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Der Marone – Der große Smythje-Ball

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 19

Der große Smythje-Ball

Als ob die große Sonnenfinsternis die vielen für das besondere Vergnügen des Herrn Smythje gegebenen Festlichkeiten noch nicht aufs Höchste gehoben hätte, wurde einige Tage nach derselben abermals ein anderes Fest zu Ehren dieses jungen britischen Löwen veranstaltet.

Diesmal war es aber keins vom Himmel, sondern auf der Erde, und zwar eine der gewöhnlichen irdischen Unterhaltungen, nämlich ein Ball, ein Bewillkommnungsball, lediglich um den großen Herrn Smythje zu beglückwünschen.

Zu Montego Bay sollte es stattfinden, das, obwohl nur eine Provinzialstadt, doch schon lange wegen seiner glänzenden Gesellschaften berühmt war, von der Zeit her, wo die alten spanischen Schweineschlächter hier ihre Fandangos tanzten, bis jetzt, wo Herr Montagu Smythje sich herabgelassen hatte, seine Säle durch die Einführung einiger neuen, höchst modischen Tänze aus der Weltmetropole zu verherrlichen.

Der Ball sollte ein sehr großartiger werden, einer der größten je in der Bay gegebenen, und die sämtlichen Pflanzer aus der ganzen Umgegend wurden dazu erwartet.

Natürlich sollte Käthchen Vaughan da sein und ebenso der Custos selbst, denn Herr Smythje musste der Held der Ballnacht werden, wo er von den Schönen aus dem schönen Geschlecht umringt werden sollte, wie von einer Gruppe spekulierender Eltern, die alle einen Mann für ihre Töchter mit demselben Eifer suchten, wie Loftus Vaughan.

Unter diesen Umständen war es denn auch nur der einfachen Klugheit gemäß, dass Käthchen Vaughan dort anwesend war, um nach ihm zu sehen, denn der würdige Custos kannte das Sprichwort sehr wohl: Die Blume riecht am schönstem, die der Nase stets am nächsten ist.

Herr Vaughan würde sich sehr über die dargebotene Gelegenheit gefreut haben, seiner ganzen Welt von Jamaika die neue Verwandtschaft mit dem hervorragenden Mann wissen zu lassen, dem zu Ehren dieses Fest gegeben wurde. Er zweifelte nämlich durchaus nicht daran, dass Käthchen zu seiner Lebensgefährtin gewählt werde, denn er kannte Herrn Smythjes Absichten ganz gut. Vor ihm hatte dieser nie ein Geheimnis aus seiner Liebe gemacht. Der schlaue Custos war längst davon überzeugt, dass das Herz des Herrn von Schloss Montagu unwiederbringlich an seine Tochter verloren sei, insoweit nämlich ein solches Herz überhaupt durch Liebe verloren gehen konnte.

Zweifelsohne würde Herr Vaughan deswegen mit großer Befriedigung dem Ball entgegen gesehen haben, der ihm einen gesellschaftlichen Triumph bereiten sollte, wäre ihm nicht unglücklicherweise in letzter Zeit ein eigentlich geringfügiger Umstand bekannt geworden, nämlich der Vorfall auf dem Jumbéfelsen, das Zusammentreffen zwischen seiner Tochter und seinem Neffen am Tag der Sonnenfinsternis.

Hierüber hatte der Custos die einzelnen Umstände bis ins Kleinste sich von seinem mutmaßlichen Schwiegersohn zu verschaffen gewusst, da bei ihm ein starker Verdacht über die Herzensneigungen seiner Tochter entstanden war. Einige von ihr nach Herberts rauer Fortschickung von Willkommenberg hingeworfene Worte, einige von ihr gebrauchte, ein starkes Mitgefühl verratende, im Ganzen wohl unbemerkte und überhörte Ausdrücke, hatten bei dem aufmerksamen und misstrauischen Vater schon damals sogleich diesen heimlichen Verdacht erregt.

Deshalb war er nun auch über Käthchens Begegnung mit Herbert auf dem Jumbéfelsen ganz besonders verdrießlich und ging sogar so weit, es für möglich zu halten, dass er dahin lediglich in der Hoffnung, seine Cousine anzutreffen, gekommen sei.

Zu Willkommenberg hörte man Herbert Vaughans Namen niemals. Selbst Käthchen, sei es nun, dass sie klüger geworden war – denn sie war mehrere Male hart getadelt worden, ihn ins Gespräch eingemengt zu haben – oder sei es, dass sie wirklich aufgehört hatte, an ihn zu denken, selbst sie sprach seinen Namen niemals aus.

Dennoch konnte Herr Vaughan einen unbestimmten Verdacht nicht völlig loswerden, dass hier immer noch eine gewisse Gefahr vorhanden sei, und dies bestimmte ihn, soweit wie  möglich, jede fernere Zusammenkunft zwischen seiner Tochter und seinem Neffen zu verhüten.

Nach der Begegnung auf dem Jumbéfelsen hatte er seine Tochter zur Rede gestellt und sie mit Anwendung seines väterlichen Ansehens im vollen Umfang zu einem feierlichen Versprechen gezwungen, niemals mit ihrem Vetter zu reden, noch selbst seine Gegenwart irgendwie zu bemerken.

Das war gewiss ein hartes Versprechen für das arme Mädchen, aber vielleicht wäre es noch härter gewesen, hätte sie Herberts wirkliche Gesinnung gekannt.

Zweifelsohne hatte ihr Vater, als er ihr dies Versprechen abnahm, bereits das nächste kommende Ereignis berücksichtigt, den großen Smythje-Ball. Hier war eine Begegnung zwischen den Verwandten nicht bloß möglich, sondern sogar wahrscheinlich genug, um Herrn Vaughans Befürchtungen hinlänglich zu erregen, denn Judith Jessuron würde gewiss da sein, vielleicht auch der Jude selbst und Herbert dann mit ihnen.

Der Neffe war ihm nun aufrichtig zuwider, ja, von den herausfordernden Reden des jungen Mannes am Tag seiner Ankunft aufs Äußerste verletzt und gekränkt, verabscheute der Onkel ihn, denn der stolze Pflanzer war doch zu geistesarm, um den gerechten Stolz eines anderen würdigen zu können.

Der Custos hatte viel von der Gastfreundschaft gehört, die der Nachbar seinem Neffen erwies, und von den vielen Freundlichkeiten, mit denen der Gönner seinen Günstling überschüttete. Obwohl hierüber allerdings sehr verwundert, da es ihm höchst rätselhaft erschien, so hielt er sich doch an die ziemlich allgemein geglaubte Erklärung, dass dies lediglich geschähe, um ihn zu ärgern. War dies wirklich der Fall, so erwies sich die Hinterlist des Juden als vollkommen erfolgreich, denn Herr Vaughan ärgerte sich in der Tat hierüber im tiefen Innern seines Herzens.

Die für den Smythje-Ball bestimmte Nacht war nun da. Der große Tanzsaal in der Bay war der feierlichen Gelegenheit angemessen reich ausgeschmückt. Flaggen, Wimpel, Blumengewinde und Inschriften waren reichlich an den Mauern angebracht worden. Und über der Haustür ein großes, von den Emblemen der englischen Nationalflagge und dem Banner des Heiligen Georg gehaltenes, von den Farben der Kolonie überragtes Transparent, das in achtzehn Zoll hohen Buchstaben die Worte zeigte: Willkommen für Smythje!

Zur rechten Zeit fand sich das Musikkorps ein, gleich darauf folgte eine große Reihe verschiedenartiger Wagen, alle mit geputzten Tänzern und Tänzerinnen angefüllt.

Drei bis vier Meilen zurückzulegen, um einen Ball zu besuchen, war auf Jamaika nicht viel. Willkommenberg, obwohl mehr als zehn englische Meilen entfernt (denn Quashies Angabe von vier Meilen war ganz unrichtig), war verhältnismäßig nah im Vergleich mit den Entfernungen, die einige zurücklegen mussten, um auf dem Smythje-Ball erscheinen zu können.

Herrn Vaughans große Staatskarosse langte endlich auch an mit dem würdigen Custos selbst, seiner in der Tat reizenden und wahrhaft schönen Tochter und vor allem mit dem hochgepriesenen Helden des ganzen Festes.

»Willkommen für Smythje!«

Wie sein stolzes Herz, im Siegesbewusstsein seiner vollendeten Persönlichkeit, unter den gefalteten Busenstreifen seines überfeinen Hemdes beim Erblicken dieser schmeichelhaften Inschrift schwoll! Wie frohlockend und triumphierend war sein Lächeln, als er sich zu Käthchen Vaughan hinwandte, um die Wirkung zu beobachten, welche dies Transparent notwendig auf sie hervorbringen musste!

»Willkommen für Smythje!«, tönte es von hundert Lippen, als der Wagen vor der Haustür hielt. Dann erschallte bei der ersten Begrüßung ein lautes fröhliches Zujauchzen und darauf wurde der hervorragende Fremde in den Ballsaal geführt. Hier verblieb er einige Augenblicke in einer gewählten Stellung, der Zielpunkt von mindestens zweihundert Augenpaaren und dann gab der große Mann das allgemein befolgte Beispiel, sich mit einer Tänzerin zu versehen.

Das Musikkorps fing an zu spielen und der Ball begann.

Kaum braucht es wohl noch besonders erwähnt zu werden, wer Smythjes erste Tänzerin war. Natürlich Käthchen Vaughan, dafür war von dem Custos längst gesorgt.

Smythje sah wirklich prachtvoll aus. Thoms war den ganzen Nachmittag mit ihm beschäftigt gewesen. Sein Haar war aufs Reichste gelockt, sein großer Backenbart aufs Zierlichste geordnet, sein Schnurbart an den Enden schneckenförmig gewunden und gekräuselt, und seine sonst vollkommen blassen und sandfarbigen Wangen waren ganz leicht und kaum merkbar geschminkt.

Dabei trug er einen Ballanzug von der höchsten Eleganz. Ein durch und durch mit weißer Seide gefütterter, burgunderfarbiger Rock, eine Weste vom selben Stoff, wie das Unterfutter des Rockes, aber reich mit Goldfäden gestickt, enge Beinkleider, ebenfalls von weißer Seide, fleckenlose seidene Strümpfe und glänzende, lackierte Tanzschuhe mit goldenen Schnallen bildeten nebst einer weißen Halsbinde und einem schwarzen zusammengeklappten Hut ein nach der Mode der Zeit gewiss ebenso elegantes als kostbares Ballkostüm.

Vielleicht könnte man nach dem über Herrn Smythjes Beinschwäche früher erwähnten auf den Gedanken geraten, dass der bescheidene Anzug diese Schwächen allzu sehr bloßgestellt haben müsste. Aber dem war keineswegs so. Hierfür halte Thoms gesorgt, denn sowohl die engen Beinkleider als auch die Seidenstrümpfe waren vortrefflich wattiert. Smythje konnte dadurch eben so starke und volle Beine aufweisen, wie der bestgebaute Mann im ganzen Saal.

Ebenso hätte man auch wohl glauben mögen, dass erwähnte Schwäche seinem Tanzen merklichen Eintrag tun müsse. Allein auch dies war keineswegs der Fall. Im Gegenteil war er in jedem Zweig der anmutigen Kunst Terpsichores so bewundert und gewandt, dass er ganz sicher einen Walzer mit vollkommener Anmut selbst in samojedischen Schneestiefeln hätte tanzen können.

Mit einem solchen Tänzer nicht gut zu tanzen, wäre eine Unmöglichkeit gewesen, selbst wenn die junge Kreolin keine so gewandte Tänzerin gewesen wäre, wie sie es wirklich war. In ihrem einfachen Kleid von weißer Seide, wobei die Umrisse ihrer schönen Gestalt nicht in ungeschickter Weise durch eine Schnürbrust oder gar durch eine Krinoline entstellt waren, erschien sie in der Tat wie die Verkörperung jener Gottheit, der Poesie der Bewegung, die bei den Griechen Terpsichore genannt wurde, oder vielmehr sie glich einer Göttin, die das Tanzen von Terpsichore selbst gelernt hatte.

Nun waren außer ihr noch manche schöne Tänzerinnen da, und eine der schönen von diesen war sicher Judith Jessuron.

Ein wenig später angelangt, hatte die Jüdin den ersten Tanz nicht mitgemacht, allein in dem darauf Folgenden war sie bemerklich und hervorragend. Nicht wegen ihres reichen Anzuges aus Purpursamt, nicht wegen des prachtvollen, auf dem Hintergrund ihres glänzenden rabenschwarzen Haares strahlenden Perlenturbans, nicht wegen der blendenden Weiße ihrer Zähne, die zwischen zwei frischen Purpurlippen schimmerten, nicht wegen des rosigen Hauches auf ihren Wangen, noch wegen des funkelnden Blickes, der ununterbrochen in ihrem dunklen orientalischen Auge flammte, nicht wegen aller solcher Einzelheiten war sie hervorragend, sondern wegen aller dieser Eigenschaften zusammen genommen, die in ihrer Vereinigung wirklich ein großartiges und Bewunderung erregendes Bild ausmachten.

Der Tänzer Judiths war einer solchen Schönheit keineswegs unwürdig. Er war den meisten Anwesenden vollkommen fremd, allein die auf ihn aus schönen Augen gerichteten, teils fragenden, teils verstohlenen, teils aber auch offene Bewunderung verkündenden Blicke versprachen ihm leichten Zutritt zu jeder, die er kennenzulernen wünschte.

Der Fremde schien sich der ihm von der Natur reichlich verliehenen Vorzüge nicht so recht bewusst zu sein, noch schien er das Glück vollkommen zu würdigen, das ihm eine so bezaubernde Tänzerin zugeführt hatte, denn er tanzte mit niedergeschlagenem Blicke und einer gefalteten düsteren Stirn, die selbst der aufregende Wirbel des leidenschaftlichen Walzers nicht zu glätten vermochte.

Der Tänzer Judith Jessurons war Herbert Vaughan.

 

***

 

Ein Ballsaal kann füglich mit einem Kaleidoskop verglichen werden. Die Personen sind stets dieselben, aber ihre gegenseitigen Stellungen verändern sich fortwährend.

Unabsichtlich befindet man sich entweder im Tanz oder in der Pause einmal ganz nahe mit jeder tanzenden Person im Saal.

So kamen auch in dem Ballsaal zu Montego Bay zwei walzende Paare dicht beieinander, nämlich Smythje mit Käthchen und Herbert mit Judith.

Dies ereignete sich zufällig, als sie sich von einem raschen Walzer ausruhten.

Smythje klappte seinen Hut zusammen und machte eine tiefe Verbeugung, die von Judith mit einer vornehm gebieterischen, leichten Verneigung erwidert wurde.

Herbert verbeugte sich vor seiner Cousine mit einem halb zweifelhaften, halb fragenden Blick, allein das ihm als Erwiderung zuteilgewordene Kopfnicken war so leicht, so schwach und so zurückhaltend, dass selbst der scharfsichtige Custos, der dicht daneben jede Bewegung überwachte, es nicht zu gewahren vermochte.

Das arme Käthchen! Sie wusste ganz wohl, dass das Auge ihres Vaters starr auf sie gerichtet war, und sie erinnerte sich des ihm gegebenen, sie jetzt aufs Schrecklichste drückenden und quälenden Versprechens.

Nicht ein Wort wurde zwischen den Paaren gewechselt, und auch nur einen ganz kurzen Augenblick standen sie nebeneinander. Herbert, tief durch Käthchens ganz unerwartet kalte, ja beleidigend zurückhaltende und fremd tuende Begrüßung gekränkt, schlang seinen Arm um die Taille seiner willfährigen Tänzerin und walzte im heftigen Wirbel davon.

Obwohl Smythje und Käthchen, Herbert und Judith dieselbe Nacht noch oftmals miteinander tanzten, so oft, dass es allgemein auffiel, so kamen die vier doch nie wieder so nahe beieinander zu stehen. Wenn auch der Zufall sie zusammenzubringen drohte, so suchten sie doch geflissentlich die Annäherung zu vermeiden.