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Interessante Abenteuer unter den Indianern 11

Interessante-Abenteuer-unter-den-IndianernJohn Frost
Interessante Abenteuer unter den Indianern
Erzählungen der merkwürdigsten Begebenheiten in den ersten indianischen Kriegen sowie auch Ereignisse während der neueren indianischen Feindseligkeiten in Mexiko und Texas

Der Jungfern-Fels

Gerade unter den Fällen von San Anthony, etwa im 44° nördlicher Breite und 95° westlicher Länge gelegen, nimmt das Bett des Mississippi, tiefer und breiter werdend, als es gewöhnlich ist, das Ansehen und den Charakter eines Sees an, welchen die Franzosen Lac Pepin nannten. Dieser See ist 21 Meilen lang und etwa 2 ½ Meilen breit. An den meisten Stellen füllt er das Tal zwischen den Höhenzügen, welche sich längst des Ufers ausbreiten, in einer regelmäßigeren Art als die Hügel, die man an den Ufern der Flüsse trifft. Statt des raschen Laufes des Mississippi, der sich um zahlreiche Inseln herumwindet, deren Oberfläche bisweilen mit Holz und mit kahlen Sandbänken bedeckt ist, bietet hier der See eine ununterbrochene Fläche von Wasser dar, welches der Reisende oft still und ruhig wie einen Spiegel vorfindet. Die Indianer fahren nicht gern über den See, wenn der Wind stark ist, denn, obgleich er schmal, so ist er doch tief und so leicht in Aufregung, dass es lebensgefährlich ist, sich in einem zerbrechlichen Kahn seinen Wellen anzuvertrauen.

Ungefähr den halben Weg am See aufwärts erhebt sich sein östliches Ufer zu einer Höhe von 500 Fuß. Die niederen 300 Fuß bestehen aus einem sehr abgerissenen und steilen Abhang, der sich von dem Rand des Wassers bis zum Fuß des nackten Felsens ausbreitet, welcher sich zweihundert Fuß perpendikulär erhebt.

Das Wilde der Szene ist für den Reisenden von der Art, dass er, von der Erhabenheit und Schönheit dieses Platzes ergriffen, mit Bewunderung die Höhen an beiden Seiten des Mississippi bestaunt. Hier ist der jähe, raue Fels zu sehen, dessen Fuß von der Wassermasse bespült wird, welche gewöhnlich eine ruhige, ungetrübte Fläche zeigt, in starkem Kontrast mit den wilden Zügen der umgebenden Landschaft. Das Herz des Menschen muss kalt sein, der ungerührt und ohne Interesse diese erstaunlichen Felsenriffe, welche den See einschließen, betrachten kann.

Der Franziskaner Louis Hennepin, der erste weiße Mann, der ihn je sah, nannte denselben Tränen-See. Als nämlich seine Partie von den Indianern zu Gefangenen gemacht wurde, hielten sie am Fuß dieser Abhänge Beratung, in der beschlossen wurde, dass er und seine Genossen den folgenden Tag getötet werden sollten, von welchem Schicksal sie indessen befreit wurden. Die mutwilligsten Taten von Grausamkeit, die hier vollbracht wurden, werden nie an das Tageslicht kommen. Doch ist uns eine von einem Indianer erzählte höchst interessante Anekdote bewahrt worden, bei deren Erwähnung das Herz beklommen fühlt.

Wir können sie nicht als Muster empfehlen, doch zeigt sie, dass der rote Mann, trotz aller für sein Schicksal gewöhnlich eingeimpften Gleichgültigkeit und Fühllosigkeit, dennoch nicht ganz ohne alles Gefühl ist.

In jenen Jahren gab es in der Nation der Dakota einen bejahrten und berühmten Anführer mit Namen Wapasha. Es war zu seines Vaters Zeit, wo eines der traurigsten Ereignisse unter den Indianern stattfand, gerade auf demselben Fleck, den wir oben beschrieben haben.

Es war zu dieser Zeit im Stamm des Wapasha eine junge Frau mit dem Namen Winona, ein Wort, welches als erstgeboren übersetzt werden kann. Sie war ihren Eltern teuer und ein Liebling des ganzen Stammes. Sie versprach ihr Leben mit einem jungen Jäger derselben Nation zuzubringen, der sie sehr liebte. Er wendete sich an ihre Eltern, um sie heiraten zu dürfen, war aber sehr erstaunt, eine abschlägige Antwort zu erhalten, indem man ihm sagte, dass sie bereits an einen Krieger von Auszeichnung versprochen sei. Der Letztere hatte sich einen Namen durch die Dienste, die er seinem von den Chippewa angegriffenen Dorf erwies, erworben. Angefeuert durch Winonas Eltern und Bruder verfolgte er seinen Plan mit großer Beharrlichkeit, obgleich sie ihn beständig zurückwies und in ihrer Vorliebe für den Jäger verharrte.

Auf das Zureden ihrer Freunde zugunsten des Kriegers erwiderte sie, dass der Jäger ihre Wahl sei, der sein Leben ihr weihen wolle. Wenn sie aber den Krieger annehme, so würde er immer abwesend sein, um Kriegstaten auszuführen, sich Gefahren aussetzen und seine Familie einer drückenden Lage überlassen. Winonas Erklärungen machten auf ihre Eltern keinen Eindruck. Nachdem sie die Entfernung ihres Liebhabers bewirkt hatten, gebrauchten sie gewaltsame Mittel, um sie mit dem Mann zu vermählen, den sie gewählt hatten. Bisher war Winona die Freude ihrer Eltern und genoss mehr Freiheit, als man einem Indianermädchen gestattet.

Ungefähr um diese Zeit bildete sich eine Bande, um nach dem See Pepin zu gehen und sich dort einen Bedarf blauen Tones zu verschaffen, der an dessen Ufern gefunden wird und den die Indianer zum Bemalen des Körpers gebrauchen. Die Eltern und Brüder von Winona und sie selbst zogen mit. Am Tag ihrer Ankunft bei dem See beschenkten ihre Brüder den Krieger, was denselben ermutigte, wieder um sie anzuhalten. Er wurde aber von Neuem zurückgewiesen.

Ihr Vater, der keinen Widerspruch gewohnt war, wurde immer zorniger und erklärte, dass die Heirat an demselben Tag vollzogen werden solle.

»Ihr lasst mir keine Hoffnung«, sagte Winona. »Ich erkläre Euch, dass ich ihn nicht liebe und nicht mit ihm leben will. Seit ihr den Jäger von mir vertrieben habt, wünsche ich unverheiratet zu bleiben, aber ihr duldet es nicht. Ist dies eure Liebe für mich? Ja! Ihr habt ihn, der mich liebt, aus unserem Dorf verjagt, und nun wandert er allein in den Wäldern. Er hat keine, die ihm sein Lager macht und seine Decke ausbreitet, keine, welche ihm aufwartet, wenn er müde und hungrig von der Jagd heimkehrt. Es würde euch noch mehr freuen, wenn er noch weiter entfernt wäre und ich mich mit einem anderen vereinige!«

Einen traurigen Blick auf Vater und Mutter werfend, zog sie sich nach Beendigung dieser Worte langsam aus der Versammlung zurück.

Die Vorbereitungen für das Hochzeitsfest hatten bereits begonnen, als Winona ihren Weg stillschweigend zur Spitze des Hügels einschlug, und nachdem sie den Gipfel desselben erreicht hatte, von dem Abhang herab ihre Freunde rief. Ein leichter Wind trug ihre Stimme über die Oberfläche des Wassers und ihre letzten Worte drangen zu ihrer Eltern.

»Lebt wohl! Ihr wart grausam genug gegen mich und meinen Geliebten. Ihr versuchtet mir zu drohen, aber ihr kanntet mich nicht. Seht nun zu, ob ihr mich zwingen könnt, einen zu heiraten, den ich nicht liebe.«

Ihre Brüder rannten voll Verzweiflung der Spitze des Felsens zu, um ihr Vorhaben zu vereiteln, während andere an dessen Fuß eilten, um sie in ihren Armen aufzufangen. Ihre bejahrten Eltern versuchten mit Tränen in den Augen sie durch Zeichen zurückzuhalten. Aber alles war vergeblich. Als der letzte Ton ihrer Worte über den ruhigen See hinflutete, sahen sie dieselbe von der Höhe des Felsens hinunterspringen. So oft einer der Dakota in seinem leichten Kahn an dieser Stelle vorüberfährt, erhebt er für einen Augenblick seine Augen zu der schwindligen Höhe, die noch der Jungfern-Fels heißt. Die Erinnerung an Winonas trauriges Los macht sein Herz sorgenvoll, aber er hofft, dass sie zum großen Meister des Lebens gegangen ist, wo sie ein besseres Los erwartet, in dem kein Kummer sie heimsuchen und sie beunruhigen wird.

So war die Geschichte, die Wapasha, ein bejahrter Indianer-Chief, erzählte, der, dazumal als junger Mann, Augenzeuge davon war. Während er diese Geschichte erzählte, schien die Schwäche des Alters aus seinen Gliedern zu verschwinden. Die augenblickliche Rückkehr seiner Jugend beurkundete den tiefen Eindruck, den sie auf sein Gemüt machte.

Winona war eine nichtzivilisierte Indianerin. Sie hörte nie die Worte des Herrn über unser Leben: Du sollst nicht töten. Sie wusste nicht, dass der im Geist Geduldige besser ist als der Stolze. Aber lasst die, welche das Wort Gottes lesen können, eingedenk sein, dass diejenigen, welche den Übeln des Lebens durch Selbstmord sich zu entziehen trachten, viel schlechter sind, als der roheste Wilde der Wildnis.