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Sagen- und Märchengestalten – Der Adept zu Berlin – Teil 1

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Der Adept zu Berlin – Teil 1

Vielfache Streitigkeiten über den wirklichen Wert des Alchemistengoldes mussten notwendig der Entscheidung der juristischen Fakultäten anheimfallen. Diese zögerten nicht, den Stein der Weisen als zu Recht bestehend zu erklären. Mit nicht geringerer Sicherheit war ja das Wirken und Erscheinen der Höllengeister von ihnen bejaht worden, und aller Spuk, der aus dem eingebildeten Hexen- und Zauberwesen in die Welt gedrungen war, von ihnen bestätigt worden.

Im Jahr des Heils 1668 fühlte die ehrenfeste Stadt Breslau sich bewogen, dem Bürger und Schneidermeister Christoph Kirchhof zu Lauban einen köstlichen Wappenbrief mit silberner Bulle ausfertigen zu lassen: »Weil er denjenigen lapillum der Weisen an das Licht gebracht und vermittelst göttlicher Hilfe und scharfen Nachsinnens den spiritum universalem von sich selbst erfunden.«

Wie aus dem Gold, welches Raymundus Lullus einst gefertigt, der edle Britenfürst seine Münzen schlagen ließ, also prägten auch andere Herrscher wacker die Metalle aus, deren Quelle in den Schmelztiegeln ihrer Alchemisten entstanden. Freilich erwies eine spätere genaue Prüfung, dass die angeblichen Goldstücke nur nachhaltig gefärbt oder mit dünnen Goldplatten überzogen waren, und der schöne Denkspruch, den Kaiser Leopold I. auf die im Jahre 1675 gemünzten Dukaten hatte sehen lassen:

»Aus Wenzel Seyler’s Pulvers Macht

Bin ich von Zinn zu Gold gemacht,

wurde ein ebenso unverwerfliches Zeugnis gegen das Wunder, denn der schlaue Augustiner Mönch, Wenzel Seyler, war ganz unverdient zum Freiherrn von Reinersberg ernannt worden, weil sein gepriesenes Gold in kunstgerechter Probe schmählich unterlag.

Eine der interessantesten Persönlichkeiten unter all jenen wunderlichen Gestalten war der Grieche Laskaris, dessen Charakter und Wirken ihm in der Reihe der Alchemisten unbestritten eine hervorragende Stelle sicherte. Dem 18. Jahrhundert war es vorbehalten, diese seltsame Erscheinung zu entwickeln, welche in verschiedenen Zwischenräumen auftauchte, fast niemals selbst die Metallverwandlungen unternahm, sondern anderen einen geringen Teil seines Pulvers gab und ihnen die Ausführung überließ. In vorsichtiger Zurückhaltung mied der Adept die Höfe der Fürsten und schien voll Selbstverleugnung nur Beweise von der unumstößlichen Wahrheit des hermetischen Verfahrens geben zu wollen, ohne Auszeichnung oder Belohnung zu fordern, denen er vielmehr sorgsam auszuweichen wusste.

In Berlin herrschte damals, zu Anfang des 18. Jahrhunderts, reges Leben, denn Kurbrandenburg war allem Widerstand zum Trotz ein Königreich geworden. Das gab reichen Stoff zu eifrigem Disput, der sich besonders lebhaft in dem Vorderzimmer der Apotheke Zum Elefanten vernehmen ließ.

An der Tür des Gemachs stand ein hölzerner Schwarzafrikaner und bot Tabak und Fidibusse an, und auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers befanden sich kleine Gläser mit Aquavit, welche ein schlanker junger Mann von Zeit zu Zeit mit neuem Lebensgeist versah.

»Na, hör’ er mal«, rief jetzt ein derber, vollwangiger Spießbürger dem Besitzer des Elefanten, dem wackeren Herrn Zorn zu, indem er ihn mit der flachen Hand vertraulich auf die Schulter schlug, »hör’ er mal, mitreden kann er dabei eigentlich nicht! Drücken ihn die schweren Kosten etwa auch, die man uns auferlegt hat?«

»Und warum nicht?«, fragte der Apotheker zurück. »Glaubt er, dass ich meine Mixturen und Pillen aus Luft zusammenbrauen kann?«

Die anderen lachten, doch der Redner ließ sich nicht irre machen. Er zwinkerte verschmitzt mit den Augen und sprach: »Ja, die Mixturen – freilich kosten die Geld, und schweres, – niemand weiß das besser, als wer sie zu bezahlen hat! Doch so ist es nicht gemeint. Wenn er den faulen Heinz nicht hätte, der die blanken Gold- und Silberflüsse nur so hervorspeit, aus dem feurigen Rachen, möcht’ er mit Recht seufzen um die teure Ehr’, die uns jetzt widerfahren.«

»Glaubt ihm nicht«, sagte der Apotheker lächelnd, in schlecht verhehlter Unruhe. »Mit dem faulen Heinz ist’s nichts. Es ist ein töricht Wesen um die Alchemie, und jedweder tut am besten, sein Eigentum nicht nutzlos zu verpuffen mit dem Kram.«

»Das lügt Ihr«, unterbrach ein neueingetretener Gast des Mannes Rede. Als die verwunderten Blicke sich fragend auf ihn richteten, während der Apotheker einen Ausbruch des Unwillens nur mit Mühe unterdrückte, fuhr der Fremde milder fort: »Schmäht nicht die geheimnisvolle Kraft, zu deren Lösung Euch der Schlüssel fehlt. Die Kunst ist ewig wie die Welt, allein nicht jedem Aug’ eröffnet sich die geweihte Pforte, – dem Euren vielleicht nimmer, denn das will erbeten sein. Kommt morgen wieder, Ihr Herren, um diese Zeit. Dann sollt Ihr wissen und schauen, und Eurem Urteil mag es überlassen sein, ob Ihr glauben werdet.«

Mit diesen feierlich gesprochenen Worten schritt der Fremde in die eigentliche Apotheke, das Heiligtum, in welchem unzählige Büchsen und Töpfe gereiht standen mit ihrem seltsam duftenden Inhalt. Die Augen der Männer folgten ihm. Der oben bezeichnete Jüngling eilte ihm nach, die Tür zu öffnen und nach den Wünschen des stattlichen Mannes zu forschen. Denn stattlich war diese Erscheinung, von dem dunkelgelockten Haupt mit den fremdblickenden Augen, der hohen Stirn und der kühn geschwungenen Nase, bis hinab zu dem überaus zierlich geformten Fuß, der auf vornehme Abstammung zu deuten schien.

Zuerst nahm der vollbackige Spießbürger wieder das Wort. »Ha, ha!«, sagte er, »welch’ ein wunderlicher Herr, an Sprache, Gesicht und Kleidung fremd! Ist er ein Edelmann?«

»Weiß nicht«, entgegnete der Apotheker mit auffallender Unbehaglichkeit. »Der Herr stammt aus dem fernen Griechenland, ein Mönch, denke ich.«

Ein anderer rief vergnüglich dazwischen: »Also auch ein chymischer Bruder?« Und harrte schon mit Spannung der Dinge, die kommen würden.

Alles, was in der Apotheke geschah, konnte von dem Nebenzimmer aus füglich bemerkt werden, zumal die Glastür nicht einmal einen Vorhang hatte. Jetzt kehrte der Fremde zurück, trat zu dem Apotheker und sprach: »Erlaubt, dass morgen früh ein Tiegel bereit sei mit dem nötigen Metall. Wählt, welches Ihr wollt. Ich werde kommen und durch glänzende Probe die Wahrheit des hermetischen Prozesses erhärten, den Ihr so ungläubig tadelt.«

Stolz grüßend schritt er hinaus, und ein Strom neugieriger Fragen richtete sich gegen den Apotheker und seinen Lehrling.

Wer sich in den Geist jener Zeiten zu versetzen vermag, wird es begreiflich finden, dass das Gemach des Apothekers die Menge der Gäste, die sich am nächsten Tag versammelten, kaum fassen konnte, und dass er selbst sowie sein Lehrling vollauf zu tun hatten, um das rasche Begehren nach stärkendem Lebenswasser zu befriedigen. Allein der Fremde erschien nicht, sein gegebenes Versprechen zu lösen, und die ehrsamen Bürger empfunden bereits eine leise Regung von dem Missvergnügen vereitelter Hoffnung, welches noch durch den Gedanken vermehrt wurde, den harrenden Hausfrauen nicht einmal eine Neuigkeit bei ihrer Heimkehr mitteilen zu können.

Der junge schlanke Mann, dem die Zeichen der Unzufriedenheit nicht entgingen, trat zu seinem Lehrherrn und flüsterte ihm ins Ohr. Zwar schüttelte Herr Friedrich Zorn verneinend das Haupt, allein der Jüngling drang lebhafter in ihn.

Und so sprach der Apotheker endlich mit einem Seufzer: »Nun, in Gottes Namen, tu’, was du nicht lassen magst. Doch nicht mir schreib’ es zu, wenn der Fluch, der auf allem zu ruhen scheint, was mit der seltsamen Kunst sich verbindet, auch dich trifft. Tretet zur Seite, Ihr Herren, wenn es beliebt. Zu lange schon harren wir des Fremden, der vielleicht weit hinweg ist von unserer Stadt, nach Art der reisenden Adepten. Lasst uns selbst versuchen, was seines Pulvers Kraft vermag!«

Eine feierliche, erwartungsvolle Stille trat ein. Über einer Kohlenpfanne stand der Schmelztiegel mit erhitztem Quecksilber.

Nun zog der Jüngling aus seiner Brusttasche ein zusammengefaltetes Papier hervor und zeigte das körnige rote Pulver, welches es enthielt.

»Ein wenig dieser Substanz in Wachs gehüllt«, erklärte er, »genügt, um dieses Metall in gutes gediegenes Gold zu verwandelnd.«

Während er so sprach und die Tat den Worten folgen ließ, hefteten sich die Blicke der Anwesenden unverwandt auf die schimmernde Masse, welche jetzt mit leichtem Zischen gerann. Wohl konnten sie mit ihren Augen den wunderbaren Prozess verfolgen, aber er blieb ihnen, den Uneingeweihten darum nicht minder unerklärlich.

Und nun stellte die Probe, welche der Apotheker machte, das blanke goldige Resultat erst rechtskräftig hin. Als sie es alle so ganz und gar gefasst hatten, stürmte plötzlich der ganze Haufen auseinander. Jeder wollte der Erste sein, der das unerhörte in die Öffentlichkeit trug, und bald verbreitete es sich durch die Gassen und Gässchen, in die Gemächer des neuen Königs, wie in die äußersten baufälligen Häuslein der empor blühenden Stadt.

Der Apotheker blieb allein mit seinem Lehrling. Die Arme übereinander gefaltet, in tiefes Sinnen versenkt, blickte er auf das gleißende Metall, während des Lehrlings sanfte, fast noch kindliche Augen vor Freude strahlten.

»Törichter Bursche«, sagte endlich der Meister und entriss sich mit Gewalt den Gedanken, die auf ihn einstürmten, »Du glaubst, ich triumphiere wie ihr alle über den Sieg des geheimnisvollen Wissens? Ich vermag es nicht. Hab ich nicht das Mögliche versucht, um Gleiches zu erzielen, ohne den geringsten Erfolg? Ich sagte dir eins, auf meinem Grabstein müsse stehen, wie auf dem Epitaphium weiland Herrn von der Sulzburgs in der Stadt Nürnberg seit mehr denn vierhundert Jahren zu lesen ist: ›Er hat lange gealchemeiet und viel vertan.‹ Und ich sage das heut noch. Es ist nicht wahr, was ich sah, es ist eitel Blendwerk, die Metalle wechseln nicht; nur der böse Geist fährt hinein und webt den Schein vor unseren Blicken.«

Der Lehrling lächelte. Wie war ihm so froh, so stolz zu Mut, dass er gewürdigt worden, jenes große Werk zu vollführen. Mochte sein Herr doch in neidischer Selbstsucht verdammen, was ihm als eine unbestreitbare Wahrheit erschien.

Der Apotheker las diese Gedanken an der jugendlichen Stirn, und eine zornige Bitterkeit erfüllte sein Herz. »Wunder glaubst du getan zu haben«, fuhr er fort, »allein du irrst. Ich sage dir, ziehe deinen Fuß zurück aus dem gefährlichen Netz, welches dich umgarnt hat, oder es wird dich verderben, ehe das Mannesalter deine Wange bräunt.« Damit ging er hinaus.

Der Jüngling, welchem diese durch Zeugen bekundete Verwandlung des Quecksilbers im Jahre 1701 zu Berlin so herrlich gelang, war Johann Friedrich Bötticher und der Fremde, dessen Pulver ihn dazu geschickt machte, der berühmte Minoritenmönch, der Grieche Laskaris.

Indessen breitete sich der Ruhm des neuen Adepten schnell aus und Bötticher wiederholte das Experiment mehrere Male. Wie eine Traumwolke umschattete sein stolzes Bewusstsein die Einbildungskraft, dass er sich selbst nicht mehr erkannte und immer entschiedener und unverschämter als der Urheber jener mächtigen Substanz aufzutreten wagte.

Dem Laboratorium der Apotheke unnütz, saß er in nachdenklicher Entzückung in seinem Kämmerlein, während ihm in bunten verführerischen Bildern die Vorstellungen von Macht, Ehre und unsterblichem Ruhm so lebendig vorschwebten, als vermöge er sie mit Händen zu fassen und dürfe sie ohne Mühe sich zu eigen machen. Was konnte er nicht alles schaffen, nicht alles erreichen mit dieser wunderbaren Begabung! Hinaus wollte er in die große Welt, deren Genuss ihm Laskaris schon so wünschenswert dargestellt hatte! Waren ihm doch die goldenen Schwingen gewachsen, die ihn über die enge Grenze dieser Stadt hinweg tragen sollten in den fernen Süden, wo die eigentliche Heimat der Golderzeuger in märchenhafter Glorie blühte.

Mitten in die Begeisterung des Moments fiel ein prosaisches Klopfen und die Tür des Kämmerleins öffnete sich. Bötticher fuhr beinahe unwillig auf, doch die krausen Fältchen über den hellen Kinderaugen glätteten sich augenblicklich wieder, denn der, welcher fast gebückt unter der niederen Wölbung eintrat, war der Doktor Pasch, sein bester, sein einziger Freund.

»Willkommen«, rief der Jüngling ihm entgegen und erfasste mit herzlicher Verehrung seine Hand, »ich wollte zu Euch gehen und sehe Euch jetzt bei mir! Was habe ich nicht alles erlebt, seit ich Eurer entbehrte, wie viel habe ich Euch zu erzählen!«

In stürmischer Eile begann er seinen Bericht, und Pasch hörte geduldig zu. Nur wenn die Flut der Rede sich überstürzen zu wollen schien, hob er warnend den Finger. Dann schaute er mit gedankenschwerem Blick in des jugendlichen Sprechers Angesicht und sagte in beinahe väterlichem Ton, obwohl er kaum einige Jahre älter sein mochte, als Bötticher: »Johannes, du hast töricht gehandelt.«

Dieser fühlte sich betroffen; die freudig belebte Röte seiner Wangen wich beinahe der Blässe, indem er zögernd fragte: »Herr, Ihr tadelt mich?«

»Muss ich wohl«, entgegnete Pasch. »Hast du nicht bedacht, welch’ schwere Folgen deine Handlungen nach sich ziehen werden? Steht die Geschichte so vieler, denen die Alchemie verderblich wurde, umsonst verzeichnet? Wozu dient Erfahrung, wenn wir nicht von ihr lernen wollen? Du selbst trachtetest, das Geheimnis zu verbreiten, und doch weißt du, dass ein Fürst diese Kunde empfangen musste, dem es ernstlich um ein Mittel zu tun ist, welches den erschöpften Schatz von neuem füllen und in der unversiegbaren Quelle des Reichtums eine Macht begründen würde, wie sie der Staat gerade jetzt so dringend bedarf.«

Eine Wolke, blendend, schwindelerregend, legte sich über die Augen des Jünglings. »Was erwartet man von mir, was soll ich leisten?«, stammelte er.

»Johannes«, rief der andere mit begütigendem Ernst, »blicke mir ins Auge und dann wiederhole bei deiner Seelen Seligkeit, dass du das Pulver zu bereiten vermagst ohne fremde Hilfe. Du schlägst die Augen nieder, du erblassest? Weißt du, was deiner harrt? Man wird dich in sicherem Verwahr halten, niemanden zu dir lassen, und wenn du dann den ganzen Prozess zur Bereitung des Steines nicht mit mathematischer Gewissheit und befriedigendem Erfolg darzulegen weißt, werden sie dich hängen wie einen Betrüger!«

Bötticher schauderte und verbarg sein bleiches Gesicht an der Brust des Doktors. Der aber fuhr fort, indem er ihn zu einem männlichen Entschluss zu drängen schien: »Du bist kein Adept. König Friedrich aber glaubt es, und wenn der nächste Morgen dich noch in diesen Mauern findet, grüßt das Abendlicht dich im sicheren Kerker. Du musst fort, weit fort und darfst niemanden ahnen lassen, welch’ ein Verdacht auf dir ruht. Ich wünschte, du hättest den Fremden nie gesehen, dessen Gabe vielleicht das goldene Seil spann, das sich unzerreißbar um deinen Nacken legt.«

So ermahnte der Freund und half dem Bedrängten seine kleinen Angelegenheiten ordnen.

Als tiefe Dämmerung die Straßen füllte, ritt Bötticher auf einem stattlichen Tier durch die Hinterpforte des Hauses hinweg. Pasch und der Apotheker riefen ihm noch ein leises Lebewohl nach, dann schlossen sie die Tür.

In der Frühe des nächsten Tags erschien ein Befehl König Friedrichs I., laut dessen der Lehrling Johannes Bötticher sich zu stellen habe vor des Herrschers Angesicht. Allein der Vogel war ausgeflogen, der Bote fand ein leeres Nest.