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Sagen- und Märchengestalten – Die Zwerge

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die Zwerge

Wenn der Elfen ätherischer Leib aus kühlem Wellenschoß erstand oder vom dicht belaubten Gezweig der Waldbäume sich löste wie zauberisch holde Blütenpracht, dann breiteten sie ihre schimmernden Flügel, Engelsfittichen gleich, mächtig aus und schwangen sich empor zum Sonnenstrahl. In des Hauses stillen Gemächern, am dunklen Herd, wo die Flamme rötlich glüht, saß Niss Puck, der Dunkelelf, mit dem seltsamen Mützchen und den feuerfarbenen Strümpfen, voll emsiger Tätigkeit und überirdischer Kraft in das Getriebe menschlichen Sorgens und Schaffens eingreifend. Halb in die Schatten sich bergend, halb noch dem Sonnenglanz zugekehrt, vermittelten die Hausgeister den Übergang von Feen, Elfen und Schwanjungfrauen zu den Unterirdischem den Schwarzelfen, deren Wundergebiet die Erde in ihrem finsteren Schoß hegt. In ihrem Reich strahlt ein anderes Licht als jenes, welches die Welt erleuchtet. Die Sonne meidend, deren sengender Strahl ihren Schattenleib in Atome auflöst, regen sie sich unter dem Hügel, wenn dem lichten Tag die milde Dämmerung folgt, und tauchen empor auf die Oberwelt.

Allnächtlich stieg der König der Zwerge aus seinem Palast heraus, um eine irdische Jungfrau liebend zu umfangen. Einst hatte er zu lange verweilt, und der warme Strahl der aufsteigenden Sonne glühte schon auf den Spitzen der Berge, als er noch die Fluren durcheilte, um in sein unterirdisches Reich zu gelangen. »So muss ich denn sterben«, rief er klagend aus, warf sich zu Boden und verbarg das Antlitz im blühenden Heidekraut. Sein Knappe, rasch entschlossen, deckte den Körper des geliebten Herrn mit dem Mantel zu und wendete sich zurück, ihm Rettung zu bringen, sollte es auch das eigene Leben kosten. Indessen stieg die Sonne höher und höher, die Flur begann sich zu beleben, und eine Herde zog vorüber. Die Tiere scheuten vor dem goldverbrämten Scharlachkleid, und der Hirte, welcher neugierig hinzutritt, beschaute es verwundert und lüpfte es mit keckem Finger auf. Da sah er nichts als reichlichen Tau auf den kleinen rosenfarbenen Blüten. Das war alles, was der unbarmherzige Strahl des Tages von dem armen Zwergenkönig übrig gelassen hatte.

Die Zeit, in welcher die Zwerge Macht über die Menschen haben, beginnt um Mitternacht und währt bis zur ersten Stunde des neuen Tages. Sie rechnen deshalb den neuen Tag von zwölf Uhr ab und nennen Sonnenaufgang die Zeit, welche der Morgendämmerung vorangeht.

Ein Bauer hatte sein Feld bestellt und Erbsen darauf gesät. Die Frucht ging, von dem Licht erwärmt und von des Himmels Tau gefeuchtet, prächtig auf, und die schwellenden Schoten an den grünen Ranken versprachen ihm die beste Ernte. Als er aber zum ersten Mal die zarten Körner pflücken wollte, war ihm ein schlauer Dieb zuvorgekommen. So geschah es im ersten Jahr und im zweiten wieder. Im dritten Sommer riet ihm ein alter, kluger Schäfer, das ganze Feld in der Höhe einer Elle mit dichten Fäden kreuz und quer zu überspannen und dann vor Sonnenaufgang achtzugeben. Der Dieb werde sich dann wohl verraten. Als dies geschehen war, ging der Mann in der Morgendämmerung an seinem Acker auf und nieder, vernahm auch bald ein seltsames Rauschen und Flüstern auf demselben, konnte aber sonst nichts entdecken. Da stießen einige der Zwerge, welche ihn beraubten, unversehens mit ihren Nebelkappen an die Schnüre, verloren die Mützchen, welche ihnen Unsichtbarkeit verliehen, und wurden von dem Bauer entdeckt, der sie augenblicklich festhielt und Anstalten machte, seinen Zorn an den Dieben auszulassen. Die erschrockenen Zwerge baten ihn flehentlich um Verzeihung, boten auch reiche Buße, ein ganzes Fuder Geld, nur müsse er am nächsten Morgen »vor Sonnenaufgang« an ihre Höhle kommen, um es dort zu holen. Dessen war der Bauer zufrieden. Er ließ die Zwerge frei, die im Nu verschwanden. Als er nach Hause zurückgekehrt war und den geschlossenen Handel froh erzählte, blickte der alte Schäfer ihn spöttisch an und fragte, um welche Zeit er denn zu fahren denke?

»Nun, etwa um drei Uhr«, sagte der Mann.

»Da würden sie Euch gut auslachen und Ihr könntet mit langer Nase abziehen«, entgegnete der andere, »genau um Mitternacht müsst Ihr vor dem Zwergenhügel sein.« Nun machte sich der Bauer bei Zeiten auf, und als er vor die Höhle kam, hörte er drinnen eine Menge zarter Stimmchen jauchzen und singen: »Das ist gut, dass der Bauer das nicht versteht, dass die Sonne um zwölf aufgeht!«

Da rief er mit lauter Stimme hinein, dass er da sei, und die Unterirdischen mussten ihm öffnen. Statt des versprochenen Geldes wiesen sie ihm aber ein totes Pferd und beteuerten in einem fort: »Weiter können wir dir nichts geben, wir haben weiter nichts.« Ärgerlich über den Betrug, den er nicht sogleich zu ahnden wagte, schnitt der Bauer ein derbes Stück für seine Hunde ab, lud es auf den Wagen und fuhr davon. Als er zu Hause anlangte, hatte sich das Fleisch in lauteres Gold verwandelt, und unverzüglich kehrte er um, den kostbaren Rest zu holen, der jetzt samt der Höhle verschwunden war.

Die Zwerge sind kleine, behände Männlein, alt und verschrumpelt von Angesicht. Selten nur redet die Sage von Jugend und Schönheit unter den Schwarzelfen. Sie tragen graue, schwarze oder scharlachfarbene Mäntelchen, rote Strümpfe und schwarze Jacken, denn ihnen gebührt vor allen Geistern die Farbe des Feuers und der Nacht. Wo die Mythe sie anders ausstattet, fand sicherlich eine Verwechselung mit den Lichtelben, mit Nixen oder Waldleuten statt. Sie sind so klein, dass ein Zwerg unter dem Blatt des Farnkrautes Schutz findet, ja dass ihrer neun in einem Backofen zu dreschen vermögen. Die Kinder der Zwerge sind nicht größer als handhoch. Ihrer winzigen Gestalt halber nennt das Volk sie die kleinen Leute oder die Gütchen, d. h. die Guten. Einst sahen Leute die Zwerge in der Abenddämmerung auf einem Hügel sitzen und ihr Pfeifchen schmauchen, der eine hielt die Pfeife, der andere zündete an, der dritte rauchte. Dabei lachten sie vergnügt wie Kobolde. Der Zwerg Eckerchen (Eichhörnchen) lief auf der Landstraße umher und neckte die Vorüberziehenden auf alle Weise, während man nichts von ihm erblickte als eine menschlich gebildete Hand. Der Stiefelgeist auf Schloss Calenberg zeigte sich als ein winziges Ding mit einem Kinderstiefel, der ihm bis über den Leib reichte.

Da die Zwergennatur nach der ursprünglichen Vorstellung alles naiv bewegliche, gefällige, uneigennützige, neben dem spezifisch unscheinbaren und kleinen das überraschend große, in die Augen fallende vereinigt, so ist die Vorliebe begreiflich, womit sie der Volkswitz erfasste, in Dichtung und Sage ausbildete, indem er die Kleinen als hilfreiche, gutmütige, dem Menschen geneigte, seinem Wink, seinem unausgesprochenen Bedürfnis bereite Geister darstellte. Eigentlich schlimm unter ihnen sind nur jene, welche in Gruben hausen und die unterirdischen Schätze bewachen. Allen sind zwei charakteristische Momente gemein: die Elbenfüße, welche sie sorgsam verhüllen, und das Mützchen, die berühmte Tarnkappe der Überlieferung. Von den Erdmännlein auf der Ramsflur erzählt die Sage manch hübschen Zug. Das waren kleine, wunderlich gestaltete Geister, die mancher gesehen hatte, von denen aber niemand zu sagen wusste, wie sie eigentlich ausschauten, woher sie kamen, wie sie lebten. Denn aus ihrer Höhle stieg kein Rauch empor. Sie pflückten nur wilde Beeren und gruben Wurzeln. Im Sommer zogen sie zum Bächlein herab, wo die kaum schuhhohen Zwerge gemächlich baden konnten. Einer von ihnen stand jederzeit Wache, und nahten Menschen, so rief er es den Gesellen zu. Dann entschlüpften sie dem Wasser und liefen den Berg hinauf zu ihrer Höhle, so schnell, als wären sie in den Erdboden verschwunden. Trotz ihrer scheinbaren Schwäche und Hilfsbedürftigkeit vermochten sie doch viel mehr als die stärksten Männer. Als der Hartbauer seinen Wagen zu schwer mit Reisigholz beladen hatte, kam ein Erdmännlein ihm zum Beistand vom Berg herab, half ihm die Last in Ordnung bringen und machte den Bindbaum fest. Dabei legte es das Seil nicht ordentlich an, und als der Bauer zog, schnellte der Baum empor und dem Erdmännlein an die Hand.

»O weh«, rief da der Hartbauer ganz erschrocken, »o weh! Möchte es wenigstens mir begegnet sein!«

Der Kleine aber lachte: »Selbst getan, selbst habe«, sprang vom Wagen herab und legte ein zerquetschtes Kraut, das er schnell zerdrückte, auf die verwundete Stelle, die im Augenblick verheilte. Danach half das Erdmännlein unverdrossen weiter, bis der Baum gerichtet und das Fuhrwerk wieder im Schick war.

Den Mähern, die sich von Sonnenaufgang bis zum späten Abend geplagt hatten, um Korn oder Heu zu schneiden, halfen die Männlein gern. Ungerufen kamen sie herbei und arbeiteten die Nacht hindurch. Wenn die Leute am Morgen wiederkehrten, sahen sie mit freudigem Staunen alles sauber gebreitet, gewendet und in Haufen gestellt. Drohte Regen oder Hagel, so heimsten die Kleinen ein, was draußen war, und schafften dadurch großen Segen. Hoch über dem Tal lag ein vereinzeltes Gehöft, mit dessen Bewohnern die Zwerge gute Nachbarschaft pflogen. Im tiefen Winter kamen sie an jedem Abend leise herbeigetrippelt, stiegen auf den großen, wohlerwärmten Kachelofen, und schliefen dort, bis der Tag zu grauen begann. Die neugierigen Buben und Mädchen des Dorfes lauerten den Erdmännlein aber einmal auf und sahen mit großer Verwunderung, dass sie scharlachfarbene Mäntel trugen, die bis auf den Boden hinabreichten. Da streuten sie in der nächsten Nacht fein gesiebte Asche über den ganzen Weg und fanden am Morgen darauf lauter Gänse- und Ziegenfüße darin abgedrückt. Von Stund an waren die guten Erdleute verschwunden und zogen sich weiter hinauf zur Geisflur, wo keine bösen Menschen wohnen. Daher kommt es, dass die Zwerge bald leise am Boden dahinscharten, bald trappeln, als ziehe eine Herde Schafe vorüber.

Dem kleinen Leib und den verschrumpelten Gliedern mangelt jene gewaltige Kraft, welche den Geistern eigen ist. Nur die Tarnkappe verleiht dem Zwerg, wenn sie sein Haupt bedeckt, übermenschliche Stärke und macht ihn unsichtbar. An die Stelle des Käppleins setzt die Mythe zuweilen den Mantel, die Tarnhaut, in deren Falten der Zwerg sich birgt. Doch trugen eigentlich nur die Fürsten unter ihnen den Scharlachmantel. Gewöhnlich schildert man die Zwerge als hässlich und ungestaltet, mit einem Höcker auf dem Rücken und einem langen, grauen Bart, der weit über die Brust hinabreicht. Im dritten Jahr ihres Lebens sind sie ausgewachsen, im siebten schon Greise. Schwarz und rußig haust das Zwergvolk in Höhlen und Bergen, in denen wunderbares Licht die funkelnden Wände bestrahlt. Dort häufen sie gediegene Erzstufen, edle Steine und seltsamen Schmuck, dort glühen die unterirdischen Feuer, in denen das allerkunstreichste Gerät geschmiedet wird.

Schon in den Sagen der Griechen und Römer wurden berühmte Helden mit Schwert, Lanze oder Schild geschmückt, die aus den Händen des Schmiedegottes (Hephaisios, Vulcanus) selbst hervorgegangen waren. An seine Stelle traten in der deutschen Mythe die Zwerge. Sie schufen die mächtigen Waffen, den künstlerisch gehämmerten Panzer, der den Leib auserwählter Recken gar trefflich gegen Hieb und Stoß sicherte. Auch erschienen sie selbst im Kampf, wie der Zwergkönig Laurin in Tal, des kleinen Rosengartens strenger Hüter, der die schöne Steierin entführt und von Dietrich von Bern besiegt wird. Sie wussten nicht nur in Stahl und Eisen, sondern auch in Gold und Silber herrliche Dinge zu schaffen, Ringe und Ketten, Becher und seltene Trinkhörner, denen an Form und Verzierung, wie an zauberischer Kraft nichts auf Erden zu vergleichen war. Wenn tief unten im Schacht die Bergleute ein unerklärliches Hämmern und Pochen vernahmen, so sagten sie: »Die Erdschmiedlein arbeiten.« Das sind die kleinen Grubenzwerge, die im Bergmannskittel, mit Hammer, Schlägel und dem silberhellen Grubenlicht durch die Gänge schlüpfen. Ihr emsiges Schaffen und Poltern bedeutet dem Kundigen ein Unglück im Schacht, wenn auch gerade da, wo die Berggeister sich zeigen, die reichsten Adern köstlichen Metalles zu finden sind.

Alle Überlieferungen, mögen sie nun von der Huld des kleinen Bergmännleins oder von seiner Tücke berichten, sind nur neue Belege für den alten Satz, dass veränderlicher, undankbarer Menschensinn das ursprünglich Gute in Böses verkehrte. Anfangs brachte die Erscheinung der Grubengeister den armen Leuten vielen Segen. Doch der übermäßige Wohlstand machte sie hochmütig und verblendete sie zu hässlichem Undank. Sie schmähten die Spender ihres Reichtums und trieben schnöden Unfug mit der Gabe.

Da offenbarte der zürnende Geist seine wahre Gestalt, drehte mit Riesenkraft den Verächtern seiner Milde das Antlitz in den Nacken und verschüttete in seinem Grimm den Zugang in das unterirdische Reich, sodass jetzt dort, wo sonst die Schächte Gold- und Silberstufen hervorbrachten, die saure Arbeit kaum mehr das kärgliche Brot gewährte. Nur hin und wieder waltet der Zwerg noch in alter Liebe und Treue, dem wackeren Steiger hold, dem er allerlei Gutes beschert. Wen aber das beständige Rumoren verdrießt, mit dem der Geist allerlei unnütze und vergebliche Arbeit tut, schlechte Brocken einlädt und dann wieder den Karren selber leert, der hüte sich, ihn zu stören, denn er nimmt es gewaltig übel. Alte erfahrene Männer tun, als sähen sie den Gehilfen nicht. Das freut ihn, und er lässt sie ergiebige Plätze finden.

Einem armen Schmied, der im Wald mühselig seine Holzkohlen brennen musste, stieß ein altes Männlein auf, sah ihm mit Verwunderung zu und sprach endlich: »Folge mir, ich will dir andere Kohlen zeigen, die von unterirdischen Feuern geglüht worden sind.« Nun führte es ihn an einen Platz in den Bergen und hieß ihn da einhauen. Das tat der Mann und förderte die ersten Steinkohlen zutage, die ihm einen großen Reichtum brachten.

Von der schwarzen oder grauen Kutte, die es trägt, heißt das Bergschmiedlein auch Mönch. So zeigte es sich einmal zu Annaberg in der Grube Rosenkranz und hauchte mit seinem grimmigen Atem zwölf Bergleute an, dass sie auf der Stelle Todes verblichen. Ein anderes Mal spielte es in Rossgestalt durch den untersten Schacht und streckte dem Steiger seinen langen Hals entgegen, ihn mit den rädergroßen Feueraugen anglotzend. Ein Bergmönch im Harz durchwanderte oft die Grubengänge mit einem hell strahlenden Licht. Dort war ein böser Steiger, der die Leute drückte und plagte. Ihm lauerte der Geist, als er zutage fahren wollte, auf und zerquetschte ihm den Kopf, der so viele schlimme Händel ausgedacht hatte.

Zwei Bergleuten, die immer miteinander ein- und ausstiegen, erwies sich der Mönch gegen seine Gewohnheit freundlich. Nach einer Anfahrt sahen sie zu ihrem Schrecken, dass sie nicht genug Öl mit sich genommen hatten. Ihr Tagewerk zu vollbringen und dann ohne Leuchte aufzufahren, wagten sie nicht, weil die Grube gefährlich war. Und jetzt zurückzukehren und genügend Vorrat zu holen, scheuten sie sich des strengen Steigers wegen, der ohnehin schon ihren geringen Lohn, wo er irgend konnte, schmälerte. Da kam ein Lichtlein in der Strecke daher, an deren Einfahrt sie standen. Doch anstatt des Kameraden, den sie erwarteten und von welchem sie einen Ölrest für ihre Lämpchen entlehnen zu können hofften, wanderte ihnen ein riesiger Mönch mit einem flammenden Grubenlicht entgegen. Indem er der zitternden Bergleute ansichtig wurde, sprach er mit einer Stimme, von der das Gewölbe erdröhnte: »Fürchtet euch nicht, ich werde euch kein Leid antun, sondern Gutes erweisen!« Er nahm ihnen die Leuchte ab und goss von seiner eigenen Lampe Öl darauf. Dann ergriff er Hammer und Schlägel, schaffte in einer Stunde mehr, als sie die ganze Woche hindurch mit allem Fleiß hätten leisten können. Als dies geschehen war, rief er ihnen zu, dass sie keinem Menschen anvertrauen sollten, was ihnen begegnet sei, und schlug mit der Faust an die Wand. Der Fels tat sich auf und zeigte einen langen Gang, in welchem die herrlichsten Gold- und Silberstufen sich reihten. Das blitzte und flimmerte, dass es die armen Leute blendete und sie sich abwenden mussten. Doch schon hatte der Stein sich wieder geschlossen, und nun erst fiel ihnen ein, dass sie den Schatz ohne Mühe hätten erringen können, wenn sie irgendeinen Teil ihres Anzuges oder des Handwerkszeugs hineingeworfen und somit den Zugang zu jener reichen Strecke sich offen erhalten hätten. In genüglicher Bescheidenheit freuten sie sich aber dennoch der unverhofften Spende, fuhren in ihrer Arbeit fröhlich fort und dankten Gott und dem guten Berggeist für das klare, schöne Öl, das ihre Lampen füllte. Dieses Öl nahm nimmer ab. Jahre vergingen, da tranken die beiden eines sonnabends im Wirtshaus einen Schoppen über den Durst, fingen an zu schwatzen und erzählten ihren aufhorchenden Genossen die Wundergeschichte. Am Montag früh, als sie wieder einfahren wollten, war kein Öl mehr auf ihren Lampen, und von da ab mussten sie wie die anderen jedes Mal frisch aufgießen.

Die Bergmannsagen erwuchsen aus dem Schoß der Erde, sich selber dichtend und mit dem reichsten Glanz der Wunder geschmückt. In der finsteren Niederfahrt, im dämmernden Schacht, in der Abgeschiedenheit von allem, was auf der Oberwelt lebt und webt, liegt eine so gewaltige Poesie, eine so zwingende Macht des Außerordentlichen, dass es fast befremdend wäre, dort unten keine Blüten der Sage sprießen und treiben zu sehen. Wenn die schlagenden Wetter, im Schacht entzündet, ihre Opfer forderten, erblickte man darin den Berggeist, wie er mit zornigem Hauch seiner Lippen die Menschen tötete, durch einen Druck seiner Hand das Werk manches sauren Arbeitsjahres vernichtend. Der leuchtende Dunst, der, tief unten am Ende der Strecke hin und her schwankend, bald näher drang, bald zurückwich, war des Bergmönchs flackerndes Grubenlicht, dessen Dämmerschein an den wunderlichen Formen zerklüfteter Felsen die seltsamsten Gebilde schuf. Einsame Stille und Dunkelheit aber waren zu allen Zeiten der nie versiegende Quell, aus welchem eine geschäftige Fantasie ihre Eingebungen schöpfte.

Wer von Berg zu Berg die rufende Stimme sendet, dem bringt der Widerhall die Antwort der Zwerge zurück. Denn unter den bewaldeten Höhen, unter dem harten Stein wie unter des Hauses Diele trieben die Unterirdischen ihr geheimnisvolles Wesen. Aus Spalten und Ritzen blicken die Zwerge hervor. Unter den Wurzeln der Bäume schlüpfen sie zum Licht, steigen an jäher Felsenwand empor und verschwinden spurlos, wie sie gekommen waren. Ihnen öffnet sich der harte Granit, wie der Schoß der Hügel sie aufnimmt. Deshalb nennt das Volk die Unterirdischen, Bergmännlein, Erdleute, auch Wichte. Die Wichtlein sind auch Bergleute, fahren mit dem Schurzleder und der weißen Hauptkappe in die tiefsten Schächte hinab und arbeiten dort am Gestein. Sie durchbrechen die Gänge, rufen einander zu, schaffen das Gegrabene in die Eimer und winden es empor. Aber ihr eifriges Tun ist eitel Blendwerk, sie fördern damit nicht für ein Hellerlein Erz zutage.

In den Gruben zu Idria in Krain stellen die ordentlichen Bergleute ihren kleinen Genossen ein wenig Speise abseits, welche diese mit gutem Appetit verzehren. Zu gewissen Zeiten bescheren sie ihnen auch ein rotes Röckchen, wie es etwa einem vierjährigen Knaben passend sein mag. Bei Quedlinburg im Harz und anderswo gibt es Zwergenlöcher, zu denen sonst die Leute gingen, um sich von den Kleinen schön gearbeitetes Zinn und Kupfer zu leihen, wenn sie dessen bei Festen bedurften. Dafür mussten sie ihnen von dem Festessen einen Anteil gönnen, auf den die Unterirdischen gar strenge hielten. Nicht selten entlehnten diese zu ihren Festen aber auch Geschirr von den Menschen oder baten um Lebensmittel. In dem, was sie wiedererstatteten, lag stets ein wunderbarer Segen, denn aus dem kleinsten Rest der Speise ersetzte sich über Nacht das Ganze wieder. Als ein Bauer zur Mittagsstunde eben den Pflug umkehrte, hörte er aus der Erde viele feine Stimmchen rufen: »Back’ mir ‘nen Flauch!«

»Mir auch!«

»Mir auch!«

Da rief er im Scherz dazwischen: »Mir auch ‘nen Flauch!«

Als er nach einer Stunde wieder zu seinem Pflug kam, lag darauf ein herrlich duftendes Brot, das nimmer zu Ende ging, wie viel auch davon abgeschnitten wurde. Die Familie bewahrte das kostbare Geschenk Jahre lang, bis eine Plaudertasche das Geheimnis ausbrachte und den Zauber verdarb.

In das Reich der kleinen Leute steigt man durch eine Höhlung des Berges. Man muss drei Türen hinter sich lassen, eine aus Moos, die zweite aus Holz, die dritte aus strahlendem Erz.

Von der Letzteren führt eine Treppe tief hinab in den weiten Palast des Herrschers, wo Zimmer an Zimmer sich reiht, von dem lichten Glanz der edlen Steine erhellt. Doch lässt die Sage einzelne Zwergenfamilien auch in Scheunen und Ställen, Häusern und Kirchen wohnen. Gern erbaten sie zu ihren Hochzeitsfesten die Prunkzimmer in Schlössern und Burgen, als würde durch den Gebrauch der Menschenwohnung und alles dessen, was Menschenhände berührten, der neue Bund mehr gefestigt.

In der Eilenburg wohnte der alte Graf mit seinem Weib nur noch allein im Haus, denn die Kinder waren von ihnen in die weite Welt gezogen, hatten sich vermählt und die greisen Eltern zurückgelassen. In einer Nacht konnte der Graf in seinem Himmelbett nicht Ruhe finden, der Schlaf floh seine Augen und er hing seinen Gedanken nach. Da war es ihm, als dringe heller Lichterglanz durch Schlüsselloch und Fensterspalten zu ihm herein. Er erhob sich im Bett und erblickte die seltsamste Prozession, die seine Augen je erblickt hatten. Voraus zog eine Schar winziger Herolde in roten, mit Gold verbrämten Samtröckchen, die auf silbernen Hörnlein liebliche Melodien bliesen. Dann folgte der Fürst der Zwerge mit seiner schönen Braut, goldene Kronen auf den Häuptern. Ihnen nach zog eine endlose Schar von Zwergen, je ein kleines Männlein mit seinem Frauchen. Als sie bis in die Mitte des Saals gekommen waren, hielt der Zug, ein Herold trat auf den Wink des Fürsten aus der Menge hervor, näherte sich dem Bett des Grafen und sprach, nachdem er sich geziemt verneigte.

»Ritter von der Eilenburg, unser König und Herr entbietet dir seinen Gruß und sucht um Erlaubnis, sein Hochzeitsfest in diesem Saal zu feiern. Gleicherweise bittet er dich, weil du erwacht bist und ohne dein Verschulden unseren Zug gesehen hast, an Tanz und Mahl freundlich teilzunehmen. Willfahrest du seiner Bitte und vermag keiner deines Hausgesindes uns zu belauschen, so wird es dir und deinem Geschlecht großen Segen bringen.«

Da lächelte freundlich der alte Graf und stieg aus dem Bett, nahm eines der kleinen Weiblein, welches ihm zugeführt wurde, bei der Hand und tanzte lustig mit dem Zwergenvolk herum. Nun schlief aber die Frau von der Eilenburg im Obergeschoss, gerade über jenem Saal, den ihr Gatte für sich erwählt hatte. Ihr schien es, als vernehme sie ein wunderbares Singen und Klingen unter sich, stand deshalb auf und schaute durch eine Öffnung, die sich in dem Fußboden ihres Gemaches befand, hinunter, mitten hinein in das Hochzeitsfest. Die Zwerge, welche ihrer alsbald gewahr wurden, löschten rasch ihre Lichtlein, die Trompeter schwiegen plötzlich, und zu dem alten Herrn, der außer Atem gekommen war und auf einem Lehnsessel ein wenig der Ruhe pflegte, trat derselbe Herold, der ihn geladen hatte, und sprach: »Edler Herr, Dank für deine Gastfreundschaft! Dieweil es aber unmöglich scheint, dass ein Mensch der vorwitzigen Neugier entsagen möge, ist unser Fest und unsere Freude gestört und verdorben worden, und deshalb sollen von nun an in deinem Geschlecht nie mehr als sieben Eilenburger sein.«

Ehe der Graf sich besinnen konnte, waren die kleinen Leute verschwunden und er fand sich allein im finsteren Saal.

Die Verwünschung erfüllte sich bis auf den heutigen Tag, denn ehe der siebte Eilenburg geboren wird, stirbt immer einer der sechs lebenden.

Unter den Elben sind es nach den Sagen aller Völker nur die Zwerge, welche im geordneten Haushalt leben und Familien bilden. Wohl hat der Nix auch Weib und Kind, aber er bedeutet unter den Geistern das, was der böse Ritter Blaubart unter den Menschen ist, und es macht eben keinen erbaulichen Eindruck, wenn er mit den spitzen, grünen Zähnen die seinen mordgierig anfällt. Doch gleich ihm erbittet der Zwerg die Hilfe der Menschen, wenn das kleine Weiblein den Beistand der Frauen nötig hat.

Wie aus dem Erdboden trat in stiller Nachtstunde einst ein winzig Frauchen an das Bett der neuvermählten Gräfin von Rantzau. Die seidenen Vorhänge rauschten auseinander und mit silberklarer Stimme redete die Elfe also zu der Erwachten: »Fürchte dich nicht, ich bringe dir Glück! Unsere Königin bedarf deiner, denn sie liegt in Schmerzen und großer Not. Wenn du mir folgen willst, wohin ich dich führe, und du nur deine rechte Hand ihr auf das Haupt liegst, mag sie leicht genesen, dir aber wird es reichen Segen bringen. Nur hüte dich, irgendetwas von dem anzunehmen, was dir geboten wird, damit du nicht der Macht der Geister verfällst.«

Da erhob sich die Gräfin leise von der Seite ihres schlummernden Gemahls, das Frauchen leuchtete ihr voran mit einer Laterne und sie gelangten aus dem Schloss in einen langen, finsteren Gang, der abwärts führte. Endlich betraten sie ein Gemach, das kostbar mit farbigem Gestein und edlen Metallen geziert war, und in welchem eine Menge kleiner Frauen und Männlein sich bunt durcheinander drängte. Aus ihrer Mitte trat der König hervor, begrüßte höflich die fremde Dame und geleitete sie an die Lagerstätte der Königin. Da legte die Gräfin ihre Hand auf das Haupt der Kreisenden und bald genas diese eines Söhnleins, das von dem kleinen Volk mit unendlichem Jubel begrüßt wurde. Sie führten hierauf die Gräfin zu einer Tafel voll herrlich duftender Speisen in goldenem und silbernem Geschirr und luden sie ein, an ihrem Mahl teilzunehmen. Als sie nichts davon berührte, winkte der König, und zwei wunderfeine Edelknaben trugen eine goldene Schale mit blitzenden Edelsteinen gefüllt herbei.

Allein die Gräfin blieb standhaft und die Elfe, welche sie in den Berg geführt hatte, geleitete sie darauf wieder zurück. Scheidend sprach sie: »Weil du unserem Reich einen so großen Dienst erwiesen hast, nimm diese drei hölzernen Stäbe und lege sie schweigend unter dein Hauptkissen. Das ist der Dank, die Belohnung, welche dir Glück bringen soll. Mich siehst du wohl noch wieder.«

Am folgenden Morgen berichtete die Gräfin das seltsame Abenteuer ihrem Gemahl, der dazu lachte und es einen wunderlichen Traum nannte. Da fasste sie unter das Kissen und zog die Stäbe hervor, welche sich unterdessen in lauter Gold verwandelt hatten. In der nächsten Nacht erschien die Bergfrau zum zweiten und letzten Mal.

»Lass aus den Stäben dreierlei machen, denn drei Kinder werden dir erblühen«, sprach sie, »eine Spindel, einen Becher und ein Schwert. Wer die Spindel empfängt, soll mit zahlreicher Nachkommenschaft gesegnet sein. Wer den Becher bewahrt, wird hoch steigen in der Gunst der Fürsten, das Schwert deutet auf Glück im Krieg, doch wenn einmal sein Glanz erbleicht, so kündet das geschehenen Mord, und wenn es ganz verschwindet, Brudermord an. Du darfst dies aber niemandem vertrauen, außer deinem Gemahl.«

Die Prophezeiung erfüllte sich. Als ein Graf Rantzau ermordet wurde, erblich die helle Klinge und wurde schwarz, und da ein Bruder den anderen erstach, ohne ihn zu kennen, kam die Wundergabe abhanden. Nach einer anderen Mitteilung wurde die Frau von Rantzau durch einen Zwerg abgeholt, der ihr zum Lohn drei Stücke Gold verehrte, aus denen sie einen Hering, fünfzig Rechenpfennige und eine Spindel machen lassen sollte. Der König von Dänemark, dem diese Sage bekannt wurde, forderte einem Herrn von Rantzau den goldenen Pfennig ab, den dieser von seinen Vorfahren bekommen hatte. In dem Augenblick, wo der Junker das Erbstück überreichte, erzählen die Nachkommen desselben, empfand er ein überaus heftiges Reißen in seinen Eingeweiden.

Manche der ältesten Adelsgeschlechter weisen noch einzelne Stücke der Zwergengaben auf, so die Grafen von Hoya einen altertümlichen Ring. Einst hielten die Männlein fröhlich Gelage in der Burg zu Hoya, und weil Saal und Küche ihnen willig ausgeliehen worden und kein allzu kühnes Auge ihr Fest belauscht hatte, dankten sie dem Grafen die erwiesene Gastfreundschaft durch ein Schwert, ein Salamanderlaken und jenen Ring. Zuweilen baten die Unterirdischen ein armes Liebespaar um die Patenschaft bei dessen neugeborenen Kindern, mit unscheinbarer Gabe lohnend, die sich immer in Gold verwandelte. Zwergfrauen zeigten sich in Krötengestalt auf dem Feld und bescherten denen Glück, die sie gegen Misshandlung und Tötung schützten. Zu Hochzeit und Kindtaufe stellten die Zwerge sich gern ein, auch als ungeladene Gäste. So kamen sie einst in großer Menge, ihre Tarnkappen auf dem Haupt, zu einem Hochzeitsschmaus und setzten sich unsichtbar mit an den gedeckten Tisch. Sie speisten so wacker, dass die Gerichte im Augenblick verschwanden, wie reichlich die Brautmutter auch auftragen mochte. Hungrig standen die Gäste auf und schalten in ihrem Innern über die karge Bewirtung. Da zogen die Zwerglein ihre Kappen ab, dankten gar artig für Speise und Trank, und als sie einer nach dem anderen hinausgingen, warf jeder von ihnen ein Goldstück in den großen Geschirrkorb, der leer neben der Tür stand, bis das Gefäß zum Rand gefüllt war.

Ein Bauer wünschte sich ein Kind, am liebsten einen Sohn, ging zu einem Zwergenloch und trug seine Bitte vor.

Aus der Öffnung schaute ein Männlein, nickte ihm freundlich zu und sprach: »Wenn du mich zu Gevatter bitten willst, wird dein Weib einen hübschen Buben haben.«

Das war dem Bauer recht. Nach etwa einem Jahr wurde ihm ein Knabe geboren und die Frau mahnte ihn an sein Versprechen.

Er aber sagte: »Es verdrießt mich, den Zwerg mein wohlgestaltetes Kind aus der Taufe heben zu sehen.«

»Wenn du ihn verschmähst«, erwiderte die Frau, »wird er es dich fühlen lassen.«

Endlich entschloss sich der Bauer, das gegebene Wort zu halten, ging abermals zum Berg und lud das Männlein in geziemenden Worten zur Taufe ein. Das zeigte sich gar vergnügt über die Ehre, sagte zu und erforschte alsdann, wer denn sonst noch gebeten sei.

»Unser Herr Christus«, entgegnete der Schalk, »die allerseligste Jungfrau Maria und St. Petrus.«

Das vernahm das Zwerglein mit großem Missbehagen, besonders St. Peter war ihm zuwider; verehrte darum dem Kindstaufvater zwar ein schönes Patengeschenk, nahm aber seine Zusage, selbst zu kommen, alsbald zurück, und so war dem Bauer geholfen.

Wo sie sich zur Hochzeit einluden, wusste man die unerwünschten Gäste zuweilen klug abzuwenden.

Einem Hochzeitbitter lief der Zwerg nach und rief: »Ich komme auch! Ich komme mit Weib und Kindern.«

»Schon recht«, sagte der Bursche, der nicht auf den Kopf gefallen war, »wir haben schöne Musik, Pauken und Trommeln.« Da machte das Erdmännlein ein langes Gesicht und eilte schnell in den Berg zurück, hat sich bei dem Fest auch nicht blicken lassen. Gutmütig und neckisch zugleich nahmen die Zwerge manchmal einen armen hungrigen Menschen mit zum Fest und liehen ihm ihre Tarnkappe, damit er nicht gesehen werde. Aß er aber zu gierig, so lüpften sie unbemerkt die schützende Hülle, und der entdeckte Schalk musste mit Schimpf und Schande oder gar mit einer gehörigen Tracht Prügel abziehen. Leuten, die in Not waren, erwiesen sich die Männlein gern hilfreich, sie verschafften dem armen Burschen die reiche und spröde Geliebte, halfen dem Bauer aus, dessen Pferd und Wagen im Sumpf stecken geblieben waren, und wirtschafteten fröhlich in Haus und Hof. Abends, wenn alle Bewohner eines Gehöfts zu Bett gegangen waren, kamen die Unterirdischen hervor, säuberten das Gerät und setzten sich um den Tisch, auf welchen eine gutherzige Köchin ihnen eine Schüssel mit Buttermilchbrei gestellt hatte.

Schon die alten Heldenlieder berichten von Zwergen, die schöne Jungfrauen in ihren Berg entführten. Um die Tochter eines Ritters von Eulenburg ließ der Zwergfürst als eheliches Gemahl freien und schickte einen wunderbar schönen Fingerreif zum Pfand der Verlobung mit. Das Mädchen willigte ein und wurde von den kleinen Gesandten in den Berg geführt, aus dem sie nicht wiederkehrte. Ihr Geschlecht aber gedieh von Stund an durch den Segen des Ringes. Eine Hirtin wurde von einem Zwerg verfolgt, der ihr allerlei schöne Gaben in Gold und Silber bot, und weil sie ihn verschmähte, drohte er, sie mit Gewalt zu entführen, wenn sie ihm nach gesetzter Frist seinen Namen nicht nennen könne. Da schlich ihm heimlich der Liebhaber der Dirne nach und belauschte ihn singend: »Hier sitz’ ich, Gold schnitz’ ich. Ich heiße Holzrührlein, Bonneführlein! Wenn das die Mutter wüsst’, behielt sie ihr Mägdelein.«

In Böhmen ragt nicht weit von Schloss Aicha an der Eger ein gewaltiger Fels empor, der Heilingsfelsen genannt. Hier trieb ein ganzes Zwergenvolk sein Wesen, schlüpfte ein und aus durch eine kleine Öffnung, die zu der weiten Höhle im Innern führte. Lange Zeit wurden sie von einem finsteren, alten Mann beherrscht, der Heiling hieß. Zu ihm kam einst eine arme Frau, die sich im Wald beim Beerenlesen verspätet hatte und von der Dunkelheit überrascht worden war. Sie sah dicht am Felsen ein schönes Haus, ging hinein und erblickte den Alten an einem Tisch sitzend und emsig schreibend. Als die Frau mit bewegter Stimme um ein Nachtlager bat, nickte er, ohne aufzuschauen, und deutete mit der Hand nach einer Ecke des Gemaches. Es wurde ihr aber bald bedenklich zumute. Niemand außer ihr und dem Alten schien anwesend zu sein, und dennoch rauschte und wisperte, scharrte und trippelte es um sie her, bis ihr endlich die Furcht die Frage auf die Lippen trieb.

»Wo bin ich denn, und wer seid Ihr?«

»Ich bin Heiling«, sprach der Mann, »meine Zwerge ziehen aus, das Menschenvolk wird uns zu hinderlich. Wärest du nicht in dieser merkwürdigen Stunde gekommen, solltest du nimmer Herberge gefunden haben.«

Das Weib wollte weiter forschen, doch der Beherrscher der Bergmännlein schaute sie grimmig an, und so kauerte sie sich schweigend in eine Ecke und schlummerte endlich sanft. Als sie wieder erwachte, schien ihr die Sonne hell ins Gesicht, sie lag auf dem Gras, gerade unter dem Heilingsfelsen, und von dem Haus war keine Spur zu erblicken. Hurtig sprang sie empor, um heimzukehren, denn es mochte um die Mittagsstunde sein. Als sie aus dem Wald hervortrat, kam ihr alles so fremd und verändert vor, die Wege waren besser, die Felder anders abgeteilt, im Dorf, das sie endlich erreichte, sahen alle Häuser neuer und schöner aus, die Leute waren ihr unbekannt, und selbst ihr eigenes Hüttchen kam ihr wunderlich vor, es war größer geworden und neu gestrichen. Nur der Eichbaum davor, den noch ihr Großvater gepflanzt hatte, stand, wie immer, lustig grünend da. Als sie in die Stube trat, erblickte sie fremde Menschen darin, die sie verwundert fragten, was sie wolle. Da lief sie jammernd im Dorf umher, dessen Bewohner sie für wahnsinnig hielten und vor die Obrigkeit führten.

Nun stellte es sich heraus, dass genau vor hundert Jahren eine Frau ihres Namens in den Wald gegangen und von dort nicht wiedergekommen war. Die Gemeinde legte zusammen und ernährte sie bis an ihren Tod.

Auch in der Zwergsage begegnet uns die Beweglichkeit und Mannigfaltigkeit der Sagenwelt überhaupt, in den verschiedensten Abweichungen und Modifikationen je nach Ort und Zeit, während ihr vielleicht mehr, als einem anderen Sagenkreis, ein gemeinsamer, unveränderter, in allen Bildungen erkennbarer Grundstoff bleibt.

Durch schwere Dunstwolken, wenn sie sich zur Erde niedersenkten, wandelte das Nebelmännlein in grauem Wams und Mützchen. Durch die Spalten erzreicher Berge schlüpften die Venediger oder Bergschmiede. Zu den Bauern in Gebirgsdörfern kamen, man wusste nicht woher, kleine Nörgen, Wald- und Holzweiblein. Sie pflegten die Kinder und sorgten für das Hauswesen, das unter ihren Händen seltsam gedieh. In der Lausitz quollen aus einem frischen, klaren Bergwasser die Querxe hervor, stahlen sich heimlich zu den Backöfen und nahmen das frische Brot heraus, bis ein gewandter Kopf sie endlich dadurch vertrieb, dass er den Leuten riet, den Brotteig zu piepen, das heißt, einige Kümmelkörner mit hinein zu backen, deren Geschmack den Zwergen widerwärtig ist.

Gar wunderlich sind die Namen, welche die Zwerge einander beigelegt haben. Wo ein unterirdischer unter den Menschen weilte, blieb er nur so lange, bis sein Name verraten wurde. In einem Bauerhof im Ober-Inntal diente eine Magd sieben Jahre hindurch mit seltenem Fleiß und großer Treue. Sie hatte jedoch ein besonderes Wesen an sich, das die Leute zurückhielt, sonderlich mit ihr zu verkehren. Eines Tages rodete der Bauer Holz auf dem Berg, da sah er plötzlich ein unbekanntes Männlein vor sich stehen, das zu ihm sprach: »Du, Holzhacker, sage zum Stizl, zum Wizl, der Torizl sei tot.«

Als der Bauer zu Hause die Botschaft ausrichtet, fing die Magd an zu jammern und rief: »Hättet Ihr mich um vieles gefragt, so hätte ich Euch vieles gesagt.« Damit lief sie fort in den Wald und wurde nicht mehr gesehen.

Einem Bauer zu Mais sagte eine Stimme, als er abends heimging: »Du, Posch, mit dei’n krummen Ross, sag’ meinem Bruder Dschedrawem, der Kabeskopf sei gestorben.«

Auf der Insel Rügen wohnten in den Hünengräbern graue, schwarze, grüne und weiße Zwerge. Die Ersteren waren böse, stahlen Frauen und Kinder und schadeten den Menschen auf alle Weise. Die Letzteren zeigten sich gut und freundlich. Jedes Völklein hatte seinen eigenen König und lebte abgesondert für sich. Als nun überall Kirchen gebaut und Glocken eingehängt wurden, mochten sie nicht mehr im Land bleiben. Eines Abends kam zu dem Fährmann in Glewitz ein kleiner Mann und forderte Überfahrt für sich und die seinen. Da ging es nun die ganze Nacht hinüber und herüber, jedes Mal war der Kahn so voll, als müsse er versinken, und doch erblickte der Schiffer nichts und vernahm nur ein Trappeln wie von einer Herde Schafe.

Als er zum letzten Mal hinübergefahren war, fragte ihn der Kleine: »Willst du deinen Lohn nach der Kopfzahl empfangen oder soll ich dir einen Scheffel Geld geben?«

»Einen Scheffel Geld«, entgegnete der Fährmann, der das Sichere für das Beste nahm. Ehe die Zwerge von dannen zogen, sagte das Männlein: »Du hättest aber doch besser getan, wenn du deinen Preis nach der Kopfzahl gefordert hättest«, und setzte ihm für einen Augenblick seine Mütze auf. Da sah der Schiffer das ganze Ufer mit den Unterirdischen bedeckt.

»Wir konnten drüben nicht mehr bleiben«, fuhr der Zwerg fort, »die Leute bekreuzen Brot und Getreide, stellen die Besen mit dem Stiel nach unten auf, dass wir gar nichts mehr davon nehmen dürfen.«

Als die Querxe auszogen, dingten sie um vieles Geld einen Bauer aus Hainwalde mit allen seinen Wagen, um sie über die Grenze nach Sachsen zu bringen, wo die vielen Bergwerke ihre Ruhe störten. Da sie nicht alle auf den Wagen Platz fanden, hängten sie sich überall außen an und sogar an die Speichen. Sie kehren wieder, wenn das Sachsenland an Böhmen fällt, die Glocken nicht mehr läuten und die Eisenhämmer schweigen.

3 Antworten auf Sagen- und Märchengestalten – Die Zwerge