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Der goldene Fels Kapitel 3

Der-goldene-FelsRobert Kohlrausch
Der goldene Fels
Kriminalroman, Alster-Verlag, Hamburg, 1915

Drittes Kapitel

Es war zwölf Uhr geworden, bis die letzten Gäste das Haus verlassen hatten. Martha war dann gleich zu ihrem Mann getreten, und sie waren zusammen in ihre Wohnung hinausgegangen, die das zweite Stockwerk des großen Hauses einnahm. Karl Georg hatte daneben noch ein Arbeitszimmer im Erdgeschoss bei dem des Kommerzienrates, der ihn damit unter Aufsicht halten konnte.

Vom Trinken war ein warmes Rot auf des jungen Mannes Gesicht, in seinen Bewegungen aber volle, sichere Beherrschung. Zähne und Augen lachten und leuchteten wie gewöhnlich, und nur auf der Stirn lag eine ganz leichte Spannung wie von einer geheimen Erwartung. So stand er im vollen Zauber der eigenartigen Schönheit, wie sie die Mischung von deutschem und fremdem Blut erzeugt, vor seiner Frau in dem kleinen, fliederfarbigen Salon, wo sie zu wohnen pflegte.

»So, jetzt kann ich dich in Ruhe hören«, sagte Martha mit einem Ton, in dessen Freundlichkeit etwas Erzwungenes war.

»Ach, es ist scheußlich, dass wir gerade heute von Geschäften reden müssen. Wenn ich dich so vor mir habe, komm, gib mir einen Kuss.«

Er zog sie an sich und küsste sie. Martha duldete seine Liebkosung ohne Widerstreben, doch lief ein leichtes Erzittern über ihre Gestalt.

»Und nun die Geschäfte, nicht wahr?« Sie hatte sich losgemacht und stand ihm wieder frei gegenüber.

»Leider muss es sein. Also, ich habe heute vor der Gesellschaft mit Vater gesprochen.«

»Du brauchst Geld?«

»Hat er es dir gesagt?«

»Wenn du von Geschäften redest, handelt sich’s immer um Geld.«

Er lächelte sie mit seinem strahlenden Lächeln an. »Was für eine gescheite Frau ich habe!«

»Ja, ich kenne dich.« Ihre Worte klangen hart und bitter, doch schien es ihr selbst unlieb. Denn sie fügte gleich in sanfterem Ton hinzu: »Sag’ mir, um was es sich handelt.«

»Ich habe Vater gesagt, ich möchte gern für dich ein Auto kaufen.«

»Ich danke dir, aber ich kann gut ohne das leben. Und vor allem ist es mir unklar, was das mit deinen sogenannten Geschäften zu tun hat.«

»Ach, Schatz, das verstehst du nicht. Nimm einmal an, dass ich mich in einer momentanen Verlegenheit befinde, dass ich rasch die Summe von ein paar Tausend Mark nötig habe, sechstausend sind es übrigens nur. Wenn wir dir nun ein Auto gekauft hätten, sieh, wir haben Kredit, wir hätten es nicht gleich zu bezahlen brauchen, wir hätten das Geld für eine erste Anzahlung erst einmal vom Vater bekommen …«

»Und wer hätte das Auto bezahlt?«

»Oh, das hatte ja Zeit, es hätte sich später schon gefunden, aber ich, sieh, mir wäre für den Augenblick erst einmal geholfen. Denn ich muss das Geld haben, unbedingt notwendig, bis morgen.«

»Du hast wieder gespielt?«

»Warum soll ich gespielt haben?«

»Weil du es immer tust. Weil du es wieder und wieder tust, obwohl du Vater das Ehrenwort gegeben hast, es nicht mehr zu tun. Und jetzt soll ich zu ihm gehen und ihm sagen: Karl Georg hat sein Ehrenwort gebrochen. Bitte, gib ihm zur Belohnung sechstausend Mark.«

»Du bist im Irrtum, Schatz, wahrhaftig, die Sache liegt ganz anders. Ich bin töricht gewesen, gewiss, aber ich habe nicht gespielt, ich habe mich nur für einen Freund verbürgt … Er muss morgen bezahlen … Ich muss für ihn eintreten, weil er selbst es nicht kann. Sieh, Kind, bei solchen Sachen handelt sich’s um die Ehre. Du würdest einen Mann doch nicht haben wollen, dessen Ehre nicht völlig tadellos wäre.«

Ein Wort von schneidender Bitterkeit schien sich ihr wieder auf die Lippen drängen zu wollen, aber sie bezwang die Regung und sagte ruhig: »Warum du nur immer in solchen Kreisen verkehren musst, wo dir so etwas passiert.«

»Ja, das lässt sich nicht ändern, man muss doch auf sich halten. Gerade ich, der Name, den ich trage, klingt ja nach Adel. Bei deinem Vater hat er auch wohl das Beste getan, als er dich mir gab. Aber ein eigentlicher Adel ist es doch nicht, wenigstens hier in Deutschland. Umso mehr muss ich gute Gesellschaft aufsuchen, das ist auch für das Fortkommen in der Welt ungeheuer wichtig. Und alle die Leute, die hier meine Gesellschaft bilden, ich kann dir sagen, alle tip top, first class!«

»Dann sollten sie dir auch dein Geld lassen.«

»Du wirst mir helfen, Schatz, nicht wahr?«

»Du weißt, solch ein Gespräch zwischen uns hat furchtbar wenig Zweck. Vater hat uns in eine Lage versetzt, in der wir mit nur einiger Vernunft vollkommen gut und behaglich leben können. Wir zahlen ihm nichts für Wohnung und Unterhalt hier und haben außerdem dein Gehalt von zehntausend Mark. Dies gibt er und gibt es gern. Darüber hinaus aber, du kennst ihn so gut wie ich, ist nichts von ihm zu erwarten. Ich selbst habe vorläufig kein Vermögen, das ich angreifen könnte. Und wenn ich es hätte, so würde mich wahrscheinlich die Rücksicht auf unseren Hans abhalten, es zu tun.«

»Aber es ist ja doch unser Geld! Alles, was Vater uns gibt, wird ja von deinem Vermögen abgezogen. Wenn wir zusetzen, wir tun es von unserem Geld, nach dieser wunderbaren Bestimmung, die mir am Tag vor unserer Hochzeit, ausgerechnet am Tage vor unserer Hochzeit, in aller Seelenruhe mitgeteilt wurde. Wenn dein Vater noch lange lebt, so kann es passieren, dass wir überhaupt nichts mehr bekommen bei seinem Tod!«

»Sprich nicht so vom Vater, sprich nicht von solchen Dingen, ich kann es nicht hören!«

»Ich will dich nicht kränken, Kind, es wäre ja schlecht und unklug von mir, wenn ich dich gerade heute kränken wollte. Ich habe dich dazu ja viel zu lieb. Ach, du bist heute so schön.«

Er wollte sie noch einmal in die Arme ziehen, aber sie trat rasch von ihm zurück und sagte, nun mit jener kühlen Ruhe, die sie beinahe während ihres ganzen Gespräches bewahrt hatte: »Wenn du mir nichts weiter zu sagen hast, ich glaube, dann sind wir wohl fertig. Helfen kann ich dir nicht.«

»Aber du musst mir helfen! Komm, sei vernünftig und gut. Und versteh’ mich recht, ich muss das Geld haben bis morgen, ich muss!«

»Ich weiß nicht, woher ich es nehmen soll, wenn ich auch wollte.«

»Oh, du giltst viel bei deinem Vater. Du hast großen Einfluss auf ihn.«

»In anderen Dingen, gewiss. Aber nicht in Geldangelegenheiten, in Geschäften. Da steht er wie ein Fels, und nichts erschüttert ihn.«

»Ja, soll ich mir an diesem Rocher de Bronce denn die Stirn einrennen? Hilf mir, Martha, so hilf mir doch! Ich muss das Geld um jeden Preis haben!«

»Und ich sage dir zum letzten Mal: Ich kann und will dir in dieser Sache nicht helfen.«

Er sah mit einem Blick zu ihr hin, der die Luft gleich einem scharfen Pfeil durchflog. Doch sprach er nicht gleich. Er hatte die Lippen eingezogen, als ob er ein Wort von tödlicher Bitterkeit aus ihnen saugen wollte. Nach diesem drohenden Schweigen begann er dann zu reden.

»Du sprächest wohl anders, wenn du mich noch liebtest.«

Nur eine leichte Bewegung ihrer Schultern gab ihm Antwort. Und er fuhr mit noch einschneidenderem Ton fort: »Wenn du nicht noch andere Götter hättest neben mir. Einen Gott wenigstens.«

»Was soll das heißen?«

»Dass deine Liebe dort geblieben ist, wo sie war, ehe du mich kennenlerntest. Bei diesem Herrn Burkhardt. Bei dem Sohn von deines Vaters Werkmeister. Ich bin, Gott sei Dank, nicht blind und ich habe gesehen, wohin deine Blicke heute Abend gegangen sind, bei Tisch und nachher. Wer weiß, von welch süßen Erlebnissen diese Blicke zeugten? Dort waren sie, bei ihm. Und deine Augen haben geleuchtet wie damals, wenn du mich anschaust.«

»Ich wüsste nicht, warum sie bei deinem Anblick leuchten sollten. Ich habe dir gehalten, was wir einander versprachen, als wir uns heirateten. Du nicht mir. Sage mir doch, ob ich dir eine große Liebe geheuchelt habe. Nicht einmal das erste große Gefühl in mir, das ich vor unserer Ehe gehabt, die Freundschaft für meinen Jugendgespielen, habe ich dir verschwiegen. Dieses Gefühl, das du nun heute hier in den Kot ziehst. Ich habe mich redlich bemüht, eine gute Frau für dich zu sein, aber du selbst hast es mir unmöglich gemacht, dich lieben zu lernen. Zuerst war es nur ein unklares Gefühl, das mich von dir zurückstieß. Jetzt weiß ich, dass es die Warnung des Guten in mir vor dir war. Du hast mich niemals geliebt, alle deine Versicherungen waren erheuchelt und erlogen. Mein Geld war es, was du wolltest, nichts weiter. Dein wahres Gesicht ist hervorgekommen, als du nicht erlangtest, was du haben wolltest. Ich bin dir treu geblieben bis heute, du nicht mir.«

»Wirklich?«

»Ja, ja, und hundertmal, ja! Was uns heute noch verbindet, ist allein unser Kind. Um seinetwillen hab’ ich geschwiegen bis heute, hab’ es getragen, dass du mir die Treue wieder und wieder gebrochen hast. Ich weiß, wo du deine Nächte verbringst, in welchen Kreisen du dein Geld vergeudest. Ich wäre frei vor meinem Gewissen, wenn ich es machen wollte wie du, wenn ich mir Liebe suchte bei anderen. Aber dass ich es tue, das hast du gelogen!«

Karl Georg hatte sich hoch aufgerichtet. In seinen Augen war ein tückisches Feuer, und sein Gesicht verzerrte sich. Dann aber ging plötzlich ein nachdenklicher Zug darüber hin, und aus ihm wurde langsam das gewohnte Lächeln wiedergeboren. Als er nun sprach, geschah es mit sanfter Stimme: »Du bist aufgeregt, Kind, ich habe den Augenblick wohl falsch gewählt. Wir wollen die Sache für heute ruhen lassen. Bei Tageslicht sieht manches anders aus. Und was das Geld anlangt, ich muss nun sehen, ohne dich fertig zu werden. Ich gehe heute Abend noch in die Stadt.«

Sie fragte nicht, aber in ihrem raschen Umwenden des Kopfes und in ihren groß geöffneten Augen war das Erstaunen über seine Worte.

Sein Lächeln wurde stärker. »Ich denke, nach dem, was du mir heute zu sagen die Freundlichkeit hattest, wird es dir nicht unlieb sein, wenn ich dich noch etwas allein lasse. Du bleibst ja damit in der allerbesten Gesellschaft. Für heute gute Nacht, und wundere dich nicht, wenn ich spät nach Hause kommen sollte.«

Sie gab ihm auch jetzt keine Antwort, und er ging an ihr vorüber zur Tür hinaus, die zum Korridor führte. Draußen griff er nach einem grauen Herbstmantel, der am geschnitzten Kleiderbord hing, ließ aber die Hand gleich wieder sinken. Er wandte sich seitwärts und öffnete behutsam eine Tür, die von der zum Salon seiner Frau durch eine dritte Tür getrennt war. Die kleine Flamme eines Nachtlichts, das unter einer matt rosafarbigen Glocke verborgen war, goss einen sanften Schein über den Raum, den er betrat. In einem Gitterbett aus polierten Messingstäben lag auf den weißen, vom Licht sanft geröteten Kissen das Gesicht eines hübschen, schlafenden Knaben. Blonde Locken umgaben seine Stirn, ein Lächeln im Traum war auf den halbgeöffneten Lippen.

De la Motte betrachtete stumm ein paar Minuten lang das ruhende Kind. Seine Züge wurden weich in diesem Anschauen. Er umfasste die goldig blitzenden Stäbe des kleinen Bettes und flüsterte dem schlafenden Knaben zu: »Gute Nacht will ich dir wenigstens noch sagen, das wird sie mir doch wohl nicht verwehren können. Mein lieber Junge, mein lieber, lieber Junge, du sollst es besser im Leben haben als ich, besser als ich.«

Rasch, doch geräuschlos verließ er wieder den friedlichen Raum und betrat aufs Neue den Korridor. Er kleidete sich nicht um, sondern blieb im Frack, setzte nur einen weichen Hut auf und nahm den Herbstmantel um. Dann schloss er die Haustür auf und ging hinaus. Ein Windstoß, der ihn zwang, nach dem Hut auf seinem Kopf zu greifen, kam ihm als Gruß entgegen. Es war ein schöner und klarer Herbsttag gewesen, aber jetzt schien sich ein Wetterumschlag vorzubereiten. Ein schwüler, feuchter Westwind hatte sich aufgemacht und fuhr in heftigen Stößen durch das Tal. Es war kein Mondschein, doch waren Sterne am dunklen Himmel und schauten zuweilen für Augenblicke hervor, wenn eilig vorüberfliegende Wolken ihnen dafür Zeit ließen.

De la Motte war durch den Garten gegangen, der die Villa vorn und auf beiden Seiten umgab, hatte die Gittertür geöffnet und wieder verschlossen und ging nun auf der Landstraße, die von einzelnen kleinen elektrischen Lampen Licht erhielt, neben dem Garten dahin. Hier an der Seite des umfangreichen Parks mit seinen hohen Bäumen war Überwind, und Karl Georg konnte sich ungestört seinen Gedanken überlassen.

Er war in ein zorniges, tiefes Nachdenken versunken und schritt mit gebeugtem Kopf langsam dahin, die Augen starr auf den Boden gerichtet. Im Gehen fing er an, halblaut mit sich zu reden. Das wilde, zischende Rauschen des Windes in den Parkbäumen klang als Begleitung hinein. Die Natur schien den Aufruhr in seiner Seele mit ihren drohenden Lauten wiedergeben zu wollen.

»Es ist ein Hundeleben, das ich führe! Das ertrag’ ich nicht länger! Lieber tot, oder …« Sein Selbstgespräch verstummte für einen Augenblick, seine Zähne knirschten aufeinander. Dann begann er von Neuem. »Was hab’ ich von meiner Ehe? Betrogen hat mich der alte Gauner. Jeden Groschen, den ich gebrauche, zieht er mir ab. Wenn er noch lange lebt, und er hat eine gute Gesundheit mit all seinem widerwärtigen Gejammer, dann bleibt nichts mehr für mich übrig, nichts! Ich bin jung, ich will leben, ich will’s! Wofür hab’ ich diese Frau genommen, wenn nicht um ihr Geld? Ich habe sie nehmen müssen, weil ich fertig war, im Regiment und in der Welt.

Und nun stehe ich da vor ihrem Geld wie vor dem verschlossenen Geldschrank des Alten, vor diesem blanken Koloss, der mich immer anzugrinsen scheint, wenn ich ihn ansehe. Hab’ ich irgendeine Freiheit, irgendein Verfügungsrecht? Um jede Mark muss ich betteln, muss mich schulmeistern lassen wie ein dummer Junge. Von ihm, von diesem falschen Biedermann und von ihr! Ich will’s nicht länger, will es nicht länger tragen!«

Er blieb stehen und wandte sich zurück, um seine Hände geballt emporzuheben gegen die hinter den dunklen Massen des Parks verborgene Villa. Zwischen den Bäumen war hier eine Lücke, durch die sich die Berge zeigten, die jenseits des Parks das Tal begrenzten. Schwarz und hoch vor dem etwas helleren, vom wechselnden Sternenlicht matt erleuchteten Himmel wuchs der Fels dort empor, von dessen verderblichem goldenen Leuchten de la Mottes Vater an diesem selben Abend mit Hofen gesprochen hatte. Zackig, drohend und finster stand er unter den regenschweren, jagenden Wolken, die der zunehmende Wind immer gewaltsamer vor sich hertrieb.

De la Motte musste wieder zu seinem Hut greifen, als er eine Strecke weitergegangen war. Der schützende Park war hier zu Ende. Gleich einem entfesselten wilden Tier tobte der Sturm durch das Tal. Ein wenig weiter vorwärts links an der Straße zeigten sich, schwarz vor den schwarzen Bergen, die breit hin gelagerten Bauten der Helbigschen Fabrik. Sie lagen undeutlich erkennbar in der Finsternis, nur im Torwärterhaus brannte noch ein Licht.

Karl Georg nickte zu den dunklen Bauten hinüber. »Eine Goldgrube nennt man euch. Jawohl, eine schöne Goldgrube für mich! Vor der ich stehen muss wie vor den Pforten des Paradieses, in das ich niemals hineinkomme. Von Weitem anschauen darf ich das Gold, aber nie danach greifen. Wenn ich es haben will, muss ich es am Spieltisch gewinnen.«

Der Gedanke daran schien ihn ein wenig zu besänftigen. Er hob grübelnd den gesenkten Kopf, ging schneller vorwärts und murmelte: »Na, versuchen wir das Glück noch einmal. Vielleicht ist es ausnahmsweise heute gut gelaunt.«

Auf zwanzig Minuten Weges ungefähr gab es hier zwischen Fabrik und Vorstadt keine Häuser mehr. Die Landstraße führte durch ein Wiesental dahin, das noch in seinem ursprünglichen Zustand geblieben und nur auf der Seite rechts von der Straße mit halbwilden Anlagen geschmückt war. Bald kündete wachsender Lichtschein die Nähe der Stadt an, vereinzelte Häuser inmitten von kleinen Gärten drängten sich an die Straße, der weiche Weg endete auf hartem, von grellem Glanz des Bogenlichtes blinkendem Pflaster. Und als ob dieser Glanz ihn vorwärts lockte, so schritt Karl Georg nun eiliger dahin, bis er an der Kurpromenade vor einem der neuesten Riesenhotels angekommen war.

Palasthotel stand mit vornehmer Einfachheit in bescheidenen goldenen Buchstaben auf einer schwarzen Marmortafel neben dem trotz der nächtlichen Stunde noch weit geöffneten Eingang, aus dem warmer, gelber Lichtschein hervordrang. Dem Eingeweihten sagte dieser Name, dass er ein Reich des Geldes betrat, einen jener neuzeitlichen Gasthöfe, wo nicht mehr einzelne Zimmer vermietet wurden, sondern abgeschlossene kleine Wohnungen, die mit Salon, Wohnzimmer, Schlafzimmer und Bad für alle Bedürfnisse reisender Millionäre sorgen.

Der Portier kam beim Anblick des Besuchers aus der Loge hinter dem Windfang hervor, zog die Mütze und begrüßte Karl Georg mit einem devoten »Guten Abend, Herr Baron«, um dann mit einem ganz leichten, vertraulichen Lächeln hinzuzufügen: »Die Herren sind oben.«

De la Motte nickte nachlässig, ohne gegen seine Standeserhöhung zu protestieren, und stieg mit raschen Schritten die Treppe hinan, deren Stufen aus dem gleichen schwarzen Marmor wie die Tafel am Eingang gefertigt waren. Ein tiefgrüner Läufer bedeckte den Stein in der Mitte. Die Wände waren im Gegensatz dazu ganz in Weiß gehalten und nur mit einem seinen, gleichfalls weißen, Stuckornament verziert. Auch alle Türen zeigten diese freundliche Helle. Vor einer von ihnen machte de la Motte halt. Eine schmale Visitenkarte aus Pergamentpapier war an ihr befestigt. Halmar von Dellwitz war darauf zu lesen. Der Besucher drückte mit einem Finger auf den schwarz aus dem weißen Holz hervortretenden Knopf der elektrischen Glocke, worauf drinnen ein ganz feines, diskretes Klingelzeichen ertönte. Gleich darauf tat sich die Tür auf und ein etwa fünfzehnjähriger Bursche, der in eine braune Livree gesteckt worden war, erschien in einer schmalen Öffnung.

Beim Anblick von de la Motte aber nahm er die leise klirrende Sicherheitskette von der Tür und ließ den Gast eintreten, den auch er als Herr Baron anredete.

Karl Georg übergab ihm Hut und Mantel und betrat ein für ihn geöffnetes Gemach. Es war als Wohnzimmer mit behaglicher und hochmoderner Eleganz eingerichtet. Ein großer, achteckiger Beleuchtungskörper unter der Decke mit rundherum hängenden Ketten aus braunen Metallperlen übergoss es von oben mit hellem Licht, während auf den Wandflächen durch den Schatten der hängenden Ketten ein warmes Halbdunkel ruhte. Vor dem Fenster stand ein schwerer, brauner Schreibtisch, und auch auf ihm brannte eine elektrische Lampe, die mit grünem Seidenschirm überdeckt war. Trotz dieser Anzeichen von Bewohntsein war das Gemach völlig leer, und nur aus der weit geöffneten Tür eines Nebenzimmers drang der Ton sehr gedämpfter Menschenstimmen hervor.

Karl Georg trat hinein. Ein geräumiger Salon, der an Decke und Wänden ganz mit schwarz eingelegtem Holz von einer warmen, goldbraunen Farbe kassettiert und belegt war, stieß hier an das Wohnzimmer. Das Licht kam auch in diesem Salon von oben aus Beleuchtungskörpern von gelbem, geschliffenem Glas in der Form von großen, vielflächigen Kristallen. Dadurch wurden die Menschen, die hier versammelt waren, mit einem goldig warmen Ton überschüttet und gewannen durch ihn ein merkwürdiges, unwirkliches Aussehen. Die Gesichter schienen aus ganz heller Bronze getrieben, und weil verschiedene von ihnen mit angespannten Muskeln völlig bewegungslos waren, so verstärkte sich noch ein statuenhafter Eindruck.

Zwölf Personen, acht Herren und vier Damen, waren um einen langen, grün überdeckten Tisch versammelt, an dem Bakkarat gespielt wurde. Nur neun Personen beteiligten sich am Spiel. Eine der vier Damen in einem kostbaren Spitzenkleid hatte sich stumm auf einen der hochlehnigen Stühle zurückgelehnt und beobachtete durch eine goldene Lorgnette die Gesichter der Spielenden. Am Tischende neben ihr saßen zwei Herren, in denen de la Motte mit Überraschung den schönen Zebosek und Herrn von Hofen erkannte. Da sie der Tür am nächsten waren, so galt auch ihnen sein erster Gruß.

»Welch eine Überraschung«, rief er mit gewohnter, liebenswürdiger Heiterkeit. »Vor einer Stunde haben wir uns voneinander verabschiedet, und nun sehen wir uns hier wieder. Also zum zweiten Mal guten Abend, meine Herren.«

»Ich glaube, wir können schon Guten Morgen sagen«, antwortete Hofen, indem er lächelnd seine Uhr hervorzog. »Wahrhaftig, es ist bereits halb zwei, für einen Kurgast außer Bett eine ganz unerhörte Tageszeit. Aber auf dem unsoliden Pflaster dieses hochberühmten Kur- und Badeortes gehen die tugendhaftesten Grundsätze zum Teufel.«

»Ich sein schuld an Unsolidität«, fiel Zebosek ihm ins Wort und machte seine melancholischen Augen. »Habe vorgeschlagen, Herr von Hofen soll Tasse Kaffee mit mir trinken. Sind wir gegangen, haben im Kaffee Högelmeiner getroffen den Grafen Destorp. Hat er nicht Ruhe gegeben, der Graf, wir sollen mit herkommen und anschauen kleines, hübsches Jeu.«

Zebosek hatte mit einer Kopfbewegung auf einen untersetzten, dicken Herrn gewiesen, der gleich allen übrigen männlichen Anwesenden im Frack war, aber gar nichts Gräfliches an sich hatte. Vor Aufregung stand Schweiß auf seiner breiten, roten Stirn, und er atmete hörbar durch die Nase.

»Zum ersten Mal sein ich hier«, fuhr der schöne Bosniak fort. »Ich nämlich nie spielen, aber ansehen, warum nicht einmal ansehen?«

»Dass ich nie spiele oder vielmehr nie gespielt habe, kann ich nicht behaupten«, murmelte Hofen. »Aber ein gebranntes Kind scheut bekanntlich auch das vergnügteste Feuer.«

De la Motte hörte mit unverändert höflichem Lächeln, aber offenbar nur mit halbem Ohr auf die beiden. Seine Blicke hatten, an ihnen vorübergleitend, eine der spielenden Damen gesucht, und er hatte sich kaum merklich vor ihr verneigt. Ein stummer Gruß aus aufleuchtenden Augen war zu ihm hergeflogen. Aus ein paar Augen, deren Farbe sich in der gelben Beleuchtung nicht bestimmt erkennen ließ, die jedoch in jedem Licht von seltener Schönheit sein mussten. Und nicht nur die Augen, alles war schön und absonderlich an dieser Frau. Das kühn und edel geschnittene Profil, der dunkle Teint, der bei Tag schon einen gelblichen Ton haben musste, hier doch den tiefsten Bronzeton von allen Gesichtern umher zeigte, der Haaransatz an der hohen Stirn, alles war von vollendeter Harmonie. Dabei gehörte sie sichtlich zu den wenigen Frauen, die Mut und Verstand genug haben, sich nicht nach der Mode zu kleiden, sondern allein ihrer Persönlichkeit gemäß. Im Gegensatz zu den drei anderen Damen, die sich kaum in ihren engen Kleiderfutteralen zu rühren vermochten, trug sie ein weites, faltenreiches Gewand aus goldbraunem Atlas von fast antikem Schnitt. Nach antiker Art war auch ihr Haar am Hinterkopf in einen Knoten zusammengefasst. Ein Goldreif mit einer großen Gemme zog sich vorn durch ein dunkles, leichtes Gelock. Die Hände, von denen die eine die Karten hielt, während die andere mit lässiger Anmut in einen Haufen von Chips, verschiedenfarbigen Spielmarken aus Elfenbein, hineingriff, schienen selbst aus mattgelbem Elfenbein zierlich gebildet. Ein Schönheitsduft ging von ihr aus, wie von einer voll erblühten, dunkelgelben Rose.

De la Motte schien von diesem Duft unwiderstehlich angezogen zu werden. Mit einer nur halb verständlich gemurmelten Entschuldigung verließ er die beiden Herren und ging zu der Dame hinüber, die oben am Tisch neben dem Bankhalter saß. Das war ein Mann von vornehmer Haltung, aber von erschreckender Magerkeit. Man sah durch die Haut hindurch das ganze Knochengerüst seines Gesichtes. Die Augen, deren Weiß von blutgefüllten Äderchen gerötet war, lagen in tiefen, dunklen Höhlungen, und auch seine Hände glichen, obwohl er kaum vierzig Jahre zählen mochte, mit ihrer schlaffen, zu weit gewordenen Haut völlig denen eines alten Mannes. In seinen Bewegungen war noch jugendliche Straffheit.

Er beugte mit einem stummen, verbindlichen Gruß seinen Kopf. De la Motte antwortete mit einem heiteren »Guten Abend, Herr von Dellwitz.« Dann aber trat er hinter den Stuhl der Dame daneben. Wortlos, nur mit Blicken begrüßten sie einander zum zweiten Mal. Karl Georg aber umspannte die Lehne des Stuhls, auf dem sie saß, mit einer Hand, als ob er dadurch einen Kontakt mit ihr herstellen könnte.

Sobald ein Verteilen der neuen Karten eine kleine Pause veranlasste, die mit halblauter Unterhaltung der Spielenden ausgefüllt wurde, beugte sich de la Motte zu der Dame nieder und sagte, gleichfalls mit halblauter Stimme: »Guten Abend, Baronin.«

Sie hob ihren Kopf und flüsterte, sodass nur er es vernahm: »Endlich!« Ein feuchter Glanz war in ihren Augen, ein Ausdruck von sinnlicher Sehnsucht auf ihren halbgeöffneten Lippen. So schaute sie für die Dauer einer Sekunde zu ihm hinauf, dann sagte sie ein wenig lauter, in gesellschaftlichem Ton: »Kommen Sie, Herr de la Motte. Wenn wir zusammenrücken, finden Sie hier neben mir noch Platz. Ich habe heute Chance und ich bringe dem Glück, der neben mir sitzt. Kommen Sie rasch!«

»Ich wollte heute nicht spielen«, sagte Karl Georg ein wenig unsicher. »Ich habe kein Geld bei mir.«

Sie lachte mit einem vollen, tiefen Ton. Ihre Stimme war auch im Sprechen von der dunklen Färbung, die der kurländische Dialekt mit seinen schweren Vokalen und seinem rollenden R mit sich bringt. Zugleich wandte sie sich zu Dellwitz, der auf ihrer linken Seite saß: »Schnell, Herr von Dellwitz, helfen Sie doch diesem Herrn einmal aus. Er hat kein Geld bei sich, und gerade heute kann ich ihm Glück bringen. Geben Sie rasch?«

»Aber selbstverständlich«, sagte Dellwitz, der beim ersten Wort den Vollblutberliner verriet. »Wie viel soll ich Ihnen geben?« Er griff nach einem schön gearbeiteten Bronzekasten, der geöffnet vor ihm stand und in zwei verschiedenen Abteilungen Banknoten und Chips enthielt.

Karl Georg zögerte noch. »Ich bin sowieso schon in Ihrer Schuld …«

»Aber das macht ja nichts. Ein Mann wie Sie! Der Schwiegersohn des reichsten Industriellen am Ort! Wie viel soll ich Ihnen geben? Vier, fünf, sechs, sieben braune Lappen?«

»Geben Sie mir zweitausend.«

»Ach, da lohnt sich das Anfangen nicht. Hier, für fünftausend. Sie können mir den Wisch darüber ja nachher schreiben.«

Er schüttete einen Haufen der verschiedenfarbigen Chips vor de la Motte hin, der sich auf einen rasch eingeschobenen Stuhl zwischen die Baronin und Dellwitz gesetzt hatte.

Nun begann das Spiel von Neuem. Immer heißer brannten die Augen, immer stärker zitterten die Karten in den Händen. Es wurde so still, dass man den Sturm hörte, der mit wilden Stößen in den Kronen der Lindenbäume vor dem Hotel wühlte.

Zuerst gewann Karl Georg. Die Baronin flüsterte: »Sehen Sie wohl, dass ich Ihnen Glück bringe?« Dann aber wendete sich das Blatt. Er verlor, gewann einmal noch, verlor und verlor. Als er nach anderthalb Stunden aufstand, war der Tisch vor ihm leer.

Taumelnd, mit ungewissen, schwankenden Schritten ging er den Weg zurück, den er ein paar Stunden zuvor gekommen war. Der Sturm, der ihn jetzt mit noch verstärkter Gewalt von hinten traf, jagte den einsam durch die Nacht eilenden Mann mit wütenden Stößen vor sich her, dass er vor irgendetwas hinter ihm in tödlicher Angst zu fliehen schien.

Er war es gewohnt, nach durchzechter oder durchspielter Nacht um solche Stunde nach Hause zu kommen, und besaß eine geschulte Geschicklichkeit, leise die Haustür aufzuschließen und ohne Geräusch in seine Wohnung hinaufzusteigen. Diesmal aber war er unsicher und ungeschickt, sodass der Sturm ihm die geöffnete Tür aus der Hand riss und mit lautem Krachen hinter ihm zuwarf. Durch dieses Missgeschick verwirrt, beging er ein zweites Versehen. Er verfehlte den gewohnten Weg und stieß an einen eisernen Schirmständer, dass er krachend mit metallischem Klang zu Boden stürzte. Nun erhob sich auch schon die Stimme des unten schlafenden Kommerzienrates der, laut in die Nacht hineinrufend, fragte, wer da sei, was der Lärm bedeute. Gleich darauf erschien er auch bereits in der geöffneten Tür, nur mit Hemd und Unterhose bekleidet, ein Licht in der einen Hand, einen Revolver in der anderen, die Karikatur eines Helden.

Karl Georg versuchte seinen gewohnten heiteren Ton. »Verzeih, Schwiegerpapa. Der verfluchte Sturm, ich war ungeschickt, habe mich nur ein wenig verspätet …«

»Wieso verspätet? Soll das heißen, dass du noch fort warst und jetzt erst nach Hause kommst?«

»Allerdings. Die Kerle, unsere Gäste, haben mich mit Gewalt noch mitgeschleppt, eine Tasse Kaffee mit ihnen zu trinken.«

»So, wirklich? Lass einmal sehen.« Er leuchtete hinauf zu dem Zifferblatt einer hohen Standuhr im Flur. »Es ist jetzt vier Uhr, schon etwas darüber. Die Gäste sind um zwölf gegangen. Das macht vier Stunden, die Tasse Kaffee müsste sehr groß gewesen sein.«

»Ja, wenn man so sitzt …«

»Wenn man so sitzt und jeut, jawohl, du hast gejeut, hast mir dein Ehrenwort gebrochen. Ich weiß es, als ob ich es mit eigenen Augen gesehen hätte. Nur eingefleischte Spielratten laufen in solchem Sturm in die Nacht hinaus. Dazu wäre das Auto freilich bequemer gewesen, das du haben wolltest …«

»Aber, Schwiegerpapa …«

»Lass mich reden. Die arme Martha tut mir leid. Gestern Abend erst las ich ihr die Leviten, sie sollte freundlicher gegen dich sein. Aber sie hat ganz recht, wenn sie nichts mehr von dir wissen will. Auch ich bin jetzt fertig mit dir, du Herumtreiber, du Tagedieb, du Lump!«

»Schwiegervater …«

»Jawohl, du Lump! Du hast eine gute Frau, hast einen lieben Jungen, und läufst in der Welt herum und vergeudest Geld und Gesundheit. Was das Geld anlangt, so weiß ich wenigstens jetzt, was ich zu tun habe. Damit ich es aber mit ganz gutem Gewissen tue, will ich zuerst noch untersuchen, mithilfe der Polizei, wenn es nötig ist, ob du wirklich wieder gespielt hast. Ist es der Fall, dann gibt es kein Erbarmen bei mir. Mein sauer verdientes Geld ist mir dazu nämlich viel zu gut, um einmal nach meinem Tod hinausgeworfen zu werden. Ich ändere dann mein Testament und lasse das Geld für deinen Jungen festlegen, dass du nicht herankannst. Nächste Woche muss ich sowieso zu meinem Notar in Köln, bei dem ich mein bisheriges Testament niedergelegt habe. Da wird es gemacht, wenn du mir dein Ehrenwort gebrochen und wieder gespielt hast. Verlass dich darauf.«

Karl Georg antwortete nicht mehr. Sein Gesicht erschien totenbleich im flackernden Licht der Kerze, doch ein Lächeln haftete noch immer wie festgefroren auf seinen Lippen.

»Und nun mach’, dass du hinaufkommst. Aber sei leise, dass du mir den Jungen und Martha nicht weckst. Mit meinem Schlaf ist es für heute natürlich vorbei, was dir freilich einerlei sein wird. Wenn ich krank würde, wenn ich stürbe, du würdest mir nicht nachweinen.«

Ein rascher, böser Blick, der die Worte zu bejahen schien, flog zu Helbig hinüber. Doch blieb es bei dieser stummen Antwort. Karl Georg wendete sich um und fing an, die Treppe zu den oberen Stockwerken hinaufzusteigen, während Helbig hinter der Tür zu seinem Schlafzimmer verschwand. Als er sie schloss, breitete sich tiefe Dunkelheit über das Haus. De la Motte machte jedoch kein Licht. Ganz langsam stieg er die Stufen empor, bis er den ersten Treppenabsatz erreicht hatte. Hier blieb er eine Weile stehen und starrte hinein in die Finsternis. War es die Stimme des heulenden Sturmes, worauf er horchte, während er so dastand, oder waren es die Gedanken in seinem Hirn?

Endlich riss er sich los und schritt langsam weiter, betrat jedoch die Treppe zum zweiten Stock noch nicht, sondern tastete sich im Dunkeln bis an die Tür zum großen Speisesaal im ersten Geschoss, wo die Gesellschaft am vergangenen Abend vereinigt gewesen war.

Er öffnete die Tür, trat hinein und schaltete die Beleuchtung ein, doch entzündeten sich auf seinen Druck zunächst nur zwei Lichter am großen Kronleuchter. In dieser matten, unsicheren Helle zeigte sich der erst halb aufgeräumte Saal, an dessen einer Wand in geisterhaften Umrissen die Figuren des großen Familienbildes gleich halb nur sichtbaren Erscheinungen aus der tiefen Dämmerung hervortraten.

Dieses Bild war es offenbar, das Karl Georg in den Saal gelockt hatte. Denn er ging darauf zu, bis die Gestalten in dem schwachen Licht körperhafter hervortraten, und richtete die Blicke mit einer krampfhaften Spannung auf die Mittelgruppe, wo die beiden Hauptvertreter der Familie, der Fabrikant mit seinem geflügelten Rad und Kommerzienrat Helbig mit seinem geschlängelten Kabel, nebeneinanderstanden. Auf Helbig hafteten die Augen des einsamen Betrachters. Er beugte den Kopf ein wenig vorwärts, als ob er von dieser Gewalt gewaltsam angezogen würde. Seine herabhängenden Hände ballten sich zu Fäusten, alle Muskeln strafften sich in seinem Körper.

So stand er in statuenhafter Bewegungslosigkeit, wohl fünf Minuten, dann riss er sich los, wobei von seinen Lippen ein heiserer, unartikulierter Laut kam, wandte sich zur Tür, löschte das Licht und ging schnell hinaus.