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Der Marone – Ein aufgeschobener Antrag

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 16

Ein aufgeschobener Antrag

Langsam, schweigend und ungesehen war der sanfte Lichtkörper der Nacht seiner glänzenden Tagesgöttin entgegengerückt, bis ein leichter Schatten an ihrem äußeren Rand die wirkliche Berührung anzeigte.

»Das ist es nun!«, sagte Smythje und hielt das Glas ans Auge. »Sie küssen sich jetzt wie zwei Liebende. Wie schön das ist! Meinen Sie nicht auch so, schönes Käthchen?«

»Leider ein für Liebende etwas entfernter Kuss, meine ich – ungefähr zwanzig Millionen Meilen zwischen ihnen.«

»Ah, ah! Sehr gut, wahrhaftig, sehr gut! Und gerade hierbei verleiht die Entfernung durchaus keinen Zauber. Da ist es besser, nah zu sein, so wie Sie und ich. Meinen Sie nicht auch so, schönes Käthchen?«

»Das hängt freilich wohl von Umständen ab, ob die Liebe auch gegenseitig ist.«

»Gegenseitig! Ja, wahr genug, da liegt wirklich etwas Wahres drin.«

»Sehr viel, meine ich, Herr Smythje. Zum Beispiel, wäre ich ein Mann und meine Geliebte machte mir ein finsteres Gesicht, wie dort der Mond ihrer Majestät der Sonne zu machen scheint, ich würde mich entfernt halten und wären es zwanzig Millionen Meilen.«

Hätte der würdige Smythje gerade in diesem Augenblick das Glas vom Auge entfernt und sich nach seiner Geliebten hingewandt, er hätte vielleicht aus ihren Blicken lesen können, dass ihre Rede eine bestimmte Bedeutung habe, die von der von ihm beliebten Erklärung gänzlich verschieden war.

»Ah, oh! Sehr schön von Ihnen, auf Ehre! Aber Sie müssen sich erinnern, dass der Mond zwei Gesichter hat. Hierin gleicht er wirklich ganz den Frauen. Sein hell strahlendes Gesicht ist der Sonne zugewandt, und sie lächelt zweifelsohne diesen Augenblick dem Burschen freundlich zu. Seine düstere Seite aber ist für uns und für die ganze westliche Menschheit. So hat der Mond zwei ganz verschiedene Seiten, gerade wie ein junges Mädchen. Meinen Sie nicht auch so, schönes Käthchen?«

Käthchen war wirklich zu lächeln genötigt und sah Smythje kurze Zeit mit einem Blick an, der leicht hätte für Bewunderung gehalten werden können. In dem von dem Stutzer durchgeführten Gleichnis lag wirklich viel Sinniges, das umso schlagender war, da es aus solcher Quelle gar nicht erwartet wurde. Übrigens kündete der Blick auch sicher mehr Verwunderung als Bewunderung an, obwohl Smythje ihn offenbar in der letzten Weise auslegte, worauf ihn sein Selbstgefühl und der hohe Wert, den er auf sich selbst legte, hinwiesen. Bevor Käthchen zu antworten vermochte, wiederholte er sofort die Frage.

»O ja«, antwortete sie dann, während das Lächeln allmählich auf ihrem Gesicht erlosch. »Ich kann mir wohl vorstellen, Herr Smythje, dass Ihre Gleichung nicht so ganz unrichtig ist. Ich denke mir, dass eine Frau, die wahrhaft liebt, ihr Lächeln gar keinem anderen als ihrem Geliebten zuwenden würde. Und sollte er auch selbst so weit entfernt sein, wie der Mond von der Sonne, im Herzen würde sie doch nur ihm zulächeln können.«

Die junge Kreolin schlug beim Sprechen die Augen nieder und sah nicht länger mehr zur Sonnenfinsternis, sondern senkte unwillkürlich den Blick.

»Ach, ja wohl!«, fuhr sie in Gedanken versunken fort, »und selbst wenn es für sie unmöglich wäre, ihn je zu treffen, dennoch würde ihr Lächeln stets nur ihm gehören. O, ganz gewiss!«

Einige Augenblicke verblieb sie schweigend und in sich gekehrt, während Smythje, durch den veränderten Ton ihrer Stimme aufmerksam geworden, das Teleskop vom Auge nahm und sich zu ihr hinwandte.

Da er nun das schon oft zuvor bei ihr bemerkte zerstreute Wesen wahrnahm, so glaubte er es auch dieses Mal keiner anderen Ursache zuschreiben zu müssen, als der, welche seine Eitelkeit herausgegrübelt hatte.

Sein mitfühlendes Herz war bereits auf dem besten Wege, vollständig gerührt zu werden, und fast war er auf dem Punkt, von dem Programm abzuweichen, das er doch so höchst sinnig entworfen hatte. Allein die Erinnerung an die schönen und anmutigen Reden, die er Thoms bereits vorgetragen hatte, sowie die Erwägung, dass jedes Abweichen von dem ursprünglichen Plan ihn des Vergnügens berauben würde. Die ganz zweifelsohne zu erreichenden Wirkungen seiner Reden deutlich zu erkennen, hielten ihn von einer voreiligen Erklärung ab. Er schwieg still, brachte das Glas wieder ans Auge und beschäftigte sich abermals damit, nach der Sonnenfinsternis zu schielen.

Als die junge Kreolin ihn so beschäftigt sah, ging sie ein wenig zur Seite, stellte sich an den jähen Rand des Felsens und blickte um sich und unter sich herum.

Offenbar zog sie die große Himmelserscheinung nicht besonders an, denn sie sah weder nach der Sonne noch nach dem Mond, noch nach den Sternen, die nun bald an dem verdunkelten Himmel sichtbar sein sollten. Ihre Augen wie ihre Gedanken waren auf die Erde gerichtet, und wie das holde Antlitz der Natur von einem purpurnen Halbschatten verhüllt wurde, so konnte man auch ihr schönes Angesicht von einer finsteren Wolke bedeckt sehen.

Tiefes Schweigen herrschte in der Natur, in wenigen Augenblicken hatte eine vollständige Veränderung stattgefunden. Die vorher so lauten Stimmen des Waldes wurden nicht mehr gehört, die Vögel hatten plötzlich zu singen aufgehört, und wenn sie sich zuweilen noch hören ließen, so war es ihre Furcht und ihre Angst verratendes Geschrei und Gekreisch. Selbst die Insekten und Schlangen waren aus einem gleichen Gefühl der Furcht ganz still geworden, und nur die schwermütigen und traurigen Naturtöne, wie die Seufzer der Bäume im Wind und das Stöhnen des entfernten Wasserfalles waren vernehmbar.

Diese plötzliche Umgestaltung erinnerte Käthchen Vaughan unwillkürlich an die in ihrem eigenen Herzen stattgefundene traurige Umwandlung. Sie war in gleicher Weise plötzlich still gewesen, das Ergebnis; nur weniger Tage, vielleicht nur weniger Stunden, denn das kurz zuvor so muntere und lustige Mädchen war nun gewöhnlich ernst und schweigsam. Wohl konnte sie passend ihre Gedanken mit den Waldstimmen vergleichen. Die freudigen und melodischen Töne waren verhallt und nur die trüben und düsteren waren ihr allein verblieben!

Die Ursache dieser Veränderung war auch nicht so sehr von der verschieden, die Smythje angenommen, denn er hatte ganz recht, sie einer Leidenschaft zuzuschreiben, der mächtigen im Frauenherzen.

Lediglich im Betreff des Gegenstandes dieser Leidenschaft hatte der gute Smythje sich vollständig geirrt.

Sein Eigendünkel hatte ihm hier einen bösen Streich gespielt und ihn zu einer gänzlich verkehrten Annahme verleitet. Hätte er aber in diesem Augenblick die im Geist seiner schönen Begleiterin sich jagenden Gedanken ahnen können, er wäre sicher bald von dem ihm verhängnisvollen Missverständnis befreit worden; dass er selbst die Veranlassung zu dieser trüben Stimmung Käthchens sei.

Das Herrenhaus von Willkommenberg war vom Jumbéfelsen aus ganz deutlich zu sehen, freundlich aus den grünen Lusthainen hervorschimmernd. Aber nicht darauf waren Käthchen Vaughans Augen gerichtet, sondern auf ein dunkles, von großen Baumwollbäumen beschattetes Gebäude, das in dem benachbarten Tal lag.

Ihr Herz folgte der Richtung ihrer Augen.

»Glückliches Tal«, sprach sie zu sich selbst, und ihre Gedanken entschlüpften leise ihren Lippen. »Glücklich für ihn, zweifelsohne. Da hat er ein Willkommen und eine Heimat gefunden, die ihm von denen verweigert wurde, deren Pflicht es gewesen wäre, sie ihm liebevoll anzubieten. Da hat er Gastfreundschaft bei gänzlich Fremden gefunden und da hat er auch …«

Das junge Mädchen hielt inne, gleichsam unwillig, dem ihre ganze Seele erfüllenden Gedanken offene Worte verliehen zu haben.

»Nein«, fuhr sie fort, unfähig, diese qualvolle Erwägung zu verbannen. »Ich darf der Wahrheit meine Augen nicht verschließen. Es ist wahr, was man mir erzählt hat, vollkommen wahr, ich bin davon überzeugt! Da hat er ein Wesen gefunden, dem er sein Herz geschenkt hat!«

Ein tiefer Angstseufzer entwand sich hierbei ihrer gepressten Brust.

»Ach«, rief sie, das trübe Selbstgespräch fortsetzend, aus. »Mir versprach er beim Scheiden einen starken Arm und ein treues Herz, wenn ich deren je bedürftig wäre. Und nun? Des Versprechens wird schwerlich noch erinnert werden, seine Erfüllung ist jetzt unmöglich! Ach, und das Band, auf das er so stolz war, das mir solche Freude bei seinen Versicherungen gewährte? Armes kleines Andenken, unbeschriebenes Zeichen der Erinnerung! Längst wohl bist du beiseite geworfen und gänzlich vergessen worden! O weh mir Armen! Auch dies Gelübde gebrochen!«

Wiederum unterbrach ein tiefer Seufzer ihr melancholisches Selbstgespräch. Dann, nach einiger Zeit, fuhr sie fort:  »Wir werden uns wohl niemals wiedersehen! Das waren seine letzten Worte. Ach, nur zu prophetisch! Doch jetzt wäre es wirklich besser, käme es so. Nur nicht ihn wieder treffen – mit ihr an seiner Seite, mit ihr, Judith Jessuron, seiner Geliebten, seiner Gattin! O Gott!«

Der letzte Ausruf wurde ziemlich laut ausgestoßen und in einem unverkennbar ängstlichen Ton.

Smythje hatte ihn gehört, stutzte und ließ das Fernglas aus der Hand gleiten.

Sich umsehend, gewahrte er seine Begleiterin zur Seite stehend und sich unbemerkt glaubend, mit leicht gesenktem Haupt und auf den Felsen niedergeschlagenen Augen, während ihr Antlitz die tiefste, innigste Betrübnis ausdrückte.

Smythjes Herz begann bei diesem Anblick völlig zu schmelzen. Er kannte ihren Schmerz und er kannte auch dessen Heilung. Das Heilmittel lag in seinen Händen. War es nun recht, es ihr noch länger vorzuenthalten? Ein Wort von ihm und ihr betrübtes Angesicht musste sofort vom holden Lächeln übergossen sein! Sollte dies Wort jetzt gesprochen oder noch aufgehoben werden?

Gesprochen!, rief die Menschlichkeit laut. Gesprochen!, widerhallte es in Smythjes mitfühlendem Herzen. »Ja, fort mit allem Theatralischen, fort mit dem Effekt der Sonnenfinsternis, fort mit den schönen, von Thoms überhörten Reden, und nur das teure Wesen von der Herzensangst gerettet, an der es leidet!

Mit diesem edelmütigen Entschluss wandte sich der zuversichtlich Liebende nach seiner Geliebten hin, ungefähr nur drei Schritte von ihm entfernt. Seine Bewegungen waren ganz die eines Mannes, der eine Zeremonie von der höchsten Wichtigkeit und Feierlichkeit vornehmen will, und bei Herrn Smythje war dies in der Tat auch der Fall.

Der verwunderte Blick, mit dem die junge Kreolin ihn betrachtete, schreckte ihn weder von seinem Vorhaben ab, noch störte er ihn irgendwie in dem Ausdruck feierlichen Ernstes, den seine ganze Haltung angenommen hatte.

Mit einem Knie auf den harten Felsen hinabgelassen, wo das seiner Hand entfallene Fernrohr lag, und mit der linken Hand auf dem Herzen, während die rechte den Hut einige sechs Zoll hoch über seinen parfümierten Kopf erhob, so war er im Begriff, die eigens für diese Gelegenheit mithilfe des braven Thoms einstudierte Rede loszulassen und Käthchen Vaughan seine Hand, sein Herz, seine ganze Liebe und all sein Gut anzutragen, als gerade in diesem entscheidenden Augenblick der Kopf und die Schultern eines Mannes über dem Rand des Felsens erschienen und hinter ihnen ein schwarzbefiederter Kastorhut, der das Gesicht eines schönen Mädchens beschattete. Es waren: Herbert Vaughan und Judith Jessuron!