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Der Marone – Aufsuchen der Gerechtigkeit

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 13

Aufsuchen der Gerechtigkeit

Der Widerwillen und der Groll zwischen dem Pflanzer und dem Koppelhalter waren schon sehr alt und stammten von ihrer ersten Bekanntschaft miteinander her. Einige unter ihnen beim Kauf und Verkauf von Sklaven angewandten schlauen Kunstgriffe hatten wohl die erste Veranlassung gegeben. Verschiedene Umstände trugen dann dazu bei, den Groll nicht aussterben zu lassen. Dies war besonders der Fall, seitdem der Jude durch Ankauf des Gutes das Glückliche Tal der nächste Nachbar und hinsichtlich seines Reichtums auch der Nebenbuhler des Besitzers von Willkommenberg geworden war.

Die gegenseitig von ihnen gefasste Feindschaft besaß eigentlich mehr den Charakter natürlichen Widerwillens. Obwohl auf beiden Seiten heftig empfunden, wurde dieser gegenseitige Widerwille doch gewöhnlich verborgen gehalten. Lediglich bei sehr seltenen Gelegenheiten hatte er unter ihnen irgendeinen Ausdruck gefunden und selbst dann nur oberflächlich. Dennoch war es wohl keinem von ihnen gelungen, sein Übelwollen vor dem anderen zu verbergen, denn jeder wusste, dass der andere ihn hasse, ebenso wohl, als hätten sie sich jeden Tag während ihres Lebens ausdrücklich dieses Geständnis abgelegt.

Die gegenseitige Abneigung war eigentlich mehr abwechselnd als beständig, das heißt, sie war je nach den Umständen stärker oder schwächer. Zuweilen erreichte sie den Gipfel offener Feindschaft, zuweilen sank sie zu bloßer Unfreundlichkeit herab, aber ganz im Absterben war sie niemals.

Auf den Custos hatte einige Zeit hindurch noch ein anderes Gefühl gegen den jüdischen Nachbarn zugleich mit seiner Abneigung eingewirkt, nämlich ein unbestimmtes Gefühl der Furcht. Dieses war neueren Ursprungs, erst seit der Hinrichtung Chakras, des Myalmannes. Sie gründete sich auf einige Bemerkungen, die, wie Herrn Vaughan berichtet worden war, der Israelit in Bezug auf jenen schändlichen Vorfall geäußert hatte.

Wenn nun in der letzten Zeit auch eigentlich nichts Besonderes vorgekommen war, um die früher gehegte Furcht des Custos zu vermehren, so war die stille Feindschaft doch noch vermehrt worden. Der seinem beiseitegeschobenen Neffen gewährte Schutz und die auffallende Schaustellung, zu der ihn sein Nachbar offenbar benutzte, gaben dem Custos fortwährend Anlass zum Ärger und Verdruss, denn fast täglich erfuhr er irgendeine unangenehm, mit dieser Angelegenheit im Zusammenhange stehende Klatschgeschichte. Durch diese beständig ihn erreichenden Berichte und Gerüchte war er so gereizt worden, dass sein Hass gegen den Juden noch viel stärker als je zuvor geworden war. Gern würde er deshalb jedem ein Dutzend Oxhöfte seines besten Muscovado gegeben haben, der ihm Mittel und Wege gezeigt hätte, den verabscheuten Koppelhalter zu demütigen.

Und gerade jetzt führte der Zufall oder das Glück ihm die Gelegenheit zu, seinen Wunsch zu erfüllen, und zwar in einer Weise, welche, anstatt ihm ein Dutzend großer Fässer mit Zucker zu kosten, ihn vielleicht noch viel mehr wie dies gewinnen lassen konnte.

Den Tag, bevor Smythje in den vertrockneten Baum fiel, saß der Custos, eine seine Zigarre von seiner Pflanzung rauchend, allein in seinem Kiosk und grübelte über die Statuten des Schwarzen Codex, unbedingt sein Lieblingsstudium, das aber auch für ihn höchst notwendig war, da er die bedeutende Würde einer ersten Magistratsperson des ganzen Bezirks errungen hatte. Eben jetzt fiel unerwartet Herrn Trustys, des Aufsehers Schatten, ins Sommerhaus herein.

»Nun, Trusty, was gibt es?«

»Es ist ein Mann da, der Euer Gnaden zu sprechen wünscht.«

»Was will er?«

»Weiß nicht«, antwortete der lakonische Aufseher. »Wollt’ es nicht sagen. Sagt, es sei wichtig, könne nur Ihnen selbst mitgeteilt werden.«

»Was für ein Mann ist es? Ein Neger oder ein Weißer?«

»Keins von beiden, Euer Gnaden! Er ist ein reiner Mulatte. Ich habe ihn wohl schon früher gesehen. Er ist einer von den Maronen, die ihre Ansiedlung in den Trelawney-Bergen haben. Er nennt sich Cubina.«

»Ah!«, sagte der Custos und verriet eine leichte Erregung, als der Name ausgesprochen wurde; »Cubina! Cubina! Den Namen habe ich schon gehört und ich meine, ich habe auch wohl schon den Mann gesehen, von Weitem. Ein junger Bursche noch, nicht wahr?«

»Sehr jung, obgleich er der Hauptmann der Bande sein soll.«

»Was auf der Welt kann der Marone nur von mir wollen?«, murmelte Herr Vaughan halb für sich selbst. »Er hat wohl einen Negerflüchtling eingebracht, nicht wahr?«

»Nein«, antwortete der Aufseher. »Dank Euer Gnaden guten Verwaltung, wir haben lange keinen Flüchtling gehabt, nicht einen Einzigen, seitdem der alte ränkesüchtige Chakra aus dem Wege geräumt worden ist.«

»Dank Ihrer guten Aufsicht, Herr Trusty«, sagte der Pflanzer seines Aufsehers Kompliment zurückgebend, nicht ohne zugleich unwillkürlich ein nervöses Zucken im Gesicht bei der Erinnerung an Chakra zu verraten.

»Da ist es wohl nichts der Art, meinen Sie nicht?«, fügte er hastig hinzu, als wünsche er, den Gegenstand des Gespräches zu verändern.

»Nein, Euer Gnaden, das kann nicht sein. Ich habe gar keinen Flüchtling auf der Liste«, erwiderte Trusty mit triumphierendem Blick.

»Ganz gut, das höre ich gern«, sagte der Custos und rieb sich die Hände als Ausdruck seiner Zufriedenheit. »Nun, dann wird der junge Mann mich wohl in meiner Eigenschaft als obrigkeitliche Person zu Rate ziehen wollen. Zweifelsohne ist er in einer Verlegenheit. Denn diese Maronen fangen immer Streit mit unseren Pflanzern an. Ich bin neugierig, wen er wohl verklagen wird?«

»Nun, das kann ich Ihnen wohl sagen«, versetzte der Aufseher, der augenfällig mehr von des Maronen Absichten wusste, als er bisher hatte merken lassen, denn Herr Trusty war ein höchst schweigsamer und auch verschwiegener Mann. »Sollte es mir erlaubt sein, meine Mutmaßung zu äußern, so möchte ich wohl glauben, es betrifft unsern Nachbarn im Glücklichen Tal

»Was, den Juden?«

»Ja, den Gutsbesitzer Jacob Jessuron.«

»Glauben Sie das wirklich, Trusty«, fragte Vaughan mit ernstem, aber zufriedenem Blick. »Hat der junge Mann etwas gesagt?«

»Nein«, antwortete der Aufseher. »Er hat davon nichts gesagt. Ich hörte nur vor einigen Tagen etwas von einem Flüchtling, den die Maronen aufgenommen haben, einem Sklaven, der dem Juden gehört. Es scheint, sie wollen ihn nicht herausgeben.«

»Von wem haben Sie das gehört?«

»Nun, eigentlich von gar keinem, Euer Gnaden, und ich sollte eigentlich sagen, ich hörte es durch einen Zufall, horchend. Einer von den Trelawney-Maronen, ein großer dicker Bursche, der hier zuweilen die schwarze Betty besuchte, erzählte ihr davon. Ich ging gerade bei Bettys Hütte vorbei und hörte sie darüber reden.«

»Wollen ihn nicht herausgeben! Und aus welchem Grund?«

»Ich konnte nur einen Teil ihrer Unterredung verstehen.«

»Also das, meinen Sie, ist’s, weshalb der junge Mann kommt?«

»Mir ist es wahrscheinlich, Euer Gnaden. Er ist sehr verschwiegen und ich konnte über sein Geschäft kein Wort aus ihm herausbekommen. Er sagt, er muss Sie selbst sprechen.«

»Nun, wohlan denn! Sie können ihn hier hineinführen, ein ganz guter Platz dazu. Und hören Sie mal, Herr Trusty! Reden Sie doch mit der schwarzen Betty und bringen Sie aus ihr heraus, was Sie können. Denn dies ist jedenfalls eine interessante Geschichte: Ein Marone, der es abschlägt, einen Flüchtling auszuliefern! Da muss doch etwas Besonderes dabei sein. Vielleicht erzählt mir der Mulatte schon alles. Aber es ist immer gut, Sie reden mal mit Betty. Dabei können Sie ihr ein neues Kleid oder sonst etwas versprechen. Aber nun führen Sie den jungen Burschen sofort herein. Ich bin bereit, ihn zu empfangen.«

Herr Trusty machte eine Verbeugung und ging zu den Werkstätten, wo der Marone geblieben war, während der Custos eine gewichtige Amtsmiene annahm und den Eintritt des Besuchers erwartete.

»Ich wollte wahrhaftig ein hübsches Stückchen Geld ausgeben«, sagte er zu sich selbst. »Wenn ich erführe, dass der alte Schurke einen Streit mit diesen Maronen hat. Wunderbar wäre es mir gerade nicht!«, fügte er im Voraus vergnügt hinzu. »Nein, wunderbar nicht. Ich weiß, sie können ihn nicht recht leiden, seitdem er die Spanier in Sold genommen hat. Und ich habe Verdacht genug, er hat erst kürzlich einige heimliche Geschichten gehabt. Jeden Tag ist er größer geworden und kein Mensch begreift, wo all das Geld herkommt. Vielleicht weiß der Herr Marone etwas davon zu erzählen. Wenn dies gegen Jessuron ist, dann, in der Tat, hat er eine gute Gelegenheit zum Erzählen getroffen. Ah, da kommt er schon! Wirklich ein kräftiger, hübscher Bursche! Das ist also der junge Mann, mit dem meine Tochter Yola neckt! Nun, ich kann mich gar nicht wundern, dass das Fellahmädchen ihn leiden mag, aber ich muss danach sehen, dass er sie nicht zum Narren hält. Diese Maronen sind für die Frauen aus den Pflanzungen ganz gefährliche Kerle. Und Yola, mag sie nun in ihrer Heimat eine Prinzessin sein oder nicht – Prinzessin! Ha, ha, ha! – Aber auf alle Fälle ist das Mädchen keine gewöhnliche Negerin, und dieser Herr Marone soll sie nicht an der Nase führen. Da ich ihn gerade hier habe, will ich’s ihm schon sagen, aber ich hoffe, er hat noch ein anderes Geschäft.«

Jetzt war der Maronenhauptmann, wie er zuerst im Wald aufgetreten war, vor dem Kiosk angekommen, machte eine begrüßende Verbeugung, ohne seine Kopfbedeckung abzunehmen, denn diese war das Kopftuch, das wohl nicht fortgenommen werden konnte – und stand darauf wartend, dass der Custos ihn anreden möchte.

Dieser blieb eine nicht unbeträchtliche Zeit stumm, ohne sich zu weiterem Reden fortzulassen, als zu der mechanischen Begrüßung: Guten Morgen! In der Gesichtsbildung seines Besuchers lag etwas, das augenscheinlich einen großen Eindruck auf ihn machte, und der Blick, mit dem er ihn lange und aufmerksam betrachtete, verriet ein von bloßer Neugierde oder Bewunderung gänzlich verschiedenes Gefühl. Das war ein eifrig forschender Blick, ganz als ob das Gesicht des jungen Mannes eine alte Erinnerung wachgerufen hätte, und noch dazu eine, die gerade nicht angenehm war. Dies zeigte sich in einer leichten Wolke, die sich beim Anblick des Maronen auf die Stirn des Pflanzers legte.

Welchen Grund diese auch haben mochte, Herr Vaughan schien zu wünschen, sie zu unterdrücken, was ihm auch nach geringer Anstrengung gelang, denn die Wolke auf der Stirn verschwand sofort. und mit einem vornehmen, aber doch freundlichen Lächeln begann er die Unterhaltung.