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Der Welt-Detektiv Band 6

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Gold – Kapitel 9.2

Gold-Band-1Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 9 Teil 2
Das Paradies

Die Gegend, trotz des weiten ebenen Tals, war außerordentlich pittoresk, denn eingeschlossen von vortrefflich bewaldeten, mit Kiefern, Zedern und Eichen besetzten Bergen, bot diese grüne Flat einen reizenden Ruhepunkt für das Auge, ja die bunten, unter die einzelnen Baumgruppen umhergestreuten Zelte dienten nur dazu, das Bild lebendiger zu machen.

Wohin dabei der Blick fiel, traf er an den ringsum niederstürzenden Hängen diese lichten Leinwandhäuser, vor denen abends und nachts die Lager- und

Kochfeuer flammten, und gar abenteuerlich und wild gegen die düsteren Schatten der Wände abstachen. War es doch auch ein abenteuerliches und wildes Leben, das die Bewohner derselben führten.

Jetzt aber schien die Sonne hell und klar auf die grüne wundervolle Waldung, auf das freundliche, menschenbelebte Tal nieder, und wer plötzlich von den umliegenden Bergen daher eingestiegen wäre, ohne zu wissen, was sie da unten trieben; wer nur das trauliche, von den grünen Hängen geschlossene, von der Welt scheinbar abgeschiedene Fleckchen Welt so vor sich gesehen hätte, von selber würde er ausgerufen haben: ein Paradies!

Ja, Gottes Welt ist schön, und die Natur ein Tempel überall, wenn ihn die Leidenschaft der Menschen nur nicht so oft entweihte. Und nur ein entweihtes Heiligtum war denn auch dieses Tal, dem die Natur nichts versagt hatte, ein wirkliches Paradies zu werden. Aber die Menschen darin gruben nach Gold!

Das war ein Leben und Treiben überall! Aus all den Tälern und Bachbetten heraus tönte das wunderlich klappernde, rasselnde Geräusch der sogenannten Wiegen oder Waschmaschinen, und wo man hinuntersah, standen Gruppen von Männern, die schweren Spitzhacken in den nervigen Fäusten, den harten Boden damit aufzureißen.

Und hin und wieder zogen Scharen von Kommenden und Gehenden! So viele durch das Gerücht der reichen Minen auch hergelockt sein mochten, so viele fanden sich auch wieder enttäuscht, fanden wenigstens nicht das, was sie gehofft hatten, und andere Märchen, von Nachbarminen in Umlauf gesetzt, machten die leicht Beweglichen bald wieder ihr Bündel schnüren, diesen zuzuwandern. Gingen doch damals gerade, und noch bis auf den heutigen Tag sogar dumpfe unbestimmte Sagen von einem Goldsee oben in den Bergen, den wenig Glückliche zufällig aufgefunden hatten und der unermessliche Schätze bergen sollte.

Den Weg, der sich an ziemlich rauen Felsen hin, das Tal heraufwand, aber doch von den derben und schweren Auswandererwagen der Amerikaner befahren wurde, kam eine neue Karawane anmarschiert, und zwar neben dem, ihr Gepäck tragenden Wagen, in aller Bequemlichkeit der eben nicht beschwerlichen Straße folgend.

Die Gesellschaft schien bunt genug zusammengewürfelt und verdankte auch ihre Vereinigung keineswegs freiwilliger Wahl, denn allein das Gewicht ihres Gepäcks hatte sie eben für die kurze Zeit der Reise aneinandergebunden.

In Stockton nämlich fanden eine Menge dieser Fuhrwerke dadurch außerordentlich einträgliche Beschäftigung, dass sie das Gepäck der in die Minen Aufbrechenden, die es natürlich nicht selber den langen Weg tragen konnten, transportierten. War die Gesellschaft nun groß genug, einen besonderen Wagen zu füllen, so hatte die Sache weiter keine Schwierigkeit, und sie konnten ungesäumt aufbrechen. Bestand sie aber nur aus wenigen Mitgliedern, so mussten diese so lange warten, bis sich noch andere dazu fanden, die in dieselben oder doch wenigstens benachbarten Minen wollten. Da übrigens die zukünftigen Goldwäscher selten ein fest bestimmtes Ziel hatten, dem sie zustrebten, und an einem Platz ihr Glück so gut versuchen konnten, wie an dem anderen, so ließen sie sich auch gar nicht selten durch gerade solche, nach irgendeinem Punkt reisefertige Packfuhrwerke bewegen, ihre Richtung dort ebenfalls hinzunehmen. Sobald der Fuhrmann seine Ladung voll hatte, brach er auf.

In solcher Weise hatte sich denn auch hier, einzig und allein im Interesse ihres Gepäcks, eine sehr gemischte Gesellschaft aller möglichen Nationen zusammengefunden, die, meist alle in Hemdsärmeln, ihre Jacken oder Röcke auf den Wagen geworfen, neben diesem plaudernd und lachend herwanderten und nur dann und wann stehen blieben, die schon in der Nähe des Weges arbeiteten Gruppen zu beobachten. War es doch ein Bild ihres eigenen künftigen Lebens.

Und wunderlich genug sahen diese Gruppen aus. Hier, gleich unter dem Weg, der um einen Felsenvorsprung herumbog, während der Bergstrom etwa zwanzig Fuß tiefer darunter hinschoss, arbeiteten drei Schwarze und ein Mulatte zusammen und hatten sich ein tiefes Loch in die Bank hineingehackt, aus dem sie die goldhaltige Erde zum Wasser schleppten. Etwa hundert Schritte weiter oben wühlten sich drei Weiße, augenscheinlich Iren, in den harten Boden hinein. Über diesen arbeiteten Afrikaner mit ihren flachen Holzschüsseln und kurzen Brechstangen, und noch weiter oben dämmte eine größere Gesellschaft von Amerikanern den ganzen Bergstrom zur Seite und gaben ihm auf kurze Strecke ein anderes Bett, um in dem alten nach seinen Schätzen zu suchen.

Aber auch das »Himmlische Reich« hatte seine Söhne herüber gesandt, die kalifornische Erde aufzuwühlen. Noch etwas weiter oben, wo sich das Tal verengte und der Bergstrom so nach seinem rechten Ufer hinüber drängte, dass ihn der Weg hier kreuzen musste, arbeitete ein kleiner Trupp von Chinesen in ihren blaubaumwollenen geräumigen Jacken und kurzen weißen Hosen.

Einer zeichnete sich besonders von den Übrigen, nicht etwa in der Kleidung, aber doch in seinem ganzen Wesen aus, und schien der Anführer der Schar zu sein. Ungewöhnlich groß und stark für diesen, sonst eher kleinen und schmächtigen Menschenschlag, hatte er vorzüglich einen wunderschönen, schwarzen langen Zopf, der ihn aber bei der Arbeit hinderte, und den er deshalb, das untere Ende zusammengewickelt, in der linken Jackentasche trug.

Gerade als der Wagen vorbeifuhr, war er ihm einmal herausgerutscht, und er legte seine Spitzhacke nieder, wusch sich erst die Hände und brachte dann dieses Heiligtum des Chinesen wieder sorgfältig an seinen früheren Platz zurück.

»Donnerwetter, Justizrat«, sagte da der eine der Wanderer, der sich die Chinesen schon mit großer Neugierde eine Weile betrachtet hatte.

Der Wagen war indessen vorausgefahren.

»Was der Bursche für einen Zopf hat!«

»Hm, ja«, stieß der Justizrat heraus, der mit der ewigen langen Pfeife ebenfalls am Rand des Weges stand und fest entschlossen schien, sich über nichts in Kalifornien mehr zu wundern, so außerordentlich und neu es ihm auch sonst wohl erscheinen mochte.

»Aber nichts Besonderes … wir Haare wachsen lassen … eben so lang!«

»Na, das nehmen Sie mir aber nicht übel«, rief der andere erstaunt.

»Nein, nehmen Sie es ihm lieber nicht übel, Herr Hufner«, näselte da der Dritte, der eben herankam und bei seinen Reisegefährten stehen geblieben war. »Dass dem Herrn Justizrat die Zöpfe hier nicht so groß vorkommen, ist wohl sehr erklärlich, denn zu Hause in seinem Büro hat er sie gewiss viel stattlicher gesehen, und für sich selber ein Prachtexemplar mitgebracht.«

»Unausstehlicher Mensch, dieser Binderhof …«, brummte der Justizrat vor sich hin, zog an seiner Pfeife und drehte sich, ohne ein Wort auf die boshafte Bemerkung zu erwidern, rasch ab, den Wagen wieder einzuholen.

»Aber mein guter Herr Binderhof, was haben Sie nur immer mit dem armen Justizrat?«, sagte Herr Hufner freundlich vorwurfsvoll.

»Gar nichts«, entgegnete der Lange lachend, »nur meinen Spaß.«

»Sie werden ihn noch ernstlich böse machen.«

»Das sollte mir sehr leidtun, denn er ganz allein bestreitet meine Unterhaltung hier in dem langweiligen Land«, sagte der Lange. »Hören Sie mal, Hufner, die Geschichte scheint mir hier faul zu sein, denn wenn ich solche Löcher in die Erde hineinkratzen soll, wie die Leute hier machen, dann werde ich wohl verwünscht wenig Gold finden.«

»Hm – ja«, meinte Herr Hufner etwas kleinlaut. »Sie haben da nicht so unrecht, mein guter Herr Binderhof. Den Beschreibungen nach, die ich von den Minen erhalten, sollten die Arbeiten ganz anders betrieben werden. Man kratzte da bloß das Gold mit dem Messer aus den Felsspalten heraus.«

»Nicht wahr? Na ja, ich auch – aber was tut es. Wir wollen schon unser Gold finden, und wenn wir andere sollten für uns graben lassen.«

»Hallo, was ist da vorn los? Sehen Sie einmal, das muss ein Deutscher sein.«

Vor dem Wagen, wie es schien ebenfalls in der Absicht, den nächsten Minen zuzuwandern, hielt ein Mann mit einer schwer beladenen Eselin, an die sich ein junges, kaum einige Wochen altes Eselchen fortwährend so anschmiegte, dass sie gerade nicht sehr rasch von der Stelle kam. Die alte Eselin mochte auch überdies ein wenig viel aufgepackt haben, dass ihr das Gehen sauer wurde, während ihr Herr tüchtig mit einem derben Stecken auf sie einschlug.

Der Wagen konnte jetzt eben vorüberfahren, und die Eselin tat ein paar Schritte nach vorn, aber das Junge drängte sich aufs Neue vor sie und sie blieb wieder stehen.

Der Mann war jedenfalls ein Deutscher. Er trug lange Wasserstiefel, eine Mütze, und über der Schulter eine einläufige Pürschbüchse an einem Riemen. Er stieß aber die gotteslästerlichsten Flüche aus, dass er die Eselin nicht von der Stelle brachte, und trat das arme kleine Füllen dermaßen mit seinen schweren Stiefeln in die Seite, dass es zu Boden stürzte.

»Na, das ist grausam«, brummte der Justizrat, der jetzt gerade neben dem fremden Landsmann war. »Donnerwetter … Tierquälerei.«

»Donnerwetter!«, fluchte aber, durch den Einspruch nur noch mehr gereizt, der Eseltreiber. »Das ist mein Vieh, und mit meinem Vieh kann ich machen, was ich will. Das Biest hat mich so lange genug aufgehalten, und ich habe es satt.«

Mit den Worten warf er seinen Rock hin und riss die Büchse von der Schulter, und ehe nur einer der Leute ahnte, was er vorhatte, schoss er das arme kleine Eselfüllen, das sich eben wieder aufgerichtet und neben die Mutter gedrängt hatte, bei ihr Schutz zu suchen, vor der Mutter tot. Dann griff er seinen Stock wieder auf und hieb unbarmherzig auf die Eselin ein, sie von dem toten Jungen, das sie leckte und mit der Schnauze stieß, fortzutreiben.

Die Tat war zu roh, um nicht die gerechte Entrüstung aller derer hervorzurufen, die Zeuge derselben gewesen waren. Der Wagen hielt, und der Justizrat besonders war so außer sich, dass er selbst die Pfeife ausgehen ließ.

»Kümmert Euch um Euch selber!«, schrie aber der Deutsche dagegen, dessen Name Albert war. »Das Tier ist mein, mit meinem Eigentum kann ich machen, was ich will. Und wenn ich zu spät in die Minen komme, gibt mir keiner von euch was dazu.«

»Was sagt er?«, fragte der Wagenführer, ein baumlanger Tenesseer, der den Burschen dabei von oben bis unten mit eben nicht freundlichen Blicken maß.