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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Smythjes Sonnenfinsternis

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 15

Smythjes Sonnenfinsternis

Die berühmte Sonnenfinsternis des Kolumbus, wodurch dieser gewandte Seemann die einfältigen Wilden von Don Christophers Bucht so vorteilhaft für sich täuschte, ist nicht die Einzige, weshalb die Insel Jamaika berühmt sein sollte. Meine Pflicht wenigstens ist es, noch eine andere anzuführen, die, wenn auch nicht wert, in den Annalen der Weltgeschichte erwähnt zu werden, dennoch wohl ein Kapitel in unserer Geschichte verdient.

Die fragliche Sonnenfinsternis nämlich, obwohl in ihren Folgen durchaus nicht so wichtig, als die, welche den großen Weltentdecker begünstigte, war dennoch von beträchtlichem Interesse, ganz besonders für einige der in unserer Geschichte mitwirkenden Personen, deren Geschick nicht wenig durch sie beeinflusst wurde.

Da sie sich ungefähr zwei Wochen nach der Ankunft des vortrefflichen Herrn Smythje ereignete, so schien es wirklich, als hätte die Sonne sich gerade für diese Gelegenheit verfinstert, gewissermaßen als eine Steigerung all der glänzenden Feste und Unterhaltungen, die dem Herrn von Schloss Montagu zuteilgeworden waren. Deshalb verdient sie auch unbedingt als die Smythje-Sonnenfinsternis benannt zu werden.

In der durch diese Naturerscheinung hervorgebrachten Wirkung war Smythje freilich nicht so vom Glück begünstigt wie Kolumbus, denn anstatt einige zuvor gehegte Hoffnungen noch glänzender zu machen, diente sie vielmehr dazu, sie ganz, wie die Sonne selbst, zu verdunkeln.

Am Tage, bevor die Sonnenfinsternis stattfinden sollte, hatte der Cockney einen eigentümlichen Plan entworfen, nämlich den, die Sonnenfinsternis von der Höhe eines Berges mit anzusehen, und zwar von der Spitze des Jumbéfelsens!

Freilich lag in diesem Plan etwas verwegen Originelles, und deswegen entwarf Smythje denselben. Käthchen Vaughan sollte ihn sodann begleiten. Er hatte Herrn Vaughans Zustimmung bereits gefordert und natürlich auch erlangt, und ebenso die Käthchens, denn Käthchen hatte in letzter Zeit mehr denn je vorher gefunden, dass ihres Vaters Wille ihr Gesetz sei.

Smythje hatte bei dieser Besteigung des Jumbéfelsens – als eines von der Natur dargebotenen, vortrefflichen Observatoriums – noch eine ganz besondere Absicht. Die Kühnheit des Gedankens, der ganz sein eigen war, so wie das bei dieser Gelegenheit beabsichtigte Auskramen seiner astronomischen Kenntnisse, wozu er sich eigens vorbereitet hatte, mussten ihn in den Augen der jungen, in dieser Wissenschaft gerade nicht sehr bewanderten Kreolin als höchst interessant und geistreich erscheinen lassen.

Aber er hatte dabei noch eine ganz andere Absicht von viel größerer Wichtigkeit, eine Absicht, die er schon längst ausführen wollte, aber stets für eine außerordentliche Gelegenheit aufgespart hatte, gerade eine solche Gelegenheit, wie sie ihm die erwartete Sonnenfinsternis nun in bequemer Weise darbieten musste. Zu der Zeit nämlich, wenn die ganze Erde im Halbdunkel lag – gleichsam verhüllt von dem dunklen Schleier der Unermesslichkeit – in jener stillen und feierlichen Stunde hatte Smythje beschlossen, er wolle die Frage auf einmal zur Entscheidung bringen.

Warum er gerade solch einen Platz und solch eine Zeit – beide vorwiegend düster – gewählt hatte, das muss leider wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Vielleicht trugen zu dieser Wahl verschiedene Erwägungen bei, vielleicht glaubte er, dass der poetische Ruf des Platzes, in Verbindung mit der romantischen Feierlichkeit der ganzen Umgebung und des großartigen Naturschauspieles, einen ganz besonderen Einfluss auf das Herz der jungen Kreolin ausüben und sie zu einer rückhaltlos bejahenden Antwort bestimmen würde. Oder vielleicht auch, da er mit theatralischen Kunstgriffen und Vorkommnissen so genau Bescheid wusste, mochte er die ganze Idee aus  etwas auf der Bühne Gesehenem hergenommen und demgemäß nun diese merkwürdige Wahl getroffen haben.

Mit solchen wichtigen Entschlüssen im Geist erwartete Smythje die herannahende Sonnenfinsternis, die nach den Gesetzen des Sonnensystems sich am nächsten Tag ein wenig vor der Mittagsstunde ereignen sollte.

Als Herr Smythje an jenem Morgen erwachte, bemächtigte sich der große Gedanke seines ganzen Wesens. Er besaß hinlänglich astronomische Kenntnisse, um zu wissen, dass weder die Sonne noch der Mond ihn täuschen könnten. Die Sonne schien prachtvoll. Nicht der geringste Flecken vermochte auf dem dunkelblauen Grund des westindischen Himmels entdeckt zu werden, und es stand deshalb gar nicht zu erwarten, dass nur irgendeine Wolke weder dem großartigen Naturschauspiel noch den Absichten des verliebten Smythje hinderlich sein könne.

Ungefähr zwei Stunden, bevor die Sonnenfinsternis eintreten sollte, Zeit genug, um gemächlich auf den Berg steigen zu können, machte sich Smythje, von Käthchen Vaughan begleitet, auf den Weg.

Diener folgten keine, denn der vortreffliche Smythje war bei solchen Gelegenheiten lieber allein und hatte dies ausdrücklich so bestimmt, indem er die ihm von seinem Wirt zugedachte Begleitung ablehnte.

Der Morgen war wunderbar klar und die Gegend, in der Smythje mit seiner liebenswürdigen Gefährtin dahinzog, eine der lieblichen und schönsten, die nur im Reich der Natur anzutreffen sein mögen.

In den Gärten und auf den Blumenbeeten rund um das Herrenhaus von Willkommenberg herum ergötzte sich das Auge an den verschiedenen, sowohl einheimischen als auch auswärtigen Pflanzengestalten, von denen einige wegen ihres Schattens, andere wegen der Schönheit ihrer Blüten und noch andere wegen ihrer Früchte angebaut wurden. Da waren der Genziabaum, die orientalische Tamarinde, verschiedene Arten Palmen, der einheimische Pawpaw (Carica papaja) und der sonderbare Trompetenbaum (Ceoropia pellata). Wegen ihrer wunderschönen Blüten ausgezeichnet waren hauptsächlich die Cordia, der Oleander, die Südseerose, die große Magnolie und die äußerst wohlriechende persische Lilie (Media aredaraser). Köstlich schmackhafte Früchte trugen der Nierenbaum, der Mango und der malaysische Apfelbaum. Außerdem waren noch Guaven und alle Arten vom Zitrusfrüchten vorhanden, Orangen, Limonen und der gewaltige Pampelmusenbaum.

Die Hauptstämme der hohen Bäume erklommen mannigfaltige Schmarotzerpflanzen von den verschiedenen Arten, die dann die Äste in den seltsamen Formen umschlangen und die schönen, seltenen Blüten trugen. Solche waren die wachsgleiche Hoja carnosa, der karmesinrote Quamoklit, Brassavolen, Ipomäen und andere prachtvolle Orchideen.

Solch eine Gegend, die einem großen botanischen Garten glich, einem prachtvollen Palmenhaus, mit dem dunkelblauen Himmelsgewölbe als Dach, würde einen pflanzenkundigen Botaniker in die begeisterte Aufregung versetzt haben.

Für die junge Kreolin, die ihr ganzes Leben lang gewohnt gewesen war, diese schönen Pflanzenformen zu betrachten, lag in diesem Anblick gerade nichts Besonderes, um ihr Erstaunen zu erregen, und der Cockney kümmerte sich überhaupt wenig um Pflanzen. Sein letztes Abenteuer hatte ihn von aller Neigung fürs Waldleben gänzlich geheilt und in seinen Augen war eine Kohlpalme sicherlich von keinem höheren Interesse wie ein gemeiner Kohlkopf.

Smythje war nicht ohne musikalisches Gefühl. Der fortwährende Besuch der Oper hatte ihn für Musik und Gesang empfänglich gemacht, und so musste er seine Verwunderung über die hübschen Melodien der westlichen Singvögel ausdrücken, die so oft durch falsche Berichte verleumdet worden sind.

In der Tat schienen sie an jenem Morgen eines ihrer schönen und großartigsten Konzerte zu geben.

In den Gartengebüschen ertönte die klare Stimme des Bananenvogels (Icterus leucopterus) gleich einer Klarinette, zusammen mit den Wirbeltönen der blauen Drossel (Euphonia Jamaicus). Dort ließ sich auch der kleine buntfarbige Honigsauger (Mellisuga humilis) aus der Spitze eines hohen Mangobaumes sehen, während er sein zartes feenhaftes Lied mit solcher lebhaften Begeisterung trällerte, als solle seine kleine liederreiche Seele im Gesange ausströmen.

In den dunklen Gebirgswäldern ließen sich noch ganz andere Sänger hören. Die glasäugige Amsel (Merula Jamaicensis) sang ihre volle und lang gehaltene Weise und von Zeit zu Zeit erscholl der wilde Klageruf des Einsiedlers (Philogonis armillatus) in süßen, doch feierlichen Tönen, einem Festpsalm gleich, ganz in Übereinstimmung mit der Einsamkeit, die dieser eigentümliche Sänger vorzugsweise liebt.

Doch vor allen anderen war die mächtige Stimme der Nachtigall der neuen Welt – der weltberühmten Spottdrossel – zu unterscheiden, die allen übrigen Vogelgesang übertönte, ausgenommen, wenn von Zeit zu Zeit der seltene Maivogel (Turdus mustelinus) sein Lied den frischen Lüften anzuvertrauen geruht und dann selbst sogar die Spottdrossel sich unterbricht, um schweigend zuzuhören!

Fügt man zu diesen Tönen noch das Gesumme der Bienen hinzu, das ununterbrochene Geschrei der Grashüpfer, Eidechsen und Zikaden, das glockenartige Locken der Baumfrösche (Hylades), das Rauschen des leichten Windes in den lanzenförmigen Blättern der hohen Bambusrohre und das Seufzen eines Wasserfalls in den entfernten Bergen, fügt man alles dies zusammen, so kann man ungefähr einen Begriff von der mannigfaltigen Vereinigung harmonischer Töne bekommen, die das Ohr des Herrn Montagu Smythje an jenem Morgen begrüßten, als er mit seiner holden Gefährtin den Berg hinaufstieg.

Wie die Vögel munter und die Bienen lebhaft, so munter und lebhaft schien auch Smythje zu sein. Er war in der Tat heiter, sowohl was seinen Geist betrifft, als auch seinen Anzug, denn Thoms hatte ihn in einen seiner Lieblingsanzüge eingekleidet, und sein Geist war von seinen sicheren Hoffnungen belebt und gehoben.

Diese Hoffnungen waren nämlich während mehrerer Tage bedeutend höher durch den Glauben oder die Einbildung gestiegen, dass Käthchen gegen ihn freundlicher gesinnt sei als jemals zuvor. Er hatte bei der jungen Kreolin ein so ernsthaftes Benehmen bemerkt, wie nie zuvor mit ihrer ersten Bekanntschaft, und ebenso eine täglich wachsende gewisse Zerstreutheit, die er beide nur durch die Annahme zu erklären vermochte, dass sie ernsthaft liebe.

Und wen anderes sollte sie lieben als ihn selbst?

So deutete er sich das veränderte Benehmen Käthchen Vaughans und so erklärte seine Eitelkeit den Grund desselben. Kein Wunder daher, dass er sich entschloss, einen förmlichen Heiratsantrag zu machen, und dass er sich vollständig mit der Hoffnung schmeichelte, ihn sofort angenommen zu sehen.

Wahr war es allerdings, dass die junge Kreolin leidend erschien. Ihre sorglose Heiterkeit und ihre fröhliche Munterkeit waren vollständig dahin, und anstatt dessen konnte man sie oft tief in Gedanken versunken bemerken, denen gewöhnlich lange und schwere Seufzer nachfolgten.

Das edelmütige und mitfühlende Herz des unübertrefflichen Smythje konnte einem solchen Zustand nicht mehr ruhig zusehen. Er musste beendet werden. Käthchen Vaughans Seufzer mussten aufhören und sowohl die Ruhe ihres Herzens als auch der Gleichmut ihrer Seele waren wieder hergestellt.

Ein einziges Wort würde dies alles bewirken und dieses Wort musste noch heute, am selben Tage, gesprochen werden. So hatte Smythje großmütig beschlossen.

In dieser Absicht bestieg er den Berg und plauderte beim Gehen höchst munter, während seine Gefährtin schweigend an seiner Seite ging.

Am Fuß der Schlucht, durch die der Pfad auf den Gipfel führte, angelangt, zeigte Smythje seinen Mut, indem er kühn voranging, um den jähen Abhang zu erklettern. Gern hätte er seiner holden Begleiterin hierbei eine Hand zur Unterstützung angeboten, doch er fand beim Erklimmen hinreichende Beschäftigung für beide Hände und war deshalb genötigt, während der Besteigung des Abhanges in dieser unhöflichen Situation zu verbleiben.

Käthchen, die an den steilen Weg gewöhnt war und allenfalls ihm hätte Beistand gewähren können, fand durchaus keine Schwierigkeit, ihm zu folgen. So waren beide in wenigen Minuten auf der Höhe des Felsens angelangt und standen nun im Schatten der Palme ganz oben.

Das menschliche Skelett, das früher an dem Baum angekettet gewesen, war nicht mehr da und konnte sie nicht mehr erschrecken. Es war in geheimnisvoller Weise entfernt worden, wie auch eine Anzahl von Schädeln, die  ein furchtloser Wagehals fortgenommen hatte. So war auf dem ganzen Felsen, die einsame Palme ausgenommen, nicht das Geringste vorhanden.

So war auch niemand vorhanden, der Smythje hören oder sehen konnte, wenn er die hochwichtige Frage endlich zur Entscheidung, brachte, ausgenommen Käthchen allein, der alles dieses galt.

Herr Smythje zog jetzt seine prachtvolle Repetieruhr zurate und fand, dass sie gerade zur rechten Zeit angelangt waren, denn in fünf Minuten sollte die Sonnenfinsternis beginnen und die Scheiben der beiden großen Himmelskörper sollten sich berühren.

Dies war noch nicht der Zeitpunkt, den Smythje für den Beginn seiner wichtigen Rede bestimmt hatte.

Ebenso wenig sollte es zur Zeit der tiefen Dunkelheit geschehen, sondern erst dann, wenn die Sonne im Begriff wäre, wieder zu erscheinen und ihr erneuter Glanz dann den glühenden Zustand der Gefühle des Liebenden prächtig versinnlichte.

Er hatte hierzu einige sehr hübsche Redensarten ausgedacht, die er anbringen wollte, um die Erklärung passend einzuleiten – wie sein eigenes Herz mit der Sonne verglichen werden könne, bald in glühender Leidenschaft flammend, und von tiefer Verzweiflung verdunkelt, dann aber wiederum in erneuter Hoffnung aufleuchtend und erglänzend, wenn Käthchens Anblick ihn zum Glücklichen aller Sterblichen mache.

Alle diese und manche andere höchst sinnvoll erdachten Redensarten beabsichtigte er bei dieser Gelegenheit anzubringen. Die Nacht zuvor hatte er sie mit vieler Mühe vorbereitet, dieselben auswendig gelernt und am Morgen vor Thoms deklamiert. Vielleicht ein Dutzend Mal hatte er sie vor seinem Spiegel wiederholt hergesagt, und zuletzt noch einmal, kurz vor dem Verlassen des Hauses.

Wenn nicht die Sonnenfinsternis ihn der Macht seiner Zunge auf unerklärliche Weise berauben sollte, so war eine Gefahr für sein Durchfallen kaum denkbar.

Mit vollkommenem Vertrauen auf seine Redekunst und seines Erfolges vollständig sicher, steckte Smythje seine Uhr wieder in die Tasche, um mit dem Fernrohr in der Hand die Sonnenfinsternis abzuwarten.