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Der Schwur – Erster Teil – Kapitel 2

Der-SchwurDer Schwur
Historischer Roman aus dem mexikanischen Unabhängigkeitskrieg

Erster Teil
Der Dragoner der Königin

Kapitel 2
Der Nachfahre des Kaziken

Zu derselben Zeit, in welcher der Studiosus der Theologie sich entschloss, in seiner Hängematte auszuruhen, ungefähr eine Stunde vor Sonnenuntergang, erschienen zwei Männer am Ufer eines kleinen Flusses, auf dem halben Weg zwischen der Gegend, wo der Dragoner von dem Studenten Abschied genommen, und der Hazienda las Palmas, wohin er sich gewandt hatte.

Der Fluss, an dem die beiden Männer erschienen waren, strömte in der Mitte eines engen Tals dahin. An seinen Ufern wuchsen Eschen und Weiden, in deren Zweigen blühende Lianen sich auf und ab schlängelten. Nicht weit von dem Ort, an dem die beiden Personen standen, schien der Fluss ein ruhiger Spiegel zu sein, bestimmt, den klaren Himmel des Tages oder den mit Sternen besäten der Nacht zu reflektieren, weiter abwärts nahm er ein entschieden wildes Antlitz an und stürzte schäumend zwischen hoch aufgetürmten Uferwänden dahin, die eine üppige Vegetation bedeckte.

Vom Standort der beiden Männer vernahm man das beträchtliche Geräusch eines Wasserfalls. Die Gesichtsfarbe und die Kleidung des einen dieser beiden Männer, die eine eifrige Unterhaltung zu führen schienen, zeigten deutlich seine indianische Abstammung. Er hatte über der Schulter ein gewaltiges Feuerrohr mit einem etwas kürzeren und verrosteten Lauf. Zwei dichte Flechten seines schwarzen Haars hingen von seinem Kopf auf eine Art Tunika mit kurzen Ärmeln auf ins Graue fallender rot gestreifter Leinwand herab, die seine muskulösen kupferfarbenen Arme sehen ließen. Diese bis auf die Hälfte Oberschenkel reichende Tunika war an den Hüften von einem ledernen Gürtel zusammengehalten. Die nackten Beine des Indianers schauten hier und da aus einer Art Beinkleid, vom Fell irgendeines wilden Tieres kunstlos gefertigt, hervor. Seine Füße waren mit dem gleichen Stoff bekleidet und seinen Kopf bedeckte ein geflochtener Binsenhut.

Der Indianer war im Verhältnis zu den durchschnittlichen Männern seiner Rasse von großem Wuchs. Seine feinen und lebhaften Züge besaßen nicht den bei den unterjochten Indianern so gewöhnlichen Ausdruck der Unterwürfigkeit. Ein ziemlich dichter Schnurrbart und ein Bart, der sein Kinn beschattete, gaben selbst seinem Konterfei ein Ansehen wilder Vornehmheit.

Sein Gefährte war ein mit Lumpen bedeckter Farbiger, der beim ersten Anblick nichts Bemerkenswertes an sich hatte, wenn man nicht allenfalls den Ausdruck naiver Leichtgläubigkeit, womit er dem Gespräch des Indianers zuhörte, dafür annehmen wollte. Bisweilen ließ der Ausdruck seiner Mienen einen schlecht verborgenen Schrecken erkennen.

In dem Moment, als wir diese beiden Personen hier einführen, bückte sich der Indianer und ging vorsichtig einem Ort des Ufers zu, der von Gras entblößt und mit Tonerde bedeckt war.

»Als ich Euch sagte«, rief er, »dass ich in höchstens einer halben Stunde ihre Fußstapfen auffinden würde, hatte ich da Recht? Seht, hier!«

Der Indianer sprach diese Worte mit einer triumphierender Miene, die sein Gefährte nicht zu teilen schien, zeigte er diesem auf dem feuchten Boden noch ganz frische Spuren und zwar von solcher Beschaffenheit, dass sie bei einem Mann, dessen Beschäftigung keine Jagd wilder Tiere ist, nur unangenehme Empfindungen hervorrufen konnten.

Es waren dies breite Abdrücke, in denen jede Zehe seine stark markierten Spuren in dem lehmigen Boden zeigte. Ihre Anzahl belief sich auf ungefähr zwanzig in verschiedenen Dimensionen.

Zu dieser schrecklichen Entdeckung trug besonders bei, dass das Wasser eines dem Fluss benachbarten Pfuhl eine gelbliche Färbung hatte, ohne dass es schon Zeit gehabt hätte, seine frühere Klarheit wieder anzunehmen.

»Es ist kaum eine halbe Stunde her, dass sie hier zur Tränke gewesen sind«, fuhr der Indianer fort, »denn das Wasser ist trübe, wie Ihr sehen könnt. Wir wollen jetzt versuchen, ihre Anzahl zu ermitteln.«

»Ich würde vorziehen, Fersengeld zu geben«, versetzte der Schwarze. »Jesus Maria! Eine ganze Prozession von Tigern.«

»O, Ihr übertreibt. Wir wollen einmal nachzählen. Eins, zwei, drei, vier; das Männchen, das Weibchen und zwei Junge. Mehr sind es nicht. Das ist ein prächtiger Anblick für einen Tigerjäger. Dennoch will ich sie heute in Ruhe lassen. Wir beide haben etwas Besseres zu tun.«

»Könnten wir uns an dem besprochenen Ort nicht an einem anderen Tag einfinden und jetzt zur Hazienda zurückkehren? Die Neugierde, welche ich empfinde, die wunderbaren Dinge zu sehen, die Ihr mir versprochen habt.«

»Es ist unmöglich, die Sache noch einen Tag zu verschieben«, unterbrach ihn der Indianer. »Das würde die Partie auf einen Monat verschieben heißen. Ich sage Euch, es muss gleich geschehen, denn in einem Monat sind wir weit von diesem Land entfernt. Setzen wir uns.«

Der Indianer, Wort und Tat miteinander verbindend, setzte sich einige Schritte von der Region nieder, wo die Unterhaltung stattgefunden hatte, und der Schwarze war wohl oder übel gezwungen, ihm zu folgen. Er war so zerstreut, seine Augen irrten mit einer so sichtbaren Angst in alle Richtungen des Horizonts umher, dass der Tigerjäger es für seine Pflicht hielt, ihn aufs Neue zu beruhigen.

»Ihr habt nichts zu fürchten, Clara, ich versichere es Euch«, sagte der Indianer. »Der Tiger, die Tigerin und die beiden Jungen, die den ganzen Lauf des Flusses haben, um sich den Durst zu stillen, werden es sich nicht einfallen lassen, in unsere Nähe zu kommen.«

»Ich habe mir sagen lassen, dass sie sehr scharf auf Mohrenfleisch wären«, versetzte der Dunkelhäutige, der seltsamer Weise mit dem weiblichen Namen Clara angeredet worden war.

»Das ist ein Vorzug, mit dem Ihr Euch vergeblich brüstet.«

»Sagt vielmehr, vor dem ich eine entsetzliche Angst habe.«

»Seid ganz ohne Sorge. Es gibt im ganzen Staat keinen so einfältigen Jaguar, welcher nicht einer schwarzen und harten Haut, wie der Euren, das Fleisch junger Kühe oder Füllen, die er sich im Geheimen und ohne Gefahr verschaffen kann, vorzöge. Die Jaguare, die hier in der Nähe sind, würden lachen, wenn sie Euch hörten.«

»Über Euch würden sie vielleicht lachen«, entgegnete Clara.

»Und warum das? Wisst Ihr, dass weder Menschen noch Tiere jemals ungestraft über Costal lachen dürfen.«

»Warum? Weil sie es gewiss sehr komisch finden würden, dass Ihr, dessen Beschäftigung die Tigerjagd ist und der Ihr vom Señor Don Mariano Silva bezahlt werdet, um die Jaguare zu jagen und auszurotten, dass Ihr Euch nicht auf die Verfolgung der Missetäter begebt, deren Spuren Ihr mir an dem Ufer dieses Flusses zeigtet.«

»Seid versichert, dass ich sie nicht aus den Augen verlieren werde. Ich werde ihre Spur wieder aufzufinden wissen, und ein Jaguar, dessen Schlupfwinkel ich kenne, ist ein toter Jaguar. Ich will mich aber vor morgen nicht auf die Jagd begeben. Heute ist Vollmond und heute erscheint die Sirene mit den geringelten Haaren allen denen, die es wagen, sie mit mutigem Herzen anzurufen.«

»Die Sirene mit den geringelten Haaren?«, wiederholte der Schwarze.

»Ja, dieselbe, welche die Goldlager in der Ebene oder inmitten der Berge offenbart und die Perlenbänke auf dem Grund des Meeres zeigt.«

»Seid Ihr davon überzeugt? Wer hat Euch das gesagt?«, fragte Clara in einem Ton, in dem Leichtgläubigkeit und Zweifel kämpften.

»Meine Väter haben mir das Geheimnis hinterlassen«, erwiderte der Indianer mit feierlicher Stimme, »und Costal glaubt den Worten seiner Väter mehr als denen der christlichen Pfarrer, obgleich er das zu glauben scheint, was sie ihn lehren.«

»Sprecht nicht so laut«, sagte der Schwarze lebhaft, sich eifrig mit Unterwürfigkeit bei den Gotteslästerungen seines Gefährten bekreuzigend. »Die christlichen Priester haben überall Ohren, und das Ketzergericht hat Kerker für Männer aller Farben.«

Bei der Erinnerung an das von dem Schwarzen genannte Ketzergericht dämpfte der Indianer unwillkürlich die Stimme.

»Meine Väter haben mich unterwiesen, dass die Gottheit der Gewässer nie einem einzelnen Mann erscheint. Es müssen ihrer zwei sein, wenn sie sich zeigen soll, und zwar zwei Männer von gleichem Ruf, denn manchmal ist ihr Zorn schrecklich. Wollt Ihr der Gefährte sein, dessen ich bedarf?«

»Hm!«, machte Clara. »Ich kann mich zwar rühmen, eben nicht allzu große Furcht vor einem Menschen zu haben, dasselbe kann ich aber nicht von Tigern sagen, und was Eure Gottheiten betrifft, die vielleicht der Teufel in Person sein könnten, wage ich nicht zu behaupten …«

»Menschen, Tiger oder Teufel«, erwiderte Costal, »dürfen den, der ein wahrhaft mutiges Herz unter den Rippen schlagen hat, nicht furchtsam machen, und namentlich, wenn der Preis seines Mutes Gold sein soll, das aus einem armen Indianer einen großen Herrn machen kann.«

»Aus einem Schwarzen auch?«

»Ohne Zweifel.«

»Sagt vielmehr, dass das Gold einem Indianer nicht mehr nutzen würde, als einem Schwarzen. Beide sind Sklaven, und ihre Herren würden es dem einen sowohl wie dem anderen entreißen«, sagte der Schwarze voller Entmutigung.

»Ich weiß es, aber die Sklaverei der Indianer neigt sich ihrem Ende zu. Habt Ihr noch nicht gehört, dass ein Pope im Innern des Landes die Gleichstellung der Rassen, die Freiheit für alle ausgerufen hat?«

»Nein«, erwiderte Clara, seine ganze Unwissenheit in politischen Angelegenheiten verratend.

»Wisst Ihr denn, dass der Moment nahe ist, wo der Indianer dem Weißen, der Kreole dem Spanier gleich sein wird, und wo ein Indianer, wie ich, ihr Oberherr ist«, fügte Costal mit stolzem Ausdruck hinzu. »Die Brillanz unserer Väter wird wieder geboren, und das ist der Zweck, wozu ich Gold brauche und warum ich gegenwärtig daran denke, Gold zu suchen, nachdem ich es bis jetzt wie ein unnützes Ding in der Hand eines Sklaven betrachtet habe, obgleich es in den Händen eines Freien ihm dazu dienen wird, den Ruhm seiner Voreltern wieder zu erneuern.«

Clara konnte nicht umhin, auf Costal einen verblüfften Blick zu werfen. Der Ausdruck wilder Größe, der auf dem Gesicht des Tigerjägers, des treuen Gefolgsmanns der Hazienda las Palmas, ausgeprägt war, überraschte ihn nicht weniger, als der Ausspruch, den alten Glanz seiner Familie wieder erneuern zu wollen.

Dieser Blick entging dem Indianer nicht.

»Freund Clara«, fuhr er fort, »höre ein Geheimnis, welches ich in der niedrigen Stellung, in der ich lebe, eine Reihe von Jahren, genügend, um fünfzig Mal die Regenzeit der Trockenheit folgen zu sehen, bewahrt habe, und das Euch zur Genüge alle Leute meiner Klasse und Farbe bestätigen können.«

»Ihr habt fünfzig Mal die Regenzeit gesehen?«, rief der Schwarze erstaunt, aufmerksam den Indianer betrachtend, dessen Gesicht und Glieder ihn höchstens einige dreißig Jahre alt erscheinen ließen.

»Noch nicht, aber bald«, erwiderte Costal lächelnd, »und ich werde noch fünfzig andere sehen. Vordeutungen sagen mir, dass ich das Alter des Raben erreichen werde.«

Dann fuhr er fort, mit den ausgestreckten Armen einen Kreis um sich beschreibend und sie nach den vier Himmelsgegenden ausstreckend.

»In dem ganzen Gebiet, das ein Reiter vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang, von Osten nach Westen von Süden nach Norden durchjagen könnte, würde er kein Land berühren, das nicht vor vielen langen Jahren, bevor die Schiffe der Schakale an unseren Küsten gelandet waren, die Kaziken der Zapoteken als unumschränkte Herren beherrscht hätten. Die beiden Meere, welche die entgegengesetzten Ufer der Landenge von Tehuantepec mit ihren Wellen umspülen, waren die einzigen Grenzen ihrer Herrschaft. Tausende Krieger folgten ihrem Banner. Vom Ozean, der im Norden liegt, bis zu dem im Süden gehörten ihnen die Perlenbänke und die Goldlager. Das Metall, das die Weißen so heiß begehren, glänzte auf ihren Waffen und an den Sandalen ihrer Füße. Was ist aus den ehemals so mächtigen Kaziken geworden? Ihre Untertanen sind entweder durch den Donner der Weißen niedergemäht oder in den Minen vergraben worden. Die Sieger haben die Überlebenden unter sich aufgeteilt. Hundert Abenteurer sind mächtige Herren geworden, indem jeder ein Stück der ungeheuren, durch sie eroberten Besitzungen an sich riss. Und heute ist der letzte Abkömmling jener mächtigen Kaziken gezwungen, um nur sein Leben zu frönen, sich zum Sklaven eines Herrn zu erniedrigen, alle Tage sein Leben im Kampf mit den Tigern auszusetzen, welche die Herden anfallen, mit denen die Ebenen und Berge bedeckt sind, die ehemals das Eigentum seiner Väter waren und auf denen ihm nur noch das Plätzchen, auf dem seine Hütte steht, gehört.«

Der Indianer würde noch weiter gesprochen haben, wenn der Schwarze nicht daran gedacht hätte, ihn zu unterbrechen. Dieser hatte vielleicht niemals gewusst, dass ein mächtiges und zivilisiertes Geschlecht durch die spanischen Eroberer von seinem Grundbesitz verdrängt worden war. Jedenfalls war er am allerweitesten entfernt, in dem mehr heidnischen als christlichen Tigerjäger, der ihm seinen indianischen Geisterglauben einpflanzte, einen Abkömmling der alten Beherrscher des Istmus von Tehuantepec zu vermuten.

 

Die Sonne sank zunehmend am Horizont, als plötzlich ein lang gedehntes Miauen, welches durch ein hohles Brüllen, das aus einem weit entfernten Dickicht zu kommen schien, unterbrochen wurde, an das Ohr der Männer schlug und dem Schwarzen gewaltigen Schrecken verursachte.

Der Indianer blieb unbeweglich und verzog keine Miene, während der Schwarze aufsprang und rief: »Jesus Maria, der Jaguar!«

»Nun, was ist damit?«, fragte der Indianer ruhig.

»Der Jaguar!«, wiederholte Clara.

»Der Jaguar? Ihr seid im Irrtum.«

»Gebe es Gott!«, rief der Schwarze, der kaum zu hoffen wagte, dass er sich getäuscht hätte.

»Ihr irrt Euch in der Zahl, es sind ihrer vier, wenn man die beiden Jungen hinzurechnet.«

Von seinem Irrtum in diesem Sinne überzeugt, machte Clara Miene, zur Hazienda zu fliehen.

»Nimm dich in acht!«, sagte Costal, der sich über den Schreck seines Gefährten zu belustigen schien. »Man sagt, dass die Tiger sehr lüstern auf Mohrenfleisch seien.«

»Ihr habt mir das Gegenteil versichert.«

»Vielleicht bin ich falsch über die Sitten dieser Bestien unterrichtet. Das aber weiß ich ganz gewiss, auf diese Weise ich es mehr als hundertmal erfahren, dass, wenn die beiden Alten zusammen sind, sie in der Nähe nie so heulen. Deshalb glaube ich, dass sie getrennt sind. Ihr lauft also Gefahr, zwischen zwei Feuer zu geraten.«

»Gott behüte mich!«

»Wenn Ihr also etwas Gescheites tun wollt, bleibt bei einem Mann, der sich auch vor zwei Tigern nicht fürchtet.«

Noch war der Schwarze unschlüssig, als ein zweites Heulen, um nichts weniger dumpf, als das erste, sich in einer entgegengesetzten Richtung hören ließ und somit die Vermutung des Indianers bestätigte.

»Ihr seht, dass sie auf Beute ausgehen, indem sie sich das Terrain geteilt haben, und dass sie sich gegenseitig benachrichtigen. Jetzt steht es Euch frei, wenn Euer Herz Euch dazu antreibt«, sagte Costal und machte dem Schwarzen ein Zeichen mit der Hand, dass er fliehen könne.

Von der Gefahr, die vor und hinter ihm lauerte, überzeugt, näherte sich Clara, bleich nach Art der Dunkelhäutigen, deren Hautfarbe von schwarz in ein dunkles grau übergeht, zitternd seinem unerschütterlichen Gefährten, der nicht einmal Miene gemacht hatte, den im Gras liegenden Karabiner zu ergreifen.

»Mein Freund scheint mir eben nicht sehr tapfer«, sagte der Indianer zu sich, »aber ich werde mich mit ihm begnügen, bis ich einen Unerschrockeneren gefunden habe.«

Den Flug seiner Gedanken, der durch das Heulen der Jaguare unterbrochen worden war, wieder aufnehmend, fügte er laut hinzu: »Wo gibt es wohl einen Indianer und einen Schwarzen, die nicht ihren Arm dem gegen die Unterdrücker aufgestandenen Priester leihen würde, die aus den Zapoteken, den Mexikanern, den Azteken Sklaven gemacht haben, um ihnen zu dienen? Haben sie nicht grausamer gegen uns gewütet als die Tiger?«

»Ich würde davor weniger Furcht haben«, murmelte der Sklave.

»Morgen werde ich meinem Herrn sagen, dass er sich einen anderen Tigerjäger suchen möge, und wir wollen uns mit den Aufständischen im Westen verbinden.«

»Ihr könntet ihn nichts desto weniger doch von diesen beiden Tieren zuvor befreien«, sagte Clara, der seinen Groll nur für diese aufgespart zu haben schien.

Der Schwarze hatte kaum den Satz vollendet, als sich ein drittes Miauen, gleichsam, als ob die Jaguare die Geduld des Tigerjägers auf eine letzte Probe stellen wollten, zwar schwächer, doch anhaltender, als das erste, in derselben Richtung stromaufwärts hören ließ.

»Bei der Seele der Kaziken von Tehuantepec«, rief der Indianer, »das heißt die Geduld eines Mannes auf eine harte Probe zu stellen. Ich will diese Schreihälse lehren, künftig sich nicht mehr so laut über ihre Angelegenheiten zu unterhalten. Kommt, Clara, Ihr sollt es kennenlernen, wie ein Jaguar aus der Nähe aussieht.«

»Ich habe aber keine Waffen!«, schrie der Schwarze, vielleicht noch mehr von dem Gedanken erschreckt, Tiger zu jagen, als von ihnen gejagt zu werden. »Als ich Euch aufgefordert habe, die Ländereien um die Hazienda von diesen beiden Dämonen zu befreien, hatte ich nicht die Absicht, Euch zu begleiten. Das kann ich bei allen Heiligen des Paradieses beschwören.«

»Hört, Clara. Das Tier, welches sich das allererste Mal vernehmen ließ, war der männliche Jaguar, der sein Weibchen rief. Er muss ziemlich weit von hier sein und zwar stromaufwärts. Da es nun in der Ausdehnung der ganzen Hazienda kein einziges Flüsschen gibt, auf dem ich nicht einen Nachen oder ein Kanu hätte, so …«

»Ihr habt ein Kanu hier?«, unterbrach ihn Clara.

»Gewiss. Wir werden nun stromaufwärts fahren. Ich habe so meine Idee über diese Sache. Ihr sollt sehen, werdet aber dabei keine Gefahr laufen. «

»Man behauptet, dass die Jaguare verteufelt gute Schwimmer sind«, murmelte der Schwarze.

»Ich kann das nicht in Abrede stellen. Schnell, folgt mir.«

Mit diesen Worten eilte der Tigerjäger der Stelle des Ufers zu, wo er sein Fahrzeug befestigt hatte, und Clara, der die Gefahr, den Jäger zu begleiten, der vorzog, allein hier zu bleiben, folgte ihm im kurzen Trott, im Herzen die Unvorsichtigkeit verwünschend, mit der er Costal zur Jagd aufgefordert hatte.

Etwas später hatte der Indianer die Knoten des Seils, die seinen Nachen an den Wurzeln einer Weide festhielten, gelöst. Der Einbaum war aus einem Weidenstamm geschnitzt und lang genug, um zwei Menschen zu fassen.

Zwei kurze Ruder genügten sowohl im breiten als auch im schmalen Gewässer. Ein kleiner Mast, mit einer Schilfmatte geziert, die als Segel diente, wenn es notwendig war, lag auf dem Boden des Fahrzeugs. Costal ließ ihn, bei dieser Gelegenheit nutzlos, am Ufer zurück, setzte sich in den Bug, während der Schwarze im Heck Platz nehmen durfte, stieß dann den Kahn mit einem tüchtigen Ruck vom Ufer ab, sodass er bis mitten in den Fluss schoss, und fing nun an, stromaufwärts zu rudern.

Das Schiffchen folgte den Krümmungen des Flussufers, das die Aussicht der beiden Schiffer beschränkte. Manchmal beugten die am Ufer stehenden Bäume ihre Stämme dicht auf das Wasser, und auf jedem derselben erwartete der Schwarze die glühenden Augen einer wilden Katze leuchten zu sehen, bereit, sich in das Fahrzeug zu stürzen.

»Por Dios!«, sagte er zitternd, so oft sie sich in der Nähe eines solchen Baumes befanden, »fahrt nicht so nahe daran vorüber. Wer weiß, ob der Feind nicht im Laub verborgen auf uns lauert!«

»Ich habe eine Idee«, erwiderte Costal.

»Was habt Ihr denn für eine Idee?«, fragte Clara.

»Eine sehr einfache, die Ihr sogleich erfahren sollt.«

»Lasst hören!«

»Es sind, wie Ihr wisst, zwei Jaguare – ich spreche nicht von den Jungen. Da Ihr nun keine Waffe habt, obliegen Euch die letzteren. Ihr ergreift eins derselben mit jeder Hand, haltet sie bei der Halshaut fest und zerschmettert ihnen beiden die Hirnschalen, in dem Ihr sie gegeneinander schlagt. Nichts ist einfacher.«

»Das scheint mir im Gegenteil sehr verwickelter Natur, und dann, werde ich auch schnell genug laufen können, um sie zu erwischen?«

»Der Mühe, auf sie loszustürzen, werdet Ihr wohl überhoben werden, denn in spätestens einer Viertelstunde haben wir alle vier auf dem Hals.«

»Alle vier!«, schrie der Sklave, so heftig bebend, dass er dem zerbrechlichen Fahrzeug eine schwankende Bewegung mitteilte, stark genug, es umzuwerfen.

»Ohne Zweifel«, erwiderte Costal, sich in demselben Moment auf die andere Seite neigend, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.

»Ich habe ein Mittel gefunden, die Langatmigkeit der Jagd abzukürzen. Also – wie ich Euch sagte, als Ihr mich so unangenehm unterbracht – es sind zwei Jaguare, der eine auf dem linken, der andere auf dem rechten Ufer. Nun wollen die Bestien durchaus wieder zusammen. Das zeigt ihr Brüllen. Wenn wir uns aber zwischen sie werfen, ist es klar, dass sie beide auf einmal auf uns losstürzen – Aufgepasst! Clara, wir wollen diesen Punkt, von dem aus die Bäume den freien Blick über die Ebene versperren, umfahren. Ihr könnt es mir sagen, wenn Ihr das Tier, das wir suchen, seht.«

Nachdem dies geschehen war, breitete sich vor ihnen eine unermessliche Ebene aus, durch deren Mitte der Strom hinrauschte. Zur Rechten und Linken waren die Ufer mit Bäumen besetzt, die Ebene aber so vollständig kahl, dass auch nicht der geringste Gegenstand dem Auge an dem unbegrenzten Horizont ein Hindernis darbot.

Ziemlich entfernt von den beiden Jägern teilte sich der Fluss und bildete, in zwei fast parallelen Linien strömend, ein grünendes Delta, von dessen äußerer Spitze der Weg zur Hazienda las Palmas führte.

Die Strahlen der untergehenden Sonne hüllten die ganze Landschaft in einen goldenen Nebel.

Der Arm des Flusses, den der Indianer und der Schwarze hinauffuhren, schien in Purpur und Gold gefärbtes Wasser zu haben. Plötzlich tauchte ungefähr auf zwei Karabinerschussweiten in diesem in Luft gebadetem Nebel, auf diesen schimmernden Fluten ein fremder Gegenstand vor den entzückten Augen Costals auf.

»Sieh mal, Clara«, sagte er, die Paddel dem Schwarzen zuwerfend, während er sich auf dem Boden des Kanus nieder kauerte, den Karabiner in der Hand, »haben deine Augen jemals ein herrlicheres Schauspiel gesehen?«

Clara ergriff die Ruder mechanisch und antwortete nichts. Die Augen weit aufgerissen, den Mund halb geöffnet, blieb er bei dem Bild, welches vor ihm auftauchte, völlig stumm und schien bezaubert wie der Vogel beim Anblick der Klapperschlange.

Auf dem schwimmenden Kadaver eines Büffels, den er zerfleischte, angeklammert, ließ der eine der Jaguare und zwar der, dessen Stimme die beiden Gefährten zuerst vernommen hatten, sich langsam auf dem Strom hintreiben. Mit vorgestrecktem Kopf, auf die Vordertatzen gestützt, die hinteren unter den Leib gezogen, die Seiten fortwährend mit dem Schweif peitschend, ließ der König der amerikanischen Ebene sein fahl glänzendes, mit schwärzlichen Flecken gesprenkeltes Fell von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne bespiegeln.

Dies war eine jener prächtig wilden Szenen, wie sie die Savannen täglich dem Auge des Jägers und des Indianers darbieten, eine herrliche Episode des ewigen Gedichts, welches die Einöde ihren Ohren vorsingt.

Ein dumpfes Knarren, das zuletzt in ein kurzes Brüllen überging, entstieg der Brust des Jaguars und wurde auf der Wasserfläche bis zu den beiden Schiffern getragen. Er hatte seine Feinde bemerkt und forderte sie heraus. Costal erwiderte mit einem Freudenschrei, wie es der Spürhund ausstößt, wenn er die Fanfaren des Jagdhorns im Echo des Waldes sich verdoppeln hört.

»Das ist der Jaguar«, sagte er mit vor Erregung zitternder Stimme.

»Schießt doch!«, schrie der Schwarze, wieder zu Worte kommend.

»Jetzt schießen!«, erwiderte Costal, »soweit trägt mein Karabiner nicht, und dann verscheuchte ich auch die Tigerin, während Ihr sie in einigen Minuten auf dieser Seite hier hervorspringen sehen werdet, von ihren beiden Jungen begleitet.«

»Gott nehme mich in seinen Schutz!«, murmelte der Schwarze, von der Absicht Costals erschreckt, die zum Teil in Erfüllung ging, denn ein entferntes Heulen zeigte an, dass auch der andere Jaguar in einigen Sekunden an der Begrenzung der Savanne erscheinen würde.

Einige Sätze, die das Weibchen mit erstaunlicher Gewandtheit und Leichtigkeit machte, brachten es auf ungefähr zweihundert Schritte in die Nähe des Fahrzeugs.

Plötzlich stand sie still, die Nase hoch in der Luft, die Weichen fliegend wie ein Pfeil, der noch zittert, nachdem er sein Ziel getroffen hatte, während die beiden Jungen sich später zu ihr gesellten.

Unterdessen verließ das Fahrzeug seine ursprüngliche Richtung und begann, dem Strom sich gänzlich überlassen zu wenden, behielt aber immer dieselbe Entfernung von dem auf dem Kadaver des Büffels kauernden Jaguar bei.

»Bei allen Teufeln!«, rief der Indianer ungeduldig, »halte doch das Boot in der Mitte, sonst bekomme ich nie diesen Jaguar in die Schussweite. So – so ist’s gut. Es ist dringend notwendig, dass ich die Bestie mit dem ersten Schuss töte, sonst ist einer von uns beiden verloren, da wir dann den verwundeten Jaguar und das zur höchsten Wut entflammte Weibchen auf dem Hals haben würden.«

Der Jaguar schwamm ruhig auf seinem Untersatz den Fluss hinunter, der Zwischenraum zum Boot und ihm wurde immer geringer. Schon konnte man ganz deutlich seine in ihren Höhlen rollenden feurigen Augen erkennen, sowie die Bewegungen des Schweifs, der schlängelnd hin und her peitschte.

Der Indianer nahm ihn aufs Korn, in den Rachen zielend, und legte den Finger an den Drücker – als plötzlich das Fahrzeug sich so befremdend zu bewegen anfing, als würde es durch eine Welle in die Höhe gehoben.

»Alle Teufel, was macht Ihr denn, Clara?«, schrie der Indianer zornig, »auf diese Art scheint es mir unmöglich, von einer ganzen Herde Tiger einen Einzigen zu treffen.«

Aber sei es, dass Clara mit Absicht gehandelt hatte, sei es, dass der Schrecken seine Sinne verwirrte, die Turbulenzen wurden von Sekunde zu Sekunde heftiger.

»Hol Euch der Teufel!«, schrie von Neuem der Indianer in voller Wut. Den Karabiner niederlegend, entriss er die Paddel den Händen des Schwarzen.

 

Es verging wohl eine gute Minute, ehe der Indianer die Ungeschicklichkeit seines Gefährten wiedergutmachen konnte, dann ergriff er seine Waffe. Der Jaguar stieß ein furchtbares Gebrüll aus, seine scharfen Zähne in den Körper des Büffels schlagend, riss er einen blutigen Fetzen heraus, nahm einen kräftigen Anlauf und gewann, während der schwimmende Körper, mächtig zurückgestoßen wurde und wirbelnd im Wasser unterging, um zehn Schritt weiter wieder in die Höhe zu kommen, in einem Sprung das Ufer, auf dem sein Weibchen stand.

Vergebens stieß der Indianer einen heidnischen Fluch aus, zu spät! Längst war das Tier aus dem Bereich seines Karabiners.

Das wilde Paar schien einen Augenblick unschlüssig, dann aber ein zweifaches drohendes Brüllen ausstoßend, worin sich die Stimmen der Jungen mischten, entfernten sich alle vier in mächtigen Sätzen und verschwanden aus ihrem Gesichtskreis.

»Geht nur! Geht nur! Ihr Schurken, ich werde Euch schon wiederfinden«, schrie Costal. Sich zum Schwarzen wendend, fügte er hinzu: »Kannst dir schmeicheln, mich um ein schönes Paar Jaguare gebracht zu haben.« Mit allen Kräften ruderte er nun an den Ausgangsort zurück.