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John Tanner – Das Leben eines Jägers Anhang II

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Anhang
2. Vom Fasten und Träumen

Strenges und langanhaltendes Fasten ist den unverheirateten Indianern beiderlei Geschlechts schon von sehr früher Kindheit an vorgeschrieben. Der Vater reicht zum Beispiel seinem Kind einmal morgens mit der einen Hand das Frühstück, mit der anderen eine Holzkohle dar. Nimmt das Kind die letztere, so freut sich der Vater, lobt es und bezeugt ihm auch auf andere Art seine Zufriedenheit. Wer lange fasten kann, wird deshalb sehr beneidet, und auch aus diesem Grund werden die Kinder daran gewöhnt, möglichst lange Zeit sich aller Nahrung zu enthalten. So lernen die Kinder durch Übung drei, fünf, sieben, ja, wie behauptet wird, zehn Tage lang fasten. In dieser ganzen Zeit genießen sie nichts als ein wenig Wasser, und auch dieses nur in langen Zwischenräumen. Während sie fasten, geben sie ganz besonders auf ihre Träume acht, und je nach Beschaffenheit derselben bilden sich die Verwandten, denen diese Träume erzählt werden, eine Meinung über das, was dem Kind in Zukunft bevorsteht.

Ein Traum von dem, was in der Luft vorgeht, von Vögeln, Wolken, Himmel, gilt für sehr günstig. Wenn das Kind anfängt, von dergleichen zu erzählen, dann wird es von den Verwandte unterbrochen, die ihm zurufen: Es ist schon gut, rede nicht mehr davon. Die Kinder bewahren von den Träumen Eindrücke, welche ihr Leben lang Einfluss auf ihren Charakter haben.

Einem alten, sehr ausgezeichneten Krieger, welcher sich vor einigen Jahren am Red River aufhielt, hatte, während er einmal in seiner Kindheit fastete, geträumt, es sei eine Fledermaus auf ihn zugeflogen, und deshalb dieses Tier zu seiner Medizin erkoren. Auf die kostspieligen Kriegs- oder Jagdmedizinen, welche bei den übrigen Indianern in so großem Ansehen stehen, gab er gar nichts. So lange er lebte, trug er eine Fledermaushaut vorn an seiner Kopfbedeckung. Auf seine vielen Kriegszüge ging er mit der größten Zuversicht und Ruhe, denn er war fest überzeugt, dass die Sioux, welche eine Fledermaus in ihrem Flug nicht schießen können, auch ihn nicht treffen würden. Er zeichnete sich bei jeder Gelegenheit aus und erlegte eine große Menge seiner Feinde, ohne jemals von einer Kugel auch nur gestreift worden zu sein. Dass er dieses seltene Glück auf Rechnung der Fledermaushaut schrieb, versteht sich von selbst.

Tanner erzählt, dass seine Adoptivmutter, Net-no-kwa, als sie etwa zwölf Jahre alt war, einmal zehn Tage hintereinander fastete. Als sie während dieser Zeit einen Traum hatte, stieg ein Mann vom Himmel herab, setzte sich vor ihr hin, sprach vielerlei mit ihr, reichte ihr zwei Stäbe und sprach: »Diese gebe ich dir, damit du auf dieselben dich stützt. Auch gestatte ich dir, dass dein Haar einst weiß werde wie der Schnee.« Ihr ganzes Leben lang war diese vortreffliche Frau fest überzeugt, dass sie ein hohes Alter erreichen würde. Oft, wenn sie sich in der größten Not und Bedrängnis befand und Gefahren aller Art sie umgaben, ermahnte sie die ihren, den Mut nicht sinken zu lassen, und erinnerte sie daran, dass ihr versprochen worden sei, sie werde im hohen Alter auf Krücken gehen und Haar bekommen so weiß wie Schnee.

Der Glaube, dass dem Menschen im Traum Mitteilungen gemacht werden, beschränkt sich übrigens weder auf unsere Zeit, noch auf die Indianer. Der Mensch, und namentlich der weniger Gebildete, neigt sich sehr zu demselben. Die meisten Indianer vom Stamm der Algonkin und vielleicht die ganze Nation glauben nicht nur, dass ihre Gebete in Zeiten der Not vernommen und erhört werden, sondern auch, dass manche unter ihnen im Traum von Dingen unterrichtet werden, die erst in sehr ferner Zeit oder gar erst nach ihrem Tod sich ereignen. Es ist wahrscheinlich, dass ihr traditioneller Glaube von dem, was zukünftig sich ereignen soll und unter welchen Umständen es geschehen wird, einen so starken Eindruck auf das Gemüt der Kinder macht, dass sie oft schon von früher Jugend an bis ins hohe Alter sehr häufig von Träumen heimgesucht werden. So findet man Leute unter ihnen, welche während der gefährlichsten Krankheiten und in einem so durchaus hoffnungslosen Zustand, dass man sie als eine Beute des Todes betrachten muss, dennoch im Fieberwahn träumten, dass das, was in früher Jugend ihre aufgeregte Einbildungskraft ihnen vorgespiegelt hatte, erfüllt worden sei. So erzählen sie mit der größten Zuversicht, dass diese oder jene Personen gestorben und auf dem Pfad der Toten gewandelt seien, bis zu einem großen Erdbeerbaum, welcher dicht neben demselben gewesen ist. Einige haben den Fluss gesehen, andere denselben sogar überschritten und sind in die Dörfer der Toten gelangt.

Träume dieser Art scheinen sehr häufig zu sein. Nicht selten erzählen sie aber auch von Quälereien und Enttäuschungen. Manche kamen im Geist bei dem Erdbeerbaum an, und der Jebi-nug erfrischte sie während der Reise. Aber als sie die Frucht mit Händen greifen wollten, war es nur ein Stein. Diese Sage findet man bei den Stämmen in der Nähe des Oberen Sees, in deren Gebiet man im Sand häufig rote Steinchen findet, welche mit den Erdbeeren einige Ähnlichkeit haben. Manche sind jedoch weiter gekommen und haben großen Schrecken empfunden, als sie das Me-tig-usch-e-po-kit oder das schwankende Kanu erblickten, auf welchem sie übersetzen mussten, und fürchteten sich sehr vor dem Hund, der sich dort aufhält. Dann ließen es ihre Bekannten an Stichelreden, Spott und Hohn nicht fehlen. Man lachte ihnen geradezu ins Gesicht und nannte sie Jebis. Man gab ihnen Asche und Wasser statt der Mun-da-urin-ah-bo oder der Kornsuppe, Baumrinde statt gedörrten Fleisches und große Puk-kwis oder O-zhusch-kwa-to-wuks oder ungenießbare Staubschwämme.

Einige Männer erblickten in jenem Land nur junge Frauen, welche sich darum zankten, wer ihr Mann sein sollte, und die Träume aller haben überhaupt immer einigen Bezug auf die Lage und Verhältnisse der Träumenden. Woher haben diese Völker ihre ersten Traditionen über das Land der Toten? Das wird wohl schwerlich jemals ausfindig gemacht werden können. Da dieselben aber einmal vorhanden sind, so kann es auch nicht auffallen, dass es in ihren Träumen eine so bedeutende Rolle spielt.

Sie glauben auch, dass die Seele, oder wie sie sich ausdrücken, der Schatten, sich bei schweren Krankheiten vom Körper absondere, und betrachten einen Menschen, dessen Zustand verzweifelt scheint, als einen schon Toten. Daher sagen sie auch von Leuten, sie seien zu einer bestimmten Zeit gestorben, während dieselben doch noch viele Jahre unter den Lebenden wandelten. Dass sie sich uneigentlich ausdrücken, begreifen sie gar nicht. Sie sagen vielmehr sehr häufig, der Mann starb zu der und der Zeit, aber er ist wiedergekommen.

Ich habe gehört, dass sie einem Genesenden den Vorwurf machten, er setze sich leichtsinniger Weise der Gefahr aus, seinen Schatten, der mit dem Körper nicht fest genug zusammenhänge, zu verlieren. Sie glauben, dass die Seele den Körper verlasse, ehe die Auflösung des Letzteren anfängt, glauben aber auch, dass sie sich erst lange nach dem Tod trenne. Dieser Glaube tritt am deutlichsten bei ihrem Fest des Sche-bah-ku-sche-ga-win hervor, und ist auch bei anderen Begräbnisfeierlichkeiten zu erkennen, besonders wenn Frauen ihren Männern die letzten Ehren erweisen.

Im Frühjahr 1826 starb ein Mann aus dem Stamm der Menominee und wurde in der Nähe eines Ortes begraben, wo ein Teil des 5. Infanterieregiments der Vereinigtem Staaten seinen Lagerplatz hatte. Es war auf einer Hochfläche hinter dem Ort Prairie du Chien am Ufer des Mississippi. Die Leiche wurde zu ihrem Ruheort von einer großen Anzahl Freunden und Verwandten begleitet. Als er in die Grube hinabgesenkt werden sollte, trat die Witwe an den plump gearbeiteten Sarg hinan, betrachtete ihn, stieg hinauf, sprang wieder hinab, und lief wohl eine Strecke, von der Weite einer Meile, ehe sie stehen blieb. Das ist Brauch bei den Frauen jenes Stammes, und die Witwe nimmt sich, falls sie eine zweite Heirat beabsichtigt, wohl in acht, ihre Blicke nicht nach der Seite zu wenden, wo das Grab befindlich ist, welche sie verlassen hat. Das geschieht, wie sie sagen, damit der Schapi, oder wie die Chippewa sagen, der Jebi, das heißt der Tote, sie nicht verfolgen könne. Die Menominee glauben, dass, wenn die Frau hinter sich blickt, sie sogleich tot zur Erde fallen oder in unheilbaren Wahnsinn verfallen würde. Zuweilen, aber doch nur in seltenen Fällen, wird die Witwe von einer anderen Person begleitet, welche einige kleine Zweige in der Hand trägt, ihr unmittelbar auf dem Fuße folgt und die Zweige über ihrem Kopf schwingt, als wolle sie ihr die Fliegen abwehren. Diese Handlung heißt Whai-na-how und die ganze Feierlichkeit wird Ah-nenk-kun-new genannt.

Bei dem eben angeführten Fall lief die Frau sehr rasch, sah sich nicht um und nahm eine der Lage ihrer Hütte ganz entgegengesetzte Richtung. Aber ihr Wehgeschrei, das man weithin hören konnte, schien im Widerspruch mit einer Handlung zu stehen, deren Zweck doch kein anderer war, als sich auf immer von dem zu trennen, welchen sie beweinte.

Die gewöhnlichen und wohlbekannten Ehrenbezeigungen, welche die Indianer ihren Toten erweisen, scheinen übrigens zärtliche Gefühle, deren Nichtvorhandensein aus der eben besprochenen Feierlichkeit hervorzugehen scheint, nicht auszuschließen. Bei den meisten ihrer Bräuche, welche auf die Pflichten gegenüber den Toten Bezug haben, erkennt man nicht nur die Spuren solcher zarten Gefühle, sondern auch einen starken Glauben an ein zukünftiges Leben. Sie glauben, dass die von ihnen getrennten Freunde den Wert der ihnen bewiesenen Achtung erfahren und schätzen.

Während der großen Versammlung in Prairie du Chien im Jahre 1833 wurde ein Siouxhäuptling vom Stamm der Sissitong krank und starb an einem Gallenfieber. Er war ein Mann, der bei seinem Volk viel galt. Da er außerdem aus weiter Ferne hergekommen war, um einer Aufforderung der Regierung der Vereinigten Staaten Genüge zu leisten, so beschloss der Militärkommandant des dortigen Postens, ihm die dem Krieger gebührenden letzten Ehren erweisen zu lassen. Die zu seinem Stamm gehörenden Männer hatten sich in der Hütte, wo er lag, um ihn versammelt und hoben die Leiche auf die Bahre, als die Eskorte ankam. Dann sangen etwa hundert Stimmen eine Art von Requiem, welches ein mit ihrer Sprache bekannter Mann folgendermaßen übersetzte: »Bruder, betrübe dich nicht. Der Pfad, auf welchem du wandelst, ist derselbe, welchen wir einst alle werden betreten müssen, und alle Menschen werden uns auf demselben folgen.« Diesen Gesang wiederholten sie, bis sie am Begräbnisplatz angekommen waren.

Es liegt etwas Rührendes in ihrer Art, den Jebi oder die Totenerinnerung anzuordnen. Nie vergessen sie den Tribut zu entrichten, welchen sie dem Abgeschiedenen schuldig zu sein glauben. Wenn sie essen oder trinken, so stellen sie sorgfältig etwas davon für den Jebi zur Seite, und dieser Gebrauch wird Jahre lang beobachtet, wenn nicht etwa ein Kriegszug in dieser Zeit stattfindet.

Auf dem Schlachtfeld hören die Verpachtungen gegenüber den Toten auf.

Man sagt, das die Chippewa, die Sarkis, die Strongbow und andere Stämme in jenen unwirtlichen Gegenden, welche den Polarkreis begrenzen, häufig ihre Toten nicht begraben und oft ihre Freunde und Verwandten im Stich lassen, wenn diese zu schwach sind, die Anstrengungen ihres mühevollen Lebens ferner zu ertragen. Wenn dieses wahr ist (und man kann nicht daran zweifeln), so liegt die Ursache in der starren Notwendigkeit, welche das strenge Klima ihnen auferlegt.