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Der Marone – Die Verfinsterung

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 17

Die Verfinsterung

»Unterbrochen!«, rief Smythje aus und stellte sich so schnell wie möglich wieder aufrecht hin. »Welch ein scheußliches Unglück,« fuhr er fort, zog sein Taschentuch heraus und wischte den Staub von dem Knie ab, auf dem er gelegen hatte. »Möchte wissen, wer die Zudringlichen sind, auf Ehre! Ah, oh, es ist der junge Mann, Ihr Cousin, glaub ich. Ja, ja, er ist es und ein hübsches Mädchen mit ihm, ein teufelmäßig hübsches Mädchen, auf Ehre!«

Ein spöttisches Kichern, laut genug, um fast ein Lachen genannt zu werden, drang zwischen den blendend weißen Zähnen der Jüdin hervor. Dies demütigte Smythje sehr, da er einsah, dass dies Hohnlächeln nur der gerade gestörten und wirklich höchst lächerlichen Szene gelte, in der er selbst die Hauptfigur gewesen war.

Sein kaltes Blut verließ ihn aber dennoch nicht gänzlich, denn der Cockney besaß nicht unbedeutende Geistesgegenwart, das Erzeugnis eines ungebändigten Hochmutes. Diese kam ihm diesmal zur rechten Zeit zu Hilfe und gab ihm einen Gedanken ein, der ihn aus der Verlegenheit reißen sollte. Das auf dem Felsen liegende Fernrohr gewährte ihm die erwünschte Gelegenheit.

Smythje ließ sich nämlich abermals aufs Knie nieder. In einer der ersten, von der er sich gerade erhoben hatte, ganz ähnlichen Stellung, ergriff das Fernrohr, stand wieder auf und reichte es Käthchen Vaughan, die verlegen errötend dastand.

Dies war allerdings ganz wohl ausgedacht und auch nicht gerade schlecht ausgeführt, aber Smythje hatte es mit jemand zu tun, der ebenso gewandt und verschlagen war, wie er selbst. Denn es war in der Tat von keinem Nutzen, Staub in die durchdringenden, beweglichen Augen Judith Jessurons zu werfen, und ihr Lachen wurde nur noch lauter und spöttischer wiederholt.

Zuletzt musste Smythje selbst in das Gelächter mit einstimmen, unter den obwaltenden Umständen sicher das Beste, was er tun könnte.

Ungeachtet der Lächerlichkeit und Albernheit der ganzen Lage schien Herbert seiner Gefährtin spöttische Munterkeit doch nicht zu teilen. Im Gegenteil war eine dunkle Stelle auf seinem Gesicht zu bemerken, die keineswegs von dem immer stärkeren Halbdunkel der Sonne herstammte, sondern die urplötzlich beim Anblick des knienden Smythje entstanden war.

»Fräulein Vaughan!«, rief die Jüdin aus, sprang mit Leichtigkeit auf den Felsen und wandte sich mit einem Blick der Wiedererkennung an die Kreolin und ihren Gefährten, »ein gänzlich unerwartetes Vergnügen, wirklich! Ich hoffe, wir stören doch nicht?«

»Ganz und gar nicht – durchaus gar nicht, ich versichere Ihnen«, erwiderte Smythje mit einer seiner tiefen Verbeugungen.

»Herr Smythje! – Fräulein Jessuron!«, fiel Käthchen ein und erfüllte die Pflicht der Vorstellung mit würdevoller, aber freundlicher Höflichkeit.

»Wir sind hier hinaufgeklettert, um die Sonnenfinsternis zu sehen«, fuhr Judith fort. »Derselbe Zweck, den Sie hier auch haben, denke ich mir?«, fügte sie mit einem boshaft spöttischen, auf Käthchen gerichteten Blicke hinzu.

»Jawohl, gewiss!«, stotterte Smythje in seiner eigentümlichen, alle Wörter etwas entstellenden modischen Redeweise, und wurde dabei nicht wenig durch die in die Frage hineingelegte Anspielung verlegen. »Das ist grade die Absicht, die uns hergeführt, um dieses Himmelsphänomen vom Jumbéfelsen aus zu sehen! Eine prachtvolle Sternwarte, auf Ehre!«

»Sie sind früher hergekommen als wir,« versetzte Judith. »Ich fürchtete schon, wir würden hier zu spät kommen. Vielleicht ist es nun doch zu früh gewesen?«

Der ironische Ton und Blick wurde hierbei wiederholt.

Vielleicht verstand Käthchen Vaughan den Sinn dieser zweideutigen Frage gar nicht, obwohl sie noch spitzfindiger und schärfer hervorgebracht wurde, als die frühere. Jedenfalls antwortete sie nicht darauf, denn ihre Augen und Gedanken waren anderswo.

»Ganz zur rechten Zeit, Fräulein Jessuron!«, antwortete Smythje. »Die Finsternis nimmt nun erst grade eine interessante Phase an. In wenigen Minuten wird die Sonne im Halbschatten sein. Wollen Sie nicht hierher kommen, hier haben Sie einen besseren Stand. Erlauben Sie mir, Ihnen das Fernrohr anzubieten. Ah, sieh da!«, fuhr er fort und wandte sich an Herbert, der gerade vorwärts getreten war, »ah, nun, wie geht‘s, mein Freund? Sehr vergnügt, Sie wieder zu treffen.«

Indem er dies sagte, reichte er seine Hand hin, mit einem einzigen, allen anderen vorausgestreckten Finger.

Obwohl Herbert diesen Finger nicht annahm, so erwiderte er die Begrüßung doch mit genügender Höflichkeit. Smythje wandte sich dann zu Judith und geleitete sie zu dem nach der Sonnenfinsternis hinliegenden Rand der Platte.

Durch dieses vielleicht keinem der beiden Verwandten gerade unangenehme Zurückziehen waren sie verhältnismäßig allein gelassen.

Bisher war eine etwas steife und formelle Verbeugung die einzige Begrüßung zwischen ihnen gewesen und selbst jetzt, nachdem die anderen zur Seite getreten waren, verblieben sie mehrere Augenblicke, ohne miteinander zu reden.

Endlich unterbrach Herbert zuerst das peinliche Stillschweigen.

»Fräulein Vaughan!«, sagte er und bemühte sich, die Bewegung zu verbergen, die seine zitternde Stimme dennoch genügend verriet, »ich fürchte, unsere Dazwischenkunft, sie wird als aufdringlich angesehen werden? Ich würde mich jedenfalls zurückgezogen haben, aber meine Begleiterin wollte anders.«

»Fräulein Vaughan!«, wiederholte die junge Kreolin in Gedanken für sich, da diese Anrede sie höchst befremdend berührte und sie zu einer andern Antwort trieb, als sie sonst wohl gegeben haben würde.

»Da Sie Ihrer eigenen Neigung nicht folgen konnten, so war es wohl besser, zu bleiben. Ihr Erscheinen hier ist, was mich anbetrifft, durchaus nicht aufdringlich, das versichere ich Ihnen. Und was meinen Begleiter anbetrifft, so erscheint er ja ganz zufrieden, nicht wahr?«

Der rasche Wortwechsel, zugleich mit gelegentlichem lautem Gelächter, die von der anderen Seite des Felsens her gehört wurden, bezeugten, dass zwischen Smythje und der Jüdin bereits eine lebhafte Unterhaltung stattfand.

»Ich muss sehr bedauern, wenn unsere Dazwischenkunft auch nur eine kurze Trennung herbeigeführt haben sollte. Soll ich Herrn Smythjes Platz einnehmen, damit er bei Ihnen sein kann?«

Diese Antwort war ganz dazu geeignet, den zwischen den beiden Verwandten entstandenen Riss noch zu erweitern. Sie ging aus der Deutung hervor, die Herbert der letzten Frage Käthchens verliehen hatte.

»Gewiss würde dies Ihnen viel angenehmer sein«, erwiderte Käthchen spitz in einem herausfordernden und bitteren Ton.

Hier trat eine Pause in der Unterhaltung ein, die vom ersten Augenblick an von beiden Seiten scharf und geschraubt war. Herbert war jetzt an der Reihe zu sprechen, aber die in Käthchens letzten Worten enthaltene Herausforderung hatte ihn in eine Lage versetzt, wo eine geeignete Antwort zu erteilen nicht leicht war, und so schwieg er lieber.

Gerade jetzt war die Verfinsterung der Sonne am stärksten, der Augenblick der größten Dunkelheit. Die Sonnenscheibe war von dem undurchsichtigen Mondkörper fast gänzlich verhüllt, und die Erde lag nun schwarzgelb und düster in finsterem Schatten. Sterne erschienen am Himmel und fast nur während der Nacht gehörte Stimmen des Waldes schallten zur Felsspitze herauf, zum Zeichen, dass das Leben auf der Erde noch nicht ganz erloschen sei.

Zugleich trat auch bei zwei sich früher zärtlich liebenden Herzen eine gänzliche Verfinsterung ein. Obwohl sich einander nahe stehend, hatten doch die gewechselten scharfen Worte sie weiter voneinander getrennt, als ob zehntausend Kilometer zwischen ihnen lägen. Die äußere Dunkelheit war in der Tat nichts, verglichen mit dem Inneren ihrer Seelen. Am Himmel glänzten die Sterne wunderbar, um das Auge zu erfreuen. Aus dem Wald tönten Stimmen des Trostes, aber am Horizont ihrer Herzen leuchtete kein Stern in Hoffnungsstrahlen und kein freudiger Ton erheiterte den stillen, trüben Kummer, der sie so bitter umfasst hielt.

Mehrere Augenblicke lang wurde nicht ein einziges Wort zwischen den beiden Verwandten gewechselt, noch sprachen sie mit den beiden anderen an dem großen Schauspiel Teilnehmenden. Und auch diese schwiegen, solchen Eindruck hatte die außerordentliche Feierlichkeit der seltenen Naturbegebenheit auf alle gemacht.

So standen sie wohl mehrere Minuten lang schweigend, ohne zu sprechen. Dicht nebeneinander standen sie, so bewegungslos und still, dass jeder den Atemzug des anderen hätte hören können.

Dies war eine Lage der peinigenden Verlegenheit und wäre es noch viel mehr gewesen, wenn die gerade nun vollständige Sonnenfinsternis nicht beide in das tiefe Dunkel ihres schwarzen Schattens eingehüllt und sie so verhindert hätte, sich gegenseitig genauer zu beobachten.

Nur eine kurze Weile dauerte die tiefe Dunkelheit noch, denn bald nahm die Sonnenfinsternis wieder den Charakter eines Halbschattens an.

Einer nach dem anderen verschwanden die Sterne wieder vom Himmelszelt, das auch bald wieder seine dunkelblaue Farbe bekam. Die Geschöpfe der Finsternis, verwundert über die vorschnelle Rückkehr des Tages, versanken in ein vom Schrecken erzeugtes Stillschweigen und der strahlende Himmelsgott trat triumphierend aus der Wolke hervor, die ihn nur kurze Zeit verhüllt hatte, und goss abermals sein glänzendes Freudenlicht auf die dunkle Erde aus.

Das wiederkehrende Sonnenlicht fand die beiden Verwandten noch ganz in derselben Stellung wie zuvor.

Während der Finsternis hatte Herbert sich weder geregt noch gesprochen, und nach der strengen Antwort, die Käthchen ihm in ihrer gereizten Stimmung zuletzt erteilt hatte, konnte sie die Unterhaltung wohl nicht fortsetzen.

Obwohl aufs Schmerzlichste durch seiner Cousine Antwort verletzt, vergaß Herbert doch nicht, was er ihr schuldig sei, die ihr gemachten Gelübde und sein stolzes Anerbieten beim Scheiden. Sollte er nun die Schuld der Dankbarkeit gänzlich zurückweisen und sich seinem Versprechen sofort untreu zeigen? Sollte er das seidene Andenken von seiner Brust reißen, das dort noch stets vorhanden war, wenn auch heimlich und ungesehen?

Freilich war es eigentlich nur ein Andenken an eine Handlung der Freundschaft, bloßer verwandtschaftlicher Zuneigung. Er hatte durchaus gar keinen Grund, es in einem anderen Licht zu betrachten. Er war nun mehr als je zuvor davon überzeugt, dass es nie eine andere Bedeutung gehabt habe.

Niemals hatte sie ihm gesagt, dass sie ihn liebe, niemals ein Wort gesprochen, das ihm ein Recht gäbe, sie zu tadeln. Von ihrer Seite konnte gar keine Zurückweisung kommen, da gar kein Verhältnis zuvor stattgefunden hatte. Es war deshalb vollkommen ungerecht, sie zu verdammen und sie grausam zu verhöhnen, wie er es tat.

Dass sie einen anderen liebte, war das ein Verbrechen?

Herbert wusste jetzt, dass sie einen anderen liebe; er war dessen ebenso gewiss, als er auf dem Jumbéfelsen stand. Die kurz zuvor unterbrochene Szene konnte ihm hierüber gar keinen Zweifel lassen. Die ganze Lage, in der sie oben angetroffen wurden, zeigte an, dass ein Antrag stattgefunden hatte.

Vielleicht hatte der Liebende noch keine bestimmte Antwort erhalten, aber wer konnte darüber nur zweifelhaft sein, wie diese ausfallen müsse?

So bitter diese Erwägungen auch für Herbert waren, so gab er sich doch Mühe, sie zu unterdrücken. Er beschloss, alle seine früheren Einbildungen zu überwältigen, seine trübe Stimmung zu besiegen und auf den Trümmern seiner einstigen Hoffnungen das einzige Verhältnis, das in Zukunft allein zwischen ihm und seiner Cousine bestehen konnte, wieder herzustellen: das einer offenen, warmen Freundschaft. Mit einer fast übermenschlichen Anstrengung gelang ihm dies auch und dieser Sieg der Tugend über den durch die stärksten Herzensgefühle hervorgehobenen Groll tröstete seinen Geist und beruhigte ihn sofort.

Ach, warum muss solch’ ein Sieg nur ein vorübergehender sein? Der Kampf, den er nun begann, ist ein solcher, in dem ein Mensch mit menschlichen Gefühlen noch niemals gesiegt hat. Unbestrittene offene Liebe mag in Freundschaft enden, doch unerwiderte, bestrittene oder verkannte Liebe niemals!