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Westernkurier 05/2008 – Der Schrecken der Wells Fargo

Auf ein Wort, Stranger, Der Schrecken der Wells Fargo ist der Titel meiner heutigen Kolumne.

Bevor jetzt der eine oder andere abwinkt, weil dieser Name in unzähligen Western beinahe bis zum Erbrechen abgehandelt wurde, möchte ich darauf hinweisen, dass es in diesem speziellen Fall nur am Rande um die Geschichte des wahrscheinlich größten Transportunternehmens im Wilden Westen geht. Das eigentliche Hauptthema ist die Geschichte zweier Männer, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können.

Auf der einen Seite James B. Hume, Leiter des Sicherheitsdienstes von Wells Fargo, ein gebildeter Humanist, der in seiner Freizeit Rosen züchtete und guten Wein schätzte. Auf der anderen Seite Black Bart, the Po 8, ein Postkutschenräuber und Shakespeareliebhaber, der im Gegensatz zu anderen Gesetzesbrechern tadellose Manieren besaß und an Bildung Hume in nichts nachstand.

Spricht man Buchstaben und Zahl dieses Namens auf Englisch aus, ergibt sich das Wort »Po- eight« sprich Poet.

Sie können mit diesen Namen als Leser nichts anfangen?

Geduld, wer Slatermans Westernkurier bisher verfolgt hat, weiß, dass dieser jener sehr gerne Anekdoten über sogenannte Underdogs erzählt.

Charles E. Boles war einer von ihnen und das hier ist seine Geschichte: Man schrieb den 26. Juli 1875, als sich am Rande der Handelsstraße zwischen Copperopolis und Milton ein schnauzbärtiger Mann daran machte, die Beine auszuschütteln und sich gemächlich von seinem Sitzplatz, einem umgestürzten Baumstamm, aufzurichten. Die Sonne Kaliforniens stand wie ein weiß glühender Hitzeschild am wolkenlosen Himmel, und ein Bussard zog flügelschlagend seine Kreise über dem sonnenverbrannten Land.

Als der dumpfe Hufschlag und das Rattern der Räder der Überlandpost durch die mittägliche Stille drang, zog sich der Mann einen Mehlsack über den Kopf, in den zwei Schlitze als Augenlöcher geschnitten waren. Darüber stülpte er eine dunkle Melone und über seine eng anliegenden Stiefel zog er schnell noch ein weites Paar wollener Socken, um Fußspuren zu vermeiden.

Als die voll besetzte Concord-Kutsche schließlich vor ihm auftauchte, stand er bereits mit einer doppelläufigen Schrotflinte mitten auf dem Wagenweg.

Der erschrockene Kutscher zog sofort die Zügel an und brachte den Wagen vor dem maskierten Fremden zum Stehen. Ein weiblicher Passagier schob den Kopf aus einem der Seitenfenster der Kutsche und stieß einen hysterischen Schrei aus.

»Keine Angst, Lady!«, rief der Vermummte. »Ich will nicht Ihr Geld, sondern nur das von Wells Fargo.«

Der Kutscher warf eine eisenbeschlagene Transportkiste vom Bock herunter. Als der seltsame Bandit entgegen allen Gepflogenheiten eines Straßenräubers die Fahrgäste ungeschoren ließ und ihm sogar mit der Schrotflinte zuwinkte, trieb der Kutscher den Wagen eiligst an dem Räuber vorbei und fuhr in einer wallenden Staubwolke davon.

Der Maskierte brach die Kiste auf, hinterließ einen Zettel und verschwand.

Ein halbes Jahr später, am 28. Dezember 1875, und wiederum fast ein halbes Jahr danach, nämlich am 2. Juli 1876, tauchte er erneut auf.

Was folgte, war eine Kette von Überfällen, wie sie Kalifornien bis dahin nie erlebt hatte. Stets blieb in den aufgebrochenen Geldkisten ein auf Packpapier geschriebener Knittelvers zurück der bis dato auf Unverständnis stieß.

»I’ve labored long and hard for bread, for honor, and for riches, but on my corns too long you’ve tred, you fine-haired sons of bitches.«

Black Bart, the PO8

»Ich arbeitete lang und hart für Brot, für Ehre und für Lohn. Aber mein Korn, das ich aussäte, mochte nicht gedeihen, du gottverdammter Hundesohn.«

Black Bart, the PO8

Schon bald wurde klar, dass dieser geheimnisvolle Räuber, der sich stets höflich und zuvorkommend benahm, mit diesen Gedichten gewissermaßen so etwas wie ein Markenzeichen hinterließ.

Beinahe dankbar wandten sich die Zeitungen dem wohl ungewöhnlichsten Desperado der Pioniergeschichte zu, einem Räuber, der nie einen Schuss abfeuerte oder in irgendeiner Form Gewalt bei seinen Überfällen anwandte.

Es folgte Überfall auf Überfall, und während halb Kalifornien über die Taten des Poeten lachte, wurde die Stimmung in den Büros von Wells Fargo immer frostiger.

Es konnte nicht sein, dass ein dichtender Möchtegernräuber mit seinem Auftreten das gesamte Sicherheitssystem der Company in aller Öffentlichkeit lächerlich machte. Das Ganze hatte nämlich in Bezug auf die Auftragslage des Konzerns schon erste Folgen.

Aus den Chefetagen heraus wurde zum ersten Mal sogar Kritik an J. Hume laut. James B. Hume war Chefdetektiv der Wells Fargo und hatte 1873 damit begonnen, mit wenigen, aber sehr qualifizierten Männern eine unerhört effiziente Detektivtruppe auf die Beine zu stellen. Es gelang ihm in wenigen Jahren mit Männern wie Tom Cunningham, A.W. Stone oder J. Thacker die Flut der Überfälle auf Wells Fargo Kutschen einzudämmen.

Zwischen 1870 und 1884 wurde mindestens zwei Mal im Monat irgendwo im Westen eine Wells Fargo Kutsche überfallen. In den schwach besiedelten Weiten westlich des Mississippis waren die Wagen den Gesetzlosen praktisch ausgeliefert. War erst einmal der bewaffnete Begleitmann außer Gefecht gesetzt, war das Ganze ein relativ risikoloses Unterfangen. Den die örtlichen Behörden hatten andere Sorgen als tagelang einem Verbrecher nachzujagen. Zumal beim Erreichen des nächsten Countys dem Sheriff jenes Bezirks, in dem der Überfall stattgefunden hatte, sowieso die Hände gebunden waren.

Genau hier setzte Hume den Hebel an.

Nach jedem Überfall auf eine Wells Fargo Kutsche reisten Humes Spezial-Agenten sofort an den Tatort und folgten den Verbrechern im Gegensatz zu den örtlichen Gesetzesvertretern über sämtliche County und Regierungsbezirke hinweg. Sie stellten immer öfters geraubtes Gut sicher, lieferten sich mit den Banditen erbitterte Feuergefechte und festigten so wieder das Vertrauen der Reisenden in Wells Fargo.

Aber in Black Bart the PO8 schien Hume seinen Meister gefunden zu haben. Bis 1883 gelang es Black Bart immer wieder, seinen Häschern zu entkommen und dabei neunundzwanzig Überfälle erfolgreich auszuführen. Seine Popularität innerhalb der Bevölkerung wuchs und wuchs, er wurde praktisch zu einer Art Robin Hood Kaliforniens.

Aber Hume ließ nicht locker und am 3. November 1883 endete schließlich die Glückssträhne von Black Bart. Als er nach einem Überfall davonritt, schickte ihm ein wütender Kutscher eine Gewehrkugel nach und verletzte ihn schwer.

Zurück am Tatort blieben neben dem obligatorischen Gedicht eine blutige Manschette und die Melone des dichtenden Räubers. Die Manschette trug die Beschriftung, die auf eine Wäscherei in San Francisco hinwies. Für Hume war es nun ein Leichtes, die Spur zurück zu verfolgen.

Charles Boles, alias Black Bart, the PO8, unternahm keinen Versuch, sich seiner Verhaftung zu widersetzen. Im Gegenteil, der 1830 in New York geborene ehemalige Schullehrer genoss sichtlich seine Popularität Die Gerichtsverhandlung gegen ihn mutete wie der letzte Akt in einem Schelmenspiel an. Boles bedankte sich bei dem Gericht höflich für sechs Jahre Zuchthaus in San Quentin und beglückwünschte Hume für seinen Scharfsinn. Unter donnerndem Applaus verließ er den Gerichtssaal, kam wegen guter Führung schon nach fünf Jahren wieder frei und kehrte Kalifornien den Rücken. 1917 verstarb er in New York, als der einzige Mann, der den legendären James B. Hume jemals in Verlegenheit gebracht hatte.

Quellen:

In diesem Sinne bis zum nächsten Mal.

Euer Slaterman

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