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Der Welt-Detektiv Band 6

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Rübezahl – Zügle künftig deine Zunge!

Rübezahl
Der Berggeist des Riesengebirges
Sagen und Schwänke neu erzählt nach R. Münchgesang
Zügle künftig deine Zunge!

Über nichts konnte der Berggeist sich mehr ärgern als über den Namen Rübezahl, den ihm die Spottsucht der Menschen angehängt hatte und der ihn immer und immer daran erinnerte, dass er, der Alte, der Kluge und Mächtige, von einem Menschenkind überlistet worden war. Wenn einer den Spitznamen nur aus Ungeschick oder Unwissenheit in den Mund nahm, so drückte er wohl ein Auge zu oder beide. Witterte er aber Übermut, so schnaubte er Rache und wurde furchtbar in seinem Zorn.

Einmal wanderten drei junge Gesellen über das Gebirge, der eine ein Schneider, der andere ein Tischler, der dritte ein Schlosser. Sie unterhielten sich unterwegs über die Streiche des Berggeistes, weil ihnen gerade nichts anderes einfiel.

Der Schneider, ein frischer, kecker Bursche, rief laut: »Rübezahl, zeig dich einmal!«

Das Echo gab den lauten Ruf vielfach zurück, und das bereitete den Burschen großes Vergnügen. An jenem Tag war der Berggeist besonders schlechter Laune. Wie ein Sturmwind raste er durch den düsteren Fichtenwald, mit der Absicht, sich auf den Lästerer zu stürzen und ihn in vier Teile zu zerreißen. Doch fiel ihm zum Glück für diesen rechtzeitig ein, dass eine solch grausame Bestrafung jeden Menschen künftig abschrecken werde, das Gebirge wieder zu betreten. Dann würde es für den Berggeist da oben öde und langweilig werden. Schließlich hatte er an dem munteren Wesen der kleinen Menschen auch seine Freude und spielte ihnen zu seinem Vergnügen hin und wieder gern einen Streich. Auch müsste mancher Unschuldige durch den Schuldigen leiden. Also kam der kecke Schneider diesmal noch davon, aber Rübezahl merkte sich das, zog ungesehen mit den Burschen weiter und wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, sein Mütchen an dem verwegenen Schreier zu kühlen. In Hirschberg trennten sich die drei Burschen, und jeder ging in seine Herberge. Rübezahl folgte dem Schneider in die seine, aber nur, um ihn zur gegebenen Zeit wiederfinden zu können. Dann stürmte er zurück, um eine Gelegenheit ausfindig zu machen, dem frechen Schneider ein Bein zu stellen und den losen Mund zu stopfen.

Da kam ihm zufällig ein Händler auf dem Weg entgegen. Der Mann hatte jenseits des Gebirges viel Geld eingenommen und wollte damit nach Hirschberg. Schon sah er die Türme der Stadt und freute sich, dass er seinem Ziel so nahe war.

Der Mann kam Rübezahl wie gerufen. Sogleich nahm er die Gestalt des Schneiders an und fiel über den Alten her, zauste und würgte ihn, riss ihm die Geldkatze weg und warf ihn in einen Graben. Da lag der erschrockene Mann und glaubte, dass seine letzte Stunde gekommen sei. Er lag indes nicht lange so hilflos, denn ein sehr ehrbar aussehender Mann kam daher, half dem Überfallenen wieder auf die Beine, labte ihn mit einem stärkenden Getränk und ließ sich von ihm den Unfall erzählen. Dann geleitete er ihn bis vor die Stadt, tröstete ihn damit, dass er sein Geld und den Räuber desselben schon wiederfinden werde, und empfahl ihm jenes Gasthaus, in dem der Schneider eingekehrt war, gab ihm auch ein Geldstück, damit er seine Zeche begleichen könne. Nach diesen beiden Streichen verübte Rübezahl den dritten, gefährlichsten. Furchtbar anzusehen, richtete er sich riesenhaft auf und rief mit grässlicher, dröhnender, nur seinen Geistern verständlicher Stimme in das Gebirge hinein: »Heraus, Berggesindel! Helft mir, buckliges Zwergenpack, Baumhocker, Waldschrate, Sumpfgelichter! In dieses Wirtshaus lasst ihr jeden hinein, der ankommt, aber keinen heraus, bis ich andere Befehle gebe.«

Da wirbelte es gehorsam durch die Lüfte, senkte sich wie ein Krähenschwarm nieder und besetzte das Wirtshaus. Rübezahl trieb den geplünderten Händler vor sich her, der anfangs vorhatte, den Rat des barmherzigen Samariters nicht zu befolgen, sondern erst den Richter aufzusuchen. Der Berggeist brauchte Gewalt, und der willenlose Mann befand sich im Nu in der Wirtsstube.

Da setzte er sich in einen Winkel, um zu überlegen. Als er aber die Gäste musterte, traute er seinen Augen nicht, denn vor ihm saß jener Räuber, der ihm so übel mitgespielt hatte. Der Bube! Saß da mit einigen Gästen und unterhielt sich mit ihnen, als ob er kein Wässerchen trüben könne. Neben ihm lag sein Felleisen, in das er wohl die Geldkatze gesteckt hatte. Also dumm war er auch noch bei all seiner Schlechtigkeit, sonst hätte er seinen Raub wohl besser geborgen. Aber so leicht sollte es ihm nicht werden! Ohne Aufsehen zu erregen, verließ der Händler das Wirtshaus.

»Den lasst hinaus!«, rief Rübezahl den klotzköpfigen Wächtern draußen zu, die jenen stellen wollten, und jagte den Mann selbst zum Richter. Der musste nach Rübezahls Plan ja selbstverständlich zu Hause sein, musste die Büttel und den gefürchteten Meister Freimann bei sich haben und Lust besitzen, ein Verbrechen an den Tag zu bringen und zu ahnden. Im Laufschritt – Rübezahl jagte hinter ihnen her – drängte sich die bewaffnete Mannschaft zu dem Gasthaus und nahm den verblüfften Schneider fest. Gleichzeitig flatterte das gespenstige Bergvolk kichernd davon.

Der Schneider wusste nicht, wie ihm geschah. Man schleppte ihn in das Ratsgefängnis, sperrte ihn in die Zelle, in der die schweren Verbrecher festgehalten werden, und schloss ihn da an.

Dem Schneider war ganz wirr zumute. Was wollten die Leute von ihm? War alles um ihn her verrückt geworden? Morgen sollte er vor Gericht kommen und wusste gar nicht einmal, weswegen. Und, war er wirklich allein in diesem Loch? Kroch da nicht etwas herum? Flatterte es nicht hinter ihm? Stand da nicht soeben eine gräuliche schwarze Riesengestalt, die ihn angrinste?

Ach was! Einbildung, nichts als Einbildung. Der lange Weg über das Gebirge hatte ihn müde gemacht, und da ein gutes Gewissen von jeher ein sanftes Ruhekissen gewesen ist, so schlief er auf der harten Pritsche bald ein.

Am anderen Morgen erquickten sie ihn erst mit Brot und Wasser und führten ihn dann vor die Richter. Der Schultheiß leitete das Verhör.

»Nun, mein Guter, du stehst hier vor Gericht und wirst wohl wissen, dass einer da die Wahrheit sagen muss. Also sage uns frisch und fröhlich, was du weißt, ohne Furcht und Bedenken. Mit der Wahrheit kommt einer immer am weitesten. Wie heißt du?«

»Benedix, gestrenger Herr.«

»Schön. Hast du immer so geheißen?«

»Freilich, gnädiger Herr, solange ich lebe.«

»Und was für ein Handwerk betreibst du?«

»Ich bin ein Schneider.«

»Und woher kommst du?«

»Von Liebenau, drüben überm Gebirge. War bei meiner Braut.«

»Was uns nichts weiter angeht. Aber nun möchten wir gern wissen, warum du diesen alten Mann da überfallen, gewürgt, gezaust und dann beraubt hast. Du kennst den Händler doch wohl?«

»Ich? Ich kenne den Mann nicht, habe ihn nie gesehen, geschweige denn überfallen.«

»Ich dachte mir schon, dass du dich aufs Leugnen legen würdest, und werde darum jetzt den Händler vernehmen.«

Der Händler machte ein sehr böses Gesicht und sagte, dass ihn kein anderer als dieser Schneider Benedix überfallen habe. Überdies müsse sich das Geld bei dem Schelm noch finden, der unmöglich die Zeit gehabt haben könne, den ziemlich schweren Sack zu vergraben. Nun wurde das Felleisen des Burschen hervorgebracht, das ihm gestern abgenommen und unter Verschluss gehalten worden war. Der Angeklagte wurde gefragt, ob er es als das seine anerkenne, und als er es bejahte, öffnete der Obmann des Gerichts den Sack sehr feierlich. Er brauchte nicht lange zwischen Kleidern und Wäschestücken zu suchen, bald hob er triumphierend die Geldkatze in die Höhe.

Der Händler wollte sofort danach greifen, wollte sein sauer verdientes Geld, seinen einzigen Reichtum wieder in Empfang nehmen, aber der Obmann des Gerichts verlangte in seiner Gewissenhaftigkeit den Beweis, dass ihm das Geld gehöre. Der Handelsmann konnte ihn natürlich genau erbringen. Er gab den Betrag bis auf den Pfennig an, wusste auch die verschiedenen Münzsorten zu nennen, sodass jetzt jeder Zweifel verschwand. Aller Zorn richtete sich nun gegen den unseligen Benedix, dem alle auf den Kopf die Schuld gaben, einen friedlichen Wanderer meuchlings und heimtückisch zum Ärgernis aller wohlmeinenden Leute beraubt, geprügelt und zu Tode erschreckt zu haben.

»Was sagst du nun, Meister Benedix?«, fragte der Richter den armen Burschen, indem er ihm den verräterischen Sack unter die Nase hielt. »Willst du noch leugnen? Unsere Geduld ist zu Ende.«

Der Bursche erbleichte bei dieser Rede, sah die Herren der Reihe nach fassungslos an und lallte schließlich: »Das ist Büberei.

Ich habe nie dergleichen gesehen und weiß nicht, wie die Geldkatze zwischen meine Sachen gekommen ist.«

»Dachte ich mir«, erwiderte der Obmann und winkte dem Freimann. Der gefürchtete Meister Peter kam an.

Er hatte Daumenschrauben mitgebracht, die er dem Angeklagten vorhielt und deren Gebrauch er ihm als rechter Fachmann erklärte.

»Das ist der erste Foltergrad; der zweite ist die Leiter«, fuhr er in dieser freundlichen Belehrung fort und erklärte auch diese. Und dann fing er an, mit den Schrauben einen Versuch zu machen.

Der junge Bursche litt große Schmerzen und jammerte: »Wie soll ich mein Handwerk später betreiben, wenn ihr mir die Daumen zerquetscht! Habt doch Erbarmen!«

»Bekenne!«, sagte der Richter. »Wir foltern dich gewiss nicht aus Langeweile, aber wir können dich nicht früher verurteilen, bis du bekannt hast.«

Da seufzte der arme Kerl und sagte schließlich: »So will ich bekennen.«

Sogleich wurden die Daumenschrauben gelöst, und alles hörte mit Genugtuung das Bekenntnis. Darauf wurde das Urteil gesprochen, was jedermann freilich vorher schon wusste. Am anderen Morgen sollte der Räuber durch den Strang hingerichtet werden.

Nun führten sie ihn wieder in seine Zelle und fesselten ihn, damit er nicht etwa ausbrechen und anderes Unheil anrichten könne. Und anderen Tags sollte alles vorbei sein.

Aus Rübezahls Garten trippelte ein Gnom dem Tal zu, überschlug sich öfters, schnaufte und keuchte. Frau Aupa, die Quellnixe, sprudelte rasch an ihm vorüber. »Was gibt’s Neues, Wurzelmann? … Neues? … Neues?«

»Bist du eilig, Frau Aupa! Ich bin außer Atem, wenn ich dich sehe. Neues wüsste ich schon, Spaßiges! Ho ho!«

»Geschwind sag’s! Spaßiges höre ich am liebsten.«

»Meister Poltrian ist unter die Landstreicher gegangen, ist ein Straßenräuber geworden. Einträgliches Geschäft! Ho ho!«

»Was du sagst, Wurzelmann! Nicht zu glauben, nicht zu fassen! Prrr! Straßenraub! Schöne Sache. Und warum, Wurzelmann! Sag mir’s!«

»Es hat ihn einer bei seinem Schimpfnamen gerufen, ho ho! ›Rübezahl‹ hat er ihn geheißen. Dafür bringt er ihn in falschen Verdacht und lässt ihn morgen hängen.«

»Er ist lustig, der Alte! Hi hi! So triftig und giftig, so witzig und hitzig! Hab’ Dank, Wurzelmann, ich fahre zu Tal.«

Mir scheint, es will mich keiner loben, dachte Rübezahl, der das Zwiegespräch vernommen hatte. Dann ging er umher, war bald in Hirschberg, bald in der Umgegend, um zu hören, wie die Menschen urteilen. Sie wussten es alle, dass morgen ein Bösewicht abgetan werden sollte, ein fremder Handwerksbursche, der, nahe vor den Toren der Stadt, einen Handelsmann überfallen und beraubt habe. Und alle lobten das gerechte Urteil und die braven Richter.

Auch das gefiel dem Berggeist nicht, er hätte es lieber gesehen, dass sie über ihn losgezogen wären, aber es ahnte ja niemand, dass er seine Hand im Spiel habe. Als er nun, riesenhaft aufgerichtet, sein Reich übersah und darüber Betrachtungen anstellte, wie leichtgläubig und urteilslos doch das Menschenvolk sei, wie leicht zu blenden und zu einer verkehrten Meinung zu bringen, im Gegensatz zur Geisterwelt, die sich nicht täuschen lässt, da erblickte er tief unten unter einem Baum ein weinendes Menschenkind, ein junges Mädchen.

Was mag die drücken, dachte der Alte und stieg neugierig hinab, wie ein ehrbarer Bürgersmann anzusehen. So nahte er sich wie zufällig der Jungfrau und fragte sie in teilnehmendem Ton nach ihrem Leid, ob sie krank sei oder jemand sie geschmäht habe.

»Nichts von alledem«, antwortete sie, »ich habe nur so schweren Kummer wie keiner sonst in der Welt. Morgen hängen sie meinen Bräutigam, weil er sich auf unrechtmäßige Art bereichern wollte, und ich allein bin daran schuld.«

»Das sollte man dir nicht ansehen, Dirnlein. Erzähle mir doch, wie das gekommen ist.«

»Der Benedix ist mein Bräutigam und wollte mich freien. Da hab’ ich ihm gesagt, er möge erst so viel zusammenbringen, dass er eine Werkstatt einrichten könne und dass wir ein Stübchen und Kämmerchen hätten. Da ist er trotzig fortgegangen und hat gesagt, so wolle er sehen, dass er reich würde, gleichviel auf welche Art.«

»Und darauf hat er nun das schwere Verbrechen auf sich geladen und damit sein Leben verwirkt? Das ist nun nicht mehr ungeschehen zu machen. Und was hast du nun vor, Dirnlein?«

»Ich will nach Hirschberg gehen und die Richter anflehen, dass sie ihn nicht hängen, weil ich daran schuld bin.«

»Und wenn sie es nicht tun? Die Aussichten dafür sind wahrlich gering.«

»Dann will ich sie bitten, mich auch aufzuknüpfen, denn ich mag ohne meinen Benedix und mit solch beschwertem Gewissen nicht mehr leben.«

Rübezahl hatte seine Härte gegen den armen Burschen schon bereut und hielt ihn nach der Haft und peinlichen Untersuchung für hinreichend bestraft. Die Gesinnung des braven Mädchens erfreute ihn aber so sehr, dass er dem Spiel ein schnelles Ende bereiten wollte. Er tröstete das arme Kind daher mit den schönsten Worten, die er finden konnte, und schloss seine Rede mit einem Haupttrumpf, sodass die Braut des Landstreichers augenblicklich ihre Tränen trocknete und Hoffnung fasste.

»Ich bin nämlich einer von denen«, sagte er, »die über deinem Benedix zu Gericht saßen, und hätte ich das gestern gewusst, was ich heute erfahren habe, so wäre alles anders gekommen. Gräme dich nicht weiter, Dirnlein, es wird alles gut werden. Dein Bräutigam soll nicht sterben, dafür will ich sorgen. Geh nur ruhig heim! Der Benedix wird dir nachkommen und an dein Fenster klopfen, wenn es auch spät wird. Lebe wohl und sei guten Mutes!«

Damit verabschiedete er sich von dem Mädchen, das zweifelnd und doch hoffend wieder heimging. Nach einigen Schritten kehrte sie sich um, denn sie wollte dem freundlichen Ratsherrn noch Lebewohl und Dank zurufen, fand aber keine Spur mehr von ihm. Es war, als ob die Erde ihn verschluckt hätte. Da kam ihr eine Ahnung, wer der fremde Herr gewesen sein könne, und indem sie etwas von Rübezahl murmelte, ging sie mit frischer Kraft vertrauensvoll ihres Weges.

Der Berggeist war indessen schon in Hirschberg eingekehrt und suchte eine Gelegenheit, dem eingesperrten Benedix aus der Klemme zu helfen. Für seine Person kam er wohl leicht hinein in das Gefängnis und ebenso leicht wieder heraus, aber den schwerfälligen Menschenleib vermochte er natürlich nicht durch das Schlüsselloch zu ziehen. Auch wäre dem Verurteilten wenig gedient gewesen, wenn Rübezahl etwa die Tür des Kerkers aufgebrochen und den angeketteten Mann durch alle Wächter hindurch ins Freie geführt hätte. Der Schließer hätte seine Strafe erhalten, und der Flüchtling wäre dann doch irgendwo gefunden worden.

Rübezahl kam deshalb auf einen andern Einfall. Er nahm die Gestalt eines Seelsorgers an und begehrte Einlass in die Zelle des Verurteilten. Gern wurde ihm die Erlaubnis gewährt.

Der arme Bursche zitterte, als er den Geistlichen eintreten sah, denn er wusste nun ganz genau, dass er zum Tode vorbereitet werden sollte. Kaum vermochte er zu reden, und was dabei herauskam, war eine Bitte an den Pfarrer, er möge angesichts seiner völligen Unschuld ein gutes Wort bei dem Richterkollegium einlegen, damit es ihm nicht an den Hals gehe.

»So ganz unschuldig bist du nicht«, antwortete ihm Rübezahl, »du hast auf dem Gebirge lose Reden geführt, als du mit zwei anderen nach Hirschberg pilgertest. Aber die Strafe, die du dafür erlitten hast, soll genügen. Du kommst mit einem blauen Auge davon. Zügle künftig deine Zunge und höre auf das, was ich sage! Nimm zunächst dein Felleisen wieder! Ach so, du kannst dich nicht rühren! Dieser Schlüssel wird aber wohl passen. Auf ist es. Nun rüttle dich und steh auf! Das Felleisen binde dir vor den Leib! Ich habe dir ein wenig Zehrung hineingelegt für den Notfall. Nun ziehst du meinen Priesterrock an und setzt mein Barett auf. Du musst ein würdiges Wesen und einen feierlichen Gang annehmen, bloß hier im Stockhaus und nachher in der Stadt. Bist du erst draußen, dann kannst du springen und singen und tanzen, wie es dir in den Sinn kommt. Jetzt geh! Hübsch den Kopf nach unten gesenkt! … Langsam! … Du sollst dann von hier aus nach Liebenau zu deinem Mädchen gehen und, wenn es auch spät in der Nacht ist, dreimal an ihr Fenster klopfen. Grüße sie von mir!«

»Von wem?«, fragte Benedix.

»Von dem, der ihr heute begegnet ist. Nun voran, Bursche! Die Tür ist noch offen. Gehe mutig an dem Büttel vorüber! Ich werde an deiner Stelle mit den Richtern reden.«

Benedix ging wie im Traum, nahm sich aber zusammen und schritt recht würdig hinaus. Gleich darauf schloss der Wächter die Tür des Kerkers, ein sicherer Beweis, dass er keinen Argwohn geschöpft hatte.

Am frühen Morgen erschienen die Ratmannen von Hirschberg samt Henker und Henkersknechten, zogen Rübezahl zu dessen unendlichem Vergnügen aus dem Loch, luden ihn auf den Armesünderkarren und führten ihn zu dem Rabenstein, während ein Glöcklein kläglich läutete.

Meister Peter, der Freimann, tat nun zwar sein möglichstes, um den vermeintlichen Bösewicht vom Leben zum Tode zu bringen, der aber machte am Seil so schreckliche Kapriolen, verdrehte die Augen, streckte die Zunge heraus und trieb es so arg, dass allen angst und bange wurde und schließlich alles davonlief. Als einige Beherzte wiederkamen, fanden sie statt eines Gehenkten nur ein mit Lumpen behängtes Bündel Stroh am Galgen. Da sahen alle ein, dass das nicht mit rechten Dingen zugehe, und mancher raunte wohl dem anderen zu, dass Rübezahl seine Hand mit im Spiel haben müsse.

Mit Schmerzen wartete indes in Liebenau die Braut des armen Schneiders auf ihren Benedix. Sollte der freundliche Herr, der ihr begegnet war, wirklich die Wahrheit geredet haben? Und wenn der Gefangene nun auch wirklich zurückkehrte, war es dann nicht traurig, dass er sein Leben lang ein Verbrecher blieb, der nach landesüblichem Recht die Todesstrafe wohl verdient hätte? So wartete sie Stunde für Stunde. Die Nacht war da, und der schreckliche Augenblick rückte immer näher, der ein junges Leben vernichten sollte. Da – klopfte es dreimal an ihre Tür. Sie öffnete voller Freude und erblickte ihren Schneider im Priestergewand.

»Ich bin kein Räuber und Landstreicher, liebe Braut«, sagte er, »in Hirschberg ist einer, der das bezeugen wird. Von dem soll ich dich auch grüßen. Er sagte, er hätte schon mit dir gesprochen.«

Nun war die Freude der jungen Leute groß. Benedix musste alles haarklein erzählen, und der seltsame Ratsherr und Pastor wurde viel besprochen. Da fiel dem Burschen ein, dass der Rätselhafte gesagt habe, er wolle ihm etwas zur Zehrung in sein Felleisen stecken, und prüfte neugierig daraufhin sein Bündel. Da fand er unter seiner Wäsche eine gefüllte Geldkatze. Sie war nicht so groß wie diejenige des Händlers, enthielt aber so viele schöne neue Münzen, dass sich davon eine Werkstatt kaufen ließ, auch für die Ausstaffierung eines Stübchens und Kämmerchens war genug da und noch etwas mehr.

Die beiden jungen Leute konnten also heiraten und in der Stadt ein Geschäft anfangen. Benedix ist dort ein tüchtiger Meister geworden, der seinen Unterhalt reichlich verdiente. Es hat ihm aber auch nicht an Achtung unter seinen Mitbürgern gefehlt, weil er durch Rübezahls Maßregelung gelernt hatte, seine Zunge im Zaum zu halten.