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Der Welt-Detektiv Band 6

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Rübezahl – Eindringliche Lehre

Rübezahl
Der Berggeist des Riesengebirges
Sagen und Schwänke neu erzählt nach R. Münchgesang
Eindringliche Lehre

Feindliches Kriegsvolk zog einst in böser Zeit durchs Gebirge und versetzte die friedlichen Bewohner in Angst und Schrecken. Sie kamen auch an einem Bauernhof vorbei und nötigten dort den Besitzer, Vorspann zu leisten.

Seufzend zog dieser seine beiden Pferde aus dem Stall und sagte zu seinem Sohn: »Alwin, am besten ist es, wenn du auch mitgehst. Die Pferde könnten auseinanderkommen, und da ist es gut, wenn jedes seinen Führer hat.«

Alwin, der mit seinen sechzehn Jahren stark und kräftig wie ein Zwanzigjähriger war, antwortete: »Ja, Vater, wenn du meinst, dass es besser ist, wenn ich mitgehe, dann gehe ich eben mit. Seinem Vater muss einer gehorchen, und für zwei Gäule gehören zwei Männer. Ich bin ja so gut wie ein Mann, wenn ich auch erst sechzehn Jahre alt bin. Da kommt einer in die Welt und weiß nicht wie. Es ist schöner draußen als daheim, wo immer das ewige Einerlei ist.«

»Sechzehn Jahre bist du alt«, sagte der Vater, »und es würde nun bald Zeit, dass du zu Verstand kämest. Rede nicht soviel unnützes Zeug und gib auf die Pferde acht!«

»Ja freilich bin ich sechzehn Jahre, Vater, ein schönes Alter, und der Verstand, nun, der wird schon kommen, darum bin ich gar nicht bange.«

Er hätte gern noch länger so geredet, aber das Kriegsvolk stieß ihn hin und her, er musste an die Arbeit, und fort ging die Reise in die weite Welt. Es war ein Ort ausgemacht worden, bis zu welchem die Hand- und Spanndienste geleistet werden sollten. Dann sollten die müden Tiere zurückgeschickt und neue requiriert werden. Lebrecht rief daher seinen Sohn Alwin und sagte ihm, dass er sich bereithalten möge, damit sie zusammen heimkehren dürften. Über diesen Rückzug entstand aber zwischen dem Bauern und den Soldaten ein kleiner Wortwechsel.

Das bemerkte ein Kroate, der aber kein Wort davon verstand. Trotzdem sagte er: »Wie kommt so ein Bauer dazu, gegen die Herren Soldaten den Rechthaber spielen zu wollen!« Griff nach seiner Pistole und schoss den Lebrecht nieder.

»Das war nun eigentlich nicht nötig«, meinte einer von den Soldaten, »man braucht doch um jeder Lumperei willen nicht gleich den Schießprügel herauszuholen. Auf einen Bauern mehr oder weniger kommt es freilich nicht a. Fasse mit an, Bursche, damit wir den Mann auf die Seite bringen! Es könnte sonst einer über ihn stolpern und sich einen Schaden tun.«

Der Bauer war noch nicht tot, aber seinem Ende nahe. Er rief den Sohn heran und sagte zu ihm: »Höre auf meine letzten Worte, Alwin. Ich sterbe und lasse dich bei der Mutter und deiner gelähmten Schwester zurück. Die darfst du niemals verlassen.«

»Das ist eine schöne Geschichte«, sagte Alwin. »Du legst dich hier hin, und ich muss die Pferde allein heimschaffen. Hätte ich das geahnt! Freilich muss ich nun bei der Mutter bleiben.«

Er sah dabei nach den Pferden, und während er die Tiere, die unruhig waren, vor dem Durchgehen bewahren wollte, starb der Bauer. Ein paar barmherzige Leute halfen dem Buben, einen Wagen aufzutreiben, auf den er den toten Vater lud und dann nach Hause brachte.

Die Wirtschaft lag nun auf den Schultern der Mutter, denn die Tochter war gelähmt, und der Sohn konnte wohl tüchtig arbeiten, war aber noch so unverständig, dass er nichts aus eigenem Antrieb tat, sondern nur das, was ihm befohlen wurde. Dieses ewige Kommandiertwerden wurde dem Burschen aber zuwider, denn er schaffte nicht gern und ging lieber müßig, und mehrmals drohte er, er wolle weglaufen.

Da draußen in der Welt, dachte er, braucht einer nur zu arbeiten, wenn er will, kann gehen, wohin er will und findet das Geld scheffelweise.

»Alwin«, sagte die Mutter zu ihm, »du kennst den letzten Wunsch deines Vaters. Du darfst nicht fortlaufen und mich und deine gelähmte Schwester im Stich lassen. Wenn kein Mann im Hause ist, so geht die Wirtschaft zugrunde.«

Du kannst viel reden, wenn der Tag lang ist, dachte er, und ich weiß doch, was ich tue. Ehe ihr es euch verseht, bin ich auf und davon und drehe euch Nasen aus der Ferne. Ich bin nicht so dumm, wie ihr denkt. Ich bin sogar sehr klug, wenn ich das auch nicht immer zeige. Ich habe die Schinderei satt, ich will ein bequemes Leben führen wie die reichen Leute.

Eines Tages war er wirklich fort. Froh wie ein Vogel, der seinem Käfig entschlüpft ist, kletterte er über das Gebirge und trieb sich herum bis zum Abend. Dann wurde er müde und wünschte sich eine gute Schlafstelle.

Da war es für Rübezahl an der Zeit, sich um den Tagedieb zu kümmern. Er setzte darum sein bekanntes Wirtshaus wieder an den Weg, stellte sich mit weißer Schürze, gesticktem Käppchen und Filzpantoffeln in die Tür und lächelte dem Ausreißer vergnügt zu.

»Wenn der junge Herr hier einkehren möchte, so soll er willkommen sein.«

Der Bursche sah, dass die Schenke Zur Erholung hieß, und sagte: »Eine gute Schlafgelegenheit wäre mir das Liebste, Herr Wirt, denn ich bin rechtschaffen müde.«

»Sehr wohl«, sagte Rübezahl, indem er sein Käppchen zog, »ein schönes Zimmer, ein weiches Bett, große Ruhe … alles kann der Herr haben.«

Damit führte er den Burschen in ein recht schönes, sauberes Zimmer, in dem ein prächtiges Bett stand, wünschte ihm angenehme Ruhe und ging davon.

So wollte ich’s haben, dachte Alwin, und so haben es die reichen Leute. Das ist was anderes als daheim, wo man auf dem dummen Stroh liegen muss. Aber, ich sagte es ja, es braucht einer nur herauszukommen, da hat er auch schon seine Bequemlichkeit.

Er legte sich mit Behagen in das schöne Bett und kam sich so recht wie ein König vor. Da bemerkte er, dass es an allen vier Ecken krachte, und dass die Wände des Zimmers, das drei Meter im Geviert groß war, sich bedenklich einander näherten. Ebenso senkte sich die Decke, und der Fußboden stieg langsam empor.

»Herr Wirt, Herr Wirt«, schrie er in seiner Not, »hier wird’s kurzweilig, die Wände sind zu klein!«

Das Spiel ging aber weiter. Jetzt hatte er den Fußboden unter sich, die Zimmerdecke auf dem Leib, rechts und links, oben und unten Wände. Der Bursche steckte wie in einem Rauchfang.

»Herr Wirt, für solche Bequemlichkeit danke ich! Helft mir aus der Kammer wieder heraus!«

Aber Rübezahl ließ ihn schwitzen und jammern, bis er schließlich doch einschlief. Als er wieder erwachte, fand er sich daheim auf seiner Streu. Er ging dann auch ganz willig an seine gewohnte Arbeit und dachte lange Zeit nicht mehr an das Weglaufen. Allein einmal – es war gerade in der Erntezeit – kitzelte es ihn wieder, dem Haus den Rücken zu kehren. Er nahm sich nun wohl vor, jenes Wirtshaus da oben zu meiden, aber er konnte gehen, wohin er wollte, immer kam er daran vorbei. Und immer stand Rübezahl vor der Tür und winkte ihm lächelnd zu.

»Nein, Herr Wirt«, sagte er, »diesmal bringen mich keine zehn Pferde in Euren Schwitzkasten, auch bin ich gar nicht müde und denke heute noch sehr weit zu wandern.«

»Jeder nach seinem Geschmack«, antwortete der Geist. »Aber, was sehe ich! Eine weite Reise hat der junge Herr vor und dabei keinen Bergstock, ohne den einer doch nicht marschieren kann? Ohne Bergstock kommt keiner durch die weite Welt. Hier, mein Freund, nehmt diesen tüchtigen Knotenstock, damit wandert es sich noch einmal so leicht.«

Nun, den Stock könnte ich wohl nehmen, dachte der Bursche, griff zu und nahm einen derben Ziegenhainer in Empfang. Damit ging er ohne Gruß und Dank davon, hatte auch bald die Erholung aus dem Gesicht verloren. Nach einiger Zeit fing der Stock an, merkwürdige, selbstständige Bewegungen zu machen.

»Mit dir will ich nichts mehr zu tun haben!«, rief der Bursche nun und schleuderte den unbequemen Wegweiser von sich. Der aber behielt seinen eigenen Willen und fing an, auf dem Rücken des Ausreißers herumzutanzen. Die Schläge kamen immer häufiger und kräftiger. Der Bursche lief, was er konnte, um dem Stock zu entgehen, aber der Tanzmeister war immer hinter ihm her. Er zeigte ihm den rechten Weg, und der führte nach Hause. Bog er ab, um die Mutter zu vermeiden, so hagelte es Stockschläge, verfolgte er die richtige Straße, dann ging es gut, und nur gelegentlich kam eine kräftige Ermahnung zu einer rascheren Gangart.

Schließlich war er vor dem väterlichen Haus angelangt, da ließ ihn Rübezahl endlich in Ruhe.

Die Landflucht erfasste ihn später zum dritten Male. Er hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, reich werden zu wollen, damit er nicht mehr zu arbeiten brauche. Wieder schlich er sich ins Gebirge hinauf, vermied aber die Höhen und drückte sich bloß in den Tälern herum, damit er es nicht wieder mit jenem groben Gastwirt zu tun bekäme.

Da holte ihn ein Bergmann ein, der zufällig denselben Weg hatte. Die beiden wanderten nun zusammen, denn in Gesellschaft geht sich^s immer besser. Der Bursche sagte dem Manne alles, was er wusste, und der Begleiter lobte seinen Entschluss sowie sein Streben nach Reichtum.

»Übrigens«, sagte Rübezahl – denn er war der Bergmann -, »das Gebirge steckt voll Gold, und es ist auch gar nicht schwer, es zu gewinnen. Das muss ich als Bergmann wissen. Hier befindet sich zum Beispiel ein Schacht – wir sind nicht weit davon – da muss man hineinsteigen. Ein paar Leitern führen in die Höhe. Dann geht es linker Hand in einen Stollen, und da liegt Gold genug für den, der’s haben will. Die meisten Erzstücke sind da wie eine Faust so groß. Es gibt aber auch größere, an denen einer ordentlich zu schleppen hat. Dafür kann man sich leicht ein Rittergut kaufen mit dreißig Pferden und hundert Stück Rindvieh und braucht zeitlebens nichts mehr zu tun als gut zu essen und wohl zu schlafen.«

Von dieser Schilderung war der Bursche ganz begeistert. Ihn verlangte nichts so sehr, als in den verlockenden Stollen steigen zu können. Er konnte die Zeit gar nicht erwarten, bis Rübezahl ihm den Zugang zu jenem Schacht wies. Endlich waren sie dort angelangt. Ohne Gruß und Dank erstieg der Bursche eine Leiter, noch eine und noch eine. Jetzt wurde es aber dunkel um ihn, stockdunkel. Ein Licht besaß er nicht, denn er war in seiner Einfalt in den Berg wie in ein bewohntes Haus hineingestiegen, ohne Überlegung, ohne Vorsicht. Er tastete nach einem Stollen, aber der zeigte sich nicht, obwohl er schon ein Dutzend lange Leitern erklettert hatte. Da erst kam ihm die Sache verdächtig vor, und er wollte wieder zurück. Zu seinem Entsetzen fand er aber keine Sprosse mehr unter derjenigen, auf der er stand, er musste also weiter in die Höhe. So oft er wieder zurück wollte, fehlte unter ihm die Sprosse, sodass er immer weiter klettern musste. Er dachte, die Kunst, wie die Bergleute die Leiterwege in den Schächten nennen, müsste doch einmal ein Ende nehmen. Allein die war unendlich, sodass es ihm vorkam, als ob er schon dreimal die Höhe der Schneekoppe erstiegen hätte. Noch hielt er sich tapfer und strebte in der Finsternis aufwärts, Schritt für Schritt, in der Hoffnung, doch einmal wieder an den hellen Tag zu kommen; aber endlich versagten ihm die Kräfte. Ohne es zu wollen, ließ er los und stürzte in die grausige Tiefe, stürzte und stürzte.

Als er aber wieder zu sich kam, fand er sich wohlbehalten wieder daheim im Hause der Mutter.

Nach diesem Abenteuer verging ihm der Wunsch, den väterlichen Hof zu verlassen und in der Fremde ein leichteres Leben zu suchen. Und so hat Rübezahl der armen Frau, die auf so grausame Weise ihren Gatten verloren hatte, den Sohn erhalten. Alwin wurde mit den Jahren verständiger. Er merkte, wer ihm dreimal so eindringliche Denkzettel gegeben und wusste, wer bei ihm die Vaterstelle vertreten hatte. Er wurde ein tüchtiger Bauer, an dem die Mutter ihre rechte Freude hatte.