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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Erster Teil – Elfte Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil
Elfte Erzählung

Von einer spukhaften Erscheinung des Berliner Leichenwagens um Mitternacht als Vordeutung eines nahen Sterbefalls

In der Gegend des Neumarkts zu Berlin verbreitete sich im Winter 1786 ganz allgemein die einzeln schon längst stattgefundene Volkssage, dass daselbst des Nachts zwischen zwölf und ein Uhr ein spukender Leichenwagen durch die Straßen zu fahren pflege, so oft in der dortigen Gegend der Todesfall einer bedeuteten Person bevorstehe. Wirklich wollten ihn eine Menge Herren und Damen, denen man nicht geradezu alle Glaubwürdigkeit absprechen konnte, öfter als einmal gesehen haben. An Gelegenheit zu mitternächtlichen Beobachtungen kann es freilich in einer Stadt nicht fehlen, wo man aus der Nacht den Tag zu machen gewohnt ist, und zur Stunde der Gespenster noch häufig auf den Straßen wankt. Da es indessen bekanntlich durchaus nicht Sitte ist, die Leichen noch so spät – um Mitternacht – zu dem Begräbnisplatz fahren zu lassen, so konnte keine Verwechslung eines wirklichen Leichenwagens mit dem vorgeblich spukenden stattgefunden haben. Mithin verdiente die einstimmige Aussage so vieler, welche Letzteren mit eigenen gesunden Augen wollten gesehen haben, immer Aufmerksamkeit.

Eines Abends sprach man im freundschaftlichen Zirkel von Denkern und Nichtdenkern, der im Haus des bereits gestorbenen Kaufmanns Fr. Wagener in der neuen Friedrichstraße versammelt war, ein langes und breites Für und Wider das Wahre, Wahrscheinliche und Alberne in dieser Volkssage. Die Verteidigerinnen der spukhaften Natur dieses Leichenwagens hatten eigene und fremde Erfahrungen – mithin Tatsachen – auf ihrer Seite. Zugleich beriefen sie sich nicht ohne Grund darauf, dass es nicht nur nicht Gebrauch, sondern auch wider alle polizeilichen Verordnungen sei, wirkliche Leichen durch den wirklichen Totenwagen des Berliner Generalpächters dieser allgemeinen Beerdigungsanstalt, schon vor ein Uhr des Nachts zu dem Begräbnisplatz bringen zu lassen.

Zwar waren die Gegner unartig genug, zugunsten der Wahrheit zu verstehen zu geben, dass auch selbst diese sogenannte Tatsachen vielleicht nur in einer von Gespensterfurcht erhitzten Einbildungskraft stattgefunden haben möchten. In der Tat konnte es sich auch leicht zutragen, dass man, begünstigt von mitternächtlicher Finsternis, eine Berliner Mietkutsche, deren Eilfertigkeit zuweilen dem Schneckengang des Leichenwagens gleichkommt, dann und wann für den Letzteren nahm. Allein diesen Entwürfen und Bedenklichkeiten begegnete man durch die Versicherung, dass man den spukenden Wagen mit der gewöhnlichen Begleitung unter anderen auch beim hellsten Mondlicht gesehen, sein dumpfes Rollen, das Tappen der Pferde, die Fußtritte der Führer gehört, kurz alles ganz in der Nähe deutlich beobachtet habe. Und um den Grad dieser Deutlichkeit nach näher zu bestimmen, fügte man die Versicherung hinzu, dass man sogar das durchschimmernde Rot der, zur Schande Berlins, dem wirklichen Leichenzug eigentümlichen, unbeschreiblich elenden schwarzen Behänge habe erkennen können.

Unter solchen Umständen blieb den Verteidigern der guten Sache nichts übrig, als die Segel zu streichen und die etwaige Auslösung des Rätsels der alles entwickelnden Zeit zu überlassen.

Über diese Gespräche war es spät Mitternacht geworden, und man fuhr, nicht ohne jene schauerlichen Empfindungen auseinander, welche die mit Scheingründen geltend gemachte Schutzrednerei des Gespensterglaubens nicht selten auch in der Seele des Gebildeten hervorzubringen pflegt, so sehr sich dieser auch über alle Gespensterfurcht erhaben denken mag. Kaum war man um die Rosenstraßenecke herumgebogen, so begegnete man um drei Viertel auf eins dem ominösen Leichenwagen. Mit Grauen und Entsetzen bog ihm der Kutscher aus und jagte, trotz allem Zurufens seines Herrn, haltzumachen, in rasselnder Eile davon. Selbst den Pferden dieses Kutschers musste die schwarzrote Nachterscheinung verdächtig und schauderhaft vorkommen, denn sie eilten, ohne den Peitschenhieb ihres Regenten abzuwarten, in mächtigen Sätzen durch die Straßen.

So war nun der Herr im Wagen außerstand gesetzt, die Natur der vorgeblich spukhaften Erscheinung auf der Stelle zu untersuchen, obgleich dies auf Veranlassung der Gespräche des eben verlebten Abends sein sehnlicher Wunsch geworden war. Frau Gemahlin und Mamsell Tochter, deren Sache Nachforschungen der Art eben nicht sein mochten, waren indessen mit dem braven Kutscher gar sehr zufrieden und lobten ihn ungemein.

Desto genauer untersuchte der auf den Kutscher ungehaltene Herr am nächsten Morgen den wahren Zusammenhang des erlebten Abenteuers. Wer hätte darüber bessere Auskunft geben können, als der Pächter der Leichenwagen. Und wirklich löste dieser ohne Anstrengung das große Rätsel auf folgende, zweifelsohne völlig zuverlässige Art auf.

Es hatte sich in jener Gegend, wo man auf den vermeintlich spukhaften Leichenwagen stieß, eine Militärperson entleibt. Die hinterlassene Witwe, welche ein schimpfliches Aufsehen vermeiden wollte, hatte sich die Erlaubnis auszuwirken gewusst, den Entseelten bei mitternächtlicher Stille beerdigen lassen zu dürfen.

Wenn man diese Erlaubnis vielleicht ohne große Schwierigkeiten erhält, und wenn es der Ursachen mancherlei geben kann, warum eine Familie ihren Leichnam so ganz im Stillen, als mit mehrerem Aufsehen, dem mütterlichen Schoß der Erde wieder anvertraut sieht, so ist es ja offenbar, dass man die Aussage derer mit Unrecht in Zweifel zog, welche den nächtlichen Leichenzug schon öfter gesehen haben wollten. Bloß darin irrten sie, dass sie das Wirkliche für ein Blendwerk, und noch dazu für ein vorbedeutendes Blendwerk der Geisterwelt hielten.