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Die Geschichte vom Werwolf Teil 6

Die-Geschichte-vom-WerwolfDie Geschichte vom Werwolf
Eine Volkssage, erzählt von Alexandre Dumas
Nach dem französischen Manuskript von Dr. G. F. W. Rödiger

Kapitel 6
Der Pakt

Thibaut blieb ganz erschrocken in der Tür stehen.

»Ich sage dir also«, fuhr der Wolf fort, als ob nichts vorgefallen wäre, »dass ich dir die Erfüllung aller deiner Wünsche nicht gewähren kann.«

»Ich habe also nichts von dir zu erwarten?«

»Jawohl, denn ich kann machen, dass das Böse, welches du deinem Nächsten wünschst, in Erfüllung geht.«

»Und was kann mir das nützen?«

»Ein Moralist sagt ja, in dem Unglück unseres teuersten Freundes ist immer ein Punkt, der uns angenehm ist.«

»Das muss ein Wolf gesagt haben. Ich wusste nicht, dass es unter den Wölfen auch Moralisten gibt.

»Nein, ein Mensch hat es gesagt.«

»Er ist doch gewiss gehängt worden?«

»Nein, er ist Gouverneur der Provinz Poitou geworden.«

»Es gibt freilich viele Wölfe in jener Provinz. Wenn nun in dem Unglück eines Freundes immer etwas Angenehmes liegt, so wirst du leicht einsehen, welch ein Genuss in dem Unglück eines Feindes liegt.«

»Es ist etwas Wahres daran«, sagte Thibaut.

»Überdies kann man ja aus dem Unglück des Nächsten, er sei nun Freund oder Feind, immer einen Nutzen ziehen.«

»Wahrhaftig, dun hast recht«, antwortete Thibaut nach kurzem Besinnen. »Und was verlangst du für diesen Dienst?«

»Höre. So oft du einen Wunsch aussprichst und dieser Wunsch dir einen Vorteil bringt, will ich einen kleinen Teil deiner Person als Eigentum haben.«

Thibaut trat ganz erschrocken zurück.

»O! Sei nur ruhig, ich werde kein Pfund von deinem Fleisch verlangen, wie ein gewisser Jude meiner Bekanntschaft es mit seinem Schuldner gemacht hat.«

»Was verlangst du denn?«

»O, eine Kleinigkeit: ein Haar von deinem Haupt bei dem ersten Wunsch, den du aussprichst, zwei Haare beim zweiten, vier beim dritten und so immer fort, bei jedem neuen Wunsch die doppelte Anzahl von Haaren.«

Thibaut lachte.

»Weiter nichts?«, fragte er. »Ich nehme es an und will mir gleich das erste Mal etwas so Gutes wünschen, dass ich nie in die Lage kommen werde, eine Perücke zu tragen. Topp, schlag ein!«

Thibaut streckte die Hand aus. Der schwarze Wolf hob die Tatze, aber er schlug nicht ein.

»Du zögerst?«, sagte Thibaut,

»Mir fällt ein«, erwiderte der Wolf, »dass ich spitze Krallen habe und dir, ohne es zu wollen, wehtun könnte. Es gibt ein anderes Mittel, den Handel abzuschließen. Du hast einen silbernen Ring, ich habe einen goldenen. Wir wollen tauschen. Du siehst, dass der Handel ganz zu deinem Vorteil ist.«

Der Wolf zeigte seine Tatze, an welcher wirklich ein Ring vom feinsten Gold glänzte.

»Gut«, sagte Thibaut, »ich nehme es an.«

Und er zog den silbernen Ring von seinem Finger, während der Wolf den goldenen Ring von seiner Tatze zog. Die Ringe wurden gewechselt.

»Jetzt sind wir unzertrennlich verbunden«, sagte der Wolf lachend. »Auf Wiedersehen, Freund Thibaut!«

Kaum hatte der Wolf dieses letzte Wort gesprochen, so verschwand er, wie eine Messerspitze voll Pulver, welches angezündet wird.

Thibaut betrachtete ganz verblüfft die Stelle, wo der Wolf gestanden hatte. Dann suchte er in allen Ecken, sogar unter seinem Bett, es war kein Wolf mehr da. Er glaubte anfangs, es sei eine Traumgestalt gewesen. Aber als er einen Blick auf seine Hand warf, sah er den goldenen Ring. Es war ein einfacher Reif, ohne Edelstein oder sonstige Verzierung.

Thibaut zog ihn vom Finger und betrachtete ihn. Auf der inneren Seite standen zwei ineinander geschlungene Buchstaben T und S.

»Ha!«, sagte er erschrocken, »Thibaut und Satan, die Familiennamen der beiden kontrahierenden Parteien.«

Um sich zu betäuben, stimmte er ein Lied an. Aber seine Stimme hatte einen so seltsamen Ton, dass er sich fürchtete. Er schwieg also.

Dann setzte er sich an seine Arbeit. Aber kaum hatte er begonnen, so hörte er wieder das Gebell der Hunde und das Jagdhorn des Junkers.

Thibaut lauschte.

»Jage nur immer fort, mein schöner Herr«, spottete er. »Diesen Wolf wirst du nicht erlegen. Es steht jetzt in meiner Gewalt, mich an dir zu rächen … Ja, an dir und dem Taugenichts Marcotte. Ich werde freilich etwas dabei verlieren, aber ein Haar kann ich diesem Vergnügen wohl opfern.«

Bei diesen Worten strich Thibaut mit der Hand durch sein dichtes, weiches Haar.

»Ein Haar kann ich wohl verlieren«, setzte er hinzu. »Ich kann mich dabei auch überzeugen, dass mich Vater Isegrim nicht gefoppt hat. Ich wünsche also dem Junker Jean etwas Unangenehmes, und der große Schlingel Marcotte, der mich gestern so unbarmherzig züchtigte, sollte billigerweise noch zweimal mehr Unglück haben als sein Herr.«

Thibaut kam ganz außer Fassung, als er diesen doppelten Wunsch aussprach. Denn er fürchtete noch immer, der schwarze Wolf könne seine Leichtgläubigkeit missbraucht haben. Es war ihm unmöglich zu arbeiten, er machte alles verkehrt und schnitt sich in den Finger.

Plötzlich entstand ein großer Lärm im Tal. Er lief auf die Landstraße und sah in der Ferne mehrere Leute, die langsam näher kamen. Diese Leute waren die Jäger und Rüdenknechte des Barons de Vez.

Anfangs konnte Thibaut nicht unterscheiden, was die Leute machten. Aber als sie näher kamen, bemerkte er, dass sie zwei Bahren trugen, auf denen zwei regungslose Körper lagen.

Ein kalter Schweiß rann ihm von der Stirn, als er den Baron Jean und den Jäger Marcotte erblickte.

Es hatte sich unterdessen Folgendes zugetragen. Solange der Damhirsch im Dickicht war, hatte das Mittel, welches Thibaut ersonnen, um die Hunde irrezuführen, einen glücklichen Erfolg gehabt. Der Waidmann glaubte anfangs, das Tier sei durch das Hundegebell aufgeschreckt worden und nehme die Flucht. Aber kaum hundert Schritte weiter sah er die ganze bellende heulende Meute erscheinen und den Damhirsch mit so großem Eifer verfolgen, als ob sie nie die Fährte eines anderen Tieres gekannt hätten.

Darüber geriet der Baron de Vez in rasenden Zorn. Er schrie nicht mehr, er heulte. Er schimpfte nicht mehr, er fluchte. Er begnügte sich nicht mehr, seinen Hunden Peitschenhiebe zu geben, er spornte sein Pferd, dessen Hufe die armen Tiere zertraten. Kurz, er gebärdete sich so toll im Sattel, dass man jeden Augenblick erwartete, er werde das Gleichgewicht verlieren und vom Pferd fallen. Sein Gesicht wurde bald hochrot, bald leichenblass, und der erste Jäger wurde mit Flüchen und Schimpfreden überhäuft.

Dieses Mal konnte der arme Marcotte nichts zu seiner Entschuldigung sagen. Es blieb ihm nichts übrig, als den Irrtum seiner Hunde möglichst wieder gut zu machen und den Zorn des gestrengen Herrn zu beschwichtigen. Er spornte sein Pferd, sprengte durch das dichteste Gebüsch und hieb unbarmherzig auf die Hunde los. Aber es half nichts, die Hunde ließen sich nicht von der Fährte abbringen.

Er folgte der Meute durch den Fluss, der unglücklicherweise sehr reißend war. Das Pferd konnte nicht gegen den Strom ankämpfen, es wurde fortgerissen und verschwand. Marcotte wollte sich losmachen und ans Ufer schwimmen. Aber seine Füße waren in den Steigbügeln verwickelt, er wurde mit in die Flut hinabgezogen.

Unterdessen war der Baron de Vez mit seinen Leuten ans Ufer gekommen, und sein Zorn wurde zur Verzweiflung, als er die hilflose Lage seines Jägers sah. Er war allen Geschöpfen, sowohl Menschen als auch Tieren, die seinem Vergnügen dienten, aufrichtig zugetan. Er rief aus Leibeskräften.

»Rettet Marcotte! Fünfundzwanzig Louisd’or, fünfzig, hundert Louisd’or für den, der ihn rettet!«

Reiter und Ross sprangen ins Wasser, wie erschreckte Frösche, der Junker selbst spornte sein Pferd, aber man hielt ihn zurück. Man hatte einige Mühe, ihn an der Ausführung seines heroischen Mutes zu hindern. Dadurch verstrichen ein paar Minuten und Marcotte war nicht mehr zu retten.

Der Unglückliche kam an einer Biegung des Flusses wieder zum Vorschein, er streckte die Arme aus und rief den Hunden. Aber das Wasser kam ihm in den Mund und erstickte die letzte Silbe des letzten Wortes.

Erst nach einer Viertelstunde fand man ihn auf einer kleinen Sandbank. Marcotte war tot.

Dieser Unfall hatte verderbliche Folgen für den Junker Jean de Vez. Als Mann von noblen Passionen war er dem Wein nicht abhold und hatte dadurch eine Neigung zum Schlagfluss bekommen. Der Anblick der Leiche seines Dieners wirkte erschütternd auf ihn, dass er zu Boden sank.

Thibaut erschrak über die Pünktlichkeit, mit welcher der schwarze Wolf sein Besprechen gehalten hatte, und dachte mit einem gewissen Schauder, dass Meister Isegrim ein Gleiches von ihm erwarten konnte. Es fragte sich, ob er sich mit einigen Haaren seines Hauptes begnügen würde.

Der Leichnam des armen Marcotte machte einen sehr unangenehmen Eindruck auf ihn. Er glaubte das Recht zu haben, ihn zu hassen, aber sein Hass gegen den Verstorbenen ging nicht so weit, dass er seinen Tod gewünscht hätte. Der Wolf hatte offenbar seine Wünsche übertroffen. Thibaut hatte freilich nicht deutlich ausgesprochen, was er wünschte, und der Bosheit Isegrims freie Hand gelassen. Er nahm sich vor, sich in Zukunft bestimmter zu erklären und in seinen Wünschen mehr maßzuhalten.

Der Baron de Vez war nicht tot, aber sein Zustand schien hoffnungslos. Seit dem Augenblick, wo er durch Thibauts Wunsch wie von einem Blitzstrahl getroffen wurde, hatte er seine Besinnung nicht wieder bekommen.

Man legte ihn auf das Heidekraut, welches Thibaut vor seiner Stalltür aufgeschichtet hatte, und seine bestürzten Leute durchsuchten das Haus, um ein Wiederbelebungsmittel zu finden. Einer verlangte Essig, um ihm die Schläfen damit zu waschen. Ein anderer ein Brett, um ihn in die flache Hand damit zu schlagen. Ein Dritter wollte ihm Schwefel unter der Nase anzünden.

Mitten in diesem verworrenen Geschrei hörte man die Stimme des kleinen Engoulevent.

»All dies nützt nichts«, sagte er. »Eine Ziege brauchen wir. Ach! Wenn wir nur eine Ziege hätten!«

»Eine Ziege?«, wiederholte Thibaut, der die Wiederherstellung des Junkers sehnlich wünschte. Sein Gewissen wäre dadurch von einem Teil der drückenden Last befreit und seine Hütte vor Plünderung bewahrt worden.

»Wirklich, besitzt Ihr eine?«, fragte Engoulevent. »Unser teurer Herr ist gerettet.«

In der Freude seines Herzens fiel er Thibaut um den Hals und setzte hinzu: »Bringt geschwind Eure Ziege.«

Thibaut ging in den Stall und holte das Tier, welches ihm meckernd folgte.

»Haltet sie fest bei den Hörnern«, sagte der Jägerbursche, »und hebt ihr einen Vorderfuß auf.«

Bei diesen Worten zog er sein Jagdmesser aus dem Gürtel und wetzte es sorgfältig auf dem Schleifstein des Holzschuhmachers.

»Was wollt Ihr denn machen?«, fragte Thibaut etwas besorgt.

»Wie!«, erwiderte Engoulevent, »wisst Ihr denn nicht, dass das Herz der Ziegen einen kleinen kreuzförmigen Knochen enthält, der zu Pulver gestoßen ein unfehlbares Mittel gegen den Schlagfluss ist?«

»Ihr wollt meine Ziege schlachten!«, rief Thibaut, indem er zugleich das Horn und den Vorderfuß des armen Tieres losließ. »Das lasse ich nicht zu.«

»Das ist nicht schön von Euch, Thibaut«, sagte der Jägerbursche. »Könnt Ihr denn das Leben unseres guten Herrn mit dem Leben dieser erbärmlichen Ziege gleichstellen? Ihr solltet Euch schämen!«

»Ihr sprecht, wie Ihr es versteht«, entgegnete Thibaut. »Diese Ziege ist mein ganzer Reichtum.«

»Ihr könnt Euch glücklich schätzen, Thibaut, dass Euch der Herr Baron nicht hört, sonst würde es ihm in der Seele wehtun, dass seine kostbare Gesundheit von einem gemeinen Menschen so gering geschätzt wird.«

»Überdies«, setzte ein Jager spöttisch lachend hinzu, »wenn Meister Thibaut für seine Ziege einen Preis fordert, den nur der Herr Baron zahlen kann, so kann er ja ins Schloss kommen und das Geld holen. Man wird es ihm mit dem Rückstand von gestern auszahlen.«

Thibaut musste offenbar den Kürzeren ziehen, wenn er nicht wieder den Teufel zu Hilfe rief. Aber er hatte eben eine so unangenehme Lektion erhalten, dass er Bedenken trug, den Versuch zu wiederholen. Er ging daher für den Augenblick nur mit dem Gedanken um, keinem der Anwesenden etwas Böses zu wünschen, und wandte seine Blicke von den drohenden oder höhnischen Gesichtern ab, um nicht in Zorn zu geraten.

Während er sich abwandte, wurde die Ziege geschlachtet. Das Geschrei des armen Tieres verminderte freilich seine Gewissensbisse über den Tod Marcottes und er kam in Versuchung, allen Kameraden des Verstorbenen ein gleiches Schicksal zu wünschen. Aber zum Glück besann er sich bei Zeiten.

Um den Baron kümmerte er sich nicht mehr, da dieser durch das Verfahren des Jägerburschen geheilt werden sollte.

Als die Ziege tot war, suchte man in dem noch dampfenden Herzen den kleinen Knochen, welchen Engoulevent bezeichnet hatte. Man zerstampfte ihn zu Pulver, rührte dieses in Essig, in welchen man dreizehn Tropfen Galle von der Ziege getan hatte, mischte das Ganze in einem Glas Wasser und schüttete dem Baron die Flüssigkeit in den Mund.

Die Wirkung des Trankes war schnell und wahrhaft wunderbar. Der Junker nieste, richtete sich auf und verlangte mit noch etwas unsicherer, aber verständlicher Stimme zu trinken. Engoulevent reichte ihm ein Glas Wasser, aber kaum hatten seine Lippen das dargebotene fade Getränk berührt, so schnitt er ein Gesicht und warf das Glas zornig gegen die Wand, dass es in tausend Stücke zerbrach.

»Wein!«, riet er mit lauter Stimme, welche seine vollständige Genesung bekundete.

Ein Jäger stieg zu Pferde und ritt in das Schloss Oigny, um eine Flasche Burgunder zu holen.

Zehn Minuten danach war der Jäger zurück. Man entkorkte zwei Flaschen, welche der Junker Jean in Ermangelung eines Glases an den Mund setzte und jede derselben auf einen Zug leerte. Dann wandte er sich gegen die Wand und lallte mit lahmer Zunge »Macon 1745« und schlief ein.