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Stephen King – Finderlohn

Finderlohn von Stephen King

Finderlohn von Stephen King

Stephen King
Finderlohn

Krimi, Thriller, Hardcover, Heyne Verlag, München, September 2015, 544 Seiten, 22,99 Euro, ISBN: 9783453270091, aus dem Amerikanischen von Dr. Bernhardt Kleinschmidt

1978: Der Schriftsteller John Rothstein hat mit seiner Roman-Trilogie und seiner Figur namens Jimmy Gold einen modernen amerikanischen Klassiker geschaffen. Seitdem lebt er zurückgezogen, und seine Leser warten vergebens auf neues Material. Eine Situation, mit der nicht jeder zurechtkommt. Eines Nachts steigen drei Einbrecher in Rothsteins Haus ein, unter ihnen der fanatische Morris Bellamy, der den Wandel seiner Lieblingsfigur Jimmy Gold vom Rebellen zum biederen Mann nie überwunden hat. Das Trio erbeutet nicht nur um die 20.000 Dollar Bargeld aus dem Tresor des Autors, sondern auch einen wahren Schatz an Notizbüchern, in denen sich unveröffentlichte Arbeiten von Rothstein befinden, darunter zwei neue Jimmy-Gold-Romane. Im Affekt tötet Bellamy den Schriftsteller, die Beute stopft er in einen großen Koffer und vergräbt ihn zunächst in der Nähe seines Elternhauses. Als ein befreundeter Buchhändler, dem er die Notizbücher anbieten wollte, einen Rückzieher macht, begibt sich Bellamy auf eine Sauftour, nach der über eine Frau herfällt und sie vergewaltigt. Für dieses Verbrechen geht er in den Knast, während die Bücher und das Geld weiter versteckt bleiben.

Jahrzehnte später entdeckt der junge Peter Saubers den Koffer. Das Geld kommt gerade recht. Seine Familie ist nach diversen Schicksalsschlägen knapp bei Kasse, also schickt Peter anonym jeden Monat etwa 500 Dollar ins Haus. Gleichzeitig beginnt er die Bücher zu lesen und sich für Rothstein zu interessieren. Als das Geld ausgeht, aber die Familie trotzdem noch etwas braucht, will er die Notizen verkaufen – ausgerechnet bei dem Buchhändler, der von Bellamys Beutezug weiß und damals zurückruderte. Auch Bellamy ist nach 35 Jahren Haft wieder freigekommen und auf der Suche nach dem Koffer, den er leer vorfindet. Peters Schwester wendet sich an eine Freundin, deren Bruder einen ehemaligen Polizisten kennt, der nun als privater Ermittler unterwegs ist und in solchen Fällen helfen könnte. Es ist Bill Hodges, der mit seinem Team kurioser Hobbyermittler vor nicht allzu langer Zeit »Mr. Mercedes« enttarnt hat …

Finderlohn ist der zweite Teil einer geplanten Krimi-Trilogie um die Figur des alternden Ex-Detectives Bill Hodges. Stephen King führte die Figur in Mr. Mercedes (2014) ein und lässt sie nun mit alten Bekannten zusammen auf einen neuen Fall los. Holly Gibney, die Frau mit dem Asperger-Syndrom, arbeitet inzwischen mit Bill in einer Detektei mit dem Namen »Finders Keepers« (der Originaltitel des Romans); der junge Schwarze Jerome Robinson studiert nun und ist in den Semesterferien zu Besuch, und so ist die alte Truppe wieder beisammen. Wirklich viel an Charakterentwicklung hat sich indes nicht ergeben: Jerome ist erwachsen geworden, Holly hat ihre Neurosen etwas abgebaut und Bill ernährt sich gesünder – alles Tendenzen, die schon am Ende von Mr. Mercedes deutlich geworden sind. Diese drei sind auch nicht die Protagonisten dieses Romans, was schon allein dadurch deutlich wird, dass sie erst nach 200 Seiten auftauchen – dann, wenn man schon fast vergessen hat, dass man eigentlich einen Hodges-Roman liest. Stattdessen konzentriert sich King auf Bellamy und Saubers, inszeniert ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem beide versuchen, das Beste aus ihren Situationen zu machen. Während Bellamy sich zunächst noch mit seinem Bewährungshelfer auseinandersetzen und vorsichtig sein muss, siegt schließlich seine psychopathische Ader. Saubers, getrieben von der Sorge um seine Familie und insbesondere seine Schwester, sieht keine andere Möglichkeit, als den Deal mit dem Verkauf der Bücher durchzuziehen. Eine festgefahrene Situation, die auch so konstruiert sein muss, damit der Plot funktioniert. Eher nebenbei wird dabei die Verbindung zu Mr. Mercedes aufgebaut. Peters Vater wurde von dem Wahnsinnigen angefahren, was die Saubers-Familie ins Unglück stürzte. Der Verbrecher aus dem Vorgängerband taucht übrigens auch wieder auf: Hodges besucht ihn in einer Einrichtung für Patienten mit schweren Hirntraumata. Holly hatte ihn im Finale von Mr. Mercedes so schwer verletzt, dass er dort landete.

Es dauert also eine ganze Weile, bis King sein Personal so vorbereitet und platziert hat, dass die Hatz auch wirklich losgehen kann. Man kennt das von King, und auch hier hat er wieder schöne Charaktere gestaltet, die zwar Anleihen früherer Figuren beinhalten, aber dennoch eigenständig wirken. Bellamy ist dabei so etwas wie eine upgedatete Version von Annie Wilkes aus Misery. Peter Saubers könnte ebenso aus ES oder Stand by me stammen. Hier und da wirkt die Geschichte etwas zu stark konstruiert, und auch für eine weitere Ausgestaltung der Trilogie übergreifenden Figuren Hodges, Holly und Jerome bleibt nicht besonders viel Zeit. Zwar deutet sich in den kurzen Besuchskapiteln zu Mr. Mercedes etwas an, das wohl im abschließenden Roman End of Watch (erscheint im Juni 2016) eine Rolle spielen wird. Ansonsten ist Finderlohn recht eigenständig, die Berührungspunkte abgesehen vom Personal marginal.

Als Krimi bzw. Thriller funktioniert der Roman daher – insbesondere in der zweiten Hälfte, in der das Tempo deutlich anzieht – sehr gut. Dramaturgisch ist das geschickt gelöst, auch wenn man sich zwangsläufig fragt, ob das Buch nicht auch als eigenständige Geschichte funktioniert hätte, denn das Ermittlerteam ist hier recht austauschbar. Gleichzeitig verlieren aber die Charakterzeichnungen von Bellamy und Saubers, auf die King die ersten 200 Seiten verwendet, im Rest der Geschichte zugunsten der Spannung immer mehr an Relevanz, was zu einer seltsamen Schieflage der Gewichtung innerhalb des Romans führt. Nach dem starken Mr. Mercedes wirkt Finderlohn in der Tat mehr wie eine Zäsur vor dem abschließenden großen Sturm – immer noch stark, aber eher in der Luft schwebend. Und damit ist das Buch schon wieder fast typisch für einen Mittelteil einer Trilogie.

(sv)