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Die Skalpjäger – Santa Fe

Die-SkalpjägerThomas Mayne Reid
Die Skalpjäger

Erster Teil
Sechstes Kapitel
Santa Fe

Nachdem wir eine Woche lang durch Felsengebirge geklettert waren, stiegen wir in das Tal des Rio del Norte hinab und gelangten in die Hauptstadt von New Mexiko, das weltberühmte Santa Fe. Am folgenden Tag traf die Karawane selbst ein, denn wir hatten auf der südlichen Straße Zeit verloren, und die Wagen, welche über den Raton Pass gezogen waren, hatten eine gute Reise gemacht.

Es wurde uns nicht schwer, sie unter der Bedingung, dass wir fünfhundert Dollar Alcavala-Steuer für jeden Wagen bezahlten, in das Land zu bringen. Dies war eine größere Erpressung als gewöhnlich, aber die Kaufleute sahen sich gezwungen, sie zu entrichten.

Santa Fe ist das Entrepot der Provinz und der Hauptsitz ihres Handels. Als wir dort anlangten, schlugen wir unser Lager vor den Mauern auf.

St. Vrain, mehrere andere Wareneigentümer und ich nahmen unser Quartier in der Fonda, wo wir mittelst des perlenden Weines von El Paso die Mühen, die wir auf dem Weg über die Ebenen erduldet hatten, zu vergessen suchten.

Die Nacht nach unserer Ankunft wurde dem Schmausen und Zechen geweiht.

Am folgenden Morgen wurde ich durch die Stimme meines Dieners Godé geweckt, der in der trefflichsten Laune zu sein schien, und ein kanadisches Bootslied sang.

»Ah, Monsieur!«, rief er, da er mich munter sah. »Heute Abend – aujourd’hui – wird es ein Fest geben,einen Ball, was die verdammten Mexikaner Fandango nennen. Très bien Monsieur, Sie werden einen mexikanischen Fandango sicher mit großem Vergnügen sehen.«

»Nein, meine Landsleute lieben den Tanz nicht so sehr wie die Ihren.«

»C’est vrai, Monsieur, aber ein Fandango ist sehr merkwürdig. Sie werden eine Menge Bewegung sehen, Bolero und Walzer, den Waschbärtanz und noch viele andere, die alle zu einem Puchero zusammengemischt sind. Allons, Monsieur, Sie werden sehr viele hübsche Mädchen sehen, die die Augen très noir, und sehr kurze – ah, bei Gar – sehr kurze – wie nennen Sie sie auf Amerikanisch?«

»Ich weiß nicht, auf was Sie sich beziehen.«

»Ceci! Dies, Monsieur!«

Und er hielt mir den Saum seines Jagdhemdes vor.

»Par Dieu, jetzt weiß ich es. Röcke – sehr kurze Röcke – o, bei Gar! Sie werden sehen, was Sie auf einem mexikanischen Fandango sehen.

Las niñas de Durango

Conmigo bai landas,

Al Cielo saltandas,

En el Fandango – en el fan – dang – o!

Ah, hier kommt Monsieur St. Vrain – écoutez. Er geht nie zu keinem Fandango. Sacré, wie Monsieur tanzt! Wie ein Maître de ballet, aber er ist von französischem Blut, écoutez:

Al cielo saltandas

En el Fandango – en el Fan – dang – o!‹«

»Ha, Godé!«

»Monsieur?«

»Traben Sie hinüber zu der Cantina und betteln, borgen, kaufen oder stehlen Sie eine Flasche vom besten Paso.«

»Soll ich sie zu stehlen versuchen, Monsieur St. Vrain?«, fragte Godé mit schlauem Lächeln.

»Nein, Sie alter kanadischer Spitzbube. Bezahlen Sie dafür – hier ist das Geld – den besten Paso, hören Sie – kühl und perlend – nun voya!«

»Bon jour, mein kühner Büffelreiter! Immer noch im Bett, wie ich sehe!«

»Der Kopf tut mir zum Zerspringen weh!«

»Hahaha! Der meine auch, aber Godé holt Medizin. Man muss ein Hundehaar auf die Wunde legen. Kommen Sie, springen Sie auf.«

»Warten Sie, bis ich eine Dosis von Ihrer Medizin habe.«

»Sehr wahr, Sie werden sich dann wohler fühlen. Was meinen Sie, das Stadtleben sagt uns nicht zu, nicht wahr?«

»Nennen Sie dies eine Stadt?«

»Ja, so wird es in dieser Gegend genannt. Las ciudad de Santa Fe – die famose Stadt Santa Fe, die Hauptstadt von New Mexiko – die Metropolis des ganzen Prärielebens – das Paradies der Kaufleute, Trapper und Spitzbuben.«

»Und dies sind die Fortschritte von drei Jahrhunderten? Ei, die Leute sind kaum über die erste Stufe der Zivilisation hinaus.«

»Sagen Sie lieber, dass sie sich auf den letzten Stufen derselben befinden. Hier in dieser abgelegenen Oase werden sie Gemälde, Gedichte, Tanz, Theater und Musik, Feste und Feuerwerke und alle kleinen Liebeskünste finden, welche den Verfall einer Nation charakterisieren. Sie werden auf eine Menge von Don Quixotes – sogenannten irrenden Rittern – Romeos ohne das Herz und Schurken ohne Mut stoßen. Sie werden viele Dinge finden, ehe Sie der Tugend oder Ehrlichkeit begegnen. Hola, muchacho!«

»Que es, Señor?«

»Hay Café?«

»Nun, so bringen Sie uns ein paar Tassen, dos tazas – hörst du? Und schnell – aprisa – aprisa!«

»Si, Señor?«

»Ha! Hier kommt der kanadische Reisende. Nun, Sie alter Nordwester, da haben Sie ja den Wein!«

»Deliziöser Wein, Monsieur St. Vrain, er kommt dem französischen gleich.«

»Er hat recht, Haller – kluck! kluck! – köstlich, deliziös! Das können Sie wohl sagen, guter Godé! – kluck! kluck! Kommen Sie, trinken Sie, es wird Sie so stark wie ein Büffel machen. Sehen Sie nur, er schäumt wie eine Sodaquelle, wie die Fontaine qui bouille – nicht wahr, Godé?«

»Oui, Monsieur, ganz wie Fontaine qui bouille, bei Gar!«

»Trinken Sie, trinken Sie! Fürchten Sie sich nicht davor, es ist der reine Rebensaft. Riechen Sie das Bouquet! Kosten Sie es. Gott, welchen Wein die Yankees dereinst aus diesen neumexikanischen Trauben keltern werden.«

»Wie! Denken Sie, dass die Yankees ein Auge auf diese Gegend haben?«

»Ob ich es denke! Ich weiß es, und warum nicht? Was nutzen diese Prärien in der Schöpfung? Sie sind nur eine Last für die Erde. Nun, Mozo, hast du den Kaffee gebracht?«

»Ya esta, Señor.«

»Hier, versuchen Sie das. Es wird Ihnen auf die Beine helfen. Kaffee können sie kochen, das spreche ich ihnen nicht ab, dazu muss man einen Spanier haben.«

»Was ist es mit dem Fandango, von dem mir Godé erzählt hat?«

»Ah, ganz recht, wir werden heute Abend einen famosen haben. Sie gehen doch natürlich mit?«

»Aus Neugier.«

»Schon gut, Ihre Neugier wird befriedigt werden. Das schnaubende, alte Meerschwein von einem Gouverneur wird den Ball mit seiner Gegenwart beehren und, wie es heißt, auch seine hübsche Señora. Das glaube ich aber nicht.«

»Warum nicht?«

»Er fürchtet zu sehr, dass einer von diesen wilden Americanos sie auf seinem Sattelbug entführen könnte. Dergleichen Dinge sind in diesem Tal schon geschehen.

Bei St. Maria, sie ist hübsch!«, fuhr St. Vrain in einem halben Selbstgespräch fort, »und ich wüsste einen Mann, der verwünschte, alte Tyrann, man darf gar nicht daran denken!«

»An was?«

»An die Art, wie er uns zur Ader gelassen hat. Fünfhundert Dollar der Wagen und ihrer hundert – machen ganze fünfzigtausend.«

»Wird er aber alles dies in die Tasche stecken? Wird nicht die Regierung …«

»Die Regierung! Nein, alles, bis auf den letzten Heller! Er ist hier die Regierung und wird mit Hilfe dieses Geldes die armen Teufel mit einem eisernen Stab regieren – die armen Gesellen!«

»Und doch hassen sie ihn. Ist es nicht so?«

»Ihn und die Seinen! Gott weiß, dass sie Grund dazu haben.«

»Es ist seltsam, dass sie sich nicht empören.«

»Sie haben es mitunter getan. Aber was können die armen Teufel anfangen? Er hat sie, gleich allen echten Tyrannen gespalten und lässt sie den Hass ihres Herzens gegeneinander ausschütten.«

»Aber er scheint keine besonders große Armee, keine Leibgarde zu haben?«

»Leibgarde!«, unterbrach mich St. Vrain. »Schauen Sie hinaus, das ist seine Leibgarde.«

»Indios bravos! Los navajos!«, rief Godé in demselben Augenblick.

Ich sah auf die Straße hinaus. Ein halbes Dutzend langer, in gestreifte Serapen gehüllter Wilden ging eben vorüber. Ihr wildes, hungriges Aussehen und ihr langsamer, stolzer Schritt ließ sie sofort von den Indios mangos – den Wasser fahrenden, Holz fällenden Pueblos unterscheiden.

»Sind das Navajos?«

»Oui, Monsieur, oui!«, antwortete Godé, dem Anschein nach mit einiger Aufregung. »Sacré dieu – navajos – de damnés navajos.

»Sie lassen sich nicht verkennen!«, fügte St. Vrain hinzu.

»Aber die Navajos sind die notorischen Feinde der Neu-Mexikaner. Wie kommen sie hierher? Sind sie Gefangene?«

»Sehen sie wie Gefangene aus?«

Sie ließen allerdings weder in ihren Blicken noch in ihren Gebärden ein Zeichen von Gefangenschaft wahrnehmen. Sie schritten stolz die Straße hinauf und blickten von Zeit zu Zeit mit einer Miene wilder, herrischer Verachtung auf die Vorübergehenden.

»Warum sind sie denn hier? Ihr Land liegt doch im fernen Westen?«

»Das ist eines von den Geheimnissen von New Mexiko, über die ich Sie ein anderes Mal aufklären werde. Jetzt sind sie durch den Friedensvertrag geschützt, der sie nur so lange bindet, als es ihnen zusagt, ihn anzuerkennen. Für jetzt sind sie hier eben so frei wie Sie oder ich, sogar noch mehr, wenn es darauf ankommt. Es sollte mich nicht wundern, wenn wir sie heute Abend beim Fandango treffen.«

»Ich habe gehört, dass die Navajos Kannibalen seien!«

»Es ist wahr. Werfen Sie nur jetzt einen Blick auf sie, sehen Sie, wie sie ihre Augen an jenem runden, kleinen Bürschelchen weiden, das sie instinktmäßig zu fürchten scheint. Ein Glück für die Range, dass es heller Tag ist, sonst würde er vielleicht unter eine von jenen gestreiften Decken gezogen werden.«

»Sprechen Sie im Ernst, St. Vrain?«

»Auf mein Wort, ich scherze nicht. Wenn ich mich nicht irre, wird Godés Erfahrung das, was ich gesagt habe, bestätigen. Eh, Rumtreiber?«

»C’est vrai, Monsieur. Ich war ein Prisonnier bei der Nation gewesen, nicht bei den Navajos, sondern bei den verdammten Apachen. Es kommt auf eines heraus. Ich war drei Monate bei ihnen. Ich habe gesehen, wie die sauvages eins – deux – drei enfants rôtis wie Feistrippen von Büffelfleisch verzehrten. C’est vrai, Monsieur.«

»Es ist vollkommen wahr. Sowohl die Apachen als auch die Navajos entführen bei ihren großen Beutezügen Kinder aus dem Tal hier, und diejenigen, welche es wissen sollten, sagen, dass die meisten von ihnen auf diese Weise verbraucht werden. Ob es als Opfer vor dem Feuergott Quetzalcoatl oder aus Vorliebe für das Menschenfleisch geschieht, hat bis jetzt noch niemand bestimmen können. Trotz der Nähe ihres Wohnsitzes ist tatsächlich nur sehr wenig über sie bekannt. Wenige von den Besuchern ihrer Stadt haben Godés Glück, ihnen wieder zu entkommen, gehabt. Aus dieser Gegend wagt sich niemand über die westliche Sierra.«

»Und wie kommt es, Monsieur Godé, dass Sie Ihren Skalp von dort gerettet haben?«

»Pourquoi, Monsieur? Je ne l’ai plus! Ich habe nicht die Skalplocke, was die Yankee Trapperhaar nennen. Meine Skalplocke ist von einem Barbier in St. Louis fabriziert – voilà, Monsieur.«

Bei diesen Worten nahm der Kanadier seine Mütze, und mit derselben das ab, was ich bisher als schön gelocktes Haar betrachtet hatte, was sich aber jetzt als eine bloße Perücke erwies.

»Nun, Monsieur!«, rief er in guter Laune, »wie haben die Wilden meine Skalplocke genommen? Les damnés Indiens. Haben mich nicht halten können. Sacré!«

St. Vrain und ich vermochten unser Gelächter über das veränderte komische Aussehen des Kanadiers nicht zu unterdrücken.

»Kommen Sie, Godé. Das Mindeste, was Sie darauf tun können, ist, dass Sie einen Trunk tun. Hier langen Sie zu.«

»Très obligé, Monsieur St. Vrain, je vous remercie.«

Und der ewig durstige Reisende stürzte den Nektar von El Paso hinab, als ob es frische Milch gewesen wäre.

»Kommen Sie, Haller, wir müssen zu den Wagen eilen. Zuerst die Geschäfte, dann das Vergnügen, wie wir es hier unter diesen Ziegelhaufen finden können. Wir wollen uns aber in Chihuahua einen Spaß machen.«

»Und denken Sie, dass wir dorthin gehen werden?«

»Ganz gewiss, man bedarf hier nicht den vierten Teil unserer Waren. wir müssen sie zum Hauptmarkt bringen. Allons, in das Lager!«