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Der Schwur – Zweiter Teil – Kapitel 5

Der-SchwurDer Schwur
Historischer Roman aus dem mexikanischen Unabhängigkeitskrieg

Zweiter Teil
Ein moderner Odysseus

Kapitel 5
Wiedersehen

Während die spanische Brigg der doppelten Gefahr, entweder an den Klippen der Insel la Roqueta zu zerschellen oder in die Hände der Gegner zu fallen, entging, trug der Wind den Donner einer unablässigen Kanonade, mit dem Heulen des Orkans untermischt, zur Insel.

Der Donner schien vom Fort auszugehen, soviel man wenigstens aus dem umgebenden Rauch schließen konnte.

Die am Ufer versammelten Gruppen der Insurgenten suchten vergebens die Ursache zu erraten. Das Wahre daran war einfach Folgendes:

Die auf Befehl Morelos’ am Ufer postierten Wachen hatten die von Don Hermenegildo abgebrannten Raketen aufsteigen sehen.

Nach der zwischen dem General und Galeana getroffenen Verabredung griff Morelos die Stadt so ungestüm und unerwartet an, dass er sich derselben fast ohne Schwertstreich bemächtigte.

Obgleich das Fort noch nicht genommen war, so machte die Besitznahme der Insel la Roqueta die Eroberung einer offenen Stadt, wie Acapulco war, weniger illusorisch, denn es war von der Insel aus leicht, die mit Lebensmitteln für die Festung beladenen Fahrzeuge abzufangen und so die Bevorratung zu verhindern.

Als Meister von Acapulco hatte sich Morelos des Pfarrers von Caracuaro wieder erinnert, der scherzweise ausgesandt worden war, eine mächtige Provinz zu erobern. Er erinnerte sich seines kläglichen Anfangs und seiner jetzigen Macht. Von seinem Gefühl überwältigt, beschloss er aus Dankbarkeit, dem Herrn der Heerscharen, dessen niedrigster Diener er einst gepriesen hatte, ein feierliches Hochamt abzuhalten.

Deshalb überschüttete die Besatzung des Forts die Stadt und die Kathedrale mit einem Kugelhagel, unter deren Gewölbe Morelos, durch eine der Abnormitäten, die sich im mexikanischen Unabhängigkeitskrieg, dessen erste Generale Priester waren, so oft finden, seine Uniform abgelegt hatte, um das Messgewand anzulegen.

Die Batterien der Insurgenten antworteten dem Feuer der Zitadelle und mitten in diesem furchtbaren Donner der Kanonen zelebrierte Morelos, der wieder ganz Priester geworden war, die heilige Handlung.

Die Ursache der Kanonade war Galeana nicht gänzlich fremd.

»Kinder!«, sagte er, sich den am Ufer zusammengescharten Soldaten nähernd. »Kinder, wir sind Herr der Insel, unser vielgeliebter General hat dies durch unsere Signale erfahren und auch seinerseits Acapulco angegriffen. In zwei Stunden wird die Stadt genommen sein, wenn sie es nicht schon ist. Seine Kanonen singen das Tedeum. Es lebe Morelos!«

»Es lebe Morelo!«, wiederholten die Insurgenten im Chor.

»He, Señor Lantejas«, sagte Costal, sich die Hände reibend. »Erscheint es Euch auch, dass ich ein gutes Stück in meinem Plan gegen den Verräter Gago vorgeschritten bin?«

Die Boote der Goélette, welche dazu gedient hatten, die spanische Besatzung von der Küste zur Insel zu holen, ersetzten vollkommen die von Galeana geopferten und übertrafen sie noch an Dauerhaftigkeit.

Zum Ende des zweiten Tages hatte sich der Sturm gelegt und das Meer wieder seine gewöhnliche Ruhe erlangt. So dienten die den Spaniern abgenommenen Barken dazu, eine Verbindung zwischen dem Lager Morelos’ und la Roqueta herzustellen und auch die Gefangenen, die nicht der Sache der mexikanischen Freiheit dienen wollten, dem General unter guter Eskorte zuzuführen. Die Bewachung der kleinen Insel blieb denen, die sie erobert hatten, anvertraut.

Unter den europäischen Überläufern, die in die Reihen der Insurgenten eingetreten waren, befand sich auch einer, der leicht an der Härte seiner Aussprache als Galizier zu erkennen war. Dies war also ein Landsmann Pepe Gagos, den er um so besser kannte, als er, bevor er auf la Roqueta zur Garnison verwendet worden war, mit ihm zu der Besatzung der Zitadelle von Acapulco gehört hatte. Costal machte sich sogleich mit ihm näher bekannt und zog über den Verräter Auskünfte ein, von denen er sich schon im Voraus Erfolg versprach.

Das war keineswegs der einzige Dienst, den der Indianer sich von den neuen Rekruten versprach. Er glaubte der Kenntnis, die er bei ihnen in Bezug auf die verabredeten Signale der Spanier mit den Schiffen voraussetzte, die mit neuem Proviant für das Fort ankamen, Nutzen ziehen und wenigstens eins oder zwei derselben zur Insel zu locken und sich ihrer bemächtigen zu können.

Drei Tage nach der Einnahme der Insel sah Costal ein Schiff, das von San Blas nach Acapulco segelte. Da dies ein spanisches Fahrzeug sein musste, wurde die spanische Flagge auf den Gipfel der Verschanzung aufgesteckt und das Schiff in Sicht machte dasselbe Manöver. Eine lebhafte Freude ergriff die Garnison, als sie die Brigg sich nähern und immer größer und größer werden sah, bis man endlich bei einer Wendung des Schiffes große weiße, auf das Vorkastell gemalte Buchstaben erkannte.

Es war die San Carlos und die spanischen Überläufer erkannten es als das Schiff, dessen Ankunft mit um so größerer Spannung und Besorgnis entgegengesehen wurde, da es mit Lebensmitteln und Munition für die Zitadelle beladen war. Die Insurgenten hatten daran Überfluss, während sie den Spaniern auszugehen anfingen.

Das Schiff näherte sich dem Anschein nach ohne alles Misstrauen. Der Kapitän allerdings war ein alter Seewolf, der wohl wusste, wie veränderlich das Glück der Waffen ist.

Alles auf der Insel freute sich schon auf den Fang, als plötzlich die San Carlos beilegte und zur Seite des spanischen Banners eine zweite Flagge himmelblau mit goldenen Sternen aufzog. Man schien an Bord von der Insel das entsprechende Signal zu erwarten.

Dieses geheimnisvolle Signal der Brigg setzte die Insurgenten in Verwirrung, da unglücklicherweise keiner der neuen Soldaten es kannte. Der einzige Ausweg, der ihnen blieb, war, eine zweite spanische Flagge an der Seite der ersten aufzuhissen. Nach längerem Umhersuchen fanden sie in einem Winkel der Verschanzung ein Stück rotes Tuch mit einer Zeichnung, die ehemals eine goldene Sonne hatte vorstellen sollen und die merkwürdigerweise den Sternen der San Carlos zu entsprechen schien.

Ehe eine solche Antwort aufs Geratewohl gegeben wurde, hielt Galeana es für klug, den Galizier an den Strand vorgehen zu lassen.

Dieser gehorchte und schrie, sich seiner Hände als Sprachrohr bedienend, mit seiner durchdringenden rauen Stimme: »Der Kommandant der Insel lässt dem Hauptmann der Brigg sagen, dass er sich glücklich schätzen würde, ihn am Ufer zu sehen, da er ihm eine Nachricht von der größten Wichtigkeit mitzuteilen hat.«

Der Hauptmann der Brigg erschien auf dem Verdeck. Es war ein Seemann mit grauen Haaren und bedächtigen Mienen; er rief durch sein Sprachrohr:

»Ich wünsche vor allem zwei Dinge, zuerst, dass der Herr Kommandant mir die Ehre erzeige, seine Einladung persönlich zu wiederholen, und zweitens, dass er mein Signal auf andere Weise, als dass er noch eine zweite Nationalflagge aufsteckt, beantworte.«

Der Galizier strich sich verlegen mit der Hand durch die Haare.

»Herr Kapitän«, rief er, »in dieser Zeit der Verwirrung kann man sich nie als zu aufrichtiger Patriot zeigen.«

»Das ist wahr«, erwiderte der Kapitän der Brigg.

»Der Kommandant der Insel würde sich glücklich schätzen, Euch persönlich willkommen zu können«, fügte der Galizier hinzu. »Die Ärzte haben ihm aber in Folge einer Unverdaulichkeit verboten, sich der scharfen Luft und der Sonne auszusetzen. In Bezug auf die Signale muss ich Euch melden, dass beim letzten Sturm der Blitz eingeschlagen hat und sie mit Ausnahme eines Einzigen ein Raub der Flammen geworden sind.«

»Macht doch dem Kommandanten meine Beileidsbezeugungen«, erwiderte der Hauptmann der Brigg mit spöttischem Ton, »und sagt ihm, dass wenn er Aufträge an Don Pedro Valdez habe, ich sie gern ausrichten würde.«

»Wartet doch! Die Flagge, die uns geblieben, ist gewiss die richtige, und jedes Missverständnis wird aufhören, sobald Ihr sie flattern seht. Überlassen wir’s dem Zufall«, fügte der Galizier leise hinzu, indem er sich zu seinen Kameraden umwandte.

Nach wenigen Sekunden flatterte die verstümmelte Flagge an der Seite der beiden spanischen Banner.

Der Hauptmann des San Carlos richtete sein Fernrohr auf den Lappen blauen und gelben Zeuges, der sich im Wind mit allem Stolz eines bettelhaften Kastilianers blähte. Fast atemlos warteten die Insurgenten das Resultat seiner Prüfung ab. Der Galizier hatte sich nicht getäuscht, als er behauptete, dass jedes Missverständnis beim Anblick des Signals schwinden würde, denn wie die Sterne vor der Sonne verschwinden, so wurde auch das Sternenbanner plötzlich fortgenommen. Dann legte sich, um zu zeigen, dass der Hauptmann keinen Zweifel mehr über die Besatzung der Insel hege, die San Carlos auf die Breitseite und schleuderte eine volle Kugellage auf die am Strand Versammelten, von denen eine den Galizier mitten auseinanderriss.

Ein einstimmiger Schrei getäuschter Hoffnung und Rache war die Antwort auf dieses unmenschliche Verfahren des spanischen Kapitäns. Durch allen Lärm aber drang die gewaltige Stimme Galeanas: »Geentert!«

Don Hermenegildo sprang, Wort und Tat vereinend, in eine der am Strand festgebundenen Barken. Auch die Übrigen waren bald mit Soldaten bemannt, die von dem Geist des nach Nahrung lechzenden Jägers, wenn er seine Beute entschlüpfen sieht, beseelt waren.

Costal hatte sich in Begleitung seines treuen Clara sogleich in die Jolle Galeanas gestürzt, die ein langes, schmales und leichtes Fahrzeug war, dessen vorzügliche Bauart und Festigkeit Costal schon früher schätzen gelernt hatte. Lantejas versuchte, wiewohl vergeblich, an der Seite seiner gewöhnlichen Gefährten Platz zu nehmen, doch die Jolle war schon zu sehr beladen und er genötigt, sich in die erst beste Barke zu werfen.

Dieses Manöver war zwar schnell, aber doch nicht ohne den durch die Vorsicht gebotenen Aufenthalt vor sich gegangen, sodass sich die spanische Brigg schon mit geschwellten Segeln in ziemlicher Entfernung befand, als das Signal zum Aufbruch gegeben wurde.

Don Cornelio sah sich nicht ohne einen gewissen Widerwillen zum zweiten Mal auf dem gefahrbringenden Element. Überdies gehörte ein Seegefecht ganz und gar nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Dennoch ergriff auch ihn zuletzt der allgemeine Jubel und er blickte mit Wohlbehagen auf das Schauspiel, das die kleine Flotte darbot.

Die Sonne stand schon tief im Westen und färbte das weite Becken mit purpurfarbenen Linien, auf dem die sechs Fahrzeuge mit ihrer Bemannung von sechzig Leuten, die von dem Wunsch nach Rache brannten, miteinander wetteifernd hinflogen.

Die San Carlos setzte vor ihnen ihre Fahrt schnell fort. Die schrägen Strahlen der Sonne spiegelten sich glitzernd auf den Kupferplatten ihrer Bekleidung, während die Masten von einer Wolke weißer Segel bedeckt waren. Man hätte sagen können, ein Schwan mit roten Füßen und schneeweißem Gefieder durchfurche die Gewässer der Lagune. Auf allen Barken erschollen Hurrarufe, wie sie die Jäger ausstoßen, die den Dammhirsch in der Ebene verfolgen. Der Kiel der Fahrzeuge warf, das Meer durchschneidend, Schaumwellen auf der blauen Oberfläche auf. Es galt, der Erste zu sein, der sich an die Flanken der spanischen Brigg legte. Die einen bogen ihre Bajonette um, in der Absicht, sie als Enterhaken zu benutzen, die anderen, und dies waren vornehmlich die Leute Galeanas, die sich nie von ihren Lassos trennen konnten, schwenkten dieselben über ihrem Kopf, um sie im günstigen Augenblick in das Takelwerk schleudern zu können und um an Bord zu klettern.

Nach und nach wurde die Entfernung, welche die Insurgenten von der San Carlos trennte geringer. Sie feuerte zwar noch einige Male nach den Booten, aber die Kugeln der schlechter gerichteten Kanonen flogen über die Köpfe der Mexikaner hinweg und schlugen schadlos in das Meer. Die Notwendigkeit, sich auf die Breitseite zu legen, um ihre Artillerie wirksam spielen lassen zu können, hielt die Brigg einige Augenblicke in ihrer Fahrt auf und ließ die Barken Terrain gewinnen. Ein nicht enden wollendes Pfeifen und beleidigender Spott beantwortete jedes Mal mit höhnischer Ironie die nutzlosen Salven der Brigg.

Schon wurden die Bastionen des Forts in der Ferne sichtbar, als Costal im Boot Galeanas, welches das Erste war, einen Schrei ausstieß und einen unvorhergesehenen Zwischenfall anzeigte, der bald zur Kenntnis aller gelangte.

Während die San Carlos floh, hatten sich auf der Höhe des Schlosses eine Menge Zuschauer eingefunden. Weiterhin war auch der Strand in der Nähe des Lagers Morelos’ mit Soldaten bedeckt, die aus Mangel an Fahrzeugen ihren Kameraden nicht anders als mit ihren Wünschen beistehen konnten.

Plötzlich erschienen sechs spanische Kähne, die sich, die Spitze des Forts umsegelnd, zur Brigg wandten, um ihr Hilfe zu bringen.

Costal hatte mit seinem Schrei die Erscheinung der feindlichen Barken angezeigt. Der sich nun entstehende Kampf war das Schauspiel, dem die Soldaten der Festung und die Morelos’ zuschauten. Beim Anblick der unerwarteten Verstärkungen für die Brigg beeilten sich die mexikanischen Barken, auf ein Zeichen Galeanas um die Jolle zu scharen, auf der er sich befand, um seine Befehle entgegenzunehmen.

Dass leichte Fahrzeuge ohne Kanonen ein Kriegsschiff unter vollen Segeln anzugreifen wagten, das sie leicht in den Grund segeln konnte, war schon ein tollkühnes Wagestück. Die Hilfstruppen, die zur Unterstützung der Brigg heraneilten, machten die Sache noch verwegener.

Man hielt so schnell wie möglich Rat.

»Hauptmann Lantejas, was ist Eure Ansicht?«, fragte Galeana.

»Wenn die Verwegenheit oft eine Ursache des Sieges ist«, antwortete der Hauptmann mit einigem Stocken, »so …«

»Gut! Eure Meinung geht dahin, anzugreifen, ich wusste es schon«, unterbrach ihn Galeana.

Lantejas, der nicht zu widersprechen wagte, machte ein bejahendes Zeichen mit dem Kopf.

»Und Ihr, Don Amadeo?«, fragte Galeana einen zweiten Offizier.

»Ich bin der Meinung, dass die gewöhnliche Klugheit zum Rückzug rät«, erwiderte Don Amadeo.

Galeana runzelte die Stirn.

»Eure Meinung, Hauptmann Salas?«, fragte er einen Dritten.

»Kämpfend sich zurückziehen«, rief Salas, »das hieße mit anderen Worten fliehen. Was würde unser General denken, der sich überdies schon wundern wird, dass wir beraten, während doch Männer mit Mut handeln müssten? Greifen wir an!«

Zahlreiche Beifallsrufe begleiteten die Worte Salas.

»Meine Ansicht zählt für zwei«, sagte Galeana. »Wir wollen angreifen, wir sind vier gegen sechs. Vorwärts, es lebe Morelos!«

Auf diese Weise schnitt Galeana öfter ohne jedes Protokoll Fragen dieser Art ab und niemand wagte seiner Entscheidung zu widersprechen. Die feindlichen Barken näherten sich so hastig, dass ihre Vereinigung bei der Brigg den Kampf unabweisbar machte, selbst wenn die Mexikaner den Gedanken gehabt hätten, zu fliehen.

»Achtung«, rief Galeana, »lasst uns angreifen und jeder auf seinen Posten. Zerstreut Euch, denn die Brigg schickt sich an, uns eine Ladung zu geben.«

Die San Carlos legte sich auf die Breitseite, viel dichter Rauch drang aus seinen Stückpforten, ein ohrenbetäubendes Böllern ließ sich vernehmen und die Kugeln schlugen spritzend ins Wasser.

Plötzlich stieß Don Cornelio einen Schrei aus.

»Seid Ihr verwundet, Lantejas?«, rief Galeana.

Bevor Don Cornelio noch zu Wort kommen konnte, hatte ein Blick Galeana überzeugt, dass der Ex-Student heiler Haut war.

Ein zerfetzter Körper sank zu seiner Seite nieder. Es war der Hauptmann Salas, dem eine Kugel den Kopf weggerissen hatte. Cornelio wischte sich das Blut ab, mit dem er bespritzt wurde.

»Der Teufelskerl, der Hauptmann!«, rief Galeana, nach der San Carlos zeigend. »Meine Freunde, rächen wir den braven Salas. Vorwärts!«

Die Jolle, in der sich Galeana, der Indianer und der Schwarze befanden, schoss mit Blitzesschnelle den übrigen Fahrzeugen voran, aus denen sich ein allgemeines Wutgeheul zur Sühne für einen Offizier erhob, den seine Tapferkeit überall beliebt gemacht hatte und der nun als der Erste für seinen angeratenen Edelmut den Tod fand. Die verhängnisvolle Salve der spanischen Brigg erhöhte noch die Wut der Revoluzzer. Die Ruderer beugten sich über ihre Riemen und die Barken stritten um den Vorrang, zuerst anzukommen, wie bei einer Wettfahrt auf einem See.

Obgleich, wie schon erwähnt, Don Cornelio Lantejas, der Hauptmann der Insurgenten, keine besonders kriegerische Stimmung hatte, so riss ihn doch die allgemeine Begeisterung mit fort.

Angefeuert durch den Gedanken, dass er unter den Augen einer zahlreichen und befreundeten Abteilung, die sich an der Küste erwartungsvoll versammelt hatte, kämpfen sollte, und begeistert von dem Geschmetter der Hörner und Trompeten, deren Töne vom Ufer und vom Fort herüberklangen, bemächtigte sich seiner ein edler Wetteifer und er begriff zum ersten und letzten Mal in seinem Leben die wilde Triebhaftigkeit des Soldaten, der seine zügellose Wut in einem entsetzlichen Blutbad kühlt. Unter diesem Geschmetter der Fanfaren und dem kriegerischen Gezeter flogen die mexikanischen Barken über den glatten Wasserspiegel hin, als man plötzlich die sechs spanischen Barken sich in einer einzigen Linie in der Länge vor der Brigg aufstellen sah, gleichsam um den Angriff der Feinde von ihr abzuwehren.

Die Aufmerksamkeit Don Cornelios wurde durch den Ruf, der von der Admiralsjolle ausging: ›Der Mann in der Bayeta!‹ auf die Barke hingelenkt, in der sich der so bezeichnete Mann befand. Der dunkelblaue Mantel, mit dem er bedeckt war, verhinderte, seine Züge zu erkennen.

Dieser geheimnisvolle Kämpfer wurde sogleich der Gegenstand der gewagtesten und auch abgeschmackten Vermutungen. Die einen behaupteten, dass die Vorsicht, die er anwandte, sein Gesicht zu verbergen, eine von seinem Beichtvater auferlegte Bußübung sei. Andere meinten, er sei eine hervorragende Persönlichkeit des Madrider Hofs, und noch andere gingen sogar so weit, in ihm den König von Spanien selbst zu vermuten.

Was nun auch an diesen Vermutungen sein mochte, die Jolle Galeanas drängte sich aus der Reihe der Übrigen eilig hervor und steuerte gerade auf die Barke zu, in welcher der seltsam verkleidete Mann gesehen worden war, als ob dies in Wahrheit ein Feind von größerer Wichtigkeit gewesen wäre. Dies war das Zeichen zum Angriff.

Von Neuem erschollen Fanfaren vom Ufer und vom Fort her, aber ein lebhaftes Gewehrfeuer übertönte bald den Lärm der kriegerischen Musik und unter der weißen Rauchwolke, unter dem Geschrei derer, welche die Kugeln verwundet oder leblos in die Boote niedergeworfen hatten, wurden die Barken handgemein und die Kämpfer standen jetzt Mann gegen Mann. Das Gefecht war kurz, aber blutig.

Zum ersten Mal sah man die Costennos (Küstenbewohner unter Galeanas Befehl) sich ihrer nie fehlenden Lassos in einem Seegefecht bedienen und die Aufrührer würden gewiss ihre Feinde aufgerieben haben, wenn ihnen eine größere Anzahl zu Gebote gestanden hätte. Denn noch ehe der Kahn, auf dem sich Lantejas befand, dem ihm gegenüberstehenden feindlichen erreicht hatte, waren schon drei Spanier auf eine Entfernung von zwanzig Schritten vom Lasso ergriffen und ins Meer gerissen worden.

Von beiden Seiten kämpfte man nur noch mit der blanken Waffe, eine stille und schreckliche Arbeit. Plötzlich zeigte ein Geheul, das von der Besatzung des Schlosses ausging und auf das die Soldaten Morelos’, die am Strand Zuschauer des Kampfes waren, antworteten, einen neuen Zwischenfall an. Die Wut machte in demselben Augenblick dem Erstaunen Platz und wie mit einem Zauberschlag war der Kampf eingestellt, die Barken machten sich voneinander frei und entfernten sich. Es entstand ein unwillkürlicher Waffenstillstand. Keuchend vor Anstrengung, ruhten sich die Kämpfer aus und nun konnten sie, soviel es noch die Helligkeit des Tages erlaubte, die Ursache des Geheuls erkennen, das sie getrennt hatte.

Die Brigg war unter den Mauern der Festung vor Anker gegangen und hisste den letzten Sack Mehl auf, womit sie die Belagerten versorgten. Während die Insurgenten unnütz ihr Blut verspritzten und ihre Feinde wenigstens darum kämpften, sich mit Lebensmitteln zu versehen, hatte die San Carlos in aller Ruhe ihre Ladung gelöscht und den Mexikanern blieb die getäuschte Hoffnung und für den Augenblick die Ansicht der Brigg, die mit vollen Segeln davoneilte und bald im Abendnebel verschwand.

Von den sechs Barken, aus denen die Flotte der Insurgenten bestand, hatte nur eine den Kampf noch nicht eingestellt, es war die Jolle Galeanas. Darin befanden sich, wie schon erwähnt, der gegenwärtige Admiral und der Indianer, die Gefährten Lantejas’, die ihm wirklich teure Freunde waren, und namentlich der Indianer, sein gewöhnlicher Retter. Leicht am Kopf verwundet, dachte Lantejas kaum an seine Wunde. Seine Blicke hingen mit Besorgnis an der Barke des Admirals.

Noch war das Zwielicht schwach konsistent, dass man noch Galeana, Costal und den Schwarzen in der Verfolgung des Feindes, der mit allen Rudern zu entfliehen suchte, hätte unterscheiden können. Auch erkannte Lantejas den Mann im Mantel ganz deutlich.

Als die fünf spanischen Barken sahen, dass sie ihren Zweck erreicht hatten, der bekanntlich in dem Schutz der Brigg zum Ausladen der Nahrungsmittel bestand, wandten sie sich ab und ruderten mit aller Vitalität zum Fort zurück.

Die Flüchtlinge wurden mit Hohngeschrei begleitet und viele wollten sie verfolgen. Lantejas, der nach dem Tod des Hauptmann Salas und in Abwesenheit Galeanas das Kommando übernommen hatte, gab den Befehl, Letzterem zu Hilfe zu eilen.

In einem Augenblick hatte sie ihre Ungeduld und der Wunsch, ihrem General zu helfen, die Jolle desselben erreichen lassen. Galeana hatte soeben die feindliche Barke erreicht und angegriffen und Lantejas war der Zeuge eines kurzen und blutigen Kampfes. Er sah, wie Don Hermenegildo nach seiner Gewohnheit alle Feinde niedermähte, die er erreichen konnte. Er sah ferner Costal einen Augenblick mit dem Vermummten in einem wirren Knäuel verschlungen, dann aber den Letzteren plötzlich ins Meer springen, um das Ufer zu erreichen. Costal war von den Ruderern angegriffen worden und hatte wie ein Verzweifelter mit ihnen zu kämpfen, dann aber sah Lantejas ihn ihrem Angriff ausweichen und wie ein Wütender zur Verfolgung der geheimnisvollen Subjekt ins Meer springen.

»Ah!«, rief einer der Insurgenten. »Dem Heiden scheint daran gelegen zu sein, zu wissen, wer der Mann im Matrosenmantel ist.«

»Er will Lösegeld vom König von Spanien«, sagte ein anderer.

Die Mexikaner waren nur noch ein kleines Stück von Galeana entfernt, als sie ihn mit den seinen in das feindliche Fahrzeug springen sahen. In dem Augenblick, wo sie sich ihm näherten, stürzte der letzte Spanier erdolcht ins Meer. Galeana stieg nun wieder in seine Jolle, stieß mit einem verächtlichen Fußtritt die feindliche Barke ins Meer und überließ sie den Wellen desselben.

»Costal? Wo ist Costal?«, rief Don Cornelio.

»Ah, Ihr seid es, Hauptmann!«, erwiderte Galeana, als die Kampfeshitze sich so weit gelegt hatte, dass er Lantejas wiedererkennen konnte. »Nun, Costal ist auf der Jagd. Er ist mit den schlecht dressierten Jagdhunden zu vergleichen, die immer ihre Hitze fortreißt. Da ist er!«

Als Galeana noch sprach, konnte man vage einen Schatten unterscheiden, der am Ufer festen Fuß fasste. Dann erhob sich eine andere Gestalt, die ebenso wenig am Ufer zu unterscheiden war, und stürzte der ersten nach.