie leben sollte. Der Sturm legte sich allmählich, sie wurden wie durch ein Wunder erhalten und erreichten den Boulogner Hafen, wenngleich in einem traurigen Aufzug. Auch die anderen Schiffe stellten sich ein. Unglücklicherweise geriet das königliche Fahrzeug am Hafen auf eine der vielen Sandbänke, sodass die Braut mit ihrer nächsten Umgebung in einem Boot an Land gerudert werden sollte.

Überwältigt von diesem abermaligen Unglücksfall warf sich der Schiffskapitän der Prinzessin zu Füßen und bat um ihre Vergebung.

Mary reichte ihm lächelnd mit unendlicher Güte die Hand zum Kuss. »Sir Anthony, Gott allein lenkt Wind und Sturm. Euch geben wir aber das Zeugnis, dass Ihr redlich Eure Pflicht erfüllt und Anspruch habt auf unsren wärmsten Dank. Verlasst Euch darauf, dass wir Euch selbst der Huld unseres königlichen Bruders anempfehlen! Nehmt indessen diesen Ring zum Angedenken an unsere Fahrt«, fügte sie hinzu, indem sie einen wertvollen Ring von ihrem Finger abzog und ihn dem überraschten Mann aushändigte.

»Und dieses, Sir Anthony«, fuhr Mary fort, auf einen ledernen Geldbeutel deutend, der auf dem Tisch lag, »wollt in meinem Namen nebst Dank für ihre Mühe, der Schiffsmannschaft überreichen.«

Sir Anthony empfing das Geschenk mit den gebührenden Dankesbezeigungen, dann fragte er, ob Ihre Hoheit ihm keinen Auftrag nach England zurückzugeben hätte.

»Ach!«, sagte Mary mit schmerzlichem Ausdruck, »mein ganzes Herz weilt noch bei ihnen drüben! Wollte Gott, ich hätte ein Grab in Englands Wassern gefunden! Grüßet meinen königlichen Bruder und alle, die mich lieben. Von Paris aus melde ich meine Ankunft.«

»Gott wolle Eurer Hoheit ein langes und nur glückliches Leben bescheiden,« sagte der greise Mann bewegt. »Jeder Bürgersmann auf Englands Boden bedauert, dass mit Euch die schönste Blume uns verließ. Ihr müsst zu etwas Großem ausersehen sein, Hoheit, denn unsere Rettung ist ein Wunder des Himmels.«

»Des Herrn Wille geschehe!«, erwiderte Mary mit sanfter Ergebung. »Was mich betrifft, ich trauere nur um meine Begleiter und vornehmlich um dieses liebe Kind, das so jung schon das Leben lassen sollte.«

»O Hoheit!«, rief Anne mit jugendlicher Lebendigkeit, »mit Euch wäre ich gern gestorben, obwohl ich um die meinen zu Hause manchmal bekümmert war.«

»Ja, ja, ich muss Euch das Zeugnis geben, das Ihr eine mutige Seele in dem zarten Körper bergt«, erwiderte Mary lächelnd. »Ihr werdet einmal kühn mit Eurem Schicksal in den Kampf treten. Sir Thomas Boleyn, Eure kleine Tochter wird von heute an mehr um mich sein. Diese Schreckenstage haben zwischen uns ein Bündnis geschlossen.«

Sir Thomas verbeugte sich geschmeichelt. Die übrigen älteren und vornehmen Damen aber wechselten unter sich Blicke des Neides und der Überraschung aus.

»Bis wann befehlen Eure Hoheit, dass die Landung stattfinde?«, fragte Sir Anthony.

»Sogleich, wenn’s angeht. Wir bedürfen beides, der Ruhe und der Erholung.«

»Ich fürchte, Hoheit werden diese nicht so bald finden«, entgegnete Sir Anthony, »denn am Ufer wartet eine große vornehme Gesellschaft, um die künftige Gebieterin zu begrüßen.«

»Wie? Wir sollen den französischen Boden in diesem Zustand betreten!«, rief Mary, erschrocken einen Blick um sich werfend. »Was sagt Ihr dazu, meine Damen?«

»Hoheit«, entgegnete Lady Jocelyn, »ich glaube, Ihr werdet auch in diesem durchnässten und zerknitterten Kleid die königliche schöne Braut bleiben.«

»Sie werden uns auslachen und verhöhnen, diese stolzen Franzosen«, rief Anne aus, einen komisch mitleidigen Blick auf ihre Toilette werfend. Die Hofleute sahen erstaunt die junge Dame an, denn es war gegen die Sitte, dass ein Ehrenfräulein in Gegenwart der königlichen Familie, ohne aufgefordert zu werden, das Wort nahm. Heinrich hatte am englischen Hof eine peinliche Etikette eingeführt. Niemand durfte ihm anders als auf den Knien antworten oder ihn anreden, sogar seine Kinder nicht. Geschah es während des Mahles, dass er an einen der Gäste die Rede richtete, musste dieser sich erheben, dreimal sich tief verbeugen und dann kniend antworten.

Anne war noch zu unbekannt mit dem Hofleben, noch zu sehr das freie Kind der Natur, um dies zu beachten. Die Prinzessin lächelte zu dem Ausruf.

»Sehr wahr, mein Kind, aber trösten wir uns mit der Hoffnung, sobald unsere Koffer geöffnet worden sind, ihnen die Spitze bieten zu können. Vorwärts also, Sir Anthony, wir sind zur Abfahrt bereit.«

Man hing der Prinzessin seinen warmen, aber groben Mantel um, damit sie von den heftigen Wellen und Regen nicht durchnässt würde, dann stieg sie in das bereitliegende Boot. Anne musste sich ihr gegenüber setzen und wandte neugierig das Köpfchen zum Ufer. Auch die übrigen Damen zischelten leise untereinander über die verunglückte Reise und die vor ihnen aufgestellten Reihen der Kavaliere.

Als das Boot sich dem Ufer näherte, und noch ehe die Ruderer beigelegt hatten, traten einige reich gekleidete Herren mit einem offenen Tragsessel auf ihren Schultern in das Wasser an das Boot. Die Prinzessin nahm darin Platz und wurde nun ans Ufer getragen. Während dessen landeten auch die Damen. Ein reicher Teppich vom feinsten Genueser Samt lag auf dem Sand für die zarten Füße derselben ausgebreitet.

Verschiedene Edelleute höheren Ranges, an deren Spitze der Gouverneur der Stadt stand, hießen die hohe Braut im Namen ihres Königs willkommen.

Mary, obwohl sichtlich erschöpft, dankte dennoch der Versammlung mit heiterer Würde und Fassung, dann begab sie sich in das Haus, welches zu ihrem Empfang bereitet worden war.

Hier wechselten die hohen Reisenden zur großen Befriedigung der Damen ihre Toilette und erfreuten sich einiger Stunden Ruhe. Länger jedoch war ihnen die Erholung nicht gestattet, dann ging es weiter, um noch für die Nacht Abbeville zu erreichen.

Es war ein glänzender, reicher Zug, den man hier erblickte. Die Damen der Prinzessin, 37 an der Zahl, ritten milchweiße Zelter. Derjenige, welcher die hohe Braut trug, war mit einem kostbaren türkischen Teppich von Goldbrokat bedeckt. Sie selbst war in ein Gewand von weißem Samt, reich mit Spitzen und Juwelen geziert, und ihre Damen in hochroten Samt gekleidet. Die Farbe hob vorteilhaft die Schönheit der Engländerinnen hervor. Namentlich zog die feine, jugendlich schlanke Gestalt Annes die lauernden Blicke der französischen Kavaliere auf sich. Die Aufregung des Augenblickes rief die heitere Natur des Mädchens wieder hervor, die durch Strapazen der Reise solange geschwiegen hatte, und eine lebhafte Röte auf die gebleichten Wangen. Die langen schwarzen Locken flatterten kunstlos über das kleine Federbarett auf die schlanken Schultern herab. Während die großen dunklen Augen mit schelmischer Neugierde die fremde Umgebung musterten, lenkte ihre kleine, einzig schön geformte Hand anmutig ihren Zelter.

»Par Dieu!«, sagte der Comte le Croix zu seinem Nachbarn, »man hat uns keine Fabel erzählt, wenn man die Schönheit der englischen Frauen und Mädchen rühmt. Unsere Damen dürfen sich vorsehen, meine ich. Jene freundliche Amazone – er deutete auf Anne Boleyn hin – ist ravissante

»Über die Sonne vergisst man die Sterne«, gab sein Freund zur Antwort mit einem Blick auf Mary, welche mit gesenktem Haupt schweigend dahinritt.

»Vrai, mon très cher ami – die Prinzessin ist reizend – aber ein schönes Stück Marmor, wie mir däucht! Da lobe ich mir die Kleine.«

»Wer weiß, ob die hohe Braut glücklich ist«, sagte d’Albret. »Aufrichtig gesagt – ich bedaure das junge Wesen, das an unseren abgelebten Herrn vermählt wird.«

»Still, still, Freund!«, sagte le Croix erschrocken, »vergiss nicht, dass dir Ludwig für dein schmeichelhaftes Lob ein Staatslogis in der Bastille anweisen könnte. Wenn nur Seine Majestät wirklich in Abbeville eingetroffen ist. Es wäre fatal, wenn er seiner hohen Braut nicht entgegen käme.«

In der Nähe der Stadt empfingen die Beamten Abbevilles den Zug. Der Gouverneur überreichte kniend der Braut die Schlüssel der Tore. Mary nahm sie einen Augenblick in ihre Hände und gab sie dann wieder zurück. Nun musste sie geduldig eine lang gedehnte Bewillkommnungsrede anhören, welche jedoch durch die Ankunft eines königlichen Kuriers unterbrochen wurde, der ein versiegeltes Schreiben der Prinzessin überbrachte.

»Von Seiner Majestät dem König«, berichtete er.

Mary erbrach das Siegel und durchflog flüchtig den Inhalt. Darauf wandte sie sich an den französischen Prinzen, der neben ihr ritt, und händigte ihm den Brief aus.

»Seine Majestät bedauern, mich nicht in Abbeville empfangen zu können. Er hat sich auf der Jagd erkältet und wird erst morgen eintreffen.«

»Sagte ich es Euch nicht«, flüsterte Croix, indem sie weiterritten.

Dieser erwiderte nur durch ein Achselzucken und ein geringschätziges Aufwerfen der Lippen. Die Nacht war bereits angebrochen, als man in Abbeville einzog, und herzlich froh begrüßte die arme Braut den einstweiligen Ruhehafen.

Am folgenden Tag traf der königliche Bräutigam ein, um seine zukünftige dritte Gemahlin, welche er noch nicht persönlich kannte, zu begrüßen. Ein freudiger Ausdruck belebte plötzlich bei deren Anblick die matten, geistlosen Züge Ludwigs XII.

Mary erwartete ihn mit niedergeschlagenen Blicken und als das Bild der rührendsten jungfräulichen Verschämtheit und Ergebung. Der englischen Etikette gemäß wollte sie sich vor ihm auf die Knie werfen, allein der König kam ihr zuvor, fasste sie in seine Arme und küsste sie zärtlich.

»Ihr seid auf französischem Boden, Hoheit,« sagte er lächelnd, »wir Männer knien vor der Schönheit, nicht sie vor uns.«

Dann nahm er sie bei der Hand und führte sie zu einem Thronsessel, wo er sich mit ihr in ein lebhaftes Gespräch einließ. Ein großes Bankett war der Braut zu Ehren angeordnet worden; allein Mary bat dringend um die Erlaubnis, sich in die Stille zurückziehen zu dürfen. Sie fühle sich noch matt von der gefahrvollen Reise, schützte sie vor.

Der König runzelte die Stirn, doch wusste er keinen Grund, um ihren Wunsch nicht zu erfüllen. Um so williger zeigten sich die englischen Damen, das Fest mit ihrer Gegenwart zu verschönern.

Drei Tage später fand die Vermählung statt, worauf eine endlose Reihe von Festlichkeiten aller Art in dem Geschmack der damaligen Zeit folgte. Die Damen der jungen Königin wurden mit den höchsten Ehrenbezeigungen bewirtet und von dem König aufs Großmütigste beschenkt.

Anne Boleyn namentlich schwamm in einem Meer von Entzücken, denn sie erregte unter den französischen Kavalieren allgemeine Bewunderung. Ihr lebhaftes Wesen, ihre pikanten, wenn gleich oft scharfen Witzworte, ihr gebildeter Geist, ihre unbefangene, fast kindliche Naivität sprachen dem französischen Wesen mehr zu, als das ernstere, gehaltene Benehmen der übrigen Hofdamen.

Zwei Tage nach der Vermählung traten zu Marys Bestürzung einige Damen in großer Aufregung in deren Gemach. Die allgemeine Freude hatte ein urplötzliches Ende durch die Bekanntmachung des Königs erhalten, dass sämtliches Gefolge der Königin nach England zurückkehren sollte.

»Wie, habt Ihr auch recht verstanden?«, fragte Mary. »Ihr alle sollt zurückkehren – ohne Ausnahme …«

»Ja, Majestät, alle; es solle kein Engländer um Eure Majestät bleiben, heißt es, damit Sie schneller in Frankreich einheimisch werden!«

»Auch dies noch!«, sagte Mary wehmütig und brach in Tränen aus. Dann aber stand sie rasch auf und befahl dem französischen Kammerdiener, sie beim König zu melden.

Ludwig saß in seinem Kabinett, nachlässig und sichtlich abgespannt, sich die Zeit mit einem großen Hund vertreibend, der seine Kunststücke machte.

Als die Königin ihm gemeldet wurde, erhob er sich und ging ihr mit seiner Galanterie entgegen.

»Welcher Ursache verdanke ich den lieben Besuch?«, fragte er zärtlich.

»Majestät, man berichtet mir soeben, dass mein Gefolge und vertraute Diener Befehl erhalten, mich zu verlassen. Ich komme zu Eurer Majestät, Euch zu bitten, die Sache zu berichtigen. Es muss ein Irrtum obwalten!«

»Nicht doch«, entgegnete Ludwig sichtlich verlegen, »der Befehl ist auf meinen Wunsch kundgetan worden.«

»O, Majestät Ihr könntet …«

»So grausam sein, wolltet Ihr sagen; aber es muss dennoch dabei bleiben. Zürnt mir nicht, meine schöne Mary«, fügte er zärtlich hinzu, »wenn wir, eifersüchtig auf diese alten Freunde, Euch ganz für uns zu besitzen wünschen. Abgesehen von mir selbst, würde auch die französische Nation, welche nur gezwungen in meine Verbindung mit England eingewilligt hat, die fremde Umgebung der Königin nicht billigen.«

»Aber wenigstens eine von den Damen könnte ich doch behalten«, sagte Mary, kaum ihre Tränen zurückhaltend. »Bedenkt, Sire, ich bin fremd hier, die Erinnerung an die Heimat noch so frisch!«

»Es tut mir leid, Euch zu betrüben,« sagte Ludwig. »Aber ich kenne Euren Bruder, meine holde Gemahlin. Ich wünsche keine englische Spione um meine Person zu haben.«

»Spione, Sire?«, fragte Mary empfindlich.

Ludwig nickte mit dem Haupt.

»O! Das ist hart!«, rief Mary schmerzlich bewegt aus, »ich muss für den Bruder büßen!«

»Um Euch aber zu zeigen, wie gern ich Euch zu Willen bin«, sagte Ludwig freundlich, »erlaube ich Euch, eine von den Damen zu behalten, unter der Bedingung, dass Ihr keine geheime Korrespondenz zwischen meinem und dem englischen Hof gestattet, noch selbst eine führt. Ihr gebt mir Euer königliches Wort hierfür, Mary?«

»Von Herzen gern, Sire«, erwiderte diese und sah ihn mit redlich offenem Blick an.

»Und Ihr wollt Euch Mühe geben, mich und mein Land zu lieben?«

»O, Sire, es wird mein aufrichtigstes Bestreben sein, stets Eure Befehle zu erfüllen.«

»Ich spreche nicht von Befehlen«, sagte Ludwig lächelnd, »nur von dem Wunsch, geliebt zu werden. Es ist ein Glück, das mir noch nicht zuteilgeworden ist, und ein Geschenk, das ich bisher von meinen Gemahlinnen noch nie erbeten habe, Mary. Doch lassen wir das,« fügte er schnell hinzu, als er bemerkte, wie die junge Gattin betroffen zu Boden blickte. »Welche Dame wünschet Ihr zu behalten?«

»Und Ihr, Sire?«

»Ich?«, sagte Ludwig überrascht. »Nun ich will einen Vorschlag machen, gefällt Euch meine Wahl nicht, so steht Euch eine andere frei. Ich glaube, die junge Boleyn würde am schnellsten bei uns heimisch werden, und vielleicht später eine eheliche Verbindung hier schließen. Auch Sir Henry gefällt mir, er scheint ein ehrlicher, biederer Charakter zu sein.«

Über Marys Antlitz flog eine flüchtige Röte der Freude.

»Nun, habe ich recht?«

»Ja, Sire, ich danke Euch von Herzen«, war die Antwort, »das Kind ist mir sehr lieb geworden. Sie hat sich musterhaft in der Gefahr benommen. Aber ihr Vater spricht davon, sie in ein Kloster zu tun, damit sie ihre Erziehung vollende.«

»Das wird nicht nötig sein, wenn Ihr selbst ihre Erziehung leiten wolltet«, sagte Ludwig vergnügt. »Ich werde mit dem Vater reden.«

»Darf ich ihr also die Nachricht bringen, Sire?«

»Gewiss, und mich bei den anderen Damen entschuldigen«, erwiderte Ludwig.

Mary wollte das Zimmer verlassen, Ludwig hielt sie bei der Hand fest und sah sie zärtlich an. »Zuerst meinen Dank!«

Mary kämpfte einen Augenblick sichtlich mit sich selbst – dann aber legte sie schüchtern ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn.

»So ist’s recht«, sagte Ludwig vergnügt. »Jetzt geht zu Eurem kleinen Liebling. Doch nein, wartet.« Er berührte eine kleine Glocke auf dem Tisch, worauf sein Kammerherr erschien.

»Wir lassen Lady Boleyn zu uns entbieten«, gebot der König. »Ich will mir die Freude selbst bereiten, ihr die Entscheidung anzukündigen«, fügte er freundlich gegen Mary gewendet hinzu.

Einige Minuten später betrat das junge Mädchen schüchtern das Gemach.

Ludwig hielt ihr die Hand entgegen und sagte mit väterlichem Wohlgefallen: »Ich vernehme, dass Ihr ein Liebling unserer holden Gemahlin seid, Demoiselle. Nun, hättet Ihr Lust, bei uns zu bleiben? Oder zieht Ihr es vor, nach England zurückzukehren? Redet offen.«

»Darf ich? Darf ich bleiben?«, fragte Anne mit freudig strahlendem Antlitz. »Ist es wahr, Majestät?«, wandte sie sich an Mary.

»Gewiss, mein Kind, wenn mein Gemahl es sagt«, erwiderte diese im Ton sanften Vorwurfs.

»Seht Ihr wohl«, sagte Ludwig lachend, »da ist bereits Rebellion; nur Euer Wort gilt der jungen Dame.«

»Verzeiht mir, Sire!«, bat Anne beschämt, ergriff seine Hand und drückte sie an ihre Lippen. »Ich bin noch ein ungelehrtes Landmädchen, Sire. Die große Gnade, die Freude hat mich ganz verwirrt! O, diese Wonne, bei meiner hohen Gebieterin bleiben zu dürfen!«

»Werdet Ihr Euch aber auch mit unserem Land befreunden?«, fragte wohlgefällig der König.

»O, Sire – was das betrifft – offen gesagt, es gefällt mir in Frankreich weit besser als in England.

»Anne!«, sagte Mary etwas gereizt, »das hätte ich nicht von dir erwartet. So schnell sollte man die alten Freunde nicht um neue vergessen.«

»Verzeiht mir, Majestät«, lautete die Antwort, »aber am englischen Hof hatte ich noch keine Freunde. Ich kannte dort niemanden, und zudem ist meine beste Freundin ja hier. Ich bin ihr treu, wenn ich bei Euch bleibe, Majestät.«

Mary lächelte.

»Fein gesagt«, rief der König. »Gut, meine kleine étourdie – wir behalten Euch. Und damit Ihr nicht vergesst, dass Ihr uns angehört, mache ich Euch hiermit zu unserer Gefangenen.«

Er löste bei diesen Worten eine reiche goldene Kette, an der eine Reliquie hing, von seinem Hals und warf sie mit Grazie über den schlanken Nacken Annes.

Anne empfing sprachlos vor Dankbarkeit diesen Beweis der königlichen Huld, worauf der König sie lächelnd entließ.

»Sie ist allerliebst«, sagte der König zu seiner Gemahlin, »und wird dereinst alle Köpfe meiner Kavaliere verrücken.«

»Ihr Herz und Gemüt sind noch ebenso rein und kindlich wie ihr Äußeres, Sire«, sagte Mary. »Aber sie ist stolz und ehrgeizig, ohne sich selbst dieser Fehler bewusst zu sein. Eine liebreiche, feste Leitung tut ihr not. Doch jetzt erlaubt, dass ich Euch verlasse, Sire – meine Damen harren ängstlich Eures Bescheides.«

»Tut das, meine Liebe, mein Vertrauen zu Euch ist grenzenlos. Aus Eurem schönen Munde wird das Wort minder scharf als in dem meinen lauten.«

Es war keine leichte Aufgabe, welche der jungen Königin harrte, aber sie trat den weinenden Frauen, den unwilligen Rittern mit Fassung und mutigem Herzen entgegen.

Die sichtliche Liebe ihres Gemahls, seine Güte gegen Anne hatten ihre Wirkung bei ihr nicht verfehlt. Eine weichere Stimmung hatte das starre Eis der Verzweiflung von ihrem Herzen gelöst. Ihre ehelichen Pflichten erschienen ihr minder drückend, ihre Ankunft minder finster. Konnte sie auch nicht ihre Liebe dem Gemahl opfern und diese vergessen, sie empfand dennoch Zutrauen zu dem Letzteren und ein Vertrauen, das ihr wohltat. Sie konnte in Wahrheit ihr Gefolge mit der Versicherung entlassen: Sie hoffe doch im fremden Land nicht unglücklich zu sein.

Ludwig rechtfertigte bis zu seinem Tod Marys Vertrauen. Seine Liebe blieb ungeschwächt, unverbrüchlich seine Treue. Wenn auch ihr stilles Wesen ihr wenig Sympathie bei den Hofleuten erwarb, alle Herzen mussten sich vor ihr in Achtung und Verehrung beugen, ja es gesellte sich später ein Gefühl der Liebe hinzu, als sie bei der schweren Krankheit, welche kurz nach der Vermählung Ludwig überfiel und sein Leben rasch abkürzte, die aufopfernde Pflege und rührende Geduld sahen, mit welcher Mary sich dem Gemahl widmete.

Anne blieb unter der Leitung und der Erziehung der königlichen Herrin. Herrlich belohnte die Schülerin die hohe Lehrmeisterin durch ihren Lerneifer, ihr Talent und ihren Geist, aber noch mehr dadurch, dass sie ein Band der Annäherung und der Verknüpfung zwischen Mary und dem Hof wurde; denn Anne Boleyn, obwohl eine Fremde und in den Augen der Frauen noch ein Kind – wurde in kurzer Zeit der Liebling aller, sowohl der Frauen als auch der Kavaliere. Mary liebte sie leidenschaftlich und erteilte ihr die Erlaubnis, sie in ihren gemeinsamen Unterhaltungen Schwester zu nennen. Auch der König bewahrte ihr sein Wohlwollen. In den Tagen des Siechtums und der Melancholie, welche bei ihm eintraten, war ihm das muntere Mädchen nebst seiner angebeteten Mary die liebste Gesellschafterin.

Wie wenig ahnte Anne, wenn sie die Königin schmeichelnd umschlang, ihr den trauten Namen Schwester Mary zuflüsterte, dass sie einst in Wahrheit der edlen Frau so nahe stehen würde! Noch weniger ahnte die stille, ergebene Gattin, dass bereits der Todesengel nach dem Ratschluss Gottes über des Königs Wohnung schwebte, und dass die schwere Kette, welche des Bruders Politik ihrem liebenden Herzen geschmiedet hatte, ja bald gelöst werden sollte!

Dennoch war es so. Noch ehe das Jahr zu Ende ging, trug man Ludwig XII. in die Gruft seiner Ahnen.

Show 1 footnote

  1. seine eigenen Worte