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Rübezahl – Ein schlechtes Geschäft

Rübezahl
Der Berggeist des Riesengebirges
Sagen und Schwänke neu erzählt nach R. Münchgesang
Ein schlechtes Geschäft

Hoch im Gebirge stand eine geräumige Baude an der Straße, die von Prag aus nach Breslau führt und von vielen Wanderern und Fuhrleuten tagtäglich benutzt wird. Der Besitzer, Jobst hieß er, hatte eine schöne Erbschaft gemacht und seine Frau, die Kathrine, auch, und während sie früher einfach und anspruchslos gewesen waren, zog mit dem Besitz jetzt der Habsuchtsteufel in ihre Herzen. Sie wollten nicht nur wohlhabende Leute sein, sondern die reichsten auf dreißig Wegstunden im Umkreis. Also richteten sie eine Gastwirtschaft ein, damit die vielen Wanderer, die vorbei mussten, da einkehrten und ihnen ihr Geld ließen.
Jobst ging eines Tages in die Stadt, um bei einem Maler zwei Schilder zu bestellen, wovon das eine über der Haustür, das andere in der Gaststube angebracht werden sollte. Da das Haus nun fortan »Zur Keule« heißen sollte, ein Name, der vielen Gastwirtschaften gegeben wird, so ließ er über die Tür eine Keule malen und darunter den Vers setzen.

Staub, Ruß und Mehl
Machen trocken die Kehl’.

Damit wollte er den Fuhrmann auf staubiger Landstraße, den schwarzen Kaminfeger, den Müller und seinen Knecht auf sein Gasthaus aufmerksam machen, sie zu sich einladen. Kam der Fremde in das Gastzimmer, so erblickte er ein anderes Schild, auf dem er las:

Wer die Arbeit kennt
Und nach ihr rennt
Und sich nicht drückt,
Der ist verrückt.

Das sollte den fleißigen Besuchern gelten, die dadurch zur Tagdieberei verleitet werden sollten. Im Verkehr mit den Gästen führte Jobst ähnliche Reden und Sprichwörter im Munde.
»Wozu soll einer für lachende Erben sparen?«, sagte er täglich öfters. Oder: »Lustig gelebt und selig gestorben, hat dem Teufel die Rechnung verdorben.«
Den ganzen Tag lag er mit seiner Frau im Streit über dies und das, aber in dem einen Punkt waren sie beide stets einig, den Reisenden so viel Geld abzunehmen wie nur möglich. Wein und Bier waren verdünnt, das Essen schlecht, und doch nahm Jobst für alles die höchsten Preise. Setzte er sich zu den Gästen, so überredete er sie gern zu einem Spielchen und benutzte dazu gezeichnete Karten, um sie zu betrügen. Mancher trat da mit voller Börse ein und hatte gar bald alles verloren. Doch klagte keiner draußen, weil er fürchten musste, dass man ihm dann seine Unklugheit vorgeworfen und ihn obendrein noch tüchtig ausgelacht hätte.
Rübezahl kam auch einmal in die »Keule«, sah aus wie ein schlichter Handelsmann, setzte sich bescheiden in eine Ecke, bestellte ein einfaches Mahl und ein Gläschen Dünnbier.
Während er aber scheinbar arglos aß und trank, beobachtete er scharf die Wirtsleute und ihr Gebaren. Da sah er, wie die Schelme die Leute schamlos betrogen und belogen, und ärgerte sich darüber. Schließlich kam die Reihe auch an ihn. Der Wirt bot ihm ein kleines Spielchen an, holte auch die gezeichneten Karten heraus.
»Das hilft über die Langeweile hinweg«, sagte er, »ist auch die beste Unterhaltung, lieber Herr. Wenn sich die Leute bloß unterhalten, so erhitzen sie sich an den Wechselgesprächen, ja, sie schneiden sich gegenseitig die Ehre ab. Sogar über die Toten geht es her, die man billigerweise doch in Ruhe lassen sollte. Alles das kommt beim Kartenspielen nicht vor. Wie wär’s also, bester Herr?«
Rübezahl tat zum Schein mit, sah deutlich, wie der Schurke betrog, verlor auch einige Taler, nahm sich dabei aber vor, dem Spitzbuben einen garstigen Streich zu spielen.
»Wisst Ihr auch das Neueste, Herr Wirt?«
»Nichts weiß ich, lieber Herr, gibt’s Krieg und böse Zeit?«
»Das nicht, aber übermorgen wird der Fürst von Riesenstein Euer Gast sein. Der Herzog von Ratibor hat ihn zu einer großen Jagd eingeladen, und da wird er mit einem großen Gefolge von Grafen und Herren sowie mit Dienern, Treibern, Büchsenspannern und Leibjägern hier eintreffen und bei Euch rasten.«
»Ist’s möglich!«
»Ich weiß es ganz bestimmt, Herr Wirt. Richtet Euch nur darauf ein, versorgt Euch mit Speise und Trank und gutem Hafer für die vielen Pferde, auch der Meute müsst Ihr gedenken. Der Fürst wird eine große Zeche bei Euch machen. Sein Hausmeister ist mein Freund. Er wollte eigentlich selbst heraufreiten, um seinen Herrn anzumelden. Da er aber hörte, dass ich denselben Weg hätte, hat er sich die Mühe gespart und lässt Euch das sagen, was Ihr jetzt wisst.«
»Du meine Güte! Du meine Güte! Das muss ja eine große Sache werden, da müsste ich gleich in die Stadt mit dem vierspännigen Wagen, um dort noch allerlei Einkäufe zu machen«, erwiderte der Wirt ganz aufgeregt.
»Nehmt zwei vierspännige Wagen, meinetwegen auch drei. Der Fürst ist kein Knicker und wird Euch Eure Auslagen schon bezahlen.«
Damit ging Rübezahl. Der Wirt aber war außer sich vor Eifer, warf seine Zipfelmütze in die Ecke, schrie der Frau dies und jenes zu, stürmte in den Stall und fuhr bald darauf in aller Eile in die Stadt. Außer Atem und zitternd vor Erregung und Geldgier kam er am Abend mit drei Fuhren wieder, und stundenlang hatte er und sein Knecht zu schaffen, um all die Fässer mit Wein, Bier, Gesalzenem, Gepökeltem, Gebackenem auszuladen und unterzubringen. Dabei quälte ihn nur die eine Sorge, ob jener Handelsmann ihm wohl die Wahrheit gesagt habe.
Aber damit hatte es seine Richtigkeit. Am dritten Tage kündete froher Hörnerklang schon von Weitem das Herannahen des Jagdzuges an. Bald kam es näher, zu Ross, zu Wagen, zu Fuß, ein unendlicher Schwarm, der von der »Keule« Besitz nahm. Der Wirt konnte nicht genug Stühle und Bänke auftreiben, er musste durch Bretter, die auf leere Fässer gelegt wurden, draußen vor der Tür Sitzgelegenheiten schaffen. Es waren nämlich mit dem Fürsten von Riesenstein nicht nur die Grafen, Herren, Diener und Jäger gekommen, sondern auch eine Menge landfahrendes Volk, das die Neugierde herbeigelockt haben mochte, und zum Schluss eine Bande Zigeuner, die mit Dudelsack, Tamburin, Fiedel und Schnarrholz Musik machte, sodass es vor der Baude bald aussah wie auf einem Jahrmarkt.
Und bald schrie es von allen Seiten: »Herr Wirt, bringt Wein! Bringt Bier! Kann ich Forellen haben? Kann der Fasan bald angerichtet werden? Hierher einen Wildschweinschlegel! Hierher Rehrücken! Kapaun! Kapaun! Bier vor allem! Wein! Wein!«
Der Wirt sprang wie toll bald dahin, bald dorthin, plagte sich ordentlich ab, aber er dachte auch dabei: Es sind ein paar saure Stunden, aber wenn sie vorüber sind, dann klappert auch das schöne Geld in meiner Tasche. Trotzdem Jobst so viel beschäftigt war, gelang es dem Fürsten von Riesenstein doch, ihn in eine kleine Unterhaltung zu ziehen. Dabei merkte der Wirt in seinem Eifer gar nicht, dass der Fürst jenem Handelsmann, den er vorgestern betrogen hatte, außerordentlich ähnlich sah.
»Herr Wirt«, sagte Rübezahl, »was heute hier gegessen und getrunken wird, geht auf meine Rechnung. Auch die da draußen, das fahrende Volk, die Zigeuner und anderes Gesindel, lasst nur schlampampen, sie sollen ihren guten Tag haben. Und dann noch eins, Herr Wirt! Ich habe hier einen Beutel mit Goldstücken, der bei einem solchen Gedränge leicht verloren geht. Wollt Ihr ihn nicht in Verwahrung nehmen?«
Der Wirt erschrak, als er den schweren Sack mit neuen Doppeldukaten in die Hand nahm, und zitterte vor Geldgier.
Dann sagte er: »Wenn der durchlauchtige Fürst befehlen, dass er in diesem Schränkchen verwahrt werden soll …« Er zeigte das Wandschränkchen.
»Das wird genügen«, antwortete Rübezahl, »schließt es immerhin ein und behaltet nur den Schlüssel! Er ist ja in ehrlichen Händen bei Euch.«
Das Geschrei nach Getränken und Speisen wurde immer toller. Jobst sprang hin und her, während sein Weib mit den Mägden in der Küche wie eine Verzweifelte briet und kochte. Nach zwei Stunden war kein Schluck Wein, kein Tropfen Bier mehr im Haus, kein Bissen Brot, kein Stück Braten oder Wurst mehr vorhanden. Und, was das Merkwürdigste war: Von den Getränken wurde niemand betrunken, vom Essen wurde keiner satt. Selbst das Doppelte und Dreifache der Vorräte würde den unendlichen Appetit und den Riesendurst der zahlreichen Gäste kaum befriedigt haben.
Da gab der Fürst den Befehl zum Aufbruch. »Herr Wirt«, sprach er zu dem abgehetzten Jobst, »wollt Ihr für die Zeche das annehmen, was Ihr in diesem Schränkchen für mich verwahrt habt?«
Dem Wirt vergingen bei diesen Worten fast die Sinne. Der Beutel enthielt ja sicher das Hundertfache von seiner Forderung, auch wenn er noch so hoch ankreidete. Reich mit einem Male!
Er rang daher nach Atem, machte eine sehr tiefe Verbeugung und stammelte: »Sehr gern, durchlauchtigster Herr.«
»Und Ihr wollt damit zufrieden sein?«
»Ewig dankbar für die Gnade und Ehre, Durchlaucht.«
»Dann gehabt Euch wohl!«
Nun ertönten die Hörner, die Herren stiegen ein, die Reiter saßen auf, und zwei Minuten danach war alles verschwunden. Nur die Zigeuner blieben noch zurück und forderten Wein. Da Jobst keinen mehr hatte, wurden sie ungezogen und verlangten, dass der Wirt mit seiner Frau nach ihrer Musik tanzen solle. Dazu hatten die beiden aber keine Lust. Da wurden die braunen Gestalten frech, zerschlugen alle Gläser, Kannen und Flaschen, alle Fensterscheiben, alles Geschirr in der Küche, prügelten den Wirt und sein Weib und jagten ihn von einem Zimmer ins andere, sodass ihnen der viel Geplagte schließlich den Willen tun und nach ihrem Dudelsack einen Hopser tanzen musste. Endlich wurde er auch das Gesindel los, und nun ging sein Weg nach dem Wandschränkchen, in dem ihm der unendliche Segen alle Schererei versüßen sollte.
Er schloss auf, und das Ehepaar sah gierig hinein. Sah hinein und prallte entsetzt zurück. In dem Schränkchen fand sich kein schwerer Sack mit geprägtem Gold, sondern eine ganz gemeine Futterrübe. Und es konnte doch niemand das Schränkchen geöffnet und den kostbaren Inhalt gestohlen haben! Da sagte Jobst wie im Traum: »Was ist das für ein Fürst, der mit einer Rübe zahlt!«
Und wie ein Echo klang es aus dem Mund der Frau: »Rübezahl!«