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Timetraveller – Episode 8

Neo­far

Ähn­lichkeiten mit Ört­lichkeiten und his­tori­schen Persön­lichkeiten un­serer hi­esi­gen Welt sind zufäl­lig be­ab­si­chtigt, weil die Burg Fal­ken­stein in den östli­chen Ausläufern des Har­zes eine zu schöne Kulisse für die­sen Ro­man ab­ge­ge­ben hat.

Ab­wei­chun­gen von der Ge­schich­te sind tat­säch­lich be­ab­sich­tigt, da die Hand­lung die­ses Ro­mans in ei­ner Pa­ral­lel­welt spielt.

Die bei­den Män­ner stan­den auf dem Berg­fried und späh­ten durch die Zin­nen auf das Land, das sich vor ih­nen aus­brei­te­te. Der An­blick war über­wäl­ti­gend. Die Ber­ge und Wäl­der schie­nen Ruhe und Frie­den aus­zu­strah­len, doch Burchard wuss­te, dass die­ser Schein sehr trü­ge­risch war.

Burchard, der Graf von Fal­kenstein, trug über sei­nem grü­nen, knö­chel­lan­gen Un­ter­ge­wand ein dun­kel­vi­o­let­tes Ober­ge­wand und zum Schutz vor der Käl­te ei­nen lan­gen Man­tel, der mit ei­ner Fi­bel an den Schul­tern zu­sam­men­ge­hal­ten wur­de. Sei­ne Füße steck­ten in kost­ba­ren dun­kel­brau­nen le­der­nen Schlupf­schu­hen.

Wolf­ram, Be­ra­ter und fast so et­was wie ein Freund des Gra­fen, steck­te wie im­mer in sei­ner Rüstung. Denn auch er wuss­te um die stän­di­ge Be­dro­hung, der die Burg aus­ge­setzt war, und leg­te sei­nen Ring­pan­zer und den Rund­helm nur zum Schla­fen ab. Sei­ne Waf­fen hat­te er je­doch am Fuße der Trep­pe des Berg­frieds ge­las­sen, denn die höl­zer­ne Trep­pe war auch ohne die­se zu­sätz­li­che Last schwer zu er­klim­men. Und die zwei Wa­chen auf dem Turm wa­ren mit Lan­ze und Axt je­weils aus­rei­chend be­waff­net, so­dass Wolf­ram im Fall ei­nes Fal­les zu ei­ner der Waf­fen grei­fen konn­te.

Graf und Rit­ter stan­den ne­ben­ei­nan­der und blick­ten lan­ge wort­los über das Land. Ganz in der Nähe lug­ten ein paar Trüm­mer der al­ten Burg Fal­kenstein zwi­schen den Bäu­men her­vor, doch je­des Mal, wenn Burchard da­nach Aus­schau hielt, mein­te er zu se­hen, dass die Burg im­mer mehr in sich zu­sam­men­fiel. Und dann stie­gen die Ängs­te in ihm auf, über die er nur mit Wolf­ram re­den konn­te.

»Meinst du im­mer noch, dass es klug war, die Burg an die­ser Stel­le zu er­bau­en, Wolf­ram?«

»Mein Herr, da­von bin ich über­zeugt. Ein drit­tes Mal wird er es nicht wa­gen.«

»Was macht dich da so si­cher?«

»Er weiß nicht, dass es hier noch Men­schen gibt. Er wird doch glau­ben, dass mit dem Un­ter­gang der Kon­rads­burg und des al­ten Fal­kenstein auch al­les Le­ben aus­ge­löscht wur­de. Was also will er noch?«

Die­se Fra­ge woll­te Burchard dem Rit­ter nicht be­ant­wor­ten, ob­wohl er es ge­konnt hät­te. Doch in die­ses düs­te­re Ge­heim­nis weih­te er nie­man­den ein, so sehr fürch­te­te er sich selbst da­vor.

In die­sem Au­gen­blick schob sich eine di­cke schwar­ze Wol­ke vor die Son­ne. Dem Gra­fen lief ein eis­kal­ter Schau­er über den Rü­cken.

»Mein Herr, Abt Adal­bert hat ei­nen Bo­ten ge­sandt, der eine Nach­richt für Euch hat. Wer­det Ihr ihn emp­fan­gen?«, frag­te Wolf­ram nach ei­nem Mo­ment der Stil­le.

»Was will er denn schon wie­der? Braucht er etwa noch mehr Bau­ar­bei­ter? Ich kann kei­ne Män­ner mehr schi­cken, die Burg muss end­lich fer­tig­gestellt wer­den.«

»Der Mönch hat mir sein An­lie­gen nicht vor­ge­tra­gen. Er sag­te, es sei ihm auf­ge­tra­gen wor­den, sein An­lie­gen nur dem Gra­fen zu un­ter­brei­ten«, ant­wor­te­te der Rit­ter.

»Dann wird sich der Abt noch ein we­nig ge­dul­den müs­sen. Der Mönch muss war­ten. Ist das etwa der Dank da­für, dass ich ihm die Kon­rads­burg zur Ver­fü­gung ge­stellt habe, da­mit er dort ein Klos­ter er­rich­ten kann?«

Wolf­ram muss­te bei die­sen Wor­ten in­ner­lich lä­cheln. Das war ein ge­schick­ter Schach­zug sei­nes Herrn ge­we­sen, die Ru­i­nen der Kon­rads­burg der Kir­che zu über­las­sen. Durch die­se Stif­tung hat­te sich Burchard das Recht auf die Le­hens­ver­wal­tung und Rechts­spre­chung er­wor­ben und konn­te nun den Ti­tel ei­nes Gra­fen tra­gen. Für die an­fal­len­den Ar­bei­ten am Bau des Klos­ters konn­te er also schon die Bau­ern sei­nes Le­hens zur Fron­ar­beit ein­set­zen und gleich­zei­tig die Ar­beit an sei­ner Burg wei­ter­füh­ren.

Burchard ge­noss noch für ei­nen Mo­ment die Ruhe auf dem Berg­fried, be­vor er die Trep­pen wie­der hi­nab­stieg und sich sei­nen Pflich­ten als Graf von Fal­kenstein stell­te.

Kaum be­trat er den Burg­hof, da wur­de er schon von ei­nem Die­ner auf den war­ten­den Mönch hin­ge­wie­sen. Die­ser stand mit ge­senk­tem Haupt mit­ten im Burg­hof, so­dass sein Ge­sicht un­ter der schwar­zen Ka­pu­ze sei­ner Kut­te ver­bor­gen blieb. Der Graf ging auf ihn zu.

Der Mönch neig­te sein Haupt noch ein we­nig wei­ter nach vorn, bis der Graf ihn an­sprach.

»Was ist dein Be­gehr?«, frag­te er nicht ge­ra­de freund­lich. Der Mönch hob den Kopf und nun konn­te Burchard das Ge­sicht un­ter der Ka­pu­ze er­ken­nen.

»Va­ter, Ihr?«, frag­te er ver­wun­dert. Der Abt schüt­tel­te leicht den Kopf, um dem Gra­fen zu be­deu­ten, dass er vor­erst un­er­kannt blei­ben woll­te. Burchard ver­stand. Und so­fort schlug sein Herz schnel­ler. Wenn der Abt per­sön­lich und ohne Schutz den Weg hier­her ge­nom­men hat­te, dann ver­hieß das ge­wal­ti­ge Prob­le­me. Burchard gab dem Kut­ten­trä­ger ein Zei­chen, dass er ihm fol­gen sol­le und ging auf den Pa­las zu, wo er zu­nächst un­ge­stört mit Abt Adal­bert re­den woll­te.

Nach­dem der Graf al­les Ge­sin­de des Rau­mes ver­wie­sen hat­te, bot er Adal­bert ei­nen Platz am Feu­er an, wel­ches in der Mit­te des Rau­mes brann­te. Der Pa­las war für die­sen Zweck nicht er­baut wor­den, des­halb war die Luft hier drin auch sti­ckig und ver­räu­chert. Doch Burchard hat­te ge­nug von dem lan­gen Win­ter und woll­te ein­fach nicht mehr frie­ren. Ein­zig die Ke­me­na­te sei­ner Toch­ter ver­füg­te über ei­nen ge­mau­er­ten Ka­min, doch da­hin konn­te und woll­te der Graf sich in der Käl­te nicht zu­rück­zie­hen. Und schon gar nicht mit dem Abt.

»Va­ter, ist die Bot­schaft, die ihr über­bringt, das Ri­si­ko ei­ner Rei­se al­lein durch die Wäl­der wert?«, frag­te der Graf streng.

»Mehr als das, mein Herr. Was ich Euch zu sa­gen habe, darf nie­mand sonst er­fah­ren«, er­wi­der­te der Mönch ein­dring­lich. Dann schau­te er zu­nächst in stum­mem Ge­bet nach un­ten. Burchard wur­de lang­sam un­ge­dul­dig und konn­te die fol­gen­de Fra­ge nicht län­ger un­ter­drü­cken.

»Also, was ist ge­sche­hen?«

»Er wur­de ge­sich­tet!«, sag­te Adal­bert mit furcht­sa­mer Stim­me. Burchard wur­de lei­chen­blass.

»Nein! Das kann nicht sein. Beim Kampf um die alte Burg wur­de er ver­letzt und ward seit dem nicht mehr ge­se­hen.«

»Und doch ist er wie­der da. Graf, Ihr wisst so gut wie ich, dass das Übel nicht ver­nich­tet wur­de. Und dass es wie­der­kom­men wür­de. Wir be­fin­den uns in sei­nem Re­vier, und er wird sei­nen Hort nicht ver­las­sen, so­lan­ge er lebt.«

Burchard sank auf eine Stein­bank und leg­te sein Ge­sicht in die Hän­de. Fast sah es so aus, als wür­de er wei­nen.

»Erz­ählt mir ge­nau, was Ihr ge­se­hen habt, Va­ter«, bat er den Mönch.

»Ich sel­ber habe nichts ge­se­hen. Aber Bru­der Alb­recht sah ihn. Er war al­lein im Klos­ter­gar­ten, um Kres­se für das Abend­mahl zu ho­len, und als er zum Him­mel auf­schau­te, da sah er ihn. Ei­nen rie­si­gen Schat­ten, der wei­te Krei­se zog und den Him­mel ver­dun­kel­te.«

»Ein Schat­ten? Ihr seid den wei­ten Weg we­gen ei­nes Schat­tens hier her­ge­kom­men?« Burchard woll­te schon er­leich­tert auf­at­men, doch ein Blick in Adal­berts Ge­sicht ge­nüg­te, um zu se­hen, dass das noch nicht al­les war, was der Mönch zu sa­gen hat­te.

»Ich bin nicht we­gen ei­nes Schat­tens ge­kom­men. Ich bin hier, weil ein paar über­le­ben­de Bau­ern aus ei­nem Dorf un­weit der Stadt am nächs­ten Mor­gen vor un­se­ren Mau­ern stan­den. Sie wa­ren die gan­ze Nacht auf der Flucht und hat­ten nichts bei sich au­ßer der Angst im Na­cken und den Klei­dern, die sie am Leib tru­gen«, er­wi­der­te der Abt. Burchard sack­te sicht­lich in sich zu­sam­men und schien in­ner­halb we­ni­ger Se­kun­den um vie­le Jah­re zu al­tern.

»Wie vie­le Über­le­ben­de sind es?«, frag­te der Graf.

»Fünf Bau­ern und drei Kna­ben. Die Frau­en, Mäd­chen und klei­nen Kin­der hat­ten sie in ei­nem Bau­ern­haus ver­steckt, das et­was ab­seits am Dorf­rand stand. Doch es half nichts, al­les brann­te lich­ter­loh. Die Flüch­ten­den hat­ten es nur ge­schafft, weil sie noch das letz­te Ta­ges­licht zum Pflü­gen ih­rer Fel­der ge­nutzt hat­ten. Als sie das Un­heil kom­men sa­hen, lie­fen sie ein­fach da­von. Ihr Glück war, dass sie sich in der Nähe des Wal­des be­fan­den, sonst wäre es si­cher auch um sie ge­sche­hen.« Adal­bert be­rich­te­te das al­les völ­lig emo­ti­ons­los. Hat­te er denn gar kei­ne Angst? War sein Gott­ver­trau­en wirk­lich so groß?

Burchard straff­te sich wie­der, er konn­te vor dem Mönch kei­ne wei­te­re Schwä­che zei­gen.

»Was ist mit den Bau­ern ge­sche­hen?«, frag­te er.

»Sie sind noch bei uns im Klos­ter. Aber da kön­nen sie nicht lan­ge blei­ben. Ihr wisst, dass wir schon für die Mön­che kaum ge­nug Nah­rungs­mit­tel auf­brin­gen kön­nen, wei­te­re Mäu­ler kön­nen wir nicht auf län­ge­re Zeit stop­fen.«

Das also war der Grund, war­um der Abt per­sön­lich beim Gra­fen vor­sprach. Er woll­te die Bau­ern und Kin­der schnell wie­der los­wer­den. Wenn er ei­nen Bo­ten ge­schickt hät­te, dann hät­te der Graf sich die­ser An­ge­le­gen­heit si­cher­lich nicht so um­ge­hend an­ge­nom­men.

»Lasst mich al­lein, Va­ter, ich muss nach­den­ken«, sag­te der Graf und warf den Abt ein­fach hi­naus. Adal­bert ver­ließ den Raum und war­te­te die Ent­schei­dung des Gra­fen in der Käl­te des Burg­ho­fes ab. Nie­mand küm­mer­te sich um sei­ne An­we­sen­heit, denn für die an­de­ren Burg­be­woh­ner stand da nur ein ein­fa­cher Mönch, der war­te­te.

Burchard wuss­te nicht, was er tun soll­te. Er konn­te die Bau­ern na­tür­lich zu sich auf die Burg ho­len und sie für die rest­li­chen Bau­ar­bei­ten als Hilfs­kräf­te ein­set­zen. Doch da­mit glich er den Ver­lust ei­nes gan­zen Dor­fes und sei­ne Ab­ga­ben an ihn nicht aus. Und das konn­te er sich nicht leis­ten, da­für war die ge­sam­te Ge­gend auf­grund des na­hen Ge­bir­ges schon viel zu dünn be­sie­delt. Also muss­ten die Bau­ern ein neu­es Dorf grün­den, doch dazu brauch­ten sie na­tür­lich auch Frau­en. Der Graf über­leg­te, ob er in sei­nem Ge­sin­de noch jun­ge Mäg­de hat­te, die er er­üb­ri­gen konn­te. Nein, das ging auch nicht, wer soll­te denn dann für sei­ne Toch­ter sor­gen?

Also blieb doch nur eine Mög­lich­keit, die Frau­en muss­ten aus an­de­ren Dör­fern ge­holt wer­den. Ein Bau­er hat­te sein Weib und meist meh­re­re Töch­ter, da konn­te er eine gut ent­beh­ren. Und er hat­te so ei­nen Es­ser we­ni­ger auf sei­nem Hof.

Ja, das war die Lö­sung, die fünf äl­tes­ten un­ver­hei­ra­te­ten Töch­ter aus dem Dorf am Fuße des Ber­ges wür­den zu­sam­men mit den über­le­ben­den Bau­ern ein neu­es Dorf bil­den. Und die drei Kna­ben wür­de sich Burchard auf die Burg ho­len, sie konn­ten sich ih­ren Le­bens­un­ter­halt beim Fer­tig­bau der Burg ver­die­nen.

Da­mit war die­ses Prob­lem ge­löst, doch was soll­te er we­gen ihm un­ter­neh­men?


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