Heftroman der Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Frederick Marryat – Die Sendung – Kapitel 16

Kapitän Frederick Marryat
Die Sendung
Umschlagzeichnung nach Originalentwürfen von Professor Honegger
Neue deutsche Ausgabe. Magdeburger Verlagsanstalt. 1915
Kapitel 16

Der früheren Verabredung gemäß wurde am Sonntag Halt gemacht. Man trieb am Morgen die Ochsen, Pferde und Schafe auf die Weide, und nur das Pferd, welches Tags zuvor Alexander geritten hatte, blieb zurück. Denn es war so leidend, dass ihm eine große Menge Blutes entzogen werden musste, ehe es Erleichterung verspürte.

Die Buschmänner blieben im Lager und hatten wahrscheinlich nicht im Sinne abzuziehen, solange Aussicht auf Essen vorhanden war. Die vier erlegten Büffel als auch das totgestoßene Pferd fand man am folgenden Tag durch die Hyänen und andere Tiere, welche man die ganze Nacht durch umherstreifen hörte, bis auf die Knochen abgenagt. Indes war doch viel von dem Büffelfleisch ausgehauen und an den Bäumen in der Nähe des Lagerplatzes aufgehangen worden, sodass es nicht an mehr als zureichendem Material zu einem zweiten Festmahl für die Buschmänner und Khoikhoi gebrach, die den ganzen Tag über in einem fort rösteten und brieten.

Die Sonne war übermäßig heiß. Sowohl Alexander als auch der Major waren von der Anstrengung des vorigen Tages so sehr erschöpft, dass sie sich nach dem Frühstück in ihre Wagen zurückzogen. Auch versuchte Swinton nicht, sie zu stören, und sie erfreuten sich bis zum Abend eines gesunden Schlafes, aus dem sie sehr erfrischt und sehr hungrig erwachten. Swinton sagte, er habe es für zweckmäßig gehalten, sie nicht zu wecken, weil die Hitze so überwältigend gewesen sei und sie so auch den Gottesdienst, wenn es ihnen passend dünkte, in der Kühle des Abends vollbringen konnten. Demgemäß wurden nach einem frühen Abendessen alle Khoikhoi aufgeboten, die, obwohl sie vollgepfropft waren, dennoch nur ungerne ihre Feuer verließen, weil sie meinten, die Buschmänner werden in ihrer Abwesenheit alles noch übrige Fleisch aufzehren.

Diese Vorstellung fand jedoch kein Gehör, und sie mussten sich insgesamt einstellen. Die Gebete wurden verlesen und der Gottesdienst beim Licht eines großen Feuers begangen, denn es war schon ganz dunkel, ehe man mit der Feier des Tages zu Ende kam. Die Buschmänner hatten, wie von den Khoikhoi vorausgesagt worden war, die Abwesenheit ihrer Gastfreunde benutzt und sich sehr freigebig bedient. Auch ließen die zur Karawane gehörigen Leute, während Swinton die Gebete verlas, stets ihre Blicke zu den Feuern hingleiten, in welche die Buschmänner große Stücke Büffelfleisch warfen, um sie halb warm wieder herauszuziehen und dann mit den Zähnen in Stücke zu reißen.

Plötzlich ließ sich ein donnerähnliches Gebrüll vernehmen und eine dunkle Masse setzte über ihren Köpfen weg.

Dem Brüllen und Kämpfen der Ochsen folgte fast augenblicklich die Erscheinung eines Löwen, der, mit einem Ochsen über seiner Schulter, mitten durch die ganze Versammlung stürzte, die Reste des Feuers wegfegte, die Khoikhoi nach rechts und links warf und im Nu wieder verschwunden war. Wie man sich denken kann, fand nun die größte Bestürzung und Verwirrung statt. Einige kreischten, andere schrien und liefen zu ihren Gewehren – aber es war zu spät. Bei weiterer Untersuchung ergab sich, dass der Löwe den Ochsen ergriffen hatte, welcher in der Nähe des Platzes, wo die Versammlung saß, angebunden war. Ihr eigenes Feuer war fast erloschen, und das nächste, welches brennend erhalten werden sollte, war von den Khoikhoi ganz vernachlässigt worden, weil sie nur auf diejenigen Bedacht nahmen, an denen sie ihre Büffelsteaks brieten.

Die Lederriemen, mit welchen der Ochse angebunden gewesen, waren wie Fäden abgerissen, und viele von dem übrigen Zugvieh hatten in ihrer Furcht gleichfalls ihre Fesseln gesprengt und sich flüchtig gemacht. Wie der Löwe durch die Versammlung dahin stürzte, hatte es den Anschein, als sei ihm die Last eines Ochsen nicht mehr als das Gewicht einer Feder. Er hatte jedoch etwas rau auf zwei der Khoikhoi getreten, welche ächzend dalagen, als wären sie schwer verwundet. Bei näherer Untersuchung stellte sich heraus, dass sie nur tüchtig zerkratzt und mit Asche bedeckt waren. Die Buschmänner dagegen hatten ihr Mahl verlassen und waren mit ihren Bogen und den kleinen vergifteten Pfeilen zur Verfolgung ausgezogen. Bremen und einer oder zwei von den Khoikhoi wollten gleichfalls gehen, aber unsere Reisenden verweigerten die Erlaubnis. Etwa eine Stunde danach kamen die Buschmänner zurück und Omrah besprach sich mit ihnen. Bremen tat das Gleiche und teilte darauf unseren Gentlemen mit, die Buschmänner hätten den Löwen in einer Entfernung von etwa einer halben Stunde eingeholt und viele ihrer Pfeile nach ihm entsandt. Auch glaubten sie ihn gut getroffen zu haben, da er dies jedes Mal durch ein dumpfes Knurren und ein zorniges Gebrüll ankündigte. Indessen habe er trotz seiner Gereiztheit in seinem Mahle fortgemacht.

Omrah sagte sodann: »Löwe morgen tot – Buschmänner finden ihn.«

»Wahrhaftig«, sagte Alexander, als sie zu ihren Wagen gingen, was infolge des vorerwähnten Ereignisses und weil noch große Feuer anzumachen waren, ehe sie zu Bett gingen, erst spät geschah. »Ich glaube, dass noch nie ein Gottesdienst durch einen derartigen Eindringling gestört wurde.«

»Vielleicht ist es so«, versetzte Swinton, »aber ich glaube, es ist uns darin zugleich ein Beweis gegeben worden, dass wir bei den Gefahren, von denen wir umgeben sind, ganz besondere Ursache haben, zu beten. Der Löwe hätte einen von uns aufgreifen können und ein furchtbarer Tod wäre die Folge gewesen.«

»Ich habe nie zuvor den vollen Sinn der vielen Bilder und Gleichnisse in der Heiligen Schrift, in welchen der Löwe so oft eingeführt wird, begreifen können«, bemerkte Alexander.

»Es war in der Tat eine höchst erschütternde Predigt nach dem Gebet«, sagte der Major, »und ich hoffe, wir werden nie wieder eine ähnliche zu hören kriegen. Aber liegt nicht die Schuld an uns selbst? Schon zum zweiten Mal wird uns durch einen Löwen ein Ochse entführt, weil es dem Kreis der Feuer an der nötigen Abwartung fehlte. Freilich liegt die Nachlässigkeit aufseiten der Khoikhoi. Aber wenn diese säumig sind, sollten wir selbst nachsehen.«

»Es dürfte gut sein«, bemerkte Swinton, »wenn man ihnen wegen ihrer Trägheit eine Woche lang keinen Tabak verabreichte, denn verlasst Euch darauf, wenn wie uns selbst der Feuer annehmen, werden sie noch säumiger. Wir wollen übrigens diesen Punkt morgen besprechen – für heute gute Nacht.«

Am nächsten Morgen, ehe noch die Ochsen eingespannt wurden, kam Omrah zu dem Major, um ihm zu sagen, dass die Buschmänner den Löwen gefunden hätten, der zwar noch nicht tot, aber doch am Verscheiden sei. Er habe denjenigen Teil des Ochsen, den er nicht fressen konnte, einige tausend Schritte weitergeschleppt und sich dabei niedergelegt. Jetzt sei er so krank, dass er sich nicht rühren könne.

Auf diese Nachricht hin bestiegen unsere Reisenden ihre Pferde und gelangten, von den Buschmännern geleitet, bald an der Stelle an, wo der Löwe lag. Die Buschmänner, welche zuvor rekognosziert hatten, traten ohne Umstände an das Dickicht und wurden durch ein dumpfes Röcheln begrüßt, welches ganz anders klang als das Gebrüll der vorigen Nacht. Unsere Reisenden folgten nach und fanden das edle Tier im letzten Todeskampf – seine Kraft gelähmt und die Augen geschlossen. Ein paar kleine Pfeile steckten noch in seiner Haut und schienen nicht weiter als einen halben Zoll tief eingedrungen zu sein. Aber das Gift war so flüchtig, dass es schnell durch den ganzen Körper zirkulierte. Während sie noch auf das edle Tier niederschauten, ließ es die Kinnlade sinken und starb.

Als unsere Reisenden zu der Karawane zurückkehrten, bemerkte Alexander: »Diese Buschmänner müssen, trotz ihrer kleinen Natur, und so verächtlich auch ihre Waffen erscheinen mögen, doch gefährliche Feinde sein, wenn das bloße Stacheln eines ihrer Pfeile den sicheren Tod bringt. Aus was besteht ihr Gift?«

»Es wird von Schlangen gewonnen, mit dem Saft der Euphorbia gemischt und so lange gekocht, bis es die Konsistenz des Leims hat. Dann tauchen sie die Spitzen ihrer Pfeile hinein und lassen sie trocknen.«

»Behält denn das Gift der Schlangen seine Wirksamkeit bei, nachdem es den Tieren genommen wurde?«

»Ja, die Kraft erhält sich noch lange Zeit. Ich erinnere mich einer – wie ich glaube – wohl verbürgten Geschichte von einem Mann, der in Amerika von einer Klapperschlange durch seinen Stiefel gebissen wurde. Der Mann starb, und bald nachher starben auch seine beiden Söhne nacheinander unter denselben Erscheinungen, wie ihr Vater, obgleich sie nicht von Schlangen gebissen worden waren. Es stellte sich nachher heraus, dass nach des Vaters Tod die Söhne einer nach dem anderen sich dessen Stiefel angeeignet und angezogen hatten. Als man nun die Stiefel untersuchte, entdeckte man den Zahn der Klapperschlange, der durch das Leder gegangen und in demselben stecken geblieben war. Er hatte den beiden Söhnen, als sie die Stiefeln anzogen, bloß ganz leicht die Haut geritzt, und dies war die Ursache ihres Todes.«

»Jedenfalls besaß man früher nicht die chemischen Kenntnisse, die jetzt zur augenblicklichen Entdeckung führen«, versetzte Swinton. »Doch dort liegen drei Flussochsen schlafend am Ufer. Habt Ihr nicht Lust, Eure Geschicklichkeit an ihnen zu versuchen, Alexander?«

»Ich bin nicht sonderlich darauf begierig, da ich schon genug Flussochsen gehabt habe«, entgegnete Alexander. »Beiläufig, der Strom wird viel breiter als er war.«

»Ja; meiner Berechnung zufolge sollten wir von heute an nicht mehr weiter nach Westen wandern. Wir müssen nun quer nach dem Vaal oder Gelben Fluss einbiegen. Allerdings werden wir zwei Tage ohne Wasser und Viehweide sein, aber die Tiere sind jetzt in einem so guten Zustand, dass man ihnen wohl etwas zumuten kann. Wir haben zwar unterwegs einen Fluss zu überqueren, dürfen uns aber kaum auf Wasser Rechnung machen, denn ich glaube, wir werden es nirgends anders finden, als in diesen großen Arterien, wie ich sie nennen möchte.«

»Ich hatte denselben Gedanken, Swinton, als ich gestern in meinem Wagen die Karte betrachtete«, entgegnete der Major. »Also morgen gibt es wieder eine kleine Abwechslung – das heißt eine Wüste.«

»Darauf dürfen wir zuverlässig zählen«, erwiderte Swinton, »denn mit Ausnahme der Ufer großer Flüsse ist zu dieser Jahreszeit und in dieser Gegend nicht auf Vegetation zu zählen. Aber sei es noch um einen Monat, so werden wir Regengüsse genug erhalten.«

»Ich sehe, dass die Buschmänner uns verlassen haben«, sagte Alexander.

»Ja; sie sind wahrscheinlich zurückgeblieben, um den Löwen zu verzehren.«

»Wie, Ihr meint, sie werden das vergiftete Tier essen?«

»Daraus machen sie sich nichts. Sie schneiden bloß die verwundeten Teile aus und essen stets das Fleisch der so getöteten Tiere, das ihnen augenscheinlich keinen Nachteil bringt. Es gibt gar nichts, was der Buschmann nicht verspeiste. Ein Flug Heuschrecken wird für ihn zum Festmahl.«

»Ich kann mir nicht denken, dass sie eine sehr schmackhafte Speise bieten.«

»Ich habe sie nie gekostet«, entgegnete Swinton, »glaube übrigens, dass Ihr recht habt. Sie essen sie jedoch nicht roh, sondern reißen ihnen Flügel und Beine aus, trocknen die Körper und stoßen sie dann zu Pulver.«

»Glaubt Ihr, dass die Heuschrecken, welche nebst wildem Honig die Kost des heiligen Johannes in der Wüste waren, dieselben sind, von denen Ihr hier sprecht?«

»Ich weiß es nicht, glaube aber kaum, und zwar aus dem einfachen Grund, weil eine Person in der Wildnis von derartigen Tieren wohl leben kann, wenn sie immer zu haben sind, Heuschreckenflüge aber zu den Erscheinungen gehören, auf die man nicht mit Sicherheit zählen kann. In dem Land, nach welchem sich der heilige Johannes zurückzog, wächst ein Baum, welcher der Heuschreckenbaum genannt wird und eine große süße Schote hervorbringt, die der Form nach den gewöhnlichen französischen Bohnen ähnelt, aber fast einen Fuß lang ist und eine sehr wohlschmeckende Nahrung bietet. Heutzutage füttert man sogar das Vieh damit, und ich glaube, dass unter den Heuschrecken die Früchte dieses Baumes, nicht aber Tiere gemeint sind. Die gleiche Ansicht haben, wenn ich nicht irre, viele Ausleger der Heiligen Schrift aufgestellt. Ich denke übrigens, wir sind für heute weit genug gekommen, und wollen deshalb haltmachen. Habt Ihr die Absicht, zu jagen, Major? Ich sehe dort in der Ferne einige Tiere.«

»Es wird besser sein, es zu unterlassen«, sagte Alexander, »denn wenn wir morgen über einen Wüstenstrich ziehen sollen, ist es nicht ratsam, unsere Pferde zu ermüden.«

»Ich teile Eure Ansicht. Nein, Swinton, wir wollen uns ruhig verhalten, wenn das Wild nicht zu uns kommt.«

»Ja, und wir können dafür sorgen, dass die Wasserfässer gestillt und heute Nacht die Feuer gehörig angezündet werden«, entgegnete Alexander. »Hoffentlich bleiben wir fernerhin mit Löwenpredigten verschont, obgleich Shakespeare sagt: Predigten von den Steinen und gut in allem.«

Sie ließen ihre Karawane auf einer Anhöhe Halt machen, trugen Sorge, dass der Wasservorrat erneuert und Holz gesammelt wurde, und setzten sich sodann zu einem Mittagsmahl aus gebratenen Schinken und Käse nieder, denn die Khoikhoi hatten alles Büffelfleisch aufgezehrt und forderten nun ein Schaf zum Nachtessen. Man willfahrte ihrem Verlangen, obschon sie es nicht verdient hatten. Aber da ihnen wegen Vernachlässigung der Feuer der Tabak entzogen worden war, so hielt man es für klug, ihre Unzufriedenheit nicht allzu sehr zu steigern. Während die Khoikhoi das Lager einrichteten, ging Alexander mit dem Major am Fluss spazieren, und Swinton wollte einige gesammelte neue Pflanzen zu sich stecken, als Omrah, der sie begleitete, den Finger an seine Lippen hielt. Da sie vollkommen begriffen, was er meinte, so bleiben sie schweigend stehen. Der Knabe zeigte sodann auf einen Gegenstand, der am niedrigen Ufer im Schilf lag. Da sie ihn aber nicht unterscheiden konnten, so erbat sich Omrah durch Zeichen die Büchse des Majors, zielte und gab Feuer. Darauf ließ sich ein Plätschern im Wasser hören und sie brachen sich durch das hohe Gras und das Schilf Bahn, bis sie den Ort erreichten, wo sie ein Tier in Todeszuckungen sich abzappeln sahen.

»Ein Alligator!«, rief der Major. »In der Tat, ich dachte mir’s nicht, dass wir ein derartiges Tier im Binnenland treffen könnten. Es heißt zwar, dass sie an der Küste der östlichen Xhosa in den Mündungen der Flüsse häufig vorkommen, aber ich kann mich nicht genug wundern, eine solche Bestie hier zu entdecken.«

»Auf was habt Ihr geschossen?«, fragte Swinton, der sich nun ihnen anschloss.

»Auf einen Alligator, und er ist tot. Ich fürchte, er wird nicht sonderlich gut zu essen sein«, entgegnete der Major.

»Das ist kein Alligator, Major«, sagte Swinton, »und jedenfalls eine sehr gute Kost. Es ist eine große Eidechse aus dem Geschlecht der Leguane, die sich an diesen Flüssen findet – ein vollkommen harmloses Individuum, das sich nur von Pflanzen und Insekten ernährt. So hässlich es aussieht, ist es doch ein großer Leckerbissen. Ja, es ist ganz tot – wir wollen es aus dem Wasser holen, damit Omrah es Mahomed bringen kann.«

Das ungefähr vier Fuß lange Tier wurde am Schwanz aus dem Wasser herausgezogen, und Omrah trug es ins Lager.

»Ich habe es wahrhaftig für einen kleinen Alligator gehalten«, sagte der Major, »bemerke aber jetzt meinen Irrtum. Welche Verschiedenheit von Eidechsen trifft man nicht in diesem Land!«

»Sie ist allerdings sehr groß, von dem Chamäleon aufwärts«, versetzte Swinton. »Beiläufig, es gibt eine darunter, die dem Vernehmen nach sehr giftig ist, und glaubwürdige Personen haben mir erzählt, ihr Biss sei nicht nur sehr gefährlich, sondern auch in manchen Fällen tödlich. Ich habe in meiner Sammlung einige Exemplare dieses Tieres, welches am Kap Dschitsch genannt wird.«

»Das ist doch merkwürdig, aber wir haben in Indien eine kleine Eidechse, die gleichfalls giftig sein soll und von den Eingeborenen Dschecko (Gecko) genannt wird. Es muss wohl das nämliche Tier sein, und es ist auffallend, dass auch die Namen so wenig voneinander verschieden sind. Ich habe zwar nie ein Beispiel von seinen giftigen Eigenschaften gesehen, war aber Zeuge, wie eine ganze Kompanie von Sepoys ihren Posten verließ, weil sie das Tier in dem Dach des Hauses hatten schreien hören. Sie sagten, es falle auf die Leute herunter.«

»Vermutlich ist es das nämliche Tier, und Eure Erzählung bekräftigt das, was über seine giftigen Eigenschaften gesagt wird.«

»Dennoch würden wir aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Glauben finden, wenn wir in England eine derartige Behauptung aufstellten.«

»Ich gebe zu, bei vielen nicht – bei denen nicht, die nur wenig wissen. Aber die Unterrichteten würden es doch glauben. Es ist Tatsache, dass wir von allzu großer Leichtgläubigkeit zu einem fast gänzlichen Skeptizismus übergegangen sind, wenn wir uns nicht durch unsere Sinne überzeugen können. In den Zeilen Marko Polos, Sir Jahn Mandevilles und anderer – ich will sagen, im 15. Jahrhundert, als es noch wenig Reisende und wenig Bildung gab – durfte ein Reisender fast alles sagen und gläubiger Zuhörer versichert sein, während man in letzter Zeit kaum wagen darf, eine Behauptung aufzustellen. Le Vaillant und Bruce, welche den Süden und Norden Afrikas bereisten, wurden für Lügner erklärt, als sie den Bericht über das, was sie gesehen hatten, veröffentlichten. Und doch hat sich seitdem jedes Titelchen als wahr herausgestellt. Übrigens sind die Leute heutzutage besser unterrichtet und nicht mehr so entschieden absprechend, denn es gibt bestimmte Gesetze, welche die Scheidelinie des Möglichen und Unmöglichen andeuten.«

»Wie meint Ihr dies?«

»Ich meine – wenn mir zum Beispiel jemand erzählen wollte, er habe eine Meerjungfer gesehen, mit dem Leib einer Frau und dem Schuppenschwanz eines Fisches, so würde ich ihm unverhohlen sagen, dass ich ihm keinen Glauben schenken könne. Und warum? Weil ein solches Geschöpf den Gesetzen der Natur widerspricht. Die zwei Bestandteile des Tieres konnten sich nicht vereinigen, da der obere Teil den warmblutigen Säugetieren, der untere den Kaltblütern angehören würde. Eine solche Verbindung ist unmöglich. Allerdings mögen ohne Zweifel noch viele Tiere unentdeckt oder vielmehr den Europäern noch unbekannt sein, und ihre Schilderung wird anfangs Argwohn, wo nicht Widerspruch erregen. Aber wie ich bereits bemerkte, der Bericht darüber wird aller Wahrscheinlichkeit nach von einem Naturforscher nicht verworfen werden, obschon es vonseiten derjenigen geschehen mag, die nicht genug zoologische Kenntnisse besitzen, um durch Vergleiche beurteilen zu können, ob das Vorhandensein eines Tieres glaubwürdig ist. Sogar die Fabeltiere haben ihren Ursprung in solchen, die wirklich existieren. Das Einhorn ist ohne Zweifel die Gemsbockantilope, denn wenn man dieses Tier aus der Entfernung betrachtet, so nehmen sich seine zwei Hörner wie ein einziges aus. Auch porträtieren es die Buschmänner sie in ihren Höhlen. Der Drache beruht gleichfalls nicht ganz auf der Einbildungskraft, denn die Lacerta valans oder die fliegende Eidechse Amerikas ist ein eigentlicher Miniaturdrache. Man ersieht hieraus, dass auch das vermeintliche Fabelhafte in einer Übertreibung oder in einem Irrtum seinen Grund hat.«

»Ihr seid also der Ansicht, Swinton, dass wir alles glauben sollten, was die Reisenden uns erzählen?«

»Nein, das nicht, aber wir sollten ihre Behauptungen nicht bloß deshalb verwerfen, weil sie mit unseren Ansichten über den Gegenstand nicht übereinstimmen. Das merkwürdigste Beispiel von Unglauben finden wir in Bestreitung der Möglichkeit von Ärolithen oder Meteorsteinen, die sich unter Gewittern in der Luft erzeugen und auf die Erde niederfallen. Sicherlich habt Ihr schon von derartigen Dingen gehört?«

»O ja«, versetzte der Major, »und habe sie auch mehrere Male in Indien gesehen.«

»Noch vor einem Jahrhundert wurden sie als eine bloße Fabel behandelt. Als sich das Gerücht verbreitete (noch obendrein nicht zum ersten Mal), dass ein derartiger Stein in Frankreich niedergefallen sei, wurden die Savans in Deputation an Ort und Stelle geschickt. Sie hörten die Zeugen ab, welche vorgaben, sie hätten ein lautes Getöse in der Luft vernommen und beim Aufblicken einen dunklen Körper niederfallen sehen. Dieser sei mit einer Gewalt auf die Erde gesunken, dass er sich fast in dem Boden begrub und so heiß gewesen sei, dass man ihn nicht mit bloßer Hand berühren konnte. Nachher sei er erkaltet. Die Savans hörten all dies an, erklärten aber, dass es unmöglich sei, und geraume Zeit wurde jeder derartige Bericht mit Verachtung behandelt. Jetzt kennt jedermann die Sache und ist vollkommen überzeugt davon. Auch drückt niemand das geringste Erstaunen aus, wenn man von dergleichen Vorgängen spricht. Shakespeare lässt Hamlet ganz richtig bemerken: Es gibt im Himmel und auf Erden mehr Dinge, Horatio, als Eure Philosophie sich träumen mag.«