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Das Harzmärchenbuch von August Ey Teil 50

Sagen und Märchen aus dem Oberharz
Gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862

Der blutige Mann und sein Sohn

Ein Graf hier am Harz hatte die Gewohnheit, sich alle Tage zu baden, es mochte Winter oder Sommer sein und noch dazu in einem offenen Teich, der beim Schloss gewesen war. Einmal kam er an den Teich, es war des Morgens früh in Frühling, da stand eine Schachtel an der Stelle, wo er badete. Er machte die Schachtel auf und ein kleiner Junge lag darin und schlief. Voller Verwunderung und Freude nahm er beides und trug es seiner Frau hin, die gerade ein kleines Töchterchen an der Brust hatte. Die Frau nahm den aufgefischten Knaben aus der Schachtel und fand bei der Gelegenheit noch einen Brief, in welchem stand, dass der Knabe Georg heiße und fünf Wochen alt wäre. Aber weiter nichts. Der Graf mit seiner Frau waren gute Leute und nahmen sich vor, die beiden Kinder, ihr Töchterchen mit diesem Georg nämlich, groß zu ziehen. Das geschah auch, beide gediehen gut, spielten miteinander, hatten sich lieb, lernten auch fleißig, und die Alten freuten sich recht über das Paar, denn keins hatte ohne das andere auch nur eine Stunde sein können, so gut waren sie sich. Sie wurden größer und größer. Georg wurde ein ansehnlicher ritterlicher junger Mann, die Tochter Brunhilde ein schmuckes Mädchen. Mit dem Größerwerden wuchs ihre Liebe zueinander. Der Graf mit seiner Frau setzte den Georg, da sie aufs Gewisseste voraussahen, dass ihre Brunhilde und Georg jedenfalls einmal ein Paar werden, zum Erben ein, denn die Güter des Grafen hatte nur ein Sohn oder Schwiegersohn erben können, keine Tochter, das war Gesetz gewesen. Bis dahin hatte sich der Bruder vom Grafen große Rechnung auf dessen Güter gemacht. Als der aber witterte, dass der Pflegesohn oder der demnächstige Schwiegersohn des Grafen schuld war, dass die Erbschaft an den fällt, so versuchte er dem Georg allerlei Schalhölzer oder Fallbrücken zu legen, sodass der arme Mensch seines Lebens nicht froh wurde. Erst verleumdete er ihn bei den Pflegeeltern, die aber rochen, was der Onkel im Schilde führte, und der Verleumder musste mit langer Nase abziehen. Da bekam er nicht seinen Willen. Ärgerlich darüber gab er ein paar Bösewichtern Geld, dass sie den Georg gelegentlich trocken abklopfen müssten. Wäre dieser nicht Mannes genug gewesen, so hätten sie ihn kalt gemacht. Er wehrte sich aber tüchtig und kam diesmal mit vielen Wunden und Schmerzen davon. Da er nun merkte, was die Glocke geschlagen hatte, so sagte er zu seinen Pflegeeltern und zu seiner Brunhilde, er wolle erst einmal eine Zeit lang fort und die Welt besuchen, unterdessen rauche der Ärger und Groll seines Feindes ab. Jedenfalls käme er bald wieder. Die fanden den Vorsatz auch gut und er reiste ab. Des Grafen Bruder hatte aber immer aufpassen lassen und so erfuhr er gleich, dass Georg abgereist war. In aller Eile schickte er sechs Lanzenknechte hinterher, die sollten den armen Menschen umbringen. Am zweiten Tag holten sie ihn ein und kamen in das Wirtshaus, wo er eben eingekehrt war. Er ließ aber alles im Stich und entwischte den Verfolgern. Glücklich kam er hinten aus dem Fenster und machte, dass er den Wald erreichte. Bei einem Köhler fand er noch Nachtlager und überhaupt Herberge. Dem Köhler half er bei seiner Arbeit und beide vertrugen sich recht gut. Georg war froh, dass er eine Gesellschaft und einen treuen Helfer hatte. So ging erst einmal lange Zeit darüber hin.

Endlich sagte der Köhler: »Ja, dort das Schloss, welches da auf dem Berg steht, ist jetzt ganz leer. Kein Mensch kann drin bleiben. Jeder, der es wagt und eine Nacht darin zubringt, wird am anderen Tag tot herausgetragen. Es ist nicht sicher darin.«

Das war Wasser auf die Mühle Georgs. So was hatte er sich schon lange gewünscht und er sprach zum alten Köhler, er wolle es doch auch einmal dort versuchen, ob es ihm auch an den Kragen kommen könne. Der Köhler wurde traurig deshalb und riet ihm ab. Er aber ließ sich nicht abspeisen und machte am folgenden Tag hin, besah bei Tag die Gelegenheit und versah sich mit Lebensmitteln, aber auch mit Licht und Schlagdingern. Furcht hatte er nicht gekannt. Er nahm Abschied vom Köhler und machte sich am Abend hin. Bei Tag hatte er sich eine Stube ausgesucht, unten im Schloss, in die nur eine Tür führte. Die Fenster hatte er verwahrt und die Tür verriegelt. So geschützt machte er sich auf alles gefasst, steckte zwei Lichte an, setzte den Tisch und ein paar Stühle parat, holte sein Gebetbuch aus der Tasche und legte das mit seinen Waffen auf den Tisch. Dabei war er auf jeden Ton aufmerksam, der sich hören ließ. So rückte langsam die elf heran. Kaum war der letzte Schlag aus der Glocke, so ging die verriegelte Tür auf und herein trat ein Mann, dem allenthalben das Blut aus dem Körper quoll. Dabei sah er so traurig und betrübt aus, dass es dem Georg ordentlich anfing zu dauern. Wie der blutende Mann da so an der Tür stand, setzte Georg ihm den Stuhl hin und zeigte, er möge sich darauf setzen und ausruhen, sagte aber kein Wort, denn er wusste, mit solchen Geschöpfen darf man nicht sprechen, und das war gerade gut gewesen. Der Unglückliche saß eine Glockenstunde da. Wie es aber zwölf schlug, ging er ruhig zur Tür hinaus, und das Blut war gleich weg, was bis dahin auf der Erde gestanden hatte und fortgeflossen war. Danach war alles still die ganze Nacht. So ging es alle drei Nächte hindurch, nur in der letzten aber ging der blutige Mann nach Zwölfschlagen nicht weg, sondern richtete sich auf, das fließende Blut hörte auf, aus den Wunden zu kommen und er sprach: Dank dir, mein Sohn, dass du mutig bei mir ausgehalten und nicht geredet hast. Jetzt wisse, dass ich dein Vater bin, der meuchlings von den Räubern umgebracht wurde, die auch dir das Leben nehmen wollten. Ich hatte keine Ruhe eher, bis du im Besitz deiner Güter warst, und bin deshalb hier im Schloss walten gegangen, und jeder hat ein Leben lassen müssen, der es wagte, mich daran zu hindern. Jetzt musst du aber dein Befreiungswerk erst recht vollbringen. Locke deine und meine Mörder hierher, lass bekannt machen, dass du hier bist, und sie werden gleich da sein. Sag unten im Dorf, du wärest unten hier im Keller versteckt, und wenn sie dann dahinein dringen, dann soll mir keiner davonkommen.

Georg tat das auch, und die sechs Raubritter gingen in die Falle. Als sie alle erschlagen dalagen, sagte der Vater zum Sohn: »Nun, mein Sohn, bin ich ganz beruhigt. Geh von hier hinauf in das Zimmer, wo ich gewohnt habe, und auf welchem mein Schrank noch in der Wand steht. Öffne denselben, darin wirst du Papiere finden, die da beweisen, dass du mein Sohn und der rechtmäßige Erbe meiner großen Güter bist. Geld liegt in Menge dabei. Mache dich auf und geh zum Kaiser, dass er dich in deine Rechte einsetzt. Von ihm wirst du zum Graf eingesetzt werden, das ist so gut, wie ein kleiner König.«

Darauf war aber sein Vater verschwunden. Der Sohn suchte nach und fand alles, wie sein Vater gesagt hatte, und wurde vom Kaiser auch als Harzgaugraf eingesetzt. Als Georg in seine Würden eingesetzt war und in Ehre und Ansehen stand, war sein erster Weg zum alten Köhler, dem er früher geholfen hatte. Dieser verwunderte sich nicht wenig, als er den vornehmen Herrn Georg auf seine Kate zukommen und bei ihm einkehren sah. Noch mehr aber wunderte er sich, als er hörte, dass der Herr Graf früher sein Gehilfe gewesen war. Als ihn nun Georg aufforderte, mit zu seinem Pflegevater zu gehen, so war er gleich bereit dazu. Sie kamen miteinander an den Ort ins Wirtshaus und hörten, dass des Grafen Tochter gestorben wäre und heute beerdigt würde. Die Tochter war nämlich Georgs frühere Spielkameradin und nachherige Braut gewesen. Man kann sich leicht denken, als Georg das hörte, wie er darüber erschreckte. Kaum hatte er sich ein wenig von dem Schreck erholt, so kam der Leichenzug schon an, und der ganze Ort folgte dem Sarg, denn alle hatten das gute Mädchen lieb gehabt. Georg folgte natürlich auch mit und weinte heiße Tränen am Grab seiner Braut. Dann kehrte er wieder um, ohne seine Pflegeeltern zu besuchen. Was sollte er da auch noch tun, da seine Braut tot war. Auf dem Rückweg sah er mit dem Köhler weit vor sich eine Kutsche dahin fahren, wohin die beiden auch wollten. Gleich darauf sprangen zwei Räuber auf die Kutsche los und hielten den Wagen an. Es entstand eine Schlägerei, währenddessen kamen Georg und der Köhler dazu. Nachdem ein Räuber gefallen war, machte sich der andere eilig fort. Jetzt sah Georg zu, wer in der Kutsche gesessen und sich bis dahin bis Georg und der Köhler gekommen waren, so tapfer gewehrt hatte. Ein Soldat, aber mit einem hübschen Mädchengesicht, kam ihnen aus dem Wagen entgegen und – o Freude – es war Brunhilde gewesen, die heimlich ihren Eltern entflohen war, um Georg aufzusuchen. Ihre Eltern hatten sie gutwillig nicht weggehen lassen wollen, da war sie scheinbar auch krank geworden, als ihre Kammerjungfer krank gewesen war. Als diese wirklich starb, da hieß es, Brunhilde wäre gestorben und würde begraben werden. Als der Sarg mit der Kammerjungfer beerdigt wurde, da machte sie sich in Soldatenkleidern heimlich fort. Auf die Art kamen die beiden wieder zusammen. Voll Freude wendeten sie wieder um und kamen dann bei Brunhildes Eltern an. Man kann sich leicht denken, welcher Jubel da entstand und wie alles im Ort laut wurde, als man hörte, Brunhilde lebe noch und Georg sei auch wieder da, beide wollten Hochzeit machen. Das war aber eine Hochzeit, wie sie da noch nie gefeiert wurde.