Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Sagen- und Märchengestalten – Die Magie – Teil 3

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die Magie – Teil 3

Albertus Magnus

Wie fast überall in der Natur wird in immer weiterer Entwicklung aus dem spezifisch Kleinen und Kleinsten das Große und Größte erzeugt, knüpft auch der Mensch schaffend und dichtend eines an das andere, und wo aus der flachen Menge ein bedeutendes Selbst hervortritt, ist es wie mit Schneeflocke und Welle. Reden und Wiedersagen gleicht dem Bach. Je weiter er fließt, desto unaufhaltsamer nimmt er zu. Gleich der Flocke dringt die Kunde von dem, was ein ungewöhnlicher Mensch getan hat, weiter und weiter, und jeder fügt hinzu, was er wünscht und glaubt.

So schmückte die Phantasie des Volkes seine Helden mit besonderen Kräften, gleich als sei es noch nicht genug an dem, was sie wirklich vollbrachten. Mit rührender Treue hält die Sage fest, was einmal in der Schatzkammer alter Überlieferungen eingenistet war, ließ es forterben von einem berühmten Feldherrn auf den anderen, von einem großen Fürsten oder von stillen Gelehrten auf andere und fand stets von Neuem willig Gehör.

Männer des Volkes waren es, wenn auch die Kaiserkrone sie schmückte, welche dadurch unsterblich gemacht wurden, dass eine mächtige unsichtbare Hand sie in des Berges Schoß entrückte.

Von Karl dem Großen bis zum alten Dessauer unaufhörlich das gleiche Thema von dem angezauberten Hirschgeweih, bald trifft der Spuk den Gepriesenen selbst, bald wird er von ihm veranlasst. Denn was wäre in den Augen jener naturwüchsigen Märchendichter ein Held, dem nur zu Gebote stände, was Menschenkraft und Menschenwitz vermag?

Dem edlen Geschlecht der Grafen zu Lauingen in Schwaben wurde um das Jahr 1200 ein Spross geboren, der in der heiligen Taufe den Namen Albertus empfing. Früh schon widmete sich der junge Graf dem geistlichen Stand und fand Aufnahme in einem Kloster der Dominikaner, wo er sich nun, wie die Sage berichtet, so einfältig zeigte, dass er nicht einmal das wenige, was der Orden von ihm verlangte, zu begreifen und festzuhalten vermochte. Geschmäht und gescholten wendete er sich zur Heiligen Jungfrau, die ihn besonderer Gnade würdigte. In einer Nacht, da er lange auf den Knien gelegen und schmerzlich seine geistige Unfähigkeit beseufzt hatte, erschien die Himmlische und verkündete ihm Erhörung seiner Wünsche. Doch ließ sie ihm die Wahl zwischen Philosophie und Theologie, und er zog die Erstere vor.

»Was du begehrst«, sprach sie voll tiefen Ernstes, »soll dir geschehen. Du wirst der gelehrteste Mann sein, den deine Zeitgenossen kennen. Weil du aber das Himmlische dem Irdischen nachgesetzt, soll diese Weisheit dir vor deinem Tod wieder genommen werden. Sei dessen eingedenk!« Die Erscheinung zerfloss in Luft, und der entzückte junge Mönch begann von Neuem zu studieren.

Wie Nebel vor der Sonne, verschwand die Befangenheit, welche ihn bis dahin gefesselt gehalten hatte. Rasch und klar entwickelte sich ihm alles. Staunend sahen die Brüder das Wunder, und bald wurde ihr verspotteter Genosse mit hohen Ehren überhäuft. Einige Zeit hindurch Bischof von Regensburg, predigte er später auf Befehl des Papstes das Kreuz in Deutschland und Böhmen, lehrte zu Köln Theologie und Philosophie und hatte unter seinen Schülern den nochmals so berühmten Thomas von Aquino.

Der Heilige Vater berief den überaus gelehrten Mann nach Rom, wo er ihm wichtige Geschäfte anvertrauen wollte. In der Antrittsaudienz warf der Dominikaner sich ihm zu Füßen, empfing den Segen und erhob sich wieder.

»Stehe auf, mein Sohn«, sagte Alexander IV. mild, denn er glaubte, das Männlein knie noch, so klein war die gebrechliche Hülle eines Geistes, den man mit Bewunderung Albertus Magnus, nämlich den Großen, nannte.

Mehrere Schriften über Magie, von denen nicht erwiesen ist, dass Albertus wirklich der Verfasser derselben war, trugen ihm den Ruf eines Zauberkundigen ein. Er verstand unter natürlicher Magie alles das, was die spekulative Tätigkeit des menschlichen Geistes den bis dahin verborgenen Kräften und Wirkungen der Natur ablauschte, und schrieb vieles über die Tugenden der Kräuter und Steine.

Drei Jahre hindurch lebte und lehrte Albertus zu Paris. Von diesem Aufenthalt in der großen und verführerischen Hauptstadt berichtet eine Sage, welche auch in Verbindung mit anderen Personen und Orten mannigfach erzählt wird:

Schön war die stolze Königin, deren frommer Gemahl über das weite, blühende Frankreich herrschte, doch nicht schön von Seele, nicht reich an Tugend und Sitte. Von dem Fenster ihres Palastes aus überschaute sie, wie eine giftige Spinne im Netz, den weiten Bogen der Seine, der sich, einem silbernen Gürtel gleich, um die prächtige Stadt schlang. Und wehe dem Mann oder dem Jüngling, der, mit kräftigem Arm das Ruder führend, im leichten Nachen vorüberflog, wenn männliche Schönheit seine Glieder schmückte! Auf ein Zeichen der Fürstin mussten eigens dazu bestellte Diener der Spur der Arglosen folgen, sich ihnen nähern, ihr Vertrauen zu gewinnen suchen und sie durch ein heimliches Pförtchen in den Palast zu der Gebieterin führen, deren üppige Schönheit die Betörten dann zu heißer Leidenschaft hinriss. Bald darauf kredenzte sie mit süßem Blick den Opfern ihrer Lust einen Becher, aus dem sie ewigen Schlaf sich tranken, und aus eben jenem Fenster, von welchem die Sirene sie zum ersten Mal erblickt hatte, senkten die Vertrauten dann geräuschlos die Körper hinab in die kühle Flut, die sich murmelnd über ihnen schloss und keine Spur von den Verschwundenen hinterließ.

Bereits neun Mal hatte der Fluss die ihm Geweihten in seinen schweigsamen Schoß aufgenommen, da trug er auf seinen Wellen ein Fahrzeug vorüber, in welchem der deutsche Graf Albert von Lauingen das Ruder führte. In jugendlicher Lust eines seiner schönen Heimatlieder singend, gewahrte sein Auge in einem Fensterbogen des Schlosses die herrliche Erscheinung der Königin, welche sich weit hinausbeugte, um den lieblichen fremden Klängen zu lauschen.

Schwer war es nicht, diesen Vogel zu fangen, hing er doch schon halb im Netz! Nicht lange währte es und Albertus wandelte denselben Weg, den vor ihm schon so viele andere gegangen waren. Wohl schwelgte er in trunkenem Anschauen der schönen Gestalt, in seligem Umfangen. Doch ein wunderbarer Schauer, ein seltsames Vorgefühl durchzuckte ihn, wenn er der Geliebten in die Augen schaute. Ihm wurde klar, was den anderen zu ihrem Verderben verborgen geblieben war.

Auch ihm wurde der Giftbecher mit einem Lächeln von den Purpurlippen kredenzt. Albertus wusste ihn geschickt zu vergießen, worauf er sich stellte, als vergehe er vor Schmerz. Aufgehoben und in den Fluss geworfen, berührte seine Hand kaum die Flut, als er mit aller Anstrengung seiner Kräfte den Fluss hinabschwamm, umschwärmt von den Pfeilen, welche die Königin hageldicht ihm nachsenden ließ, deren keiner ihn aber traf. Weiterhin erhob er mit kühnem Schwung sich in die Luft und flog davon, dem jungen Adler gleicht, bis der Wald ihn den Blicken der Nachschauenden entzog.

Dort ließ er sich nieder und weilte in einem alten Gemäuer, das ihm Schutz gegen Wind und Wetter bot bis zum dritten Tag, geheimnisvoll wirkend und schaffend. Dann zog er aus und über seinem Haupt zeigte sich wie ein Gewölk eine Schar bunter Vöglein, deren jedes ein zierlich beschriebenes Pergament an rotem Band um den Hals trug. Und nun entflatterte die muntere Schar, der Hauptstadt zu, wo sie sich von jung und alt sorglos fangen ließ.

Seltsames Gemurmel entstand, erst leise und schüchtern, dann lauter und entschiedener. Bald sangen in Straßen und Gassen die Buben das Lied von der buhlerischen Königin, welches Albertus gedichtet und so gut zu verbreiten gewusst hatte. Scham und Bestürzung ergriff die Frevlerin, die sich in ein Kloster begab, um härterer Strafe zuvorzukommen. Dort wurden ihr, wie die Sage weiter berichtet, neun schwarze Vögel zugesellt – die Seelen, der so kläglich Gemordeten, für deren Heil sie Buße und Gebet nicht sparte.

Nach Jahren der herbsten Entsagung und freiwillig übernommener Pein war das schwere Vergehen gesühnt. Die Vöglein wandelten ihre Trauerfarbe in schimmerndes Weiß und trugen endlich die Seele der Büßenden auf ihren Schwingen gen Himmel.

So kitschig die Sage lautet, ist doch eben alles an ihr erfunden. Albertus Magnus, dessen verkrüppelte Gestalt keine sinnlichen Reize bot, am wenigsten einer Fürstin, deren lüsterne Neigung nur durch eine Auswahl schöner und kräftiger Formen befriedigt werden konnte, war kein unbesonnener Jüngling mehr, als er in die Hauptstadt Frankreichs gesendet wurde. Er war ein Mann von reifen Jahren, und jene Königin, deren böse Leidenschaft so viele Opfer forderte, konnte keine andere sein als die fromme und tugendhafte Gemahlin König Ludwig des Heiligen.

An seiner Hand trug Albertus einen Ring, in dessen Stein die natürliche Gestalt einer winzig kleinen Schlange nachgeahmt war. Man glaubte, dass dieser Reif mit magischer Kraft alle Schlangen herbeiziehe, sobald er an einen Ort gelegt würde, in dessen Nähe jene Tiere hausten.

Ein nach Albertus lebender Schriftsteller behauptet in seinem Werk über den berühmten Mann, dass er von den Angehörigen seines Ordens geheime Nachrichten über den Stein der Weisen empfangen habe, und dass es ihm nach langen, fruchtlosen Versuchen endlich gelungen sei, dies Wunder der Kunst hervorzubringen. Durch die Schätze, welche der Stein ihm zugebracht hatte, wären dann binnen drei Jahren alle Schulden des Bistums Regensburg getilgt worden.

Männer wie Virgil, Roger Bacon und andere sollten Jahre hindurch an der Zusammenstellung sprechender Zauberköpfe gearbeitet haben, deren Offenbarungen ihnen von höchstem Nutzen gewesen wären. Von Albertus allein rühmt die Sage, es sei ihm gelungen, eine vollkommene menschliche Gestalt zu fertigen, der er Sprache verlieh. Jeder Teil dieses Körpers sollte mit höchster Geschicklichkeit und Sorgfalt in günstiger Zeit und unter dem Einfluss des Gestirnes, dessen Ausstrahlung allein ein so großes Werk zu fördern vermochte, bereitet worden sein. Einige behaupten, diese Gestalt habe aus künstlichen Knochen, Fleisch und Muskeln bestanden. Weniger fantastische Berichterstatter führen sie auf Kupfer, andere auf geheim gehaltene Mischung verschiedener Metalle zurück.

Während dessen bedurfte Albertus vieler Jahre, um das Wundergebilde hervorzubringen und ihm die Sprache zu verleihen. Seine Mühe wurde zwar mit dem glänzenden Erfolg gekrönt, doch genoss er die Früchte derselben nur kurze Zeit, denn sein frommer und ernsthafter Schüler, eben jener Thomas von Aquino, geriet in eine so heftige Aufregung über die heimlichen Kundgebungen der sprechenden Gestalt, dass er einst, als Albertus gerade abwesend war, mit einem Hammer das seltene Geschöpf zerstörte.

»O, Thomas«, rief der Meister voll Schmerz und Zorn bei seiner Heimkehr aus. »Du hast mir in blindem Eifer ein Werk zerstört, welches die Frucht von dreißig Jahren meines Lebens war!«

Ganz lieblich ist die verschieden erzählte Legende, nach welcher der fromme Mann in dem öden Klostergarten Blätter, Blüten sprießen und herrliche Sommerfrüchte reifen lässt, während draußen der Wintersturm tobt, Reif und Schnee das Land umher bedeckten, und wie er dann den ungläubigen Freund hinabgeleitet in das duftende Paradies. Vielfach wird berichtet, dieser Freund sei Graf Wilhelm von Holland gewesen, der Gegenkaiser von Friedrich II.

Albertus Magnus starb 1280 in hohem Alter. Die Vorherverkündigung der Himmelsjungfrau vollzog sich wirklich an ihm in seltsamer Weise.

Einst lehrte er zu Köln die tiefen Geheimnisse der Philosophie, und gespannt hingen Auge und Ohr an den wunderbar belebten Zügen des ehrwürdigen Meisters, da verstummt plötzlich die beredte Lippe, der strahlende Blick verdunkelt sich, ein Ausdruck stumpfer Gefühllosigkeit, der den Herzueilenden Entsetzen einflößt, verbreitet sich über sein Antlitz. Ein Verbindungsglied jener wunderbaren Kette, die wir Gedanken nennen, war machtlos geworden, und das Getriebe stand auf ewig still.