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Der Welt-Detektiv Band 6

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Rübezahl – Das Glück durch Scherben

Rübezahl
Der Berggeist des Riesengebirges
Sagen und Schwänke neu erzählt nach R. Münchgesang
Das Glück durch Scherben

Es war ein harter Winter, da machten zwei arme Weber aus selbst gefertigtem Leinen einen tragbaren Pack, nahmen den starken Knotenstock in die Hand und gingen zusammen über die Berge Böhmen zu. Zu Hause litten sie mit Frau und Kindern Not, denn der Herbst war sehr karg gewesen, aber in Böhmen sollte es besser sein. Es konnte immerhin sein, dass einer zu Ostern dort Hochzeit machte, und da kann man in Böhmen gutes Hausmacherleinen wohl brauchen, wie anderswo auch. Aber viel Mut und Zuversicht hatten die beiden armen Teufel nicht, und mit leerem Magen, dünner Kleidung und schadhaften Schuhen reiste sich’s im Winter schlecht. Öfters ruhten sie aus, seufzten, betrachteten traurig die Schneelandschaft, klopften sich den Schnee vom Rock, wischten die Eiszapfen von den Bärten, wärmten sich die Hände durch Anhauchen und gingen ernst weiter.
Da sahen sie sich auf einmal vor einem hübschen Landhaus, das wohl einem reichen Herrn gehören musste. Ein herrlicher Park umgab das Wohnhaus und war eingezäunt von einem vergoldeten hohen Gitter mit einem prächtigen Tor. Die beiden armen Schelme machten ihre stillen Betrachtungen darüber, wer der vornehme Herr wohl sein könnte, der sich in dieser Einsamkeit angebaut hatte, und kamen zu dem Schluss, dass es nur ein Fürst oder ein Herzog sein könnte, der sich im Winter hier gelegentlich aufhalten mochte, um das Weidwerk zu betreiben.
»Was meinst du, wenn wir hier unsere Ware anbieten würden?«, fragte der eine.
»Hier werden wir wohl nichts verkaufen«, meinte der andere. »Ein solcher Fürst und Herr will seine Leib-, Tisch- und Bettwäsche gewiss nur aus Seide haben, ihm und den vornehmen Damen ist unsere Weberei viel zu grob. Versuchen könnte man’s zwar einmal. Geh du hinein und probiere dein Glück, ich will solange am Tor stehen bleiben.«
Der Erste ging dann auch hinein, hatte aber kaum einige Schritte getan, als Rübezahl, wie ein Jäger gekleidet, durch den Park schritt und ihn scharf musterte.
»Was willst du hier?«
»Ach, gnädigster Herr, ich bin, wie auch mein Nachbar dort, ein Weber. Vielleicht kauft der Herr ein Stück von unserer selbst gefertigten Ware. Der Winter ist hart und der Verdienst knapp.«
»Da muss man eben im Sommer sparen, damit man im Winter etwas zu beißen und zu brechen hat.«
»Es war ein böser Herbst, gnädigster Herr, es ist zu wenig eingekommen.«
»Dann will ich Eure Ware ansehen. Der andere soll auch kommen, damit ich prüfen kann, wer die bessere hat.«
Rübezahl führte nun die beiden durchfrorenen armen Schlucker in sein Haus, wo sie erst zum Auftauen gebracht werden sollten. Sie packten ängstlich ihr Leinen aus und warteten mit Herzklopfen auf das, was der Herr sagen würde. Rübezahl prüfte die Stücke sehr aufmerksam, wies ihnen auch einige Fehler nach. Verlegen gaben sie zu, dass ihnen der Faden an diesen Stellen unglücklicherweise gerissen sei.
»Gut«, sagte schließlich Rübezahl, »so will ich beide Stücke kaufen. Zu welchem Preis soll ich sie nehmen?«
Sie nannten die Summe, wurden des Handels einig, und der Schlossherr zählte aus einem großen Beutel jedem eine Anzahl harter Taler hin, dass den armen Schluckern das Herz im Leibe lachte. Inzwischen kam ein Diener, reichte jedem eine Tasse mit einem warmen, erquickenden Getränk und einen Teller mit Brot, und nötigte die Hungerleider, zuzulangen. Während sie nun aßen und tranken, füllte Rübezahl jedem sein Geld in einen besonderen Beutel, den er ihnen reichte, als sie mit der Mahlzeit fertig waren. Da dankten die beiden Weber, steckte jeder seinen Beutel ein, ergriffen ihre Stöcke, wünschten dem Haus alles Gute und gingen fröhlich davon.
Auf dem ganzen Weg bis nahe der Heimat rieten sie hin und her, wer wohl der reiche, großmütige Herr gewesen sein möchte, der ihnen so schnell aus der Not geholfen hatte.
Da merkte der eine, dass der Sack, den er bisher in seiner Tasche durch sein Gewicht gespürt hatte, ihm auf einmal sehr leicht vorkam. Er öffnete ihn und fand darin keine harten, herzerfreuenden Taler mehr, sondern nur elende Glasscherben. Der andere machte denselben Versuch und dieselbe Entdeckung.
Da waren beide davon überzeugt, dass sie von Rübezahl geäfft worden waren. Sie schwiegen, weil ihnen das Klagen doch nichts geholfen hätte, und gingen betrübt und hoffnungslos davon. Der eine schüttete die Scherben weg und steckte nur den Sack wieder ein, der andere nahm die seinen aber mit, um sie, wie er sagte, den Kindern zum Spielen zu geben.
Wie erstaunte er aber, als er zu Hause den Sack mit den vermeintlichen Scherben ausschüttete und sah, dass lauter schöne blanke Taler herausfielen.
Voller Freude teilte er seinem Nachbar diese Entdeckung mit, und sobald sich der von der Wahrheit der Mitteilung überzeugt hatte, lief er rasch zurück, um die leichtsinnig ausgeschütteten Scherben wieder zu holen, fand aber weder Scherben noch Taler.
Als er nun betrübt und reuig zurückkehrte, hatte sein glücklicherer und vorsichtigerer Gefährte Mitleid mit ihm und teilte Rübezahls Geld brüderlich. Es stellte sich dabei heraus, dass trotzdem jeder sein Stück überreichlich bezahlt erhalten hatte.
Aber das war noch nicht alles. Sie betrachteten die Säcke, die ihnen Rübezahl geschenkt hatte, und fanden diese von einem so feinen und schönen Gewebe, wie sie noch keines gesehen hatten. Da sie nun beide anstellige Leute waren, sich auch durch einen Misserfolg nicht gleich abschrecken ließen, so versuchten sie so lange, die feine Arbeit nachzuahmen, bis es ihnen gelang. Sie webten fortan nur Rübezahls Muster, erhielten dadurch vornehme Kundschaft, die tüchtig zahlte, und brauchten es sich fortan nicht so sauer werden zu lassen, sich und die ihren durchzubringen.