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Der Wolfmensch Zweiter Teil – Kapitel 1

Elie Berthet
Der Wolfmensch
oder: Die Bestie des Gévaudan
Aus dem Französischen von A. Kretzschmar
Hartleben’s Verlags-Exedition. Pest, Wien und Leipzig, 1858.

Zweiter Teil
Kapitel 1

Die Eberschlucht

Sehen wir jetzt, was zwischen Laroche-Boisseau und Fräulein von Barjac vorgefallen war, als sie das Schloss Mercoire verlassen hatten.

Christine konnte, als sie auf ihrem feurigen kleinen Rappen in den langen Gängen des Waldes hingaloppierte, ihre Freude gar nicht mäßigen.

Sie glaubte sich wieder in die glücklichen Zeiten ihrer Kindheit zurückversetzt, als ihr Vater und ihr Onkel sich in demselben Wald den anregenden Freuden der Jagd widmeten.

Ihr leicht gebräuntes Antlitz glänzte von der Flamme der Gesundheit und ihre rosenfarbenen Nüstern blähten sich, um die freie und reine Luft des Waldes besser atmen zu können.

Auch die Abwesenheit ihrer gewöhnlichen Mentoren erhöhte ihre freudige Stimmung. Sie lachte laut über die Art und Weise, auf welche sie ihrem unvermeidlichen Ehrenkavalier entronnen war, und überließ sich ohne Zwang allen Launen ihrer fantastischen Natur. Bald ließ sie dem mit fliegender Mähne dahinsausenden kleinen Buch den Zügel schießen bald zwang sie ihn zu bäumen und zu kurbettieren und in sein silbernes Gebiss zu schäumen.

Mit der Schmitze ihrer Peitsche hieb sie spielend in die niedrigen Äste der Bäume oder in die Blümchen des Rasens.

Wenn sie auf ihrem Weg einen Jäger begegnete, so grüßte sie ihn mit einem freundlichen Wort oder einem Lächeln, und ihr ganzes Sein schien von Glück und Freude überzuwallen.

Der elegante Edelmann, der sie begleitete, war für sie gleichsam die Verkörperung dieser ganzen Freiheit, dieser ganzen Aufregung, dieser ganzen Zufriedenheit.

Auch kam es Laroche-Boisseau vor, als ob sie ihm niemals so viel Wohlwollen zu erkennen gegeben hätte. Sie billigte seine Pläne, sie schenkte seinen Witzworten Beifall – eine Schwester würde gegen einen geliebten Bruder nicht anders gehandelt haben.

So ritten sie nebeneinander dahin, wetteiferten miteinander im Austausch von mutwilligen Bemerkungen, und die Vorübergehenden, welche Zeuge dieser liebenswürdigen Übereinstimmung waren, zogen daraus die günstigsten Schlüsse für die nahe Veränderung des Namens der schönen jungen Schlossherrin.

Ebenso aufrichtig aber Christine in ihrem Benehmen gegen den Baron war, ebenso viel Schlauheit und Verstellung entwickelte dieser in seinem Verhalten. Seine Heiterkeit war eine nur künstliche, seine Unbefangenheit nur scheinbar und erheuchelt. Er analysierte jedes frivole Wort, jede Gebärde, jedes Lächeln des allzu vertrauenden Kindes und schrieb sie in sein Gedächtnis.

Dennoch aber besaß er in dieser Beziehung zu viel Erfahrung, als dass er eine vielleicht vorübergehende Laune gleich hätte ernst nehmen sollen. Er argwöhnte, dass ein allzu direktes Wort hinreichen würde, um diese sich erschließende Seele stutzig und vorsichtig zu machen.

Deshalb affektierte er dieselbe Leichtfertigkeit, denselben Mutwillen. Er ließ seine unkluge Begleiterin sich in aller Sicherheit an Lust und Sonne berauschen, aber insgeheim belauerte er die Fortschritte dieser Trunkenheit und machte sich gefasst, davon Nutzen zu ziehen.

Solange er die umfassenden Vorbereitungen der Jagd zu überwachen hatte, war es ihm unmöglich, vertraulich mit Fräulein von Barjac zu plaudern. Aber man bemerkte, mit welcher Nachsicht der in Dingen seines Dienstes gewöhnlich sehr strenge Baron von Boisseau die von feinen Leuten – denen er übrigens schon am Morgen seine Befehle erteilt hatte – getroffenen Dispositionen billigte. Es war, als ob er Eile hätte, damit fertig zu werden. Er hörte kaum an, was ihm gesagt wurde und antwortete nur einsilbig und mit einem gewissen Grad von Ungeduld.

Endlich, nachdem Christine und er die ganze Linie der Schützen entlang geritten waren und sich überzeugt hatten, dass jeder auf seinem Posten war, ließen sie ihre Pferde, wie der Leser bereits weiß, an den vier Ecken und begannen die Monadière zu ersteigen, von wo aus in Gemäßheit der getroffenen Verabredung das Signal zum Treiben gegeben werden sollte.

Fräulein von Barjac marschierte, nachdem sie ihr langes Gewand an den Gürtel aufgesteckt und ihre Kugelbüchse über die Schulter geworfen hatte, mit flinkem, rüstigem Schritt. Der Baron wollte ihr den Arm bieten, sie dankte ihm aber mit scherzhaft verächtlicher Miene und bedurfte auch in der Tat keines Führers, um die Schwierigkeiten des Weges zu überwinden.

Sie hatte einen sicheren Fuß, einen sanften, leichten Atem wie eine Gämse, ihr klares Auge maß ruhig die Tiefe der Abgründe und Schluchten.

Laroche-Boisseau hatte selbst einige Mühe, ihr nachzukommen. Mit einer Bewunderung, welche sich mit grausamer Freude mischte, sah er sie leicht und vertrauensvoll ihre Schritte zum ödesten Teil des Berges nehmen.

Dennoch aber sprach er nicht mehr mit ihr. Er schien verlegen und mit irgendeiner geheimen Absicht beschäftigt zu sein. Christine wurde, auf diese Weise sich selbst überlassen, ebenfalls nachdenklich. Die rings um sie herrschende Ruhe und Einsamkeit gaben endlich ihren Gedanken eine schwermütige Wendung.

»Baron«, sagte sie plötzlich, indem sie stehen blieb, um zu verschnaufen, »ich mag meine Fantasie anstrengen, wie ich will, so gewinne ich doch die Überzeugung, dass die Sache zur Zeit meines armen Vaters eine ganz andere war. Was ist das für eine Jagd von büßenden Nonnen, die wir hier haben? Man hört weder das Bellen der Meute noch das Wiehern der Pferde, noch das Rufen der Piqueurs, noch die lustigen Fanfaren der Hörner. Die Jäger bleiben im Gebüsch versteckt wie Hasen und die Mutigsten laufen Gefahr, auf ihrem Posten einzuschlafen. Bei Gott, da war es sonst anders! Wenn man in Mercoire jagte, ertönten zwanzig Hörner in allen Richtungen, hundert Hunde heulten, indem sie die Spur des Wildes verfolgten, Edelleute in reichen Uniformen galoppierten im Wald umher, überall krachten Schüsse – es war ein Getöse, eine Bewegung, ein Aufruhr, dass jeder, der dabei war, vor Freude und Wonne schauderte. O mein armer Vater, mein guter Onkel Hilaire, wo seid ihr?«

Und eine Träne zitterte wie ein Tautropfen an Christines langer schwarzer Wimper.

Verwünscht seien diese Erinnerungen, die zu so ungelegener Zeit kommen!, dachte der Baron.

Dennoch hob er lächelnd wieder an: »Geduld, Fräulein! Ihr vergesst, dass es sich jetzt um eine einfache Treibjagd und nicht um eine Hetzjagd handelt, wie zur Zeit Eures geehrten Vaters. Aber wenn Ihr die Jagd und die Vergnügungen, welche früher Mercoire so lebhaft machten, so sehr liebt«, fuhr er sich ihr nähernd fort, »habt Ihr dann noch nicht daran gedacht, dass es nur von Euch abhängt, diese schönen Tage sich erneuern zu sehen?«

»Und wie könnte das geschehen, mein lieber Baron?«, fragte Christine, die mit ihrer gewohnten Beweglichkeit des Geistes schnell von einem Gefühl zum anderen überging.

»Nun, pardieu! Dadurch, dass Ihr einen Jäger heiratet!«

Fräulein von Barjac machte ein finsteres Gesicht. »O Baron«, sagte sie verdrießlich, »Ihr, dem ich so wenig misstraute, wollt Ihr mich auch quälen?«

»Nun, wäret Ihr denn so sehr abgeneigt, einen wackeren Edelmann und unerschrockenen Jäger zu heiraten, der Euch vom ganzen Herzen lieben würde und …«

»Das weiß ich nicht.«

»Vielleicht«, hob Laroche-Boisseau in ironischem Ton wieder an, »vielleicht gebt Ihr einem kleinen, blassen, jungen Menschen den Vorzug, der schön zu sprechen versteht, unter Büchern und Gebet aufgewachsen ist, der in seinem ganzen Leben noch kein Gewehr und keinen Hirschfänger angerührt hat und seine Zeit damit zubringen würde, über alles in wohlgesetzten Worten zu schwatzen? Die jungen Damen finden oft Wohlgefallen an dergleichen schüchternen, dem Zahn des Wolfes entronnenen Lämmern …«

Christine unterbrach ihn in ungeduldigem Ton. »Herr Baron«, sagte sie stolz, »ich will nicht tun, als verstände ich Euch nicht. Warum messt Ihr mir ein Gefühl der Bevorzugung für … für die Person bei, auf welche Ihr soeben hingedeutet habt?«

»Werdet nur nicht gleich zornig, Fräulein! Gott ist mein Zeuge, dass ich wünsche, mich geirrt zu haben. Aber wie kann ich anders die außerordentliche Gemütsbewegung, welche Ihr gestern bei der Ankunft dieses Neffen des Pater Bonaventura zeigtet, Euren Schmerz bei dem Anblick einer elenden kleinen Ritzwunde und das unwiderstehliche Gefühl deuten, welches Euch trieb, diesen jungen Mann vor den Augen des ganzen Schlosses in Euren Armen fortzutragen?«

»Ha!«, entgegnete Fräulein von Barjac mit Aufregung, »also auf diese Weise beurteilt die Welt eine einfache Regung der Menschlichkeit! Ich ahnte es und eben deshalb habe ich diesen Morgen – seht, Baron, ich will offen gegen Euch sein, ich empfinde für diesen jungen Mann, der für mich ein Jugendgespiele ist, eine Achtung und eine Freundschaft, die ich mir nicht zu verhehlen brauche. Man kann davon denken, was man will, aber man muss doch erwägen, dass er nicht meinem Stand angehört und dass er der Schützling von Leuten ist, deren Herrschaft ich immer nur mit Ungeduld ertragen habe. Nachdem ich dies bemerkt habe, wollen wir abgeschmackte Vermutungen und törichte Gerüchte sich selbst überlasten. Ich kümmere mich darum ebenso wenig wie um den Schnee des vergangenen Jahres.«

Ganz gewiss, sie liebt ihn nicht!, dachte der Baron.

Fast unmittelbar darauf aber bedachte er, dass Christine ihn täuschen könnte, oder – was weit wahrscheinlicher war – dass sie sich vielleicht selbst täuschte.

»Ich habe aber seit gestern Erkundigungen über Monsieur Leonce eingezogen«, fuhr er hartnäckig fort, »und man versichert, dass Euer Verhalten gegen ihn ein ganz eigentümliches ist. Selbst Euer Vorgeben, dass Ihr Euch nicht nach seinem Befinden erkundigt, nachdem Ihr ihm ein Interesse bewiesen habt, welches für Euch so kompromittierend ist …«

»Nun, sah ich vielleicht nicht voraus, dass man diese unschuldige Handlung zu meinem Nachteil deuten würde? Aber es ist wahr, Herr von Laroche-Boisseau«, setzte Christine mit einem gewissen Grad von Sich-gehen-Lassen hinzu, »ich fühle in Leonces Gegenwart eine Verlegenheit, eine Befangenheit, die kein anderer Mensch auf der Welt mir einflößen könnte. Er hat mir stets viel Zuneigung bewiesen, aber dabei ist er so verständig und so streng, dass ich seinen Tadel mehr fürchten würde als den Tod.«

Dieses naive Geständnis schien durchaus nicht nach Laroche-Boisseaus Geschmack zu sein, und er hob in mitleidigem Ton wieder an: »Ich sehe, Christine, armes Kind, Ihr unterliegt bereits dem Einfluss der gewaltigen Intrigen, von welchen Ihr umgeben seid und deren Bedeutung Ihr vielleicht nicht ahnt.

Diese Mönche, welche sich über Euch eine unumschränkte Autorität anmaßen, wollen Euer Glück ihren ehrgeizigen Plänen opfern und haben sicherlich irgendein geheimes Netz gesponnen, in welchen Eure Unerfahrenheit sich fangen lassen wird. Glaubt mir, es geschieht nicht ohne Grund, dass dieser junge Mann, die Kreatur dieser Mönche, Euch fortwährend in den Weg kommt. Man hat den Eindruck, den er auf Euch hervorbringen konnte, auf kluge Weise kombiniert und das schwarze Komplott scheint bald gelingen zu sollen. Dieser Neffe des schlauen Paters Bonaventura hat in Eurem Herzen einen größeren Platz erobert, als Ihr glaubt. Er weiß dies auch recht wohl und ist deshalb von einer Eitelkeit erfüllt, von welcher ich mir selbst recht wohl Rechenschaft geben kann.«

Christine richtete rasch den Kopf empor und ihre schwarzen Augenbrauen zogen sich zusammen.

»Was sagt Ihr da, Baron?«, fragte sie. »Sollte Leonce sich in Eurer Gegenwart einer … einer Bevorzugung von meiner Seite gerühmt haben? Ich beschwöre Euch bei Eurer Ehre als Edelmann, mir offen und aufrichtig zu antworten.«

»Ich behauptete nicht, dass er sich dessen geradezu gerühmt habe«, entgegnete Laroche-Boisseau mit vorsichtiger Miene. »Aber ich habe mich überzeugt, dass dieser unverschämte Bürgerknabe in Bezug auf Euch verwegene Hoffnungen hegt, und diese Hoffnungen werden durch Eure Nachsicht gegen ihn allerdings auch hinreichend gerechtfertigt.«

Fräulein von Barjac schwieg. Sie fühlte eine heftige innere Aufregung. Endlich gelang es ihr sich zu beherrschen und sie hob in trockenem Tone wieder an: »Alle diese Voraussetzungen sind unvernünftig. Mordieu! Man wird doch nicht etwa ohne meine Zustimmung über mich verfügen wollen? … Und wenn man jemals wagen sollte, es zu versuchen … aber in der Tat, Baron«, fuhr sie fort, indem sie ihren Zorn gegen Laroche-Boisseau selbst kehrte, »wie könnt Ihr Euch erlauben, mich wegen eines solchen Gegenstandes zu peinigen? Was geht die ganze Sache Euch an, wenn ich fragen darf?«

Der Baron hielt die Gelegenheit für günstig, endlich etwas zu riskieren.

»Christine, Christine«, sagte er, indem er seiner Stimme und seinem Blick den leidenschaftlichsten Ausdruck gab, »das könnt Ihr mich fragen?«

Fräulein von Barjac schlug diesmal die Augen nieder und errötete. Nach einem kurzen Schweigen rief sie: »Schweigt mit diesen sentimentalen Albernheiten! Sind wir vielleicht hier, um Süßigkeiten zu schwatzen? Ein Wolfsjägermeister unterbricht sich mitten in einer großen Treibjagd, um einem Mädchen fade Komplimente zu machen! Wo ist der Wolf? Wo ist der Wolf? Palsambleu! Wir haben schon nur zu viel Zeit verloren!«

Sie begann mit raschem Schritt den Berg weiter hinaufzusteigen, und der Baron folgte ihr erfreut und voll Hoffnung. Erstens war Christine über die doch ziemlich deutlichen Geständnisse, welche er sich hatte entfallen lassen, nicht zornig geworden, und dann hatten seine böswilligen Bemerkungen in Bezug auf Leonce augenscheinlich einen lebhaften Eindruck auf das stolze junge Mädchen hervorgebracht.

Während er sich noch zu seinem Erfolg Glück wünschte, fragte ihn Fräulein von Barjac: »Baron, habt Ihr auch Sorge getragen, einen Eurer besten Schützen in die Eberschlucht zu stellen?«

Sie zeigte mit der Hand auf den tiefen in der Bergwand angebrachten Durchhau.

»Ich … ich glaube nicht«, entgegnete Laroche-Boisseau. »Das ist ein Fehler. Meine Leute hätten Euch sagen sollen, dass diese Schlucht der gewöhnliche Weg der aus diesem Wald gejagten Tiere ist, wenn sie den großen Wald wieder zu erreichen versuchen. Es war dies einer der wichtigsten Punkte, die zu bewachen waren. Mein armer Vater wusste dies wohl. Auf allen seinen Treibjagden behielt er diesen Posten für sich selbst, und er hat hier mehrere Eber erlegt, wovon eben die Schlucht ihren Namen erhalten hat.«

»Liebe Christine, Ihr könntet in der Tat manchen Jäger belehren, der sehr geschickt und erfahren zu sein glaubt!«, antwortete der Baron. »Zu der Zeit aber, wo die Eberschlucht so viel Bedeutsamkeit hatte, war die Disposition der Lokalität vielleicht eine etwas andere. So reichte der Wald zum Beispiel früher ohne Zweifel bis an das Ende dieses Gartens, während er gegenwärtig durch einen Zwischenraum von etwa hundert Schritten davon getrennt ist. Ein Tier von großem Wuchs, welches die Schlucht zu gewinnen versuchen wollte, würde daher unfehlbar von den am Saum des Waldes postierten Schützen wahrgenommen werden.«

»Ha, glaubt Ihr denn, ein listiger Wolf, wie das Tier, auf welches wir es heute abgesehen haben, jedenfalls ist, könnte nicht auf die Idee kommen, sich, vom Nebel begünstigt, auf dem Bauch fortzuschleppen, um auf diese Weise die Eberschlucht verstohlen zu erreichen? Ich versichere Euch, dass dieser noch weit wunderbarere Dinge ausgeführt hat.« Laroche-Boisseau betrachtete die Örtlichkeit mit aufmerksamem Blick, um sich zu überzeugen, in wie weit Christines Bemerkungen gegründet wären.

»In der Tat, mein Fräulein«, hob er mit wirklicher oder erheuchelter Bewunderung wieder an, »Euer Scharfsinn beschämt mich. Es wäre in der Tat nicht unmöglich, dass der Wolf dieses Manöver ausführte, und ich hätte eher daran denken sollen, ihm dieses Spiel unmöglich zu machen. Zum Unglück lässt sich der Fehler jetzt nicht mehr verbessern. Alle unsere Schützen sind auf ihrem Posten und erwarten mein Sig­nal mit Ungeduld. Wenn wir daher nicht vielleicht selbst die Eberschlucht bewachen wollen …«

»Jawohl, jawohl, das wollen wir tun!«, rief Christine, indem sie mit kindischer Freude in die Hände klatschte. »Welch ein Glück, lieber Baron, wenn wir diese fürchterliche Bestie des Gévaudan erlegten, welche seit drei Monaten meine Felder verwüstet, welche meine Dienstleute und Freunde verwundet oder tötet …«

»Und welche beinahe das Lamm der guten Väter zerrissen hätte!«, setzte der Baron spöttisch lachend hinzu.

Fräulein von Barjac konnte nicht umhin, zu lächeln. Dennoch aber hob sie den Finger, um Laroche-Boisseau dieses Thema der Konversation zu untersagen, und begann dann rasch wieder: »Wohlan, gehen wir schnell! Ich weiß einen vortrefflichen Posten, eine Art Hütte, die in der Schlucht selbst von einem meiner ehemaligen Hirten erbaut worden war, welchen man Jeannot mit den großen Zähnen nannte. Dieser durch Not und Elend vertierte Mensch war einer jener Bergbewohner von Mézenc, deren unbeugsamen wilden Charakter Ihr ohne Zweifel ebenso gut kennt wie ich. Dieser mein ehemaliger Hirt gefiel sich sehr in dieser schauerlichen Höhle, wo er wie ein Wilder lebte, und kaum kam er einmal jährlich in das Schloss herunter. Diese fortwährende Einsamkeit schwächte endlich seinen Verstand, sodass er fast das Reden verlernte. Die Herde, welche man ihm anvertraut hatte, blieb sich selbst überlassen und jeden Tag ging ein Stück davon verloren oder verirrte sich. Übrigens besaß dieser Jeannot auch eine so wilde Gemütsart, dass er unseren Leuten nicht begegnen konnte, ohne sie zu misshandeln. Die Sache ging so weit, dass dieser Kerl der Schrecken der ganzen Umgegend wurde. Ich ward es müde, fortwährend Beschwerden und Klagen über ihn zu hören und beschloss daher, mich seiner zu entledigen. Jeannot war nicht auf meinen Besitzungen geboren und ich war ihm daher keine Schonung schuldig. Eines Tages, als man mir eben wieder eine seiner tierischen Rohheiten erzählt hatte – es sind jetzt ungefähr drei Monate her – ging ich selbst hier herauf, in Begleitung zweier meiner Jagdwächter, die feigerweise ohne mich nicht gewagt hätten, diesen Auftrag zu übernehmen. Wir jagten Jeannot aus seiner Hütte und untersagten ihm, wieder dahin zurückzukehren oder auch nur einen Fuß in meinen Wald zu setzen. Er entfernte sich murrend, und ich habe seit dieser Zeit nichts wieder von ihm gehört. Wir werden jedoch die erbärmliche Wohnung, die er sich erbaut hatte, noch vorfinden. Wenn ich mich nicht irre, so ist sie zur Ausführung meines Planes ganz vortrefflich geeignet.«

»Und Ihr wisst nicht, was aus diesem Kerl geworden ist?«

»Ohne Zweifel wird er in seine Berge von Mézenc zurückgekehrt sein, welche er niemals hätte verlassen sollen. Seit seinem Weggang haben wir Ruhe und wenn nicht dieser verdammte Wolf – aber zum Teufel!«, unterbrach sich Christine in plötzlich verändertem Ton, »was soll denn das heißen?«

Dieser sehr unweibliche Ausruf wurde ihr durch eine unerwartete Entdeckung entlockt.

Während des eben mitgeteilten Gespräches waren sie an den Rand der Schlucht gerade der Hütte gegenüber gelangt, welche früher von Jeannot bewohnt gewesen war, und man denke sich Christines Überraschung und Zorn, als sie die Hütte offen stehen sah und auf der Schwelle der Tür denselben Menschen erblickte, von welchem sie soeben gesprochen hatte.

Jeannot mit den großen Zähnen war ein stämmiger Kerl von etwa fünfzig Jahren, dessen Äußeres Schrecken und Abscheu einflößen musste. Er war von riesigem Wuchs, aber hager und sein knochiges, gleichsam schuppiges Gesicht hatte einen bestialischen Ausdruck. Ein breiter fortwährend offener Mund mit herabhängender Unterlippe ließ lange, gelbe, spitze Zähne sehen, von welchen er seinen Zunamen erhalten hatte. Seine tief liegenden wilden Augen waren halb unter den struppigen Augenbrauen versteckt und sein graues, borstiges Haar war mit seinem ungepflegten schmutzigen Bart verwachsen. Seine ganze Kleidung bestand aus einem Hemd von Sackleinwand und einem Beinkleid von demselben Stoff, welches seine haarigen, schwarzen, starkknochigen Beine nicht ganz bedeckte.

Er war mit einem Wort gleichsam eine widerwärtige Herabwürdigung der Menschengestalt. Jedes andere Weib als die mutige Christine von Barjac wäre entsetzt bei dem Anblick dieses Tiermenschen entflohen, der vielleicht ebenso gefährlich wie sein Anblick abstoßend war.

In dem Augenblick, wo die Schlossherrin und Laroche-Boisseau an dem Rand der Schlucht erschienen waren, befand sich Jeannot, wie wir bereits bemerkt haben, am Eingang der Hütte. Mit beiden Händen auf der Erde ruhend, in der bekannten Positur großer Affen, hockte er unbeweglich da, mit den Augen zum äußersten Ende der Schlucht gewendet, welche sich zum verbrannten Wald hinabzog.

Bei dem Geräusch, welches die Nahenden machten, hob er den Kopf empor, seine erste Bewegung aber schien nicht die der Furcht zu sein. Im Gegenteil schüttelte er seine dichte Mähne mit herausfordernder Miene und stieß ein dumpfes Knurren aus, gleich dem eines bösen Hundes.

Christine ihrerseits zeigte sich durch diese drohenden Demonstrationen keineswegs erschreckt. Der Abscheu, welchen dieses scheußliche Wesen ihr einflößte, sowie das Gefühl ihrer missachteten Autorität regte ihre nervöse Organisation im höchsten Grade auf. Mit Energie hob sie zu Jeannot gewendet an: »Wie, Schurke, wagst du trotz meines Verbotes wieder vor mir erscheinen? Was machst du hier? Habe ich dir nicht gesagt, dass, wenn du dich unterstündest, wieder einen Fuß auf mein Gebiet zu setzen, ich dich wie ein wütendes Tier behandeln würde? Aber ich werde erfahren, welcher von meinen Jagdwächtern deine Gegenwart in meinem Wald duldet und versäumt hat, mir davon Meldung zu machen. Es ist ohne Zweifel Fargeot, der verwünschte Trunkenbold! Fargeot soll dafür büßen. Nun hast du mich verstanden? Auf der Stelle entferne dich – ich befehle es dir! Und lass dich nie wieder hier blicken!«

Aber Jeannot rührte sich nicht von der Stelle. Es war, als ob Christines Worte nicht bis zu seinem Verstand drängen, oder wenigsten, als ob dieser Verstand zu stumpf wäre, um sie zu begreifen. Er fuhr fort, leise zu knurren und machte Miene, sich auf das mutige junge Mädchen zu stürzen.

Laroche-Boisseau beeilte sich, seine Büchse zu spannen.

»Nehmt Euch in Acht, Fräulein«, sagte er. »Dieser Kerl hat das schlechteste Gesicht, welches ich in meinem Leben gesehen habe, und er wäre imstande …«

»Mischt Euch nicht in diese Sache, Baron«, hob Christine mit Autorität wieder an, während sie jedoch zugleich ebenfalls den Hahn ihrer Kugelbüchse spannte. »Ich bitte Euch, lasst mich nach meiner Weise verfahren. Dieser Schurke soll mich nicht einschüchtern und ich werde auf meinem Grund und Boden Herr zu sein wissen.«

Dann wendete sie sich abermals zu Jeannot.

»Pack dich!«, rief sie in gereiztem Ton, »du hast zu viel Unheil hier angerichtet, als dass ich dir gegenüber die geringste Nachsicht, das geringste Mitleid zeigen könnte! Pack dich und lass dich nie wiedersehen! Mordieu! Willst du mir vielleicht trotzen, dass du mich so ansiehst?«

Und sie legte rasch das Gewehr an.

Der Anblick der gegen ihn gerichteten Waffe rüttelte Jeannot aus seiner Unbeweglichkeit auf. Er begann mit einer ungeheuren Behändigkeit mehrmals nacheinander in die Höhe zu springen, aber ohne dass er gewagt hätte, näher zu kommen. Während er sich in dieser seltsamen Turnübung erging, sagte er in seinem Gebirgspatois: »Alle Jäger sind da – alle – alle. Aber der Wolf fürchtet sich nicht – der Wolf wird sie zerreißen mit seinen langen Zähnen – der Wolf ist schlau – der Wolf ist stark – der Wolf fürchtet nicht die Jäger.«

Er begleitete diese kaum verständlichen Worte mit einem heiseren, krampfhaften Gelächter.

Christine konnte sich eines leichten Schauders nicht erwehren, dennoch hob sie, ihr Gewehr noch immer angeschlagen haltend, wieder an: »Missbrauche nicht meine Geduld und entferne dich schleunigst – entferne dich augenblicklich, oder beim Teufel, ich schieße dich ohne Erbarmen nieder!«

Dieses Mal schien der Irrsinnige zu begreifen, was man von ihm erwartete. Er wich langsam zurück, aber ohne den Nacken zu wenden, und sagte in seinem blödsinnigen Ton: »Der Wolf flieht, wenn die Jäger kommen – aber der Wolf wird wiederkommen, in der Nacht, wenn die anderen schlafen – er wird da junge Mädchen zerreißen – er hat es gern, wenn er viel Tote und viel Blut hat, der Wolf!«Nach einer kurzen Pause setzte er hinzu: »Da sind sie – da sind sie – mach, dass du fortkommst, Wolf! – In den Wald – rasch in den Wald – da sind sie!«

Er begann sich längs der Schlucht hinzubewegen, um den großen Wald zu erreichen. Er tat ungeheure Sprünge und ging auf den Händen mit derselben Leichtigkeit wie auf den Füßen. Es wäre schwer gewesen, in diesem behänden Körper, welcher über die Felsstücke und Sträucher zu fliegen schien, einen Menschen zu erkennen.

Christine drückte einem ihr selbst unerklärlichen Gefühl folgend in dem Augenblick, wo Jeannot um die Ecke biegen wollte, ihr Gewehr ab.

Der Schuss knallte, aber ein lautes Gelächter folgte auf diesen Beweis von Feindseligkeit. Als der Rauch sich verzogen hatte, war der Irrsinnige nicht mehr sichtbar.

Ihr habt ihn verfehlt«, sagte der Baron. »Freilich bewegte sich der Kerl auch auf eine Weise …«

»Glaubt Ihr denn, dass ich gezielt habe?«, entgegnete Christine ungeduldig. »Was hätte es mir nützen können, diesen armen Narren zu töten? Nein, nein, ich wollte ihm bloß einen Schrecken einjagen, um ihn zu hindern, mir künftig wieder unter die Augen zu kommen, denn er macht auf mich denselben Eindruck wie ein giftiges Gewürm. Aber«, setzte sie horchend hinzu, »was ist das?«

Ein betäubender Lärm begann sich im Tal zu erheben.

»Es ist das Treiben, welches beginnt«, entgegnete Laroche-Boisseau. »Man wird Euren Schuss für das Signal gehalten haben, welches ich gerade von dieser Stelle aus geben wollte, und unsere Leute setzen sich in Bewegung. Wohlan, das trifft sich ganz gut.«

»Nun, dann wollen wir uns beeilen, uns zu postieren«, rief Christine ungestüm. »Jetzt, wo dieser scheußliche Jeannot seine Hütte verlassen hat, können wir uns darin in den Hinterhalt legen, und wenn irgendjemand die Bestie schießt, so hoffe ich, dass wir es sein werden.«

Während sie dies sagte, stieg sie leichtfüßig die Wand der Schlucht hinab und lenkte ihre Schritte zur Hütte. Laroche-Boisseau zögerte anfangs, ihr zu folgen, als ob das Vertrauen, welches dieses unschuldige Kind ihm bewies, gewisse Bedenklichkeiten in ihm erweckt hätte, aber dieses Zögern dauerte nicht lange. Bald umspielte ein spöttisches Lächeln seine Lippen. Sich in die Schlucht hinabstürzend, beeilte er sich, Fräulein von Barjac einzuholen.

Die Hütte war eigentlich weiter nichts als eine Felsenhöhle, an welcher man von Erde und Baumstämmen eine plumpe Fassade angebracht hatte. Das Innere enthielt keinerlei Gerät als einen Holzblock, welcher bestimmt war, als Sitz zu dienen. Kein Wirtschaftsgerät, kein an der Wand hängendes Kleidungsstück verriet den dauernden Aufenthalt seines Bewohners. Eine Schicht Farnkraut verbreitete darin einen angenehmen Duft. Dieses einfache Lager schien übrigens noch gar nicht gebraucht worden zu sein, wie man an der Frische dieser Pflanzen erraten konnte, welche ohne Zweifel noch vor wenigen Stunden die Abhänge des gewaltigen Berges geschmückt hatten.

Die Hütte hatte daher trotz ihrer Nacktheit nichts Abstoßendes. Nichtsdestoweniger machte ein eigentümlicher Umstand Laroche und Christine betroffen.

Laroche-Boisseau gewahrte nämlich in dem dunklen Winkel einen ziemlich umfangreichen Gegenstand, dessen Beschaffenheit er nicht sogleich erkennen konnte. Er entfernte mit den Füßen das Moos, womit er bedeckt war, und siehe da, es war ein noch mit seiner Wolle bedecktes Lammviertel.

»Was!«, rief er, indem er dieses blutige Fleisch sofort in einer Felsenspalte verschwinden ließ, »sollte unser Freund Jeannot den Imbiss der Bestie des Gévaudan teilen?«

»Es wäre in der Tat nicht unmöglich, dass dieser Mensch von dem lebte, was der Wolf übrig lässt«, entgegnete Christine, indem sie die Augen abwendete. »Er ist kaum weniger wild wie dieses Tier selbst. Aber«, setzte sie eilig hinzu, »wir haben uns mit diesem Vagabunden nun genug beschäftigt. Die Treiber beginnen sich uns zu nähern. Das Tier kann nicht verfehlen, bald hier vorbeizukommen, wenn es nämlich durch diesen Engpass entrinnen will. Ich werde daher meine Büchse wieder laden und kann dann vom Fenster dieser Hütte aus die Passage bewachen.«

»Hofft Ihr denn mit diesem Kinderspielzeug den furchtbaren Wolf zu erlegen, dessen Spur ich heute Morgen gesehen habe? Ich stehe Euch dafür, dass eine Kugel aus diesem niedlichen Gewehr sich auf seinem alten Fell platt schlagen würde. Wenn Ihr so sehr wünscht, das Tier zu schießen, so will ich Euch gern meine schwere Kugelbüchse überlassen, die ich selbst mit einem doppelten Stangenposten geladen habe.«

»Ich danke, Baron«, rief Fräulein von Barjac, indem sie die schwere Kugelbüchse ergriff, welche sie kaum heben konnte. »Das ist von einem Jäger eine Selbstverleugnung, deren Wert ich lebhaft erkenne. Bei meinem Leben! Ich werde dieses Opfer niemals vergessen!«

Sie öffnete halb den kleinen Fensterladen der Hütte und legte die Kugelbüchse so an, dass sie mit leichter Mühe auf alles schießen konnte, was in der Schlucht zum Vorschein kommen würde.

Laroche-Boisseau betrachtete sie mit leidenschaftlicher Bewunderung.

»Liebe Christine«, sagte er endlich, »Ihr habt keine Eile, der Wald ist sehr umfangreich und sehr dicht. Das Tier wird ihn ohne Zweifel nur im äußersten Notfall verlassen. Wenn es übrigens sich entschließt, durchzubrechen, so werden wir durch die Schüsse und den Ruf der Jäger davon benachrichtigt werden. Glaubt daher meiner Erfahrung. Ermüdet Euch nicht durch langes Stehen an diesem Fenster und ruht lieber ein wenig aus. Dieser Ritt, dieses Ersteigen des Berges hat Euch notwendig ermüden müssen. Ich bitte, setzt Euch, wäre es auch nur auf einen Augenblick.«

Christine fühlte in der Tat einige Ermüdung, und andererseits wagte sie auch nicht, die verbindlichen Aufforderungen ihres Begleiters zurückzuweisen.

Indem sie daher die Kugelbüchse gegen die Luke angelehnt stehen ließ, sagte sie zum Baron mit widerstrebender Miene: »Wohlan, ich glaube Euch. Wenn ich aber die Gelegenheit, das Tier zu schießen, versäume, so verzeihe ich es Euch niemals.«

Laroche-Boisseau ergriff ihre Hand und führte sie zum Holzbock, dem einzigen Sitz, den die Hütte darbot. Er setzte sich zu ihren Füßen in das duftende Farnkraut und begann sie mit funkelnden Augen zu betrachten.

Fräulein von Barjac wurde darüber nicht unruhig. Sie hatte ihren Hut abgenommen und strich sich die durch den Marsch in Unordnung geratenen Locken nachlässig von der Stirn zurück.

»Christine, teure Christine«, sagte der Baron mit zitternder Auflegung nach kurzem Schweigen, »wisst Ihr, dass Ihr eben sowohl die Tapferste und Mutigste als auch die Schönste aller Frauen seid?«

Fräulein von Barjac sah ihn ihrerseits mit gut gelaunter Miene an.

»Na, was fällt Euch denn ein?«, fragte sie boshaft. »Auch Ihr spielt den Galanten gegen mich? Das ist ja Verräterei!«

»O, sprecht nicht in diesem spottenden Ton mit mir, Christine, reizende Christine!«, rief Laroche-Boisseau, indem er ihre Hand mit Küssen bedeckte. »Da der Zufall oder vielmehr mein guter Stern uns ohne Zeugen zusammenführt, so erlaubt mir Euch zu sagen, wie sehr ich Euch liebe!«

Vergebens versuchte Christine sich loszumachen.

»Morbleu! Baron!«, hob sie ungeduldig wieder an, »lasst mich doch. Ich bin keine Zierpuppe, aber ich will, dass man in gehöriger Entfernung mit mir spreche und mich in meinen Bewegungen nicht beenge.«

»Ihr sollt mir nicht entrinnen, Anbetungswürdige! Noch einmal, es ist mein guter Stern, der Euch auf diese Weise in dieser einsamen Hütte fern von Zudringlichen und Schwatzhaften in meine Macht gibt.«

»Lasst mich los! Tausend Teufel! Lasst mich los oder ich schwöre Euch …«

»Glaubt Ihr mich vielleicht durch diesen Kolibrizorn zu schrecken? Er macht Euch nur um so verführerischer! Christine, ich liebe dich!«

Und er wollte sie umarmen. Fräulein von Barjac versuchte entrüstet ihn zurückzustoßen und rief so laut sie konnte, aber ihr Ruf schien sich unter dem Getöse verlieren zu müssen, welches immer noch von der Ebene heraufdröhnte.

Endlich jedoch gelang es ihr, eine ihrer Hände freizumachen. Indem sie sich bemühte, den Zudringlichen von sich abzuwehren, stieß sie an den Griff des Hirschfängers, den der Jäger an der Seite trug. Außer sich vor Zorn und Angst ergriff das ungestüme junge Mädchen die Klinge, riss sie aus der Scheide und stieß sie Laroche-Boisseau in die Brust.

Der Baron stieß einen Schmerzensruf aus.

Erschrocken über ihre Tat prallte Christine einige Schritte zurück, indem sie die blutige Waffe immer noch in der Hand behielt.

Die kostbare Uniform des Wolfsjägermeisters färbte sich rot. Laroche-Boisseau lehnte sich an die Wand der Hütte.

»Gut getroffen, meiner Treu!«, sagte er mit bitterem Lächeln. »Das kommt davon, wenn man sich an eine Heldin wagt. Dennoch glaube ich, ich habe nur bekommen, was ich verdiene.«

Er sank zusammen. Christine entfloh.

Wir wissen bereits, wie sie beim Heraustreten aus der Hütte dem Chevalier von Magnac und Legris begegnete, welche sich beide noch nicht von ihrem Schrecken über den wütenden Angriff der Bestie des Gévaudan erholt hatten, und man kann sich nun die Worte erklären, welche Christine an sie richtete.

Magnac hätte anfangs die Idee, seiner jungen Herrin zu folgen, welche mit der Schnelligkeit des Windes den Berg hinabeilte. Christines verstörte Miene aber, ihre beunruhigenden Worte, die blutige Klinge, welche sie ihm zu Füßen geworfen hatte, machte ihn glauben, dass er ihr vielleicht mehr nützen würde, wenn er sich von dem unterrichtete, was geschehen wäre.

Deshalb beeilte er sich den Hirschfänger aufzuheben und eilte Legris nach, welcher bereits in die Hütte eingetreten war. Sie fanden Laroche-Boisseau auf dem Boden sitzend, während er mit seinem Taschentuch das Blut zu stillen versuchte, welches aus seiner Wunde hervorquoll. Während der Chevalier sich mit forschendem Blick in der Hütte umschaute, hatte Legris sich zu seinem Freunde herabgeneigt und fragte mir Entsetzen:

»Großer Gott, mein lieber Baron, was ist denn geschehen? Sollte dieses verwünschte Mädchen …«

»Ihr seht es, mein armer Legris,« entgegnete Laroche- Boisseau, »so geschoren kann jemand wiederkommen, welcher ausgegangen ist, Wolle zu holen. Bei meiner Seele! Ich bin nicht übel bedient worden!«

Legris leistete ihm alle Hilfe, die in seiner Macht stand. Mittlerweile setzte der Chevalier von Magnac seine Umschau fort. Bei dem Anblick des Hutes Christines, der auf der Erde liegen geblieben war, erriet er die Wahrheit und murmelte kopfschüttelnd: »Ich wusste, dass früher oder später so etwas geschehen würde. Wenn man die Beschimpfung nicht flieht, so muss man sich darauf gefasst machen, beschimpft zu werden. Wohlan, nun wird sie mir wohl glauben.«

Es war Legris gelungen, die Wunde des Barons zu verbinden. Dieser hob, indem er immer noch zu scherzen versuchte, wieder an: »Morbleu! Meister Legris, Ihr behandelt mich so sorgfältig, als ob Ihr wüsstet, dass, wenn ich sterben sollte, es Eurem Vater große Mühe kosten würde, sich für meine Wechselbriefe Zahlung zu verschaffen. Ein Gläubiger ist der rechte Mann, wenn es gilt, einen Verwundeten zu pflegen.«

»Eure Wunde kann nicht sehr gefährlich sein, Laroche-Boisseau, da Ihr noch die Kraft und den Mut habt, darüber zu spotten. Aber ich bitte Euch, Herr Chevalier«, fuhr Legris zu Magnac gewendet fort, »werdet Ihr mir nicht in meinen Bemühungen um meinen unglücklichen Freund beistehen? Die Jagd ist verfehlt und die Bestie ist jetzt wahrscheinlich gegen jede sofortige Verfolgung gesichert. Beeilt Euch daher, die nächsten Jäger herbeizurufen. Es sind Wundärzte unter ihnen – lasst sie ohne Verzug hierherkommen. Also, Monsieur, erwacht aus Eurer Apathie, wenn es möglich ist. Die Sache verlohnt der Mühe. Ist es übrigens nicht an Euch, das Unheil wieder gut zu machen, welches Eure übermütige Herrin angerichtet hat? Dieser Teufel im Weiberrock, dieser …«

»Schweigt, Maître Legris«, unterbrach ihn der Chevalier in drohendem Ton: »Vergesst Ihr, von wem Ihr sprecht und mit wem Ihr sprecht?« Nach einer Pause hob er wieder an: »Ich werde Leute holen und man wird den Herrn Baron zum Schloss transportieren, denn anders kann man nicht, wenn man nicht zu schlimmen Vermutungen Anlass geben will. Vorher aber wollen wir uns verständigen, wenn es Euch beliebt. Der Herr Baron ist von niemandem verwundet worden. Der Herr Baron hat sich selbst verwundet, indem er in seinen Hirschfänger gefallen ist. Erzählt die näheren Umstände, wie Ihr wollt. Jeder aber, welcher diesen Unfall einer anderen Ursache zuschreiben wollte, würde durch mich auf bestimmte und entschiedene Weise Lügen gestraft werden. Habt Ihr mich verstanden, Ihr Herren?«

»Aber wie soll man denn …«

»Der Chevalier von Magnac hat recht«, sagte Laroche- Boisseau mit matter Stimme. »Man muss die Geschichte erzählen, wie er es wünscht. Ich würde zu lächerlich erscheinen, wenn man von diesem dummen Abenteuer die Wahrheit erführe.«

»Sehr gut, meine Herren«, hob der Chevalier kaltblütig wieder an. »Nachdem dieser Punkt geregelt ist, haben wir uns über noch etwas zu verständigen. Ich wage zu hoffen, dass die Wunde des Herrn Barons nicht tödlich sein wird, und an dem Tag, wo er davon hergestellt ist, werde ich ihn um die Ehre bitten, mich an einem gewissen Ort zu treffen, damit wir eine gewisse Angelegenheit nach der Art und Weise schlichten, wie es unter Leuten von Stand herkömmlich ist. Es wird sehr leicht sein, einen Vorwand zu finden, um nicht ehrenwerte und achtungswürdige Namen in Misskredit zu bringen. Ich schreibe mich daher im Voraus ein, damit Herr von Laroche-Boisseau, sobald der Augenblick da sein wird, mir vorzugsweise vor jedem anderen die Ehre erzeige, um welche ich ihn bitte.«

Der Baron konnte selbst nicht umhin zu lächeln, als er diese unzeitige Herausforderung erhielt.

»Wenn Euch so viel daran liegt«, entgegnete er, »so werde ich Euch diese Vergnügungspartie zur rechten Zeit und am rechten Ort nicht verweigern – dessen seid gewiss. Aber«, setzte er sofort hinzu, indem er mit Mühe einen Seufzer unterdrückte, »ich fürchte sehr, dass Ihr niemals das Vergnügen haben werdet, mich mit dem Degen in der Hand Euch gegenüberstehen zu sehen.«

»Das sollte mir unendlich leidtun, Herr Baron.«

»Na«, rief Legris ungeduldig, »ist es wohl dem gesunden Menschenverstand angemessen, einem unglücklichen Verwundeten ein Duell vorzuschlagen?«

Magnac wendete sich gegen den jungen Bürgerssohn und hob, indem er die höflichen Formen, die nach seiner Meinung nur einem Edelmann gegenüber zu beobachten waren, beiseitesetzte, in folgendem Ton wieder an: »Was Euch betrifft, Maître Legris, so werden wir uns auch wiedersehen. Ich werde Euch so lange Zeit lassen, wie Ihr braucht, um Euren Freund zu pflegen. Sobald er aber Eurer Hilfe nicht mehr bedarf, rechne ich darauf, dass Ihr mich um die Fortsetzung der Geschichte der Schlacht bei Fontenoy bitten werdet. Ich werde Euch sehr interessante Mitteilungen über die Art und Weise zu machen haben, auf welche wir in der Armee des Marschalls unverschämte Bürgerlümmel traktierten, die sich unter uns schlichen. Bis dahin hütet Euch, mir allzu oft in den Weg zu kommen. Dies ist ein freundschaftlicher Rat, den ich Euch gebe.«

Er entfernte sich mit majestätischem Schritt, während Legris die Beute einer doppelten Angst, für den Baron und für sich selbst, war.

Einige Augenblicke später kamen eine Menge von dem angeblich geschehenen Unfall in Kenntnis gesetzte Jäger in die Hütte der Eberschlucht. Laroche-Boisseau war jetzt ohne Besinnung. Die Ärzte, welche seine Wunde untersuchten, erklärten anfangs, dass sie außerordentlich gefährlich sei. Nachdem man den Baron besser verbunden hatte, als Legris es imstande gewesen war, legte man ihn auf eine improvisierte Tragbahre und schickte sich an, ihn zum Schloss zu transportieren.

Der Chevalier Magnac aber schien, nachdem die ersten Befehle erteilt waren, sich nicht mehr mit dem Verwundeten zu beschäftigen. Seine ganze Aufmerksamkeit wendete sich nun seiner Herrin zu, deren Aufregung und Verstörtheit er sich mit Unruhe erinnerte. Er ging zu den vier Ecken hinunter, wo Christine ihr Pferd gelassen hatte. Die Diener erklärten, dass sie vor wenigen Augenblicken zurückgekommen sei, um es wieder zu besteigen, und dass sie dann in den Wald hineingeritten sei, ohne jemanden zu erlauben, ihr zu folgen.

Magnac begab sich nun zum Schloss. Fräulein von Barjac aber war auch dort nicht, wohl aber war Buch allein und mit herabhängendem Zügel in den Stall zurückgekehrt.

Immer unruhiger eilte Magnac nun wieder zurück in den Wald und erkundigte sich bei den zahlreichen Jägern, welche sich nach dem verfehlten, zwecklosen Treiben zerstreuten. Keiner von ihnen hatte Fräulein von Barjac gesehen.

Der arme Chevalier wurde ärgerlich. Die Zeit verging, der Tag neigte sich schon, ein Gewittersturm war im Anzug und Fräulein von Barjac kam noch immer nicht zum Vorschein.