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Schicksalskinder – Die KZ-Babys von Mauthausen

SchicksalskinderWendy Holden
Schicksalskinder – Die KZ-Babys von Mauthausen

History, Hardcover, Weltbild, Augsburg, Mai 2015, 432 Seiten, 12,99 Euro, ISBN: 9783828929869, aus dem Englischen von Ulrike Strerath-Bolz

Verlagsinformation:
Am 5. Mai 1945 wurden die Gefangenen des Konzentrationslagers Mauthausen von US-Truppen befreit. Zum 70. Jahrestag der Befreiung erzählt die britische Journalistin Wendy Holden in Schicksalskinder – Die KZ-Babys von Mauthausen die wahre Geschichte dreier Babys, die im KZ unter den schrecklichsten Bedingungen geboren wurden.
Im Frühjahr 1945, kurz vor Kriegsende, werden im Konzentrationslager Mauthausen drei Kinder geboren: Eva, Hana und Mark. Ihre Väter waren von den Nationalsozialisten ermordet worden. Ihre Mütter haben Unvorstellbares durchgemacht. Sie haben Hass und Verfolgung überlebt, das Vernichtungslager Auschwitz, die Todestransporte zurück nach Westen, den Hunger, die Gewalt. Aber sie sind nur noch lebende Skelette, und es scheint, als hätten ihre Kinder in dieser Welt des Grauens nicht den Hauch einer Chance. Keines der Kinder wog bei seiner Geburt mehr als drei Pfund.
Doch wie durch ein Wunder halten alle sechs durch. Mark und seine Mutter entgehen den Gaskammern von Mauthausen nur durch einen unfassbaren Zufall. Den Nazis ist das Zyklon B ausgegangen. Wenig später, am 5. Mai 1945, wird das Lager von den amerikanischen Truppen befreit. Die drei Babys und ihre Mütter werden von US-Soldaten ein paar Tage lang aufgepäppelt, dann beginnt ihr mühsamer Weg zurück ins Leben.
Jahrzehntelang wissen die drei Mauthausen-Kinder nichts vom Schicksal der anderen. Zum ersten Mal begegnen sich die »KZ Babys«, die heute in Amerika und in Großbritannien leben, 65 Jahre später zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslager Mauthausen. Und erfahren von der unvorstellbaren Geschichte der anderen. Die Mütter Anka, Rachel und Priska sind inzwischen verstorben.

Um es vorneweg zu sagen: Das Buch ist schwere Kost für jeden, der auch nur den Anflug eines Gewissens hat. Und es berührt einen emotional sehr, denn die Schicksale, die hier beschrieben werden, gelten in ähnlicher Form für unvorstellbar viele Menschen, die durch die Nazis ermordet oder mindestens traumatisiert worden sind. Nur durch Zufall, Glück und den richtigen Instinkt in der richtigen Situation sind die drei Frauen mit ihren Babys gerade noch so der ausgeklügelten, kalt-rational betriebenen nationalsozialistischen Mordmaschinerie entkommen. Es hätte genauso gut auch anders sein können, und das weiß man beim Lesen genau. Anfangs wird die Ausgangssituation der drei Frauen Priska, Rachel und Anka geschildert, die unter ganz normalen Umständen, oft sogar in wohlhabenden Kreisen, groß geworden sind. Umso schrecklicher wirkt das darauf folgende Schicksal der drei, die als Juden verfolgt und unter unvorstellbar grausamen Bedingungen gefangen gehalten wurden – immer mit dem Tod vor Augen und am Ende der Gefangenschaft nur noch als ausgehungerte Skelette gerade so am Leben. Und das in schwangerem Zustand! Jede Frau, die schon einmal schwanger war, weiß, welche Belastung eine Schwangerschaft mindestens für den Körper ist. Und jede dieser Frauen wird sich wohl automatisch fragen, wie diese drei Jüdinnen eine Schwangerschaft unter diesen Umständen durchgehalten haben. Und erst recht die Geburt: eine der Geburten auf einem Leichenwagen zum Beispiel. Die ganze Zeit über wenig bis nichts zu essen, ständiger qualvoller Durst, keinerlei Hygiene, schwere, körperliche Arbeit, sogar Kannibalismus – und immer die Furcht, die Schwangerschaft würde entdeckt und man so entweder einer Zukunft als Mengeles Versuchsobjekt ausgesetzt sein oder gleich in der Gaskammer enden. Immer den Tod sprichwörtlich vor Augen zu haben und als feiner Aschestaub der in den Gaskammern Getöteten und in den riesigen Krematorien Verbrannten immer auch in Mund, Nase und in den schmutzigen Lumpen. Das sind Umstände, die sich heute niemand ausmalen will und die selbst »nur« zu lesen schon einiges abverlangt. Die Autorin schafft es, das Schicksal dieser drei Mütter und ihrer Kinder bis zum Tod der Mütter anschaulich (auch durch die vielen Fotos) wiederzugeben und so bisher nicht gekannte Emotionen beim Leser zu wecken. Inklusive des Wunsches, so etwas möge nie wieder passieren.

Das Buch erhält durch die gerade aktuelle Flüchtlingsdebatte und der rechten Umtriebe zum Beispiel in Form von Hetzkampagnen und Anzünden der Flüchtlingsunterkünfte eine noch größere Brisanz. Denn diese Flüchtlinge sind in ihren Heimatländern ebenfalls extrem traumatischen und lebensgefährlichen Situationen ausgesetzt gewesen, ebenso schlimmen Transporten durch die Schlepper und müssen dann auch noch in den vermeintlich sicheren Ländern um ihre Gesundheit oder sogar ihr Leben fürchten. Zum Glück gibt es hierzulande neben Dunkeldeutschland noch das helle Deutschland – würde es das nicht geben, hätten wir aus unserer Geschichte nichts gelernt. Und damit man aus der Geschichte lernen kann, sind solche Bücher wie Schicksalskinder auch heute noch Pflichtlektüre.

Bildquelle:

  • Weltbild, Augsburg

(ud)