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Sagen- und Märchengestalten – Die Gespenster – Teil 3

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die Gespenster Teil 3

Aus dem Tor der alten Ritterburgen und verwünschten Schlösser sah der Volksglaube die weißen Frauen hervorschweben, Erlösung begehrend. Ein unseliges Scheinleben, welches ihnen nicht gestattet, zur Erde zurückzukehren, ihnen aber auch die Pforten des Himmels verschließt, ist allen gemeinsam. Sie erweisen sich freundlich gegen jeden, der unabsichtlich ihren Weg durchkreuzt, beschenken wie Holda oder Berchta mit Geringem, das sich nachmals in leuchtendes Gold verwandelt, und neigen sich gern den unschuldigen Kleinen zu. Mittags zwischen elf und zwölf schreiten sie im Sonnenlicht den Burgberg hinab. Ihr weißes Gewand wird von einem Gürtel gehalten, an dem ein gewaltiges Schlüsselbund rasselt. Langes, goldfarbenes Haar fließt bis auf ihre Füße hinab. Wenige Sagen melden von reichen, dunklen Zöpfen am Haupt der weißen Frauen. Wo sie einer sich waschen und kämmen sieht, findet der Glückliche Goldfäden oder goldene Körner.

Doch hier, wie in den Schilderungen ihrer seltenen Schönheit, mischt sich die Überlieferung mit dem eigentlichen Wesen der Elfen und Feen, wenn der Volkswitz nicht gar die verwünschten Jungfrauen an ihren grünen und gelben Pantoffeln kenntlich macht und sie durch die ins Auge fallende Lächerlichkeit den Zwergen und Kobolden zugesellt.

Von den Ruinen des Klosters Chorin wurde ein Teil als Kornböden benutzt. Dort sah ein Knecht, wenn er noch am späten Abend zu schaffen hatte, manchmal eine weiße, geisterhafte Frauengestalt an sich vorübergehen und hörte das Schlüsselbund an ihrem Gürtel klirren. Als er dies den Gefährten vertraute, fragte ihn einer derselben: »Hast du ihr auch auf die Füße geguckt?« Das hatte er unterlassen. Zwei von den anderen begleiteten ihn daher am nächsten Abend hinauf. Als nun der Schatten den gewohnten Rundgang machte, rief der boshafte Aufpasser: »Seht doch, die hat ja gelbe Pantoffeln an!« Da enteilte die Frau und ließ sich nimmer wieder blicken.

Auf einem Hügel bei Langensteinbach mähten Vater und Sohn einst das üppige Gras der Abhänge. Sie hatten das jüngste Kind, ein halb erwachsenes Mädchen, mit sich genommen. Die Kleine sprang umher, suchte Brombeeren unter dem Gestein und kroch in die Ruinen, an deren Stelle vor vielen Jahren eine stattliche Kirche der heiligen Barbara gestanden haben sollte. Plötzlich erblickte sie eine große, schöne Frau mit einem Strauß blauer Blumen in schneeweißer Hand, die ihr freundlich zu winken schien.

Das Kind fürchtete sich aber und lief hinaus, den Vater herbeizuholen. Da dieser die Gestalt nicht sah, wurde das Mädchen ungeduldig und rief, indem es nach der Stelle deutete: »Da, da!« Nun wendete die weiße Frau sich langsam um, dem verfallenen Chor zu. An ihren Händen blitzten Goldreife. Langes, schwarzes Haar wallte bis auf ihre grünen Schuhe hinab. »Seht ihr denn noch nichts?«, fragte das Mädchen ärgerlich. Doch schon war die Gestalt verschwunden. Wer ihr zu folgen wagt und die Erlösung vollbringt, dem erblühen der Sage nach reiche Schätze aus den Trümmern.

Es ist ein merkwürdiger Zug im Leben der Sage, dass sie uns oft die weißen Frauen, die eine so bedeutende Rolle spielen, in ihren Verrichtungen verführt, unbekümmert um die Verhältnisse des Ortes und der Zeit, worin der Sinn angedeutet liegt, dass sie ihr Verhängnis unbedingt zu erfüllen, bis zur Lösung desselben ununterbrochen mit ihm zu kämpfen haben. So bleichen sie Linnen, trocknen Getreide oder Flachsknoten mitten im Winter, wenn der Mond die erstarrten Felder beleuchtet. In einer Nacht, kurz vor dem heiligen Weihnachtsfest, ging einst ein Wanderer den näheren, aber verschneiten Pfad über den Burgberg. Da sah er dicht am Weg eine Menge schöner Flachsknoten ausgebreitet liegen, die von einer Jungfrau mit dem Rechen umgewendet wurden, als sei es im wärmsten Sommersonnenschein.

»Heda, Jungfer, tut sich’s so?«, rief er ihr lachend zu und tat einen derben Griff in den Flachs, den er seinem Schatz mitzubringen gedachte. Die Frau schlug ihn mit dem Rechen auf die diebischen Finger. Er achtete dessen aber nicht und kam bald darauf munter in seinem Heimatdorf an, wo er die Geschichte zum Besten gab und den Flachs hervorzog. Als er ihn bei Licht besah, waren die dicken Knoten in pures Gold verwandelt. Da eilte er auf den Hügel zurück, um auch den Rest zu holen. Es war aber alles verschwunden, und er hatte nur die Freude, seine eigenen Fußstapfen in dem Schnee zu erblicken. Wer die weiße Frau anredet, dem klagt sie gern ihr Leid, weil sie von Jahr zu Jahr auf Erlösung von dem Bann hofft, unter dem sie seufzt. Und gerade das unterscheidet die halb göttliche, verwünschte weiße Frau von den spukhaften Erscheinungen in fürstlichen Schlössern, denn wer diese unberufen anzusprechen wagt, dem trägt seine Keckheit schlimmen Lohn ein.

Im Braunschweiger Land ließ sich vor Zeiten eine Osterjungfrau blicken, die manchem Glück brachte. Ein armer Weber kam einst am Ostermorgen vor Sonnenaufgang über den Bach und sah, wie die weiße Jungfrau Gesicht und Hände im klaren Wasser wusch und ihre goldenen Haare kämmte. Ihrem Wink folgend, ging er ihr nach bis in die Trümmer der alten Burg auf dem Hügel. Von den drei weißen Lilien, die dort blühten, brach sie eine ab und schenkte sie ihm, der sie fröhlich auf sein Hütlein steckte. Als er nach Hause kam, war der Lilienzweig in das herrlichste Metall verwandelt und begründete des armen Burschen Glück, denn der Herzog erstand die Wunderblume um vieles Geld und nahm sie in das fürstliche Wappen auf.

Auf der schweizerischen Seite des Juragebirges, an hoher Berglehne, die über wilde Felsen in das Fricktal niederschaut, liegen verfallene Trümmer eines Schlosses. Dort, kündet die Sage, erhob sich einst die adelige Burg derer von Eptingen, wo um die Zeit der Schwedenkriege eine hartherzige und stolze Jungfrau gebot. Mit unbeugsamer Strenge ließ sie die Steuern unter ihren armen Untertanen eintreiben und häufte Gold und Silber in wohlverwahrten Kellern auf. Wilde Kriegerhorden drangen einst bis zu dem steilen Berggipfel, nahmen die Feste durch Verrat bei Nachtzeit ein, plünderten das Schloss, erschlugen die Besitzerin und brachen die Mauern, nichts als Schutt und Verwüstung zurücklassend, wie das so oft geschah. Seitdem irrt der Geist der Erschlagenen durch die Trümmer und hütet die versunkenen Schätze, an denen einst das eitle Herz gehangen hatte. Wer die Erlösung wagt, dem verheißt die Jungfrau reichen Lohn, denn nur nach der Ruhe im Grab trachtet sie noch. Das wissen alle Leute in Wölfliswil. Des armen Müllers einziger Sohn, ein schmucker, junger Bursche von zwanzig Jahren, wusste es auch. Als er Vater und Mutter schlummernd wähnte, schlich er leise hinweg. Die bekümmerten Eltern sahen mit Schrecken, wie er durch die nächtliche Finsternis am Bach zur verrufenen Burg hinaufging. Es drängte sie, zu wissen, was er dort treibe. Einst hatte der Alte lange vor ihm denselben Weg genommen und lauerte nun versteckt auf den nächtlichen Wanderer, der mit jugendlicher Hast den Berg erklomm.

Am versunkenen Burgtor trat ihm eine schöne Jungfrau entgegen, holdselig grüßend. Die schwang der Bursche auf seine starken Arme, trug sie dreimal um den Burgwall, und jedes Mal, wenn er zu dem Eingang kam, setzte er sie nieder, küsste sie und hob sie wieder auf. Eben wollte er mit dem dritten Kuss sie erlösen, da rief der erschrockene Vater: »Nicht doch, die zwei Schlangen beißen!« Denn die langen, schönen Zöpfe des verwünschten Fräuleins erschienen dem Törichten als zwei große, ringelnde Schlangen.

Bei dem ersten Ton der bekannten Stimme erschrak der Bursche heftig, ließ die Jungfrau fallen und entfloh. So war die Erlösung vereitelt, und sie muss viele, viele Jahre harren, ehe ein anderer das Wagnis unternimmt. Jetzt wächst ein Kirschbäumchen dort. Wenn es so groß geworden sein wird, dass man Bretter aus dem Stamm sägen und diese zu einer Wiege verarbeiten kann, soll der Knabe, den man darin wiegt, die Eptinger Jungfrau erlösen.

Nicht allen Verwünschten wird es so gut, dass sie in menschlicher Gestalt Befreiung heischen dürfen. Manche sind nur erlösungsfähig, wenn ihr Leib, in ein hässliches Tier gewandelt, den Lebenden Abscheu und Ekel einflößt. Hoch oben in den Felsen des Saffersberges liegt ein gewaltiger Trümmerhaufen, die Heidenburg genannt. An zwei heiligen Festen, am Gründonnerstag und Karfreitag, sieht man eine weiße Frau von der Burg zum Aabach hinuntergehen und ihr Linnenzeug dort waschen. Sie hat aber keinen Kopf. Wer an ihrer Stelle eine Schlange, Spinne oder Kröte erblickt, ist imstande, die Erlösung zu vollbringen. Er muss nur ein unerschrockenes, reines Herz, eine sichere Hand und einen festen Fuß haben, sonst ist es nichts und geht es ihm sicherlich ans Leben. Am Karfreitag stieg ein junger Staufener Bauer von seinem Hof zum Kirchberg empor, als mitten auf dem Weg eine große Spinne ihm entgegen kroch. Weil das nun als ein böses Zeichen gilt – wer an jenem Tag, der Warnung ungeachtet, seinen Pfad verfolgt, muss sterben – kehrt der Bauer um. Allein die Spinne kommt ihm nach, wohin er sich auch wendet. Nur die Heidenburg allein scheint sie zu meiden, und dorthin richtet endlich der Jüngling seine Schritte. Droben auf den Felsen schwebt ihm eine Jungfrau entgegen, reicht ihm schweigend die Hand und geleitet ihn durch verschlossene Wände zu unterirdischen Schätzen. Hier erst spricht sie zu ihm. Was er sieht, wird sein eigen, wenn er Mut genug fühlt, sie dreimal zu küssen. Sie verwandelt sich in eine krallende Katze, ringelt um des Burschen Leib ihre Schlangenglieder, schnaubt als Drache Feuer und Flammen, endlich, und das wäre das Letzte gewesen, glotzt sie ihm in Gestalt einer hässlichen, riesengroßen Kröte entgegen. Von Abscheu überwältigt, springt er zurück und verliert das Bewusstsein. Furchtbar geschwollen und entstellt fanden ihn am nächsten Tag Vorübergehende am Fuß des Burgbergs und trugen ihn heim. Aber er stand nicht wieder auf, sondern starb noch vor Ablauf der Woche im Irrsinn.

Kröten galten insgemein für arme Seelen, welche ihre Sünden in so ekelhafter Hülle büßten. Darum ist es verboten, den Tieren ein Leid zuzufügen. Wer sie quält, den wird vielleicht ein gleiches Los treffen, dessen Schwere ihn genug drücken könnte.

Wallfahrer begegnen oft genug solchen Verwünschten, die sich nur mühsam fortbewegen und am Ziel ihrer langen Pilgerfahrt sich in eine weiß gekleidete Jungfrau oder in ein Täubchen verwandeln dürfen. Auch Hüter verborgener Schätze erscheinen in Krötengestalt. Wo man diese häufig sieht, ruht vergrabenes Gold oder Silber im Schoß der Erde. Wenn man von der Moselbrücke zu Trier dem Fluss aufwärts nachgeht, gelangt man an eine Stelle, wo sonst täglich eine Kronenschlange erschien. Arme Frauen, welche noch vor Sonnenaufgang ihr mühevolles Tagewerk beginnen mussten, haben es oft mit angesehen, wie die schimmernde Schlange zwischen den ersten Gärten der Vorstadt niederglitt, ihr goldenes Krönchen vom Haupt tat und sich im Fluss badete. Dann nahm sie den glitzernden Schmuck wieder auf und verschwand.

Den Spielleuten am Kyffhäuser gleich, deren lustiges Lied die Kaiserstochter mit einem Zweig lohnte, zogen einst drei Handwerksburschen fechtend durch das Land und kamen dabei in die Nähe der Neuenburg, unweit des Mains. Dort sollte sich oftmals denen, welche sie nicht suchten, am hellen Tag eine wunderholde Frauengestalt zeigen, deren schlanke Glieder ein duftig feines Gewand umschloss, dass es schien, als schwebe ein Stücklein Himmelsbläue, von silbernem Gewölk umsäumt, durch die grünen Büsche dahin. Wem eine schwere Sorge fast das Herz abdrücken wollte, dem hatte die weiße Frau unerwartete und sichere Hilfe gebracht, wo er es am wenigsten vermutete. Die drei Gesellen wussten aber nichts von ihrem Dasein, sondern zogen wohlgemut weiter. Als sie durch die Bäume verfallene Türme und Mauerreste erblickten, gingen sie arglos näher, sich die Ruine zu beschauen. Sie kletterten über Steine und Geröll, weckten das Echo mit lautem, fröhlichem Zuruf und standen urplötzlich vor einer seltsam schönen Frau, die ihnen mild entgegenlächelte. In ihrer Verwirrung entblößten sie rasch ihr Haupt und murmelten ihren üblichen Spruch, ohne recht zu wissen, was sie taten: »Wir sind unser zwanzig, reisen von Mainz nach Danzig. Ach, seid doch so gut und schmeißt uns was in den Hut!«

Da streckte die Erscheinung den Arm aus und brach mit ihren weißen, schlanken Fingern drei Tannenzweige vom Baum. »Hebt sie gut auf«, rief die Schöne mit holder Freundlichkeit, »denn sie werden Eure Glückszweige sein.«

Nach diesen Worten zerfloss die Gestalt in Luft. Den Burschen aber wurde himmelangst, sie liefen über Stock und Stein davon, so rasch ihre Füße sie zu tragen vermochten, bis der Berg und die Trümmer des alten Raubschlosses weit hinter ihnen lagen. Erst als sie sich in Sicherheit glaubten, blieben sie stehen, um Atem zu schöpfen.

Der Älteste sprach: »Brüder, das war ein verwünschter Geist, eine Fee oder Hexe – gleichviel! Ich bin ein guter Christ und will mit dem luftigen Gesindel nichts zu schaffen haben.«

Damit warf er seinen Tannenzweig ins Gras. Der Zweite machte es eben so.

Nur der Jüngste schüttelte abwehrend das lockige Haupt und entgegnete: »Für einen bösen Spuk war die Frau doch gar zu lieb und hold. Ihr zu Ehren will ich den Busch an meinen Hut stecken und so lange tragen, bis er dorrt und abfällt.« Damit schwenkte er den Hut wie grüßend nach der Neuenburg hinüber und zog taleinwärts mit den Gefährten.

Es dauerte lange, ehe sie das nächste Dorf erreichten, denn sie waren bei ihrem hitzigen Lauf ein wenig in die Irre geraten, und der Abend dunkelte bereits. Als sie bei dem ersten Bauernhaus anpochten und um etwas zu essen baten, fuhr sie der Besitzer entrüstet an.

»Wollt Ihr mich foppen? Wer Tausende an Gold und edlen Steinen auf seinem Hut trägt, bedarf der Gaben nicht.«

Und wie sie voll Erstaunen einander anblickten, sahen sie auf des Jüngsten Haupt den Tannenzweig in strahlendes Gold verwandelt. Die Spitzen aber leuchteten in rot und blauer Glut, denn sie bestanden aus funkelndem Edelsteinen. Jauchzend schwang der Glückliche den abgeschabten Filz empor, dessen kostbare Zier er sorgfältig in seinem Busen barg. Die anderen aber liefen wie besessen zu der Neuenburg zurück, in der törichten Hoffnung, dort die verschmähten Glückszweige wiederzufinden. Viele Leute kamen von nah und fern herbei, ihnen suchen zu helfen. Es war aber alles vergebens. Endlich zogen die Neugierigen wieder davon und rieten den Handwerksburschen, ein Gleiches zu tun.

Denen mochte wohl der Verlust eine Schraube im Kopf gelöst haben, sie konnten das Suchen nicht lassen und riefen unaufhörlich: »Wir müssen die Zweige wieder haben und wenn wir bis zum Jüngsten Tage hier bleiben sollten.« Sie liefen sich die Schuhe ab, ihre Kleider hingen ihnen in Fetzen vom Leib. Unverdrossen durchstreiften sie den Raum um die Burg her in Hitze und Kälte, bei Regen und Sonnenschein. Endlich starb der eine, dann der andere. Noch sieht man in mondhellen Nächten hin und her die abgerissenen Gestalten durch die Büsche schweifen, aber die Glückszweige sind und bleiben verschwunden.

Es gibt kein fürstliches Haus, in dessen Räumen nicht eine der Ahnmütter des Geschlechtes der Sage nach sich zeigt, wenn Ereignisse von Wichtigkeit bevorstehen, ein Todesfall und dergleichen. So hält die weiße Frau auf dem Löwensteinschen Schloss zu Haid in Böhmen eine blaue Blume in ihrer Hand, wenn eine Hochzeit stattfindet oder ein Kind geboren wird. Ein Dolch in ihrem Gürtel verkündet Unglück oder den Tod. Im Schloss Rosenberg tritt in nächtiger Stunde Berta aus der Wand hervor, durchwandelt Zimmer und Gänge und schaut nach den schlummernden Kleinen. Auf einer fürstlichen Herrschaft in Schlesien hängt in einem abgelegenen Zimmer des Schlosses ein Bild, das eine Frau in altertümlicher Kleidung darstellt. Zuweilen steigt es aus seinem Rahmen herab und macht einen Rundgang. Als die jüngste Prinzessin dieses Hauses einst wider ihren Willen zu einer Ehe gezwungen wurde, die ihr wenig Glück brachte, denn sie starb wenige Monate nach der Vermählung, stand plötzlich die weiße Frau neben der Braut vor dem Altar und drohte den Eltern.

Treu bewahrt die Sage solch ein Gebilde der schöpferischen Fantasie, das sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt und mit der Geschichte des ganzen Stammes unlöslich verwoben erscheint. Im Königsschloss zu Berlin wandelt nachts eine weiße Gestalt an den erschrockenen Schildwachen vorüber. Glück und Freude zeigt sie durch eine brennende Kerze und weiße Handschuhe an, einen Trauerfall durch schwarze. Von einer jugendlichen Fürstin des Hohenzollernhauses meldet die Sage, sie habe, von einem leichten Unwohlsein an ihr Zimmer gefesselt, in ärgerlicher Ungeduld der Hofdame befohlen, nach der Uhr im Vorgemach zu schauen. Dort trat derselben eine halb weiß, halb schwarz gekleidete Gestalt entgegen und sprach zu ihr mit Grabesstimme: »Es ist halb elf.« Erschrocken wich das Fräulein zurück. Die Prinzessin forschte begierig, mit wem sie draußen geredet hatte, und erfuhr nach manchem Sträuben die Wahrheit. Eine Woche später, genau an dem Tage und zur selben Stunde, hauchte sie ihren letzten Seufzer aus.

Die weiße Frau hält nichts in ihrem Gang auf, und die alte Zeit wusste manch drastischen Zug von ihr zu berichten. Im Jahre 1659 erzählte der Kurfürst Friedrich Wilhelm an der Tafel einem vornehmen Holsteiner, dass der Oberstallmeister von Borstorff einige Male geäußert habe, er wolle mit der weißen Frau wohl fertig werden, wenn er ihr einmal begegne. Eines Abends, als er den fürstlichen Herrn zu Bett geleitet hatte, ging er die kleine Stiege hinunter zum Lustgarten, wo sein Reitknecht mit dem Pferd auf ihn warten musste. Mitten auf der Treppe tritt ihm die weiße Frau entgegen. Borstorff, zu Anfang heftig erschrocken, fasst sich schnell genug und ruft ihr grimmig entgegen: »Du alte, elementsche Hexe, hast du noch nicht genug Fürstenblut gesoffen? Willst du noch mehr holen?« Da packt sie ihn am Hals, würgt ihn furchtbar und wirft ihn die Stiege vollends hinunter, dass ihm Hören und Sehen vergehen. Indessen schallte der Lärm bis in des Kurfürsten Gemach, der einen Kammerpagen mit brennender Kerze losschickt, in der Meinung, dass der alte Herr die Stufen verfehlt habe und gefallen sei. Doch der ermunterte sich schnell und erzählte fluchend die arge Geschichte, berichtete sie auch am folgenden Tag seinem Herrn selber. Kurze Zeit darauf verstarb des Kurfürsten Mutter, welche zu Crossen lebte, und gleich nachher seine Schwester, eine Herzogin von Schöningen.

Auch die neueste Zeit weiß von einer ähnlich derben Abfertigung seitens der Ahnfrau zu erzählen. Ein Offizier der Schlosswache sah auf dem Korridor, der zum weißen Saal führt, eine verhüllte Frauengestalt vor sich herschreiten und rief sie an. Da sie nun weder antwortete noch stehen blieb, eilte er ihr nach und versuchte, sie festzuhalten. Das Gerücht behauptet, die Dame, schwarz behandschuht, habe ihm einige so derbe Ohrfeigen versetzt, dass er die Verfolgung aufgab und sie gewähren ließ.

Im Fürstenhaus zu Waldburg-Zeil ist das Erbgespenst ein graues Männlein, uralt und klein. Ehe ein Glied der Familie stirbt, kommt das Männlein aus den großen, unterirdischen Gewölben hervor und macht in seinem aschfarbenen Mantel die Runde durch alle Zimmer. An die Stelle der Geister tritt zuweilen eine spukhafte Vorbedeutung. Die von den Urahnen ererbten Wanduhren stehen plötzlich still und können nicht wieder in Gang gebracht werden. Sie schlagen dreizehn für zwölf. Schmuckgegenstände, Perlen und Ringe werden schwarz, Gläser zerspringen klirrend oder es ertönt ein Schlag, der alle Gemächer erschüttert. In einem Haus pflegte die unsichtbare Totenglocke dreimal anzuklingen, wenn jemand sterben sollte. Als das finstere Los einst mehreren Gliedern des ganzen Stammes auf einmal fiel, läutete sie in hellen Tönen. Zu Corvey in der stattlichen Klosterkirche prangte seit undenklichen Zeiten ein künstlich gearbeiteter, eherner Kranz an der Brüstung des Chores. Von diesem Schmuckwerk berichtet eine Sage: Drei Tage vor dem Tod eines Domherrn erblühte in früher Morgenstunde eine weiße Lilie aus den Blättern des Kranzes, senkte sich vor den Augen aller Brüder herab und blieb endlich an dem Sessel desjenigen hängen, der durch Gottes Fügung sein Leben beschließen musste. So geschah es auch zu Lübeck im Dom. Wenn die Chorherren in feierlichem Zug die Kirche betraten, um die Frühmette zu singen, erhob jeder von ihnen das Kissen, welches seinen Platz bedeckte, weil der Sage nach eine darunterliegende weiße Rose den Tod verkündete. Einst befand sich im Kapitel ein Bruder, der wilden, leichtfertigen Sinnes war und sich schlecht zu dem heiligen Dienste schickte. Als er nun das Wahrzeichen auf seinem Stuhl fand, nahm er es heimlich hinweg und barg es unter dem Kissen seines Nachbars. Der aber, des Betruges gewiss, denn er pflegte jeden Morgen sorgfältig nachzuschauen, hob einen Streit mit dem ungefügen Rebundus an, der vor ihm und dem ganzen Kapitel mit dreister Stirn beschwor, die Sterbensrose mit keinem Finger berührt zu haben. Da rief der andere, indem er die gefalteten Hände gen Himmel erhob, voll frommer Entrüstung aus: »So möge denn Gott Richter sein zwischen mir und dir! Er schaffe, dass derjenige von uns zweien, der hier gelogen hat, anstelle der Rose von nun an Bild und Zeichen des Todes sei. Möge er in seinem Grab nicht Ruhe finden, sondern darin klopfen bis zum Jüngsten Tag!«

»Amen, es sei also«, entgegnete frech der wilde Rebundus. Aber der Tod ließ sich um seine Beute nicht betrügen.

Der Domherr verschied plötzlich nach wenig Tagen und musste von jener Zeit an als ein unheimlicher Spuk der Brüder Sterben vorher verkünden.

»Rebundus hat geklopft, er holt einen Domherrn ab«, sprachen die Mönche zueinander. Unter dem sehr langen und breiten Grabstein tat es drei furchtbare Schläge, die weithin vernommen wurden und die Mauern des Doms erschütterten. Einmal standen drei Handwerksgesellen auf dem Stein, drei Schneider, und suchten die Inschrift zu entziffern. Da begann Rebundus zu klopfen, dass die zentnerschwere Platte aufgelüpft wurde wie ein dünnes Brett und die Burschen herunter und halb tot vor Schreck neben dem Grab niederfielen, als habe der Donner sie gerührt.

Eine ganz besondere Art der gespenstischen Erscheinung trat dem Forscher aus leuchtenden Nebeln entgegen. In Feuersglut verzehrte sich das Vergängliche, die Schlacken fielen ab und der gereinigte Geist entschwebte. Deshalb mussten die Seelen der Verstorbenen die Missetat im Feuer büßen, die Flamme peinigte sie mit grimmigen Schmerzen. Was ihre Hand berührte, empfing ein Wahrzeichen des Brandes, der gesehen oder ungesehen sie durchtobte. Mit feurigem Pflug und einem Flammen sprühenden Höllenross ackerte der gespenstische Landmann in mitternächtiger Stunde wieder und wieder das Feld, von dem er bei Lebzeiten mit diebischer Lust einen Rain abzupflügen wusste, dem Nachbar zum Schaden, sich zu Nutzen. Treulose Landmesser schwebten um die Furche, das zu Unrecht Gemessene in Ordnung zu bringen. Wie die entsühnende Kraft des Feuers zu einer strafenden Macht gewandelt wurde, vermischte die Sage eigentliche Feuergeister mit unseligen Menschen oder sie ließ gar den Teufel selbst wie eine feurige Garbe durch die dunkle Nachtluft schweben. Der Feuermann, wenn er im Wald umherstreift, findet sich in allen Überlieferungen immer nur vereinzelt. Er steht plötzlich unter den Bäumen da, hart an dem schmalen Pfad, der durchs dichte Unterholz leitet, und glotzt dem erschrockenen Wanderer ins Gesicht. Freilich, wer Mut dazu hat und ruhig stehen bleibt, dem verschwindet das Wunder und er findet bei näherer Betrachtung eine alte, hohle Weide oder Ulme, in deren zerklüftetem Stamm das faule Holz leuchtet. Ein Feuermann trat einst mitten unter das Jagdgefolge König Karls IX. von Frankreich, als er zwischen den hohen, düsteren Föhren des Löwenwaldes des edlen Waidwerks pflog. Die entsetzten Hofleute stoben nach allen Seiten auseinander. Nur der König blieb unerschrocken, riss das Schwert aus der Scheide und führte einen mächtigen Streich auf den Geist, der sogleich verschwand. Eine andere, ältere und sehr wahrscheinlich richtigere Überlieferung lässt Karl VI. gegen Ende des 14. Jahrhunderts das Abenteuer bestehen, welches die Sage aus mehr oder weniger historisch verbürgten Ereignissen im Leben dieses Fürsten kombiniert zu haben scheint, die auf sein ganzes geistiges Leben den nachteiligsten Einfluss ausübten.

An vielen Orten, die um den Bodensee her liegen, hat manche Spinnerin den Feuermann oder feurigen Fischer schon erblickt, wie er auf der Wasserfläche umherwandelt, die Fischer neckt, wenn sie bei Nachtzeit ihre Netze auswerfen, und mit glühenden Augen in die Fenster schaut. Wer ihm vom Kahn aus ein Band oder ein Seil zuwirft, vernimmt sein helles Freudengelächter, solange das geworfene Ende brennt. Denn was er empfängt, muss sich entzünden, sobald er es berührt, weil er selbst lauter Feuer ist. Kecke Mädchen spinnen ihm auch wohl einen langen, dicken Faden und rufen ihn furchtlos herbei. Husch! Steht er vor dem Fenster und nimmt die Gabe in Empfang. Solange der Faden brennt, hat die arme Seele des Verwünschten Ruhe vor der Pein.

Wer durch die Schatten der Nacht am Moor vorübergeht, sieht über die weite Fläche bläuliche Flammen hüpfen, bald groß, bald klein, hier eine, dort eine. Sobald er ihnen näher kommt, verschwinden sie, tauchen jenseits wieder auf, einzeln oder in Scharen.

Das sind die bösen Dünste, welche die Sonne bei Tag in dem schwarzen Sumpfwasser erzeugte, die man aber erst in der Dunkelheit als leuchtende Gase erblickt. Ihr rastloses Schweifen bezeichnet der Name treffend genug: Irrlichter nennt man sie. Der Unvorsichtige, der ihrem trügerischen Schimmer folgt, gerät in schlammige Gräben und in tiefen Morast. In Pommern ging ein Mann spät abends heim vom Hochzeitsschmaus. Als er über das Torfmoor wandert, flackern die Irrlichter neben ihm her, als wollten sie ihn vom rechten Weg weglocken. Er aber schaut nicht rechts noch links, sondern zieht schweigend weiter, denn er kennt der schweifenden Geister böse Tücke. Endlich kommt ihm eines der Flämmchen gar zu nahe, und er kann der Versuchung nicht widerstehen, wirft schnell seine Mütze darüber und fängt es. Als er mit seiner Beute zu Hause anlangt, ist es ein winzig kleines, totes Kind, und ihm schauert die Haut.

Eilends trägt er es wieder hinaus bis an das Moor, und das war das Beste, was er tun konnte. Denn einer breiten Feuerwoge gleich stürmten schon Geister dem Räuber nach, der rückwärts flüchtend sich hinter der bekreuzten Haustür barg, nachdem er den kleinen Leib auf den Schlammgrund niedergelegt hatte. Ein anderer Mann fand das Irrlicht in einen Totenkopf verwandelt, und als er ihm das Fenster öffnete, kugelte der Schädel von selbst hinaus.

Die Sage lässt ungetauft verstorbene Kindlein im Totenhemd und mit einem Laternchen vor die Brust geheftet als Irrlichter umgehen. Ruhelose Geister dagegen büßen als rollende Schädel, in denen ein Flämmchen spukt. Auf einsamen, vergessenen Gräbern tanzen in stiller Nacht die Irrlichter ihren seltsamen Reigen, den Vorüberwandernden zu einer Mahnung. So verrieten die schweifenden Flämmlein einst die Ruhestätte der heiligen Notburga in einer Felsenhöhle, wo sie von Kräutern und Wurzeln ihr kümmerliches Dasein gefristet hatte.

Irrlichter heißen auch Irrwische, als solche zeigen sie sich nur in der Adventszeit, und übermütige Burschen haben ein Spottlied auf sie gemacht. Am dunklen Abend erblickte ein Mädchen die feurigen Lichter über der Dorfgrube schwebend und rief dem einen, das ihr ein wenig näher als die anderen erscheinen mochte, zu: »Heerwisch, ho, ho! Brennst wie Haberstroh, schlag’ mich blitzeblo.«

Da lief der Irrwisch auf die Spötterin zu, die rasch davonlief, folgte ihr dicht auf der Ferse bis in ihres Vaters Haus, drang zugleich mit ihr in das Zimmer und schlug ihr und allen, die der Bedrängten zu Hilfe kamen, seine feurigen Flügel um die Ohren, dass ihnen Hören und Sehen vergingen.

Solch ein Irr- oder Heerwisch zeigte sich in der Adventszeit zwischen elf und zwölf Uhr in der Nacht auf dem Feld bei Freienstein. An seinem Leib konnte man alle Knochen zählen. Sie waren von loderndem Feuer umhüllt wie von Fleisch und Muskeln. Aber es hielt schwer, ihn ordentlich anzuschauen, weil er beständig hin und her flog, von einem Markstein zum anderen.

Im Jahre 1125, meldet eine Chronik, sah man in drei aufeinanderfolgenden Nächten einen feurigen Mann zwischen den beiden Gleichbergen durch die Luft hin und wieder fahren.

Den Irrlichtern oder Heerwischen und den Feuermännern gesellen sich noch andere Lufterscheinungen, vor allen das St. Elmsfeuer. Es tanzt auf und ab an den Segelstangen der Schiffe, wenn sie nächtlich den Ozean durchschneiden. Auf den Speeren und Helmen der Krieger strahlen die blauen Flämmchen, die kein Regen löscht, kein Sturm verjagt, keine Hand abzustreifen vermag. Im unteren Elsass war auf hohem Felsrücken ein Schloss errichtet worden, darüber sich ein seltsames Wesen kundtat. Wenn der Sturm um die Zinnen rauschte, Regen hernieder tropfte und die Blitze zuckten, schwebten auf allen Dächern des Schlosses, um alle Zierrate, ja selbst auf den Hellebarden der Wachen blaue Flämmchen. Daher stammt der Name der Burg. Ihr Erbauer nannte sie Lichtenberg. Nicht weit davon gingen einmal nach Einbruch der Nacht zwei Bauern vorüber, die auf einer entlegenen Wiese Heu gewendet hatten. Sie trugen ihre Heugabeln auf der Schulter. Es währte nicht gar lange, so ließ sich auf die Zinke der einen solch blaues Lichtlein nieder. Als der Mann es bemerkte, strich er lachend den Glanz herunter. Doch über eine Weile zeigte ihm sein Gefährte die Flamme von Neuem, die zum zweiten Male abgestreift wurde. Als sie sich zum dritten Mal wies, schalt der andere auf den närrischen Spuk und fuhr zornig mit der Hand über die Zinke hin. Da verschwand das Licht und kam nicht wieder. Seit der Zeit verunreinigten sich die beiden, die sonst viele Jahre hindurch als gute und treue Freunde zueinandergehalten hatten. Als sie eine Woche oder zwei danach sich an derselben Stelle trafen, wo das Flämmchen Abschied genommen hatte, gerieten sie in heftigen Streit. Von Scheltworten kam es zu Schlägen, und der, welcher seinem Nachbar das Licht abgestreift hatte, stach ihm dort die Heugabel in die Brust, dass er tot zu Boden sank.

Die zitternde Flamme des Irrlichtes ist dem unsteten Wesen der Kobolde zu nah verwandt, dass nicht der Wunderglaube eine innige Verbindung zwischen beiden hätte schaffen sollen. Tückebold nennt der Volksmund das schweifende Licht und lässt den kleinen, boshaften Geist, dessen Leuchte es darstellt, in ein schallendes Hohngelächter ausbrechen, wenn es ihm gelang, einen Unvorsichtigen vom gebahnten Weg ab- und in den Morast zu locken.

Gegen den neckenden Irrwisch schützt nur die Radspur des Wagen. Wer in dem Geleis bleibt, wäre es auch nur mit einem Fuß, dem vermag er nichts anzuhaben, denn er hat nur Macht über das, was nicht auf den Fahrwegen geht. Wo auf breiter Heide Pferde nächtlich draußen sind, erscheint manchmal der Irrwisch dem Hirten wie ein krankes Tier, das plötzlich dem Arglosen, der es in die wärmende Herde zu führen gedenkt, einen Feuerbrand ins Gesicht schleudert. Häufiger noch zeigt das hüpfende Licht sich als Ziege und entspringt meckernd dem Betörten, der die Herrenlose einfangen will und dabei ins Wasser fällt. Das Wesen des Irrlichtes bezeichnen sehr alte, deutsche Ausdrücke besonders treffend. Es heißt Elflicht, Droglicht (trügerische Flamme), Zunselgespenst. Die Engländer nennen es »Will (Abkürzung von William) mit dem Strohwisch«, um die winzige Gestalt des Kobolds hervorzuheben, oder auch »Jack in der Laterne«, wie die Franzosen durch »närrisches Feuer, Hüpfer« die rasche, unruhige Bewegung der Flamme vorzustellen suchen.

So schweben die Gestalten der Toten in mannigfachen Verwandlungen über die Erde dahin, immer nur den einen Gedanken verkörpernd, dass die Trennung der Seele von allem Irdischen keine völlige sei. Denn was des Menschen Herz mit heißer Sehnsucht wünscht, das hofft es auch, und glaubt, was es hofft.

Wie ein Zaubernetz breitet die Sage von den Seelen der Verstorbenen ihre dunklen Fäden über Land und Meer, und kein Volk entzog sich ihr. Aus den schaumgekrönten Wogen des Ozeans tauchen Delfine empor. Um Segel und Mast der Schiffe flattern die Sturmvögel, warnend vor Gefahr. Es sind die Schatten der Ertrunkenen, welche frommer Wunderglaube zu Schutzgeistern der Überlebenden wandelte. Wenn ein Schiff in Sturm und Wellendrang dem scharfen Felsenriff entgegentreibt, das seine Flanken mit gierigem Zahn durchbohrt und die Mannschaft dem sicheren Tode weiht, da zeigt sich das Unglück denen an, welche daheim im sicheren Stübchen der Wiederkehrenden harren. Von elf bis zwölf Uhr Mitternacht tobt auf der Diele, dem großen Vorflur oder mitten in der geräumigen Unterstube das spukhafte Wesen.

Da vernimmt man das Heulen des Sturms, das Brausen der Wassers, den Hilferuf der Verzweifelnden, und die alten Mütterlein am Strand wissen lange vorher die traurige Geschichte, ehe die Hiobspost selbst eintrifft. Draußen aber auf der hohen See schwebt durch finstere Nebel das Geisterschiff mit seinem höllischen Steuermann. Wehe dem, der es schattengleich an sich vorüberfliegen sieht und das wilde Jauchzen vernimmt, mit dem die unseligen Geister ihr Gelage feiern! Ein Fahrzeug macht nimmer zweimal die unheilvolle Begegnung, denn der nächste Sturm schlingt es mit Mann und Maus hinab in den unersättlichen Grund des weiten Meeres. Um Afrikas Südspitze segelt der Fliegende Holländer, wie der Weltjäger im dunklen Tannenforst den Waidmannsritt erschallen lässt, oder wie der ewige Jude in rastloser Wanderung sein Vergehen sühnen muss. Der Fliegende Holländer war einst ein stolzer Kapitän, der auf seinem stattlichen Schiff sich Gott und allen Herrschern gleich erachtete, in angemessener Hoffart und sündiger Lust Verbrechen auf Verbrechen häufte und die Meere durchflog, Mord und Raub verübend, wo er nur erschien. Wie mannigfach die Sage auch von ihm berichtet, hält sie doch treu eine Seite der Überlieferung fest, die in jeder Einzelnen wiederkehrt. Vielfach und schwer versündigt der Seefahrer sich an Frauen. Endlich nimmt er ein Schiff, auf welchem eine Jungfrau, in seltener Schönheit strahlend, sein Herz zu fesseln weiß und in dem wüsten Sinn die nie geahnte Liebe entfacht. Aber die Reue kommt zu spät, und die Blüte keuscher Neigung gedeiht nicht auf dem Boden, den das Laster zerrissen hat.

Durch ungebeugten Widerstand reizt sie seine Leidenschaft zum tollsten Wirbel auf. Da Bitten und Drohungen die Reine nicht zu gewinnen vermögen, braucht er Gewalt oder stößt ihr das Messer in die Brust. Die schmählich Misshandelte sucht freiwillig den Tod. Wie ihr tragisches Geschick sich aber auch wendet, immer ist es ihr Schatten, der zum Vollstrecker des Gerichtes an dem verhärteten Bösewicht wird. Von leuchtendem Heiligenschein umgeben, schwimmt die bleiche Gestalt auf den rasch verfließenden Wogen, und der Räuber muss ihr folgen, von verzehrender Sehnsucht und Reue gestachelt. Je rascher er ihr nachstrebt, desto schneller entweicht sie seinem Auge, und so geht es bis in alle Ewigkeit. Die frech Entehrte hingegen treibt den Seefahrer und sein Schiff zur wildesten Flucht. Ihr und der nagenden, unerträglichen Gewissenspein zu entgehen, setzt er alle Segel bei und steuert mit Sturm und Blitz um die Wette. Aber der Schatten wankt ihm ohne Unterlass nach, und er kann ihm nicht entrinnen.