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John Tanner – Das Leben eines Jägers Anhang IV

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Anhang
4. Kunde der Gestirne bei den Indianern

Von den Meinungen der Indianer über die Himmelskörper können wir wenig sagen. Eine umfassende Kunde von den Bewegungen, den Entfernungen und den Gestalten der Gestirne darf man nicht bei einem Volk suchen, dass weder Schriftsprache noch Instrumente zum Beobachten hat. Sie behaupten auch in der Tat keineswegs mehr von den Gestirnen zu verstehen, als sie wirklich wissen.

Au-do-me-ne, ein verständiger Ottawa von Waw-gun-un-kiz-ze, erzählte mir, als ich ihn fragte, was sie vom Mond und der Sonne glauben, folgende Sage.

Vor alten Zeiten hatten ein alter Chippewahäuptling und dessen Frau, welche am Ufer des Huronsees lebten, einen Sohn, und der war ein sehr hübsches Kind. Er hieß Ono-wut-to-kwut-to (d. h.: der, welcher die Wolken erhascht) und hatte, wie sein Vater auch, zum Totem einen Biber. Er wäre ein recht lieber Junge gewesen, denn er war von Herzen gut und gehorsam, – wenn er nur hätte fasten wollen. Allein dazu ließ er sich niemals bewegen. Seine Eltern gaben ihm oft Holzkohle statt des Frühmahles, allein er weigerte sich, sein Gesicht anzuschwärzen, und wenn er Eier oder einen Fischkopf fand, so aß er sie, nachdem sie geröstet waren. Eines Tages nahm man ihm, was er sich statt des ihm verweigerten Frühstücks zubereitet hatte, und gab ihm statt dessen einige Kohlen. Allein dies war der letzte der zahlreichen Versuche, welche man angestellt hatte, um ihn zum Fasten zu bewegen. Er nahm die Kohlen, schwärzte sich sein Antlitz, ging hinaus und legte sich auf die Erde. Abends kam er nicht in die Hütte seiner Eltern zurück, sondern schlief draußen. Im Traum sah er, wie eine schöne Frau vom Himmel herabstieg und sich vor ihm hinstellte.

»Ono-wut-to-kwut-to«, sprach sie zu ihm, »ich bin deinetwegen herabgekommen, folge meinen Spuren.«

Der Knabe gehorchte, ohne zu zaudern, folgte ihr und sah, dass sie auf die Gipfel der Bäume stieg, und höher und immer höher durch die Luft bis jenseits des Gewölkes. Endlich ging sie durch ein kleines Loch, er folgte ihr nach und befand sich auf einer schönen, weiten Prärie. Auf dieser gingen sie einen Pfad entlang, welcher sie zu einer großen hübschen Hütte führte. Nachdem sie in dieselbe eingetreten waren, bemerkten sie auf der einen Seite Pfeifen, Schlachtkeulen, Bogen, Pfeile, Speere, kurz alles, was dem Mann gebührt und ziemt. Auf der anderen Seite aber alles, was den Frauen zukommt.

Die Hütte war die Wohnung der schönen Frau, die ihm zur Führerin gedient hatte. Auf dem Webstuhl hatte sie einen Gürtel, der aber noch nicht ganz vollendet war.

Sie sprach zu ihm: »Da kommt mein Bruder, ich will dich verbergen.«

Mit diesen Worten schob sie ihn in einen Winkel und hing den Gürtel vor ihn hin. Aber Ono-wut-to-kwut-to beobachtete von seinem Versteck aus alles, was vorging. Er sah, wie der Bruder, der sehr prachtvoll gekleidet war, eintrat und eine Pfeife von der Wand herabnahm. Nachdem er geraucht hatte, legte er seine Pfeife und den Beutel, welcher seine Pah-koo-se-guns enthielt, beiseite und sprach: »Hast du vergessen, dass der Höchste der Geister dir verboten hat, denen, welche auf Erden leben, ihre Kinder zu entführen? Du glaubst den, welchen du jetzt geholt hast, wohl versteckt zu haben. Aber ich weiß recht gut, dass er sich hier in der Hütte befindet. Willst du mich nicht erzürnen, so gib ihn unverzüglich den Seinen zurück.«

Sie aber weigerte sich dessen.

Da er nun wohl sah, dass seine Schwester den Knaben nicht wieder fortlassen wollte, so sprach er zu diesem: »Du kannst recht gut diesen Ort verlassen, denn du bist meinen Augen nicht verborgen geblieben. Geh nur fort, denn wenn du bleibst, so musst du in deiner Einsamkeit verhungern.«

Nachdem er diese Worte gesprochen hatte, nahm er einen Bogen, Pfeile und eine reich verzierte Pfeife aus rotem Stein, um demselben ein Geschenk damit zu machen. Also kam der Knabe hervor, belustigte sich mit der Pfeife und dem Bogen, welche der Mann ihm gegeben hatte, und heiratete die junge Frau, welches ihn entführt hatte.

Nun ging er auf die offene Prärie, erblickte aber in der schönen, weiten Gegend keine anderen Bewohner als seine Frau und seinen Schwager. Auf der Ebene, die von blinkenden klaren Bächen durchströmt wurde, prangten Blumen. Allein die Tiere glichen nicht jenen, welche er früher gesehen hatte. Wie auf der Erde, so folgte auch hier die Nacht dem Tag. Als aber der erste Lichtstrahl dämmerte, traf der Schwager Vorbereitungen, um die Hütte zu verlassen. Das tat er Tag für Tag, und immer kam er erst abends wieder heim. Die Frau ging und kam zwar nicht eben so regelmäßig, war aber nicht selten während eines großen Teiles der Nacht abwesend.

Der junge Mann war begierig zu wissen, wo sich beide während ihrer Abwesenheit aufhielten, und erhielt von seinem Schwager Erlaubnis, denselben bei einem seiner täglichen Ausgänge zu begleiten. Sie schritten einen ebenen Pfad entlang, welcher über die Prärie führte, deren Ende nicht abzusehen war. Ono-wut-to-kwut-to verspürte Hunger und fragte daher seinen Begleiter, ob sie nicht Wild antreffen würden.

»Gedulde dich nur, mein Bruder«, erhielt er zur Antwort. »Diesen Weg wandle ich tagtäglich, und der Ort, wo ich mein Mahl einzunehmen pflege, ist nicht mehr weit von hier. Wenn wir dort angelangt sind, sollst du sehen, auf welche Weise ich mir Lebensmittel verschaffe.«

Sie kamen an eine Stelle, wo schöne Matten ausgebreitet waren, und man sah durch ein Loch auf die Erde. Ono-wut-to-kwut-to sah, als sein Schwager ihm zuredete, hindurch und erblickte nun unter sich große Seen und Dörfer, nicht nur der Chippewa, sondern aller Rothäute. Auf der einen Seite erblickte er einen Haufen Krieger, welche sich heimlich dem Jagdlager eines südlichen Stammes näherten, und sein Gefährte sagte ihm voraus, welchen Ausgang der Angriff nehmen werde. Auf der anderen Seite sah er Männer, welche ein Fest feierten und tanzten. Die Knaben spielten und die Frauen trieben ihre gewohnten Beschäftigungen.

Der Schwager lenkte Ono-wut-to-kwut-tos Aufmerksamkeit auf eine Gruppe von Kindern, welche vor einer Hütte spielten.

»Siehst du dieses so lebhafte und schöne Kind?«, fragte er. Und in demselben Augenblick warf er einen ganz kleinen Stein hinab, welcher das Kind traf. Da fiel es zur Erde nieder und wurde in die Hütte getragen. Es entstand große Bewegung unter dem Volk, man vernahm den Ssche-sche-gwun, und der Medizinmann sang und bat, dass des Kindes Leben verschont bleiben möge.

Auf diese Bitte antwortete der Gefährte: »Schickt mir den weißen Hund.«

Nun konnten sie das Geräusch, welches bei Vorbereitungen zu einem Fest gewöhnlich ist, unterscheiden. Ein weißer Hund wurde getötet und abgesengt. Alle Nachbarn versammelten sich in der Hütte.

Während dieser Vorbereitungen sprach er zu Ono-wut-to-kwut-to: »Es gibt unter euch, die ihr dort unten in der Welt seid, Leute, welche ihr für große Ärzte haltet. Sie sind es aber nur, weil ihre Ohren offen sind, weil sie meine Stimme hören, wenn ich einen getroffen habe. Und dann können sie manchmal Krankheiten heilen. Sie bewegen die Menschen, dass diese mir geben, was ich fordere. Und wenn das geschieht, so ziehe ich meine Hand von denen zurück, welche ich getroffen habe.«

Während er dieses sprach, wurde der Hund unter die Gäste verteilt.

Als sie zu essen anfingen, sprach der Arzt. »Großer Manitu, dieses senden wir dir.«

Kaum war dieses gesprochen, da sahen die beiden den Hund, völlig gebraten und zubereitet, durch die Lüfte auf sie zukommen. Als sie sich nun gesättigt hatten, gingen sie auf einem anderen Weg zur Hütte zurück.

So lebten sie einige Zeit. Aber Ono-wut-to-kwut-to hatte weder seine Freunde noch die Lustbarkeiten in seinem väterlichen Dorf vergessen und wünschte deshalb sehr, auf die Erde zurückzukehren. Endlich gab seine Frau seinen Bitten nach. Sie sprach: »Weil du Armut, Entbehrungen und Not dort unten auf jener Welt dem ruhigen Leben und den immer dauernden Freuden auf dieser Prärie vorziehst, so gehe. Ich gestatte es dir. Da ich dich doch einmal hierher entführt habe, so will ich dich auch bis zu der Stelle zurückgeleiten, wo ich dich gefunden habe. Aber denke wohl daran, dass du mein Mann bist und dass meine Gewalt über dich immer dieselbe bleibt. Du gehst nun zu deinen Verwandten zurück, aber hüte dich, unter den Menschen eine andere Frau zu nehmen. Tust du das, so erregst du mein Missvergnügen, und wenn du dich zum zweiten Mal verheiratest, so wirst du zu mir zurückgerufen werden.«

Als Ono-wut-to-kwut-to diese Worte vernommen hatte, wachte er auf und befand sich auf der Erde, dicht neben der Hütte seines Vaters. Er sah seine alte Mutter und seine Verwandten wieder, die ihm erzählten, dass er beinahe ein ganzes Jahr lang fortgewesen sei. Einige Zeit war er sehr in sich gekehrt und in seine Erinnerungen versunken. Allmählich aber dachte er seltener an seinen Aufenthalt in der Oberwelt, und endlich zweifelte er sogar, ob alles, was er dort gesehen und gehört hatte, auch in Wirklichkeit sich ereignet habe. So vergaß er denn, was seine himmlische Frau ihm eingeschärft hatte, und nahm ein junges hübsches Mädchen seines Stammes zur Frau. Aber vier Tage später war diese junge Frau nicht mehr am Leben.

Da überfiel ihn ein großer Schrecken. Doch auch der verschwand allmählich, und er wagte eine zweite Heirat. Bald darauf ging er einmal bei Nachtzeit aus seiner Hütte, um zu sehen, was ein ungewöhnliches Geräusch bedeute. Aber damals ist er verschwunden und nie wieder gekommen. Man glaubt, dass seine Frau aus der Oberwelt herabgekommen sei, um ihn wieder zu holen, wie sie ihm es angedroht hatte, und dass er noch in den himmlischen Regionen weilt, um neben seinem Schwager die Angelegenheiten der Menschen zu überwachen.

Dieser Tradition zufolge scheint es, dass die Ottawa der Sonne und dem Mond zuweilen Opfer darbringen, und dass diese Gestirne oder vielmehr der Sonnenmann und die Mondfrau alle unsere Handlungen überwachen.

Die verschiedenen Mondphasen geben den Indianern eine Methode an die Hand, um die Zeit abzumessen. In Bezug auf die Perioden geschieht das sehr genau. Die Namen aber, welche sie denselben beilegen, sind veränderlich. Die Alten unter ihnen streiten oft über die Anzahl der Monde eines jeden Jahres und legen zuweilen jedem einzelnen verschiedene Namen bei. Bei den Ottawa und den Menomonee sind Nachstehende am meisten im Gebrauch: der Erdbeerenmonat, der Monat der Whortleberries (Heidelbeeren), jener der Ernte des wilden Reises, des Blätterfalles, des Eises, der Schneeschuhe oder der glänzenden Nacht. Der Bärenmonat (bei den Ottawa), bei den Menomonee heißt derselbe Monat der Brunstzeit des Damhirsches, bei den Chippewa jener des Geistes. Der längste Mond, gut für die Jagd. Dieser entspricht etwa unserem Januar. Wer in diesem Monat geboren wird, kann sehr lange leben. Der Säugmonat oder der Baumsprossen. Der Monat der wilden Gans (bei den Chippewas) heißt bei den Menomonee der des Zuckers. Der Monat der Kaninchen und jener der Blätter. Die Menomonee haben außerdem noch einen Schlangenmonat, welcher in den Frühling fällt.

Um die weiter entfernten Himmelskörper bekümmern sich die Indianer wenige. Nur Einzelne, z. B. der Morgenstern, der Polarstern und der große Bär, erhalten von den Greisen bestimmte Namen. Über die Kometen herrscht bei ihnen derselbe Glaube, wie beim gemeinen Volk in Europa. Sie halten die Erscheinung eines solchen für die Andeutung eines bevorstehenden Krieges. Der Name, welchen der Komet bei den Chippewa führt, scheint Glanzstern zu bedeuten. Bei den Menomonee heißt er Feuer, welches man sieht, und bei einzelnen Chippewa heißt er Haarstern.

Die Indianer haben keine deutlichen Begriffe von den wahren Ursachen, welche das Ab- und Zunehmen des Mondes bedingen, ebenso wenig von den Verfinsterungen und anderen Phänomenen, welche ihren Grund in der Bewegung der Himmelskörper haben. Wenn sich der Mond verfinstert, so sagen sie, er sterbe, und feuern Schüsse gegen ihn ab. Kommt die Scheibe wieder teilweise zum Vorschein, so meinen sie, dem Mond durch das Geräusch, welches sie machen, die Krankheit vertrieben zu haben. Sie sagen von der Milchstraße, eine Schildkröte schwimme auf dem Grund des Firmaments und rühre den Schlamm auf. Ihre Ansicht über das Nordlicht, welches sie den Totentanz nennen, ist etwas poetischer, aber nicht verständiger. Sie unterscheiden mehrere meteorische Erscheinungen von denen, welche sich jenseits unseres Dunstkreises zeigen, und sagen von den Ersteren: »Diese gehören uns.«

Was vor längerer Zeit Roger Williams über die Mythologie der Indianer in Rhode Island gesammelt hat, trifft nur zum Teil mit den unter den Ottawa herrschenden Ansichten überein. Man hört nichts mehr von Cau-tan-to-wit, dem großen Geist des Südwestens, Ning-gah-be-an-nong Manitu, dem Gott des Westens. Ein jüngerer Bruder Nanabujas, des Gottes der Totengegend, ist an besten Stelle getreten. In Williams Saw-waw-nand erkennen wir Schach-wun-nong Manitu, den Gott des Südens, bei den Ottawa aber alle diese Gottheiten Waw-bun-ong Manitu, der Gott des Morgens oder Ostens, Ke-way-tin-ong Manitu, der Gott des Nordens und Ka-no-waw-bum-min-uk, der, welcher alles sieht und dessen Platz in der Sonne ist. Sie alle stehen an Macht und Gewalt vielen anderen nach, sogar den Ke-zhe-ko-we-nin-ne-wugs, einer Art kleiner, wohlwollender und wachsamer Wesen, die stets bereit sind, dem Menschen Gutes zu tun.