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Das Harzmärchenbuch von August Ey Teil 22

Sagen und Märchen aus dem Oberharz
Gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862

Die lange Nase

Es ist hier einmal ein Vater gewesen, der hat drei Söhne gehabt; zwei kluge und einen dummen. Alle drei wollten sich was versuchen und forderten ihr Erbteil. Der Vater gab jedem, was er haben sollte. Jeder kriegte aber einen Holster und darin was zu leben mit, und so gingen sie fort. Einer nach dem anderen. Der eine hierhin, der andere dorthin. Da begegnete dem Ältesten ein altes Mütterchen, sie konnte kaum fort und sah aus, wie die teure Zeit; vom Hunger nämlich.

Die sagte zu dem Ältesten: »Sei doch so gut und gib mir einen Bissen Brot. Sonst muss ich verhungern.«

Darauf antwortete der, er war nämlich zu faul gewesen, seinen Holster abzuhucken: »Ach geh’ zum Teufel, an Euch Gerippe verliert die Welt nichts.« Und wandte sich ab.

Die Frau bat noch einmal, bekam aber nichts. Da sagte sie noch: »Ist auch dein Vorteil nicht.«

Mit dem Zweiten ging’s ebenso, der war aber geizig gewesen und hatte nichts missen können. Der Dritte aber, das war der dumme gewesen, wie den die Alte bat, der setzte gleich seinen Holster ab und schnitt ihr ein tüchtiges Stück Brot und Speck ab und sprach: »Da alte Mutter, tut Euch was zu gut.« Er freute sich darüber, wie sie so heißhungrig in das Brot hineinbiss. Als er fortgehen wollte, sagte die Alte: »Halt, du musst belohnt werden für deine Guttat.«

Da zog sie eine alte Hosentasche aus ihrem Busen und gab das Ding dem Dummen.

Der wusste nicht, was er damit sollte und fragte: »Wozu soll die Tasche gut sein?«

»Greife hinein!«, sprach die Alte.

Er tat’s und hatte die Hand voll blanke Thaler.

Dazu gab sie ihm eine Wurzel und sprach: »Reibst du die Wurzel zwischen deinen Händen, so bist du gleich dort, wohin du willst.« Zuletzt gab sie ihm auch einen ledernen Däumling. »Den zieh über den linken Daumen. Wenn du mich sprechen willst, wird er dir von großem Nutzen sein.«

Er bedankte sich schön für die Sachen, steckte sie sorgfältig bei und ging fort.

Im nächsten Wirtshaus ließ er sich was zu essen geben und bezahlte aus dem Wunderbeutel. Und so ging’s auf seiner ganzen Reise. Er hatte nicht schlecht gelebt, und dabei hatte er auch was darauf gehen lassen, hat’s ja gekonnt und hatte ihm nichts gefehlt. Nun kam er in eine Stadt, da wohnte ein König, der hatte eine wunderhübsche Tochter, die war aber schrecklich eigensinnig gewesen und auch hartherzig und stolz. Kein Mensch war ihr zu Dank und hatten sie viele haben wollen. Den jungen Männern hatte sie dann aber drei Rätsel aufgegeben, und wer’s nicht erraten konnte, musste sterben. Viele Königs- und Fürstensöhne waren bei der Geschichte um ihr bisschen Leben gekommen. Das hörte nun auch der Dumme, wie er in die Stadt kam, wo die Königstochter war.

»Ja«, sagte er, »da müsstest du doch auch einmal dein Heil versuchen. Du hast ja die Wurzel, die hilft dir aus der Klemme, wenn’s schlimm wird. Du kannst bei dem Handel nur gewinnen, aber nicht verlieren. Doch wär es aber gut, du ließest einmal deine Alte kommen.«

Er holte also seinen Däumling hervor, zog den an den linken Daumen, und gleich war die Alte da. »Hör«, sagte er, »so und so, ich möchte wohl die Königstochter haben, aber ehe ich hingehe, möchte ich Euch erst fragen, ob’s wohl gut ist für mich.«

»Das kannst du ja tun«, sagte die Alte. »Dazu musst du aber dies haben. Hier ist eine Leimrute, ein Vogel und ein Teller. Wenn nun die Königstochter fragt, ›was hält fest‹, so gibst du ihr die Leimrute hin. Wenn sie fragt, ›was wird gesengt und gebrennt‹, dann gib ihr den Vogel. Wenn sie sagt, ›es ist gar‹, so reich ihr den Teller, darauf soll sie ihn hinlegen. Dann wird sie weiter nichts wissen und muss dich zum Mann nehmen. Dann sei aber klug und lass dich nicht anführen.«

Die Alte war darauf gleich wieder verschwunden. Wie sie fort war, dachte er, es wäre doch wohl gut, wenn du dir die hübsche Mamsell erst einmal ansähest, ob sie dir auch gefiele, ehe du wirklich hingehst. Er holte also seine Wurzel aus der Tasche heraus, drehte die zwischen den Händen und wünscht sich hin zu der Königstochter, wo die war. Gleich war er fort, und das beste dabei war, er sah sie, sie ihn aber nicht, und sie gefiel ihm, denn sie hatte ein so hübsches Gesicht, so runde rote Backen und war dabei eine Figur, wie er fast noch keine gesehen hatte. Er sah sie lange an, hörte zu, was sie sprach und sah, was sie tat. Da saß sie auf einem wunderschönen Kanapee, das mit Samt beschlagen war und sprach mit vier vornehmen Damen, die bei ihr saßen, von den armen Männern, die über sie ins Grab beißen müssten und sagte, sie möchte wohl, dass keiner wiederkäme; denn es könnte kein Mensch ihr Rätsel erraten.

Da sprach noch die Dame, das könne sie doch nicht ganz wissen, es könnte doch einmal einer kommen, der’s erriete, und den müsste sie denn doch nehmen, sie möchte ihn leiden können oder nicht.

»O«, sagte sie, »dann gäbe es ja auch Mittel, den wieder los zu werden.« Sie wollte nur das dumme Männervolk prellen, dass ihm die Augen nicht über, sondern zu gehen sollten.

Wie der Dumme das gehört hatte, da hatte er genug, reib die Wurzel und war gleich wieder in seinem Wirtshaus. Er überlegte noch einmal, ob er es tun sollte oder nicht, ob er hingehen oder wegbleiben sollte. Am Ende dachte er, sollst hingehen, dass doch endlich ihr Mund einmal gestopft wird. Er also hin, ließ sich anmelden und wurde auch vorgelassen.

Da sagte er, was er wollte. Die Königstochter sagte aber gleich, er solle sich nur gleich wieder fortpacken, er könnte doch ihre Rätsel nicht erraten, sonst koste es seinen Kopf. Er gefiele ihr auch nicht.

Darauf sprach er, das wäre ihm gleichviel, sie solle nur erst ihre Rätsel sagen, dann fänd’ sich’s.

Sie sah ihn so von der Seite recht verächtlich an und sprach: »Was hält fest?«

Da zog er ganz langsam ein Kästchen aus der Tasche und nahm daraus eine Leimrute, reichte ihr die und sprach: »Die hält fest.«

Da machte die Prinzessin große Augen und sprach in Wut: »Was sengt und brennt?«

Da zog er einen Vogel aus der Tasche und sagt: »Der wird gesengt und gebrennt.«

Da stutzte sie noch mehr und sagte in großer Eile: »Es ist gar. Was meine ich damit?«

Da holte er seinen Teller heraus und sagte: »Ist es gar, so legt’s auf den Teller.«

Da wurde sie vor Gift und Galle stumm. Er aber sprach, er hätte die Rätsel erraten und nun müsste sie seine Frau werden.

Das wäre auch leider schlimm genug, sprach sie, dass sie ihn nehmen sollte und doch ging es nicht anders. Sie musste sich wohl fügen und da wurde Hochzeit gemacht. Nun nahm er sich aber erst recht in acht. Von allem, was er essen sollte, musst sie erst essen. Bei Tag und bei Nacht war er auf seiner Hut, dass sie ihm keinen Schabernack antun konnte. Seinen Wunderbeutel nähte er sich in seine Hosentasche, die Wurzel steckte er in die Westentasche und den Däumling nähte er in seinen Rock in die Brusttasche hinein. Gut das.

Es ging wohl ein halbes Jahr so hin und sie wunderte sich immer, wo er das viele Geld herkriegte, das er immer hatte, und fragte ihn auch einmal, wo er denn das herkriegte.

»Ja«, sagt er, »das ist einerlei, genug ich hab’s und geb’s aus und weiter ist nichts nötig, ob du das weißt oder nicht. Ich hab’s in der Tasche hier.«

»Lass mich doch einmal etwas herausholen«, sprach sie.

»O ja«, sagte er.

Sie griff hinein und holte eine Hand voll blanke Thaler heraus. »Ach«, sagte sie, recht bittend und zärtlich und schmeichelt ihm und herzte ihn. »Sag mir doch, wie geht denn das zu?«

»Ach«, sprach er, »das kann ich dir nicht sagen und darf’s dir nicht sagen. Ich habe immer Geld in der Tasche.«

Sie umfasste ihn so recht zärtlich und fühlte die Wurzel in der Westentasche, fasste zu und nahm sie weg, ohne dass er’s wusste.

Des Nachts stand sie auf und nahm ihn die Hose mit samt der Tasche weg. An den Rock kam sie aber nicht, worin der Däumling steckte. Wie sie’s weg hat, so ließ sie die Bediensteten kommen, und die mussten ihren Mann zum Ding hinaus prügeln. Er hatte kaum so viel Zeit, dass er seinen Rock überschmeißen konnte. So musst er fort, barfuß und barbeinig zum Tempel hinaus. Gut, dass es Nacht gewesen war, dass ihn keiner gesehen hatte. Kaum war er aber auf freiem Feld, da machte er seinen Däumling los, zog den an den linken Daumen und im Augenblick war die Alte bei ihm und fragte, was er ihr wolle. Da klagte er ihr denn seine Not, wie niederträchtig hinterlistig das Weib gegen ihn gewesen wäre, kurz – er erzählte ihr die ganze Geschichte.

»Ach«, sprach sie, »ich weiß schon alles.« Er solle nur ruhig fein, die solle schon ihr Recht dafür haben. Sie müsste alles wieder vergeben. Er möchte einstweilen diesen Beutel nehmen, den müsste er ihr aber hernach wiedergeben, wenn er den ersten wieder gekriegt hätte. Dieser Beutel mache klug, reich und vornehm. Sie würde nun setzt die Prinzessin krank machen, dass sie Schürfe an der Nase kriegte, die würden ihr denn wohl erst Schmerzen und das tüchtige Schmerzen machen, sodass sie Tag und Nacht keine Ruhe hätte. Er solle sich dann zum Doktor machen, in einem schönen Wagen zum Schloss fahren und sich anmelden lassen, er wolle sie von ihrer Krankheit befreien. Wenn er dann vor die Prinzessin käme, so solle er sie erst ordentlich ausfragen, im Gesicht befühlen und zuletzt sagen, sie hätte zweierlei in ihrem Haus, das ihr von Rechts wegen nicht gehöre. Das müsste sie ihm geben, sonst würde sie im Leben nicht wieder gesund. das wäre behext und davon wäre sie krank geworden, und ehe das nicht weg aus ihrem Hause wäre und vernichtet würde, eher würde sie nicht gesund, eher gingen auch die brennenden Schürfe nicht weg. Gäb sie es ihm aber, so wäre sie am dritten Tage wieder so gesund wie ein Fisch. Zum Beweis wolle er nur dieses Geschwür berühren, so würde es gleich aufgehen und in ein paar Minuten heil sein.

Er tat es und nach ein paar Minuten war es heil.

Ach, sagte die Prinzessin, sie wolle es nur sagen, sie hätte da einen Beutel und eine Wurzel, die hätte sie ihrem Mann geraubt. Und gab beides dem Doktor. Der nahm es und steckte es bei. Da zog er eine Kruke aus der Tasche, darin war eine Salbe und gab ihr das und sprach, davon sollte sie sich diesen Abend vor Zubettgehen eine Bohne groß auf die Schürfe wischen. Des Morgens darauf würde es erst etwas dicker und größer, ja auch schlimmer werden. Sie sollte sich aber nicht irre machen lassen, am dritten Morgen wäre alles weg und sie hätte ihr hübsches Gesicht wieder.

Daraufhin ging er weg. Sie wollte ihm erst recht viel Geld geben, er aber sagte, für die Kleinigkeit könnte er nichts nehmen. Es würde ihn freuen, wenn sie seinem Rat befolgte. Dann machte er sich aus dem Staub und lebte bis an sein Ende herrlich und in Freuden, hatte sich aber um keinen Menschen weiter bekümmert. Der Alten gab er die zwei Beutel hin, als er den ersten hatte, und von da an war es ihm stets gut gegangen.

Die Prinzessin hat also das ganz pünktlich getan. Vor Zubettgehen nahm sie die Kruke, bestreichte damit ihr Gesicht und legte sich hin. Sie hatte tüchtige Schmerzen. Des Morgens, als sie aufstand, da schlugen die Kammerjungfern in ihre Hände. Da hatte die Prinzessin eine Nase, die war gewiss einen halben Fuß lang und so feurig, dass man einen Schwefelstock daran hätte anstecken können. Sie freute sich aber und sagte, so müsse es erst kommen. Wischte wieder etwas daran und die Nase wuchs den ganzen Tag länger und länger. Des Abends war sie schon einen Fuß lang. Sie freute sich und sagte, so müsste es kommen und wischte noch einmal was daran. Als sie aber den anderen Morgen aufwachte, da war die Nase so lang, dass sie die Erde fast berührte. Nun wurde ihr’s aber doch schwül und hatte nichts wieder daran gewischt. Und die lange Nase hatte sie behalten bis an ihr seliges Ende. So war es gekommen, anstatt dass sie den Mannsleuten hatte eine Nase drehen wollen, bekam sie eine, an der sie ihr Lebtag genug gehabt hatte.