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Frederick Marryat – Die Sendung – Kapitel 10

Kapitän Frederick Marryat
Die Sendung
Umschlagzeichnung nach Originalentwürfen von Professor Honegger
Neue deutsche Ausgabe. Magdeburger Verlagsanstalt. 1915
Kapitel 10

Alexander schickte nun zuerst nach den Khoikhoi, verwies ihnen wiederholt ihr früheres Benehmen, und fragte sie sodann, wer freiwillig bereit sei, mit ihnen zu ziehen, da er sich vorgenommen habe, die Wagen mit Major Henderson zurückzulassen und die kurze Strecke der Reise, welche noch zurückzulegen sei, zu Pferde zu machen.

Mehrere von den Khoikhoi traten sogleich vor, während die Häupter der Meuterei zurückblieben. Alexander sah hierin den Beweis, dass die Freiwilligen von den übrigen beredet worden seien und jetzt ihren Schritt bereuten. Er nahm daher sogleich ihre Dienstanbietungen an und ließ ihnen ihre Musketen zurückgeben. Dann teilte er seine Absichten dem Xhosa-Häuptling mit, der die erforderlichen dreißig Krieger aussuchte. Nach drei Stunden war alles zur Abreise vorbereitet.

Die beiden Parteien hatten unter sich ausgemacht, dass sie sich im Fall einer Gefahr womöglich zu dem neu errichteten Missionsposten Morley an der Seeküste zurückziehen sollten. Anderenfalls aber hatten die Wagen bis zu Alexanders Rückkehr an Ort und Stelle zu bleiben. Nachdem sie alles Nötige in kleine Pakete gepackt hatten, welche von den Xhosa getragen werden konnten, sagten sie dem Major Lebewohl und brachen ohne weitere Beschwerung als die vorerwähnte auf, denn Alexander wollte sich nicht mit Gegenständen belasten, die bei einem raschen Vorschreiten oder, wenn es darauf ankam, bei einem schnellen Rückzug hinderlich werden konnten.

Nach zwei Stunden gelangten sie durch beschwerliche Pässe an das Ufer des Umtata-Flusses, über den sie setzten. Bald danach trafen sie auf einen Xhosa-Kraal, wo sie erfuhren, dass Daka, der Häuptling, den sie suchten, irr einer Entfernung von nicht mehr als acht Stunden wohne. Auch wurde es ihnen leicht, sich einen Führer zu verschaffen, der sie an Ort und Stelle geleitete.

Die Gerüchte vom Vorrücken des Amaquibi-Heeres fanden hier volle Bestätigung. Die Eingeborenen schickten sich an, den Kraal mit all ihrem Vieh zu verlassen. Es hatte jedoch den Anschein, als ob die Armee vorderhand stillliege. Natürlich mussten es sich die Krieger nach dem Sieg, den sie über die Xhosa davongetragen hatten, wohl sein lassen, denn da Letztere von weißen Männern und ihren Gewehren unterstützt worden waren, so bildeten sich die Amaquibi ungemein viel auf ihren Heldenmut ein und gedachten ihre Waffen in dem Süden zu tragen, sobald ihr Häuptling Quitu sich einigermaßen von den in der letzten Schlacht empfangenen Wunden erholt hätte. In der Tat war auch der verwundete Zustand des Führers die Hauptursache, warum das Heer nicht augenblicklich weiter in den Süden vorrückte.

Auf diese Nachricht hin nahmen die Reisenden ihre Wanderung an den Ufern des Umtata wieder auf und kamen durch ein wunderschönes Land. Auch war der tiefe Strom voll von Flussochsen, die an den Ufern lagen oder sich im Wasser tummelten. Den Tag über konnten sie sich nicht damit aufhalten, eines dieser Tiere zu erlegen. Indes versprachen sie den Leuten, dass sie abends, wenn sie ihr Nachtlager gewählt hätten, einen Versuch machen dürften. Gegen Sonnenuntergang machten sie auf einer Anhöhe neben dem Flussufer Halt, und die Khoikhoi nebst einigen Xhosa erhielten jetzt die Weisung, hinabzugehen und einen Flussochsen zu jagen, da es ratsam erschien, den Mundvorrat so viel wie möglich zu sparen.

Noch vor Einbruch der Nacht hatten sie ein Tier erlegt und ans Ufer geholt. Sie schnitten sich nun das erforderliche Fleisch aus, und der Rest wurde von den eingeborenen Xhosa geholt. Während unsere Reisenden sich noch an dem angezündeten Feuer labten, kam der Xhosa-Häuptling zu dem Dolmetscher herauf und ließ durch diesen Alexander und Swinton ersuchen, sie möchten auf die Frage, woher sie kämen, nicht sagen, dass sie Hinzas Krieger seien. Als man ihn nach dem Grund befragte, entgegnete er, Hinza habe die Tochter eines Häuptlings dieser Gegend geheiratet und sie nach einiger Zeit ihrem Vater wieder zurückgeschickt. Dies habe zwischen den Stämmen böses Blut erzeugt, obgleich es nicht zum Krieg kam. Alexander und Swinton erkannte die Zweckmäßigkeit dieses Rates und entgegneten ihm, dass seinem Wunsch willfahrt werden solle. Sie ließen sich darauf das Flussochsenfleisch noch weiter belieben und legten sich dann unter den weithin sich ausbreitenden Zweigen eines großen Baumes zur Ruhe nieder.

Am nächsten Morgen brachen sie auf, und schon nach einer Stunde Wegs sagte ihnen der Führer, dass sie an dem Kraal Dakas, des Abkömmlings der Europäer wären. Das Brüllen des Viehs und das Blöken der Kälber lenkte sie bald zu dem Ort, und sie kamen in einen Kraal, der aus mehreren sehr armseligen Hütten bestand. Auf ihre Frage nach Daka deutete eine Frau zu einer unweit stehenden Hütte. Sie stiegen daher ab, und als sie auf die Wohnung zugingen, kam ihnen der Häuptling entgegen. Swinton und Alexander reichten ihm die Hand, bezeugten ihre Freude, ihn zu sehen, und erklärten ihm, dass sie die weite Reise gemacht hätten, um ihm einen Besuch zu machen. Der Häuptling ließ jetzt eine Hütte für ihren Gebrauch räumen, und sie nahmen Besitz davon.

»Ihr könnt Euch gar nicht denken, Swinton«, sagte Alexander, »wie sehr mich diese Zusammenkunft bereits aufgeregt hat.«

»Doch, mein teurer Wilmot«, versetzte Swinton, »und ich finde es ganz natürlich, denn allen Berichten zufolge ist er Euer Vetter, und obschon er durch seine Lebensweise zu den Xhosa gehört, so sind doch seine Züge auffallend europäisch.«

»Ich habe dies gleichfalls bemerkt und daraus die Überzeugung gewonnen, dass die Angabe richtig ist. Ich bin höchst begierig, ihn weiter zu befragen. Wir müssen den Dolmetscher rufen.«

Der Häuptling trat bald danach in die Hütte und nahm Platz. Der Dolmetscher wurde herbei beordert und das Gespräch durch Daka begonnen, der – wie die meisten Xhosa Häuptlinge, wenn sie Geschenke zu erhalten hoffen, – sich für sehr arm ausgab. Sein Vieh sterbe dahin und seine Kinder seien ohne Milch. Unsere Reisenden ließen ihn einige Zeit in dieser Weife fortfahren und schickten dann nach einem Geschenk aus Glasperlen und Tabak, das sie ihm reichten. Sie begannen sodann ihre Nachforschungen und fragten ihn zuerst, warum er so nahe am Meer wohne.

»Weil das Meer meine Mutter ist«, versetzte er. »Ich komme vom Meer und das Meer nährt mich, wenn ich hungrig bin.«

»In dieser Antwort spielt er augenscheinlich auf den Schiffbruch des »Grosvenor« an«, bemerkte Swinton, »und aus den Fischgräten, die ich um den Kanal habe liegen sehen, möchte ich den Schluss ziehen, dass diese Xhosa sich von Fischen ernähren, was bei den übrigen Stämmen nicht der Fall ist. Um deswillen hat er wohl gesagt, seine Mutter ernähre ihn.«

»War Eure Mutter weiß?«, fragte Alexander.

»Ja«, versetzte Daka. »Ihre Haut war weiß wie die Eure, und ihr Haar wie das Eure lang und schwarz. Aber ehe sie starb, war es ganz weiß.«

»Wie hat Eure Mutter geheißen?«

»Kuma«, antwortete der Häuptling.

»Hattet Ihr Brüder und Schwestern?«

»Ja, ich hatte – aber es ist nur noch eine einzige Schwester am Leben.«

»Wie ist ihr Name?«, fragte Swinton.

»Bess«, entgegnete der Häuptling.

»Das trifft wieder zu«, sagte Alexander. »Meine Tante hieß Elisabeth. Sie muss ihr Kind nach sich genannt haben.«

»Wen heiratete Eure Mutter?«

»Sie heiratete zuerst meinen Oheim, von dem sie keine Kinder hatte, dann aber meinen Vater. Beide waren Häuptlinge, wie ich ein Häuptling bin. Sie hatte fünf Kinder von meinem Vater.«

Es fand nun ein langes Gespräch statt, dessen wesentlichen Inhalt wir dem Leser in wenigen Worten mitteilen können. Von den Kindern der vermeintlichen Tante Alexanders entsprang ein zahlreiches Geschlecht, das europäisches Blut in seinen Adern trug und im Xhosaland wegen seines Mutes berühmt war. In den beharrlichen Kriegen wurde ihre Teilnahme begierig gesucht, weshalb sie fast insgesamt umgekommen waren. Daka selbst stand wegen kriegerischer Heldentaten in großem Ruf, war aber nun ein sehr alter Mann. Abends verabschiedete sich der Häuptling und ging zu seiner Hütte.

Sobald sie allein waren, sagte Alexander zu Swinton: »Ich habe nun das Versprechen, das ich meinen würdigen Verwandten gab, insoweit erfüllt, dass ich diesen Abkömmling seines Kindes besuchte. Aber was kann ich ferner tun? Ein alter Mann, wie er ist, wird schwerlich einwilligen, mit nach England zu gehen, und was seine Schwester Bess betrifft, so ist sie seiner Angabe nach ebenso gebrechlich. Die übrigen Angehörigen der Familie sind zerstreut, und er selbst weiß nichts von ihnen. Es wäre unmöglich, sie zusammenzubringen, und wenn dies auch anginge, so könnte man sie doch nicht mitnehmen, da sie nicht fortgehen würden. Mein alter Onkel vergegenwärtigt sich seine Tochter, wie sie über ihre Gefangenschaft weint und sich danach sehnt, ihrem Land und ihren Verwandten zurückgegeben zu werden. Er nimmt an, sie unterhalte noch immer europäische Gefühle und Sympathien, durch die ihre Lage elend werde. Ihre Kinder, meint er, seien von ihr in denselben Ansichten erzogen und sehen mit Sehnsucht dem Tag ihrer Erlösung aus dem Zustand der Wildheit entgegen. Ich glaube, wenn er hier wäre und den alten Daka zu Gesicht bekäme, würde er sich bald aller derartigen romantischen Vorstellungen entsagen.«

»Ich bin hierin ganz Eurer Ansicht, aber doch wird mir eine Sache sehr bedenklich, Alexander, nämlich wenn dieser Data der Sohn Eurer Tante wäre, könnte er doch unmöglich so alt sein. Wann ging der » Grosvenor« zugrunde?«

»Im Jahr 1782.«

»Und jetzt zählen wir 1829. Um die Zeit des Schiffbruchs war, Eurer eigenen Angabe zufolge, Eure Tante zehn oder zwölf Jahre alt. Nehmen wir nun an, sie habe recht früh geheiratet, so könnte Daka doch nicht wohl mehr als achtundvierzig Jahre alt sein. Nun betrachtet ihn einmal und sagt, ob dies möglich ist.«

»Er sieht allerdings viel älter aus, aber wer kann die Jahre eines Wilden schätzen, der ein Leben beständiger Entbehrung geführt hat und so oft verwundet wurde, wie der narbenvolle Leib dieses Mannes zeigt? Wunden und Mangel sind wohl imstande, einem Menschen früh ein altes Aussehen zu geben.«

»Das ist wohl war, aber dennoch scheint er mir älter zu sein, als mit den Zeitangaben übereinstimmen will.«

»Ich glaube, der Umstand, dass seine Schwester den Namen Bess erhielt, dient als vollständige Bekräftigung.«

»Ich möchte ihn eher für einen Nebenbeweis halten, Wilmot, aber was gedenkt Ihr jetzt zu tun?«

»Das weiß ich selbst kaum. Jedenfalls möchte ich noch einige Zeit in Dakas Gesellschaft sein, um mehr Auskunft einzuholen. Auch habe ich im Sinn, ihm den Vorschlag zu machen, er solle uns zu den Überresten des Wracks begleiten, das er seine Mutter nennt. Ich möchte wohl einen Platz sehen, der durch jenes Unglück so bekannt wurde, und auch die Überreste des gescheiterten Schiffs wären mir interessant. Kurz, ich möchte meinem guten Onkel möglichst viel erzählen können, wie er überhaupt wünschen wird. Ich möchte imstande sein, ihm in jeder Hinsicht Auskunft zu geben.«

»Euer Plan gefällt mir und wir wollen dem Häuptling morgen früh den Vorschlag machen.«

»Auch möchte ich seine Schwester Bess besuchen, -ja, dies muss unter allen Umständen geschehen. Er sagt, sie sei viel jünger als er.«

»Ja und deshalb glaube ich, wie ich bereits bemerkte, dass sein Alter nicht mit unseren Anhaltspunkten zusammenstimme«, entgegnete Swinton. »Doch wie Ihr sagt, Ihr müsst seine Schwester besuchen.«

Daka hatte Alexander eine alte Kuh als Geschenk geschickt, ein sehr gelegener Proviantzuwachs, da das Flussochsenfleisch aufgezehrt war. Am anderen Tag machten sie ihm den Vorschlag, er möchte sie an die Stelle begleiten, wo der »Grosvenor« zugrunde gegangen war.

Daka schien anfangs nicht zu begreifen, was sie wünschten, und ließ sie durch den Dolmetscher fragen, ob sie das Schiff meinten, das an der Seeküste gestrandet sei. Er deutete dabei nach Osten. Als er hierauf eine bejahende Antwort erhielt, erbot er sich, denselben Nachmittag mit ihnen aufzubrechen, indem er zugleich bemerkte, der Platz sei ungefähr sechzehn Stunden entfernt und sie könnten erst am nächsten Tag dort ankommen.

Um Mittag traten sie ihren Zug an, kamen aber in dem unebenen, obgleich wunderschönen Land nur langsam vorwärts, sodass sie bei einem Kraal, der ungefähr auf halbem Wege lag, für die Nacht haltmachen mussten. Am anderen Tag wurden sie von Daka und einigen Xhosa, welche mitgingen, zu der Küste geführt. Es war eben Ebbe, und Daka deutete auf ein Riff, auf welchem noch die Kanonen, der Ballast und ein Teil von dem Kohlschwien eines Schiffes zu sehen waren – alles noch Überreste von dem unglücklichen »Grosvenor«.

Während die See über das Schiff hinspülte und bald dieses Denkmal des Elends bedeckte, bald wieder den Blicken enthüllte, blieben Alexander und Swinton eine Weile lautlos stehen.

Endlich sagte Alexander: »Swinton, ich weiß, Ihr habt die Geschichte dieses unglücklichen Schiffes gelesen, denn Ihr habt mir den gedruckten Bericht abverlangt. Welche Reihenfolge von Schreckensszenen beschwören nicht diese Überreste, welche nur um ihres massigen Gewichtes willen der Gewalt des Windes und der Wellen Trotz bieten konnten, in diesem Augenblick vor meine Seele herauf. Ich meine zu sehen, wie das edle Schiff auf das Riff geschleudert wird. Ich höre den Schrei der Verzweiflung aus dem Mund der an Bord Befindlichen. Welch eine herzzerreißende Lage für die Frauen und Kinder – und dann das wunderbare Entkommen, das Landen an der Küste, wo ihnen nur noch größeres Unglück vorbehalten war. Seht Swinton, dies muss der Fels gewesen sein, zu dem sie flüchteten und auf dem sie die ganze Nacht schaudernd zubrachten.«

»Der Lage nach kann hierüber kein Zweifel obwalten«, entgegnete Swinton.

»Ja, hier muss es gewesen sein. Ich meine, sie alle zu sehen, Männer, Frauen und hilflose Kinder. Halb gekleidet und im größten Jammer verlassen sie den Fels auf jenem einzigen Pfad und treten ihre wahnsinnige, gefahrvolle Reise an. Die Partien zerstreuen sich – denkt Euch ihre Gefahren, ihren Hunger, ihre Kämpfe mit den Eingeborenen, ihre Leiden durch Hitze und Durst – denkt Euch, wie einer nach dem anderen niedersinkt in die willkommenen Arme des Todes, oder diejenigen, welche nicht nachkommen können, von den Wölfen und Hyänen in Stücke zerrissen werden. Oh, wie viel glücklicher waren diejenigen, welche das Ufer nie erreichten!«

»Ja, in der Tat«, versetzte Swinton. »Mit Ausnahme der Acht, welche das Kap erreichten und der Fünf, welche nach Dakas Aussage gerettet wurden, müssen alle übrigen in der schrecklichsten Weise zugrunde gegangen sein.«

Alexander versank eine Weile in tiefes Nachdenken. Endlich aber wandte er sich an Daka und fragte ihn, indem er zugleich zu den Überresten des Wrackes hindeutete.

»Und dies ist also Eure Mutter?«

Daka sah ihn an und schüttelte den Kopf. »Nein, dies ist nicht meine Mutter«, versetzte er. »Meine Mutter ich dort unten.« Er deutete dabei nach Norden.

»Was meint er damit, Swinton? Er sagt, dies sei nicht seine Mutter.«

»Lasst mich mit ihm sprechen, Wilmot, denn Ihr seid zu aufgeregt«, entgegnete Swinton.

»Ist nicht dies das Schiff, in welchem Eure Mutter strandete?«, fragte Swinton durch den Dolmetscher.

»Nein«, antwortete Data, »das Schiff meiner Mutter kam in dem kleinen Fluss dort außen ans Land. Ich war ein Knabe, als dieses große Schiff strandete, und holte mir einiges Eisen davon, um Assagaien zu machen.«

»Barmherziger Himmel, wie fühle ich mich von Freude erfüllt! Ich hoffe, es ist wahr, was er sagt.«

»Ich zweifle nicht daran, Wilmot, denn sagte ich es nicht vorher, dass er zu alt sei, um Euer Vetter sein zu können?«, entgegnete Swinton. »Doch lasst mich weiter fragen.«

Unsere Leser können sich denken, mit welcher Ungeduld Wilmot darauf harrte, bis Swintons Fragen beantwortet waren. Aus den Angaben des Häuptlings ergab sich, dass Dakars Mutter an der Mündung des Lauwenbas, eines kleinen Flusses, strandete, der etwa eine Stunde östlich vom Sembusu liegt. Ein alter Xhosa, der mit Daka heruntergekommen war, erteilte nun umständlichen Bericht über den Schiffbruch des »Grosvenor« und bestätigte sämtliche Angaben des Häuptlings.

»Ist von den Leuten des »Grosvenor« niemand im Land geblieben?«, fragte Swinton.

»Nein«, antwortete der alte Mann. »Sie gingen alle in den Süden.«

»Habt Ihr gehört, was aus ihnen geworden ist?«

»Einige legten sich nieder und starben, andere fochten mit den Eingeborenen und wurden getötet. Die Wölfe fraßen die übrigen, und nicht ein einziger Mensch ist übrig geblieben. Alle sind umgekommen.«

»Hat man nicht einige von den Frauen und Kindern gerettet und sie als Sklaven behalten?«

»Nein, keine. Sie hatten kein Fleisch, keine Milch, und sie starben alle.«

Nach einigen anderen Fragen gab der alte Mann, welcher anfangs nicht recht mit der Sprache herauswollte, an, er sei mit anderen Xhosa der letzten Partie gefolgt und habe sie alle tot gesehen. Sie seien aller Kleider beraubt und die Toten von den Überlebenden begraben worden.

»Ein grausames Geschick, aber immerhin noch besser, als zu leben, wie sie hätten leben müssen«, sagte Swinton.

»Ja, wahrlich«, versetzte Alexander. »Ihr wisst nicht, Swinton, welche Last mir von der Seele genommen wurde und wie leicht mir es jetzt ums Herz ist, trotz dieses Berichtes über ihre Leiden. Mein armer Onkel – Gott gebe, dass ich ihn noch am Leben treffe und ihm diese bestimmte Kunde bringen könne, mit der Versicherung, dass er keine Enkel hat, die unter den Heiden leben und nichts von Gott wissen. Welche ein Trost wird ihm diese Nachricht sein, und wie ruhig kann er nun seinen Lebensabend verbringen! Ich danke Gott, dass meine Sendung einen so glücklichen Ausgang genommen hat. Wir können jetzt zurückkehren, Swinton, sobald es Euch beliebt. Wenn wir in Dakas Kraal ankommen, will ich die Angabe dieser Leute zu Papier bringen, und dann eilen wir zum Major zurück.«

»Und ich wette«, sagte Swinton, als er wieder auf sein Pferd stieg, »Ihr macht dem alten Daka ein weit schöneres Geschenk, weil er bewiesen hat, dass er kein Verwandter von Euch ist, als wenn er aufs Unumstößlichste dargetan hätte, er habe die Ehre, Euer nächster Vetter zu sein.«

»Ihr dürft überzeugt sein, dass meine Dankbarkeit ihm gegenüber viel größer ist, als je meine Verwandtschaftsgefühle hätten sein können. Es ist mir so leicht ums Herz, Swinton, und ich fühle mich gegenüber Gott zu so tiefem Dank verpflichtet, dass ich fast wieder absteigen und zum Gebet niederknien möchte. Nun, jedenfalls geschieht es in dem Innersten meines Herzens.«

Am folgenden Tag kamen sie in Dakars Kraal an, wo Alexander die Aussagen des Häuptlings und der übrigen Xhosa aufs Sorgfältigste zu Papier brachte. Sie hatten nun die Überzeugung gewonnen, dass die Europäer, deren Abkömmlinge in dem Lande lebten, viele Jahre vor dem Verlust des »Grosvenor« in einem anderem Schiff verunglückt waren, während von den Leuten des »Grosvenor« sich nur die wenigen, welche das Kap erreichten, gerettet hatten.

Nach Einholung dieser befriedigenden Beweisstücke machten sie Daka und den anderen Xhosa ein schönes Geschenk und säumten nun nicht länger, zu den Wagen zurückzukehren. Auf dem Rückweg fanden sie, dass die Xhosa ihre Hütten verließen und ihr Vieh forttrieben, damit sie mit ihrem Eigentum nicht in die Hände von Quitus Armee fallen möchten, die sich dem Vernehmen nach wieder in Bewegung gesetzt hatte und die Stämme vor sich her zerstreute. Da es unseren Wanderern nicht darum zu tun war, mit diesen wilden Eindringlingen in Berührung zu kommen, so hatten sie nach zwei Tagen über den Umtata gesetzt und wurden gegen Abend der Wagen ansichtig. Ein Jubelruf der Khoikhoi und Xhosa verkündete ihre Nähe. Der Ruf wurde erwidert, und nach wenigen Minuten konnten sie dem Major die Hand reichen, der hoch erfreut war, sie wiederzusehen.

»Ich habe Euch nicht sobald zurückerwartet«, sagte der Major, »und muss zugleich sehen, dass Ihr unbegleitet kommt. Vermutlich wollte Eure Xhosaverwandtschaft ihre Kraals nicht verlassen.« »Ihr sollt in Kürze alles erfahren, Major. Vorerst begnügt Euch mit der Kunde, dass wir nur gute Neuigkeiten mitbringen.«

»Das freut mich. Es ist übrigens gut, dass Ihr zurückgekommen seid, denn ich habe schon jede Vorbereitung getroffen und würde den Rückzug angetreten haben, wenn ich Euch nicht nach einigen Tagen hier gesehen hätte. Die Eindringlinge stehen schon ziemlich nahe.«

»Wir wissen es«, entgegnete Alexander, »und wenn sie erfahren, dass es hier wohlbeladene Wagen gibt, so wird die Hoffnung auf Beute ihre Schritte beschleunigen. Wir dürfen daher nicht länger zögern, sondern wollen morgen aufbrechen. Über unsere Route können wir uns unterwegs verständigen. Die Hauptsache ist, dass wir aus diesem Landesteil fortkommen.«

»Recht so. Die Ochsen sind in bester Ordnung und man kann ihnen schon einen langen Tagesmarsch zumuten. Auch kennen wir jedenfalls für einige Tagesmärsche unser Terrain. Doch kommt jetzt in meine Festung, steigt ab und lasst uns in das Zelt gehen, das ich aufgeschlagen habe. Ihr sollt mir dann Eure Abenteuer erzählen, während Mahomed ein schönes Stück Elefantenfleisch für Euch zubereitet.«

»Habt Ihr einen Eleganten geschossen?«

»Ja, aber nicht ohne viel Schwierigkeit und einige Gefahr, kann ich Euch versichern. Ich habe dabei Eure Hilfe vermisst, denn diese Khoikhoi haben zu viel Angst, um gut zu zielen, und ich konnte mich nur auf meine eigene Büchse verlassen. Im Übrigen bin ich gut ausgekommen und werde unserem Oberbefehlshaber den Beweis liefern, dass ich während seiner Abwesenheit die Garnison verproviantierte, ohne ihm auch nur im geringsten Kosten zu machen. Wir haben drei Tage von grünen Affen gelebt, die eine recht gute Kost sind, wenn man nicht zufälligerweise einen sehr alten unter die Zähne kriegt.«

Als sie in den Verhau traten, den der Major angefertigt hatte, waren sie sehr überrascht über den wehrbaren Stand, in den er sich gesetzt hatte. Sein auf dem Felsen angelegter Dornenhag war unangreifbar, und die Wagen, die sich in der Mitte des Platzes befanden, standen im Viereck. Der Eingang war so, dass nur je eine einzige Person herein konnte, und ließ sich nachts mit Riegeln verwahren.

»Ha, Major, in dieser Stellung hättet Ihr gegen die ganze Streitmacht der Amaquibi standhalten können.«

»Ja, vorausgesetzt, dass es mir nicht an Proviant und Wasser gefehlt hätte«, versetzte der Major. »Aber ich fürchte, sie würden mich bald ausgehungert haben. Es war übrigens gut, sich auf jeden plötzlichen Nachtüberfall gefasst zu halten, und deshalb verschanzte ich mein Lager. Doch kommt jetzt herein und seid noch einmal willkommen.«

Die Nachrichten, welche sie dem Major mitzuteilen hatten, ließen sich kurz zusammenfassen, und er war hoch erfreut über die Kunde.

»Aber was gedenkt Ihr jetzt zu tun, Wilmot?«, fragte er. »Es geht natürlich wieder zurück, aber auf welchem Weg?«

»Da ihr beide so gütig gewesen seid, mich so weit zu begleiten, und meine Expedition so erfolgreich war, so will ich es Euch überlassen, hierüber nach Gutdünken zu entscheiden. Ich habe erreicht, was ich wünschen konnte. Mein Geschäft ist vorüber und ich bin bereit, Euch in jeder Weise entgegenzukommen. Ich bin mit Freuden bei allem, was Ihr vorschlagt. Sprecht deshalb Eure Wünsche unverhohlen aus.«

»Gut, so will ich von der Leber weg reden«, entgegnete der Major. »Es ist allerdings wahr, dass wir in diesem Land einiges Jagdvergnügen gehabt haben, aber doch nicht so viel, wie ich hätte wünschen mögen, denn das Wildbret ist ziemlich selten, die Elefanten und Seekühe ausgenommen. Am liebsten setzte ich über das Gebirge und zöge in das Bechuana- und Buschmannland, wo es eben so sehr von Wild wimmelt, als, wie ich glaube, das Wasser knapp ist. Wenn Ihr nichts dagegen habt, so können wir ebenso gut auf diesem Weg zurückkehren, als durch das Xhosaland – was meint Ihr, Swinton?«

»Ich bin ganz Eurer Ansicht. Wie Wilmot sagt, ist das Geschäft vorüber, und wir haben jetzt nichts mehr zu tun, als uns zu vergnügen. Ich möchte gar gerne einen Zug durch jenes Land machen, da ich ohne Zweifel Gelegenheit finde, meine Sammlungen sehr zu bereichern. Nur dürfen wir nicht erwarten, dass wir so gemächlich leben können wie bisher. Wir haben mit der trockenen Jahreszeit zu tun und könnten wohl gelegentlich ziemlich Durst leiden müssen.«

»Ich möchte gleichfalls gerne durch dieses Land ziehen, indem ich eine Giraffe zu schießen hoffe – denn darin setze ich meinen Ehrgeiz«, entgegnete Wilmot. »Wir wollen also die Sache als ausgemacht betrachten. Aber jetzt die Frage – wie rücken wir vor? Jedenfalls müssen wir Hinza seine Xhosa zurückgeben. Wollen wir nach Butterworth?«

»Ich denke, dies muss von den Umständen abhängen. Auch lässt sich die Sache unterwegs weiter besprechen. Zuerst handelt es sich darum: Wie kommt man am besten über das Gebirge? Denn es scheint mir, dass wir zu weit ostwärts abkommen, wenn wir nach Butterworth zurückgehen. Doch die Xhosa werden uns bald die nötige Auskunft geben.«

»Ich bin begierig, ob der Streit zwischen Hinza und Busani ausgeglichen ist«, sagte Alexander, »denn wenn wir über das Gebirge setzen, müssen wir durch das Land das Tambuki-Stammes, und wenn die beiden Potentaten miteinander Krieg führen, könnten wir auf Schwierigkeiten stoßen.«

»Das werden wir hören, sobald wir den Baschi-Fluss überschritten haben«, entgegnete Swinton, »und dann müssen wir unsere Entscheidung danach treffen. Alles, was sich jetzt schon feststellen lässt, besteht darin, dass wir morgen unsere Rückreise antreten und wir womöglich über das Gebirge wollen.«

»Ja, dabei bleibt es«, versetzte Alexander.

»Wohlan denn, sobald Ihr mit Eurem Elefantensteak fertig seid, Wilmot, wollen wir ein Fläschlein Wein herausholen. Die erste Hälfte trinken wir auf den glücklichen Ausgang Eurer Sendung und die andere – ein randvolles Glas – auf eine glückliche Rückkehr!«