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Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande 24

Friedrich Gerstäcker
Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Kapitel 24

Fritz wagt einen Fluchtversuch auf eigene Faust und kam davon

Fritz lag gebunden unter dem Baum, schaute in dumpfer Verzweiflung in die glimmenden Kohlen, auf die seine Wächter nur manchmal feuchtes Laub warfen, einen starken Rauch zu unterhalten und die lästigen Moskitos damit zu verscheuchen. Sie schienen sich dabei wenig um ihn zu kümmern und nur mit ihrem Sirihkauen beschäftigt zu sein, den roten ekelhaften Saft dabei nach allen Richtungen hin um sich her spritzend. Nichts desto weniger entging ihnen keine seiner Bewegungen. Wenn er sich nur regte, seine Lage zu verändern, ja nur den Kopf auf die Seite zu drehen, hafteten ihre dunklen Augen auf ihm und beobachteten ihn misstrauisch, bis er wieder still und ruhig liegen blieb.

Wenn ihn seine Wächter aber auch weiter nicht belästigten, so taten das umso mehr die Moskitos, die ihn in Schwärmen umsummten und durch den über ihm hinziehenden Rauch nur teilweise verscheucht wurden. Alles Mögliche versuchte er, ihre schmerzhaften Stiche von sich abzuwehren, aber selbst durch Hin- und Herwerfen konnte er sich nur für Minuten Ruhe verschaffen. Die kleinen Quälgeister stürmten in unermüdlicher Hast stets von Neuem auf ihn ein.

Die zwei Sumatraner, von denen der eine ein alter Häuptling zu sein schien, denn seine Kleidung war vom feinsten Stoff, sein Kopftuch mit Gold durchwirkt, in dem Gürtel trug er einen wirklich prachtvollem mit bunten Steinen reich besetzten Kris, führten ein eifriges Gespräch miteinander, von dem Fritz mithilfe seines Malaiischen so viel verstand, zu erfahren, dass es sich um ein Boot handle, welches ihnen gegenüber am Seestrand lag und nach dem der eine sehen, der andere aber den Gefangenen nicht verlassen wollte. Endlich entschlossen sie sich dahin, dass der eine wirklich zum Strand hinuntergehen, der alte Häuptling aber, eine breitschultrige, kräftige Gestalt, bei dem Gebundenen zurückbleiben solle.

Fritz’ Lage würde dadurch unverändert sein, denn mit gebundenen Armen und einem bewaffneten Wächter wäre es Torheit gewesen, an Flucht zu denken, hätte er nicht schon in der letzten Zeit gefühlt, wie seine Fesseln, durch das Hin- und Herwerfen wahrscheinlich mehr und mehr gelockert, ihm die Möglichkeit versprach, sich frei zu arbeiten. In wilder, jubelnder Lust zuckte ihm der neue Hoffnungsstrahl durch Mark und Bein, aber auch zu gleicher Zeit, in dem vollen Bewusstsein, dass die geringste unvorsichtige Bewegung die verderblichsten Folgen für ihn sein mussten, beschloss er sich schlafend zu stellen, bis sich wirklich einer seiner Wächter entfernt haben würde. Nur von zwei Augen überwacht, bot sich ihm vielleicht eine günstige Gelegenheit, die er, in einer guten Schule gestählt, wahrlich nicht unbenutzt vorübergehen lassen wollte.

Seine derzeitige ruhige und regungslose Lage, die ihn unter den wütenden Moskitostichen nicht wenig Überwindung kostete, gewann ihm aber wenigstens den Vorteil, dass seine Wächter nicht veranlasst wurden, seine Fesseln nachzusehen. Nach einer Weile knüpfte sich der eine wirklich sein Kopftuch fester, zog seinen Sarong um sich und verließ, nur mit dem Kris bewaffnet, den Lagerplatz, Fritz einen günstigen Moment benutzte, sich nach dem Stand der Sterne genau die Richtung zu merken, die er eingeschlagen hatte.

Der andere blieb noch eine Weile neben den qualmenden Kohlen stehen, trat dann auf den Gefangenen zu, der, wie im tiefen Schlaf, langsam und regelmäßig Atem holte und legte sich endlich dicht daneben, das Gesicht ihm zugewandt, auf die Erde nieder. Sein Kris, den er, wie alle diese Eingeborenen an der linken Seite, aber ziemlich nach hinten trug, mochte ihn dabei drücken, oder er auch fürchten ihn zu beschädigen, denn er zog ihn mit der Scheide aus dem Gürtel, legte ihn unter den Kopf und schien so die Rückkehr seines Kameraden abwarten zu wollen. – Fritz durfte unter solchen Umständen keinen Fluchtversuch wagen.

Die Moskitos wurden aber immer gieriger auf ihr Blut, und der Sumatrane, dem sie die nackten Glieder stachen und um die Ohren summten, sprang endlich, mit einer leise gemurmelten Verwünschung, vom Boden auf und raffte eine Handvoll feuchtes Laub zusammen, den fast ganz verwehten Rauch wieder zu verstärken.

Sowie er aber nur den Rücken wandte, versuchte der Gefangene von Neuem sich seiner Fesseln zu entledigen und vermochte kaum einen Freudenschrei zu unterdrücken, als der, durch den feuchten Boden weich gewordene Bast seinem Druck nachgab und er imstande war, die rechte Hand aus der Schlinge zu ziehen. In demselben Moment fast dröhnte der Schuss der von Pulo-Pulo abgefeuerten Drehbasse wie ein Wetterschlag durch den Wald und der Sumatrane zuckte erschreckt empor, dem Donner des Geschützstückes zu lauschen. Ein günstigerer Moment kehrte nicht wieder für den Gefangenen und sein erster Griff war nach dem neben ihm liegenden Kris. Wie zu seinem Schutz zog in diesem Augenblick, von dem dumpfen Laub erzeugt, dichter Qualm über ihn hin und den Kris rasch aus der Scheide, die er in seinem Gürtel barg, reißend, sich im Notfall die Bahn frei zu machen, sprang er gerade in die Rauchwolke hinein, in ihrem Schutz das nächste Dickicht zu erreichen, wo er dann keine weitere Verfolgung zu fürchten brauchte.

Der Sumatrane hatte ihn jedoch nicht so ganz außer Acht gelassen, denn kaum sprang der Gefangene empor, als er sich auch schon rasch nach ihm umwandte. Der Qualm ließ ihn aber im ersten Moment nichts unterscheiden und beizte dabei noch seine Augen. Jedoch fest entschlossen, jedem etwaigen Fluchtversuch seines Gefangenen in Zeit zu begegnen, suchte er gerade mit einem Sprung aus dem Bereich des Rauches zu kommen, als die schlanke Gestalt des jungen Mannes in voller Macht gegen ihn anflog und ihn seitwärts zu Boden warf.

Trotzdem haftete sein Griff mit eiserner Gewalt in den Kleidern des Flüchtlings, den er mit sich niederriss. Dieser wäre den krampfhaft geschlossenen Fingern schwerlich wieder entkommen, hätte der jetzt zur Verzweiflung Getriebene nicht die Waffe in die Seite des Wilden gestoßen, der ihn mit lautem Aufschrei losließ und die Todeswunde mit der Hand bedeckte.

Fritz war frei und der feindlichen Umarmung des Sumatranen sich entziehend, folgte er in wilder Flucht der Richtung, die er seinen anderen Wächter vorher hatte einschlagen sehen. Erst aber einmal im Wald und keiner weiteren Verfolgung ausgesetzt, hemmte er seinen raschen Lauf, horchte vorsichtig nach allen Seiten hin, dass er nicht am Ende seinem anderen Wächter in die Hände lief und hatte bald die Freude, sich den Wald lichten und das Blitzen des Mondes auf dem glatten Spiegel der vor ihm ausdehnenden Bay zu sehen.

Noch stand er im Schatten des letzten Busches, der einen breiten Streifen lichten sandigen Strandes begrenzte, als er etwas unten am Wasser sich regen sah. Als er sich unter den nächsten Busch niederduckte, regungslos kaum zu atmen wagte, erkannte er bald eine dunkle Gestalt, die vom Ufer rasch heraufstieg, oben und jetzt kaum zehn Schritt von Fritz, lauschend und nach dem gegenüberliegenden Ufer hinüber horchte, dann mit schnellen Schritten in dem Dickicht verschwand. So dicht streifte der Sumatrane an dem Flüchtling vorüber, dass er ihn fast hätte mit der Hand erreichen können. Aber mit keiner Ahnung von dem, was seit seiner Abwesenheit vorgegangen war, eilte er nun wieder zurück zu seinem Gefährten, mit diesem die mögliche Ursache des entsetzlichen Knalles zu besprechen und vielleicht auch zu beraten, ob es nicht das Beste wäre, sich ihres Gefangenen durch einen Messerstoß zu entledigen und den Freunden beizustehen.

Was aber auch seine Pläne gewesen sein mochten, er sollte sich bald bitter getäuscht und erschreckt finden, denn der bisherige Gefangene war frei und hatte sogar die Landung ihrer Boote entdeckt, zu denen er, als der Wilde kaum den Strand verlassen hatte, mit klopfendem Herzen niederstieg.

Acht Kanus lagen hier dicht nebeneinander, mit starken Bastseilen an ein kleines, bis zum Wasser niederreichendes Mangrovengebüsch befestigt. Jedes derselben mochte hinreichend sein, acht Mann zu tragen, obgleich sie wohl keineswegs so viel Mannschaft hier gelandet, sondern eher bestimmt gewesen waren, Beute mit fortzuführen. Das wenigste aber, was sie zur richtigen Führung derselben bedurften, waren drei Mann für jedes. Einzelne hatten übrigens wohl auch mehr gebracht und der ganze Trupp bestand demnach aus zwanzig oder dreißig Eingeborenen.

Aber was nun tun? Eines der Kanus nehmen und damit in See gehen? Was wurde aus seinen unglücklichen Kameraden und wie durfte er hoffen, mit einem Ruder den vielleicht Nachsetzenden zu entkommen? Dabei hatte er auch gar keine Zeit zu verlieren, denn wie lange würde es währen und der Eingeborene, wenn er ihn entflohen und den eigenen Kameraden ermordet fand, konnte hierher zurückkehren und ihn wieder in den Wald treiben.

Eine andere Schwierigkeit schien sich ihm dabei in der Strömung zu bieten, die mit steigender Flut, in außerordentlicher Schnelle und Gewalt am Ufer hinaufsetzte. Die frei angebundenen und nun flott gewordenen Kanus hielten die starken Bastseile bis zum Äußersten gespannt. Wäre er imstande gewesen, sich durch diese Strömung hinzuarbeiten? Noch stand er von peinlicher Ungewissheit, was zu tun sei, gemartert, als der zweite Schuss plötzlich durch den Wald schmetterte und er zu seinem freudigen Erstaunen entdeckte, dass die Strömung, die sich bis dahin feindlich geglaubt, ihn gerade und pfeilschnell der Stelle entgegenführen würde, wo ihr kleines Fort, dem Schall des Schusses nach, liegen musste. Einmal erst dort, zweifelte er gar nicht daran, es unbemerkt erreichen zu können, indem er nur dem schmalen Bergbach aufwärts zu folgen brauchte. Mit dem Entschluss sprang er auch schon in das größte der dort liegenden Kanus, dies vielleicht später zu ihrer gemeinsamen Flucht benutzen zu können.

Und wenn ihm die Eingeborenen nun auf die Spur kämen und in den anderen Kanus folgten? Ei zum Wetter, so gut wie er das eine losschnitt, konnte er die anderen ebenfalls treiben lassen. Den kaum gefassten Plan ebenso schnell ausführend, warf er die Ruder, bis auf sechs, die er in seinem eigenen Boot behielt, vor allen Dingen über Bord und hatte die Freude, sie in rascher Fahrt abtreiben zu sehen. Dann einen Kris ziehend, durchschnitt er die Bastseile, welche die kleine Flotte vor Anker gehalten hatten. Im nächsten Augenblick schon glitt dieselbe seitwärts vom Ufer etwas ab und diesem folgend die Bay hinauf. Sein eigenes Ruder dann ergreifend und gebrauchend, lenkte er den kleinen Kahn aus den übrigen heraus mehr dem Ufer zu, in dessen dunklen Schatten er sich besser geschützt glaubte, genau dabei die Richtung behaltend, von der der Knall gekommen war und von wo jetzt eben wieder, wie um ihm die bessere Bahn zu zeigen, Kleingewehrfeuer herüber knatterte. Die anderen Nachen überließ er ihrem Schicksal und der Strömung.

Was in der Ebbe vielleicht sechs Menschen nur mit der größten Anstrengung, gegen den Strom langsam anarbeitend, möglich gewesen wäre, half ihm dieser jetzt spielend zu verrichten. Wie ein Pfeil schoss das scharf gebaute Kanu, der gewaltigen Wassermasse folgend, am Ufer hin und schon konnte er das kleine niedere Dickicht erkennen, aus dessen Schatten der Bach, der ihrem Lager das Wasser lieferte, vorquoll, während es jetzt sogar einiger Anstrengung bedurfte, sein schwankendes Boot dorthin und in die natürliche Bucht hineinzulenken. Glücklich gelang ihm dies und der Lärm des noch wütenden Kampfes ließ ihn dabei nicht lange über den Weg zweifelhaft, den er einzuschlagen hatte. Eins der schmalen, scharfkantigen Ruder als Schutz- und Trutzwaffe aufgreifend, sprang er die Uferbank mit flüchtigen Sätzen hinauf.