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Sagen- und Märchengestalten – Die Gespenster – Teil 1

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die Gespenster
Teil 1

Keine Frage, auf welchem Gebiet des Wissens oder der Erfahrung sie sich bewegen möge, ist so oft und so mannigfaltig behandelt worden, als diese. Was wird aus unserer Seele? Sie bietet den weitesten Spielraum für alle Bilder des Schreckens, wie für den höchsten Aufschwung gläubigen Vertrauens. Niemand vermag sich ihr ganz zu entziehen. Jeden berührt sie irgendeinmal auf seinem Lebensweg näher oder entfernter, und nur wenige vermögen sie sinniger und tiefer zu deuten und zu beantworten. Nutzlos ist es und verwirrend zugleich, mit sterblichem Finger an die dunkle Pforte zu klopfen, die sich nur denen öffnet, welche eintreten und nicht wiederkehren. Was man auch mit Sympathie und Antipathie, Magnetismus und dergleichen mehr dem verschlossenen Geisterreich abzuringen glaubte. Es ist alles eitler Selbstbetrug, überreizte Einbildung, eine täuschende Verkörperung unserer heißesten Wünsche.

Älter noch als die Vorstellung eines Schattenlandes, in welches die abgeschiedenen Seelen hinabsteigen oder der Götterhalle über blauer Luft, zu der siegreich gefallene Helden hinaufziehen, ist der Gedanke einer Wanderung der Seele durch verschiedene Gestaltungen. In Sage und Märchen wandelt sich schon der Lebende in Stein, Pflanze oder Tier, wie vielmehr des Toten entflatternde Seele! Von Indern oder Ägyptern übertrug sich diese Vorstellung auf alle Völker. Wie tief dieselbe Wurzel geschlagen, wie frisch sie sich selbst in unserer aufgeklärten, spekulativen Zeit noch zu erhalten wusste, davon legt ein Blick auf unsere stillen Totenhöfe hinreichend Zeugnis ab. Hier auf der Marmorsäule schwingt ein Schmetterling die goldenen Flügel, das uralte Symbol der zur Läuterung führenden Wandelbarkeit. Dort windet eine Schlange sich um den ehernen Stab.

Dieses griechische Wahrzeichen der Heilkunde hat der Verstorbene nicht nur als ein von allem Übel genesener auf seinem Grab empfangen, nach der deutschen Urväter Glauben ist die Schlange zugleich ein geisterhaftes Wesen, ein Abbild der scheidenden Seele. Ganz ähnlich erklärt sich der goldene Blumenschmuck auf fühllosem Stein. In Blumengestalt sprießt die befreite Seele aus der Gruft empor. Ernsthaft sorgt der Überlebende für das Leichenkleid. Das weiße Sterbehemd tritt an die Stelle des Gewands, welches der Lebende trug. Auch war es üblich, die Füße mit neuen Schuhen zu versehen. Eine weite Reise liegt den Abgestorbenen vor, eine Reise durch ein dunkles, unbekanntes Land, und dass sie es nicht mit unbewehrtem Fuß durchmessen, hilft teilnehmende Liebe ihre Wanderung erleichtern.

Griechen und Römer, Deutsche und Briten, Wenden und Skandinavier glaubten an eine Überfahrt der Toten, die ihnen erst zur Ruhe verhelfe. In grauer Vorzeit wurde der Leichnam von treuer Freundeshand auf ein Schifflein gelegt, damit die Wellen ihn hinschaukelten in das unerforschte Reich. Der Wende bestattete seine Toten zur Reise auf dem Wasserpfad. In Frankreich und in den Niederlanden dagegen zieht nach dem Volksglauben der Seelenwagen nachts knarrend durch die Luft. Zahlreiche Sagen erweisen die Vorstellung von der Toten Überfahrt.

Solche Fahrt geht in brausender Eile von dannen, wie vom Sturm getragen werden. In einer Stunde wird ein Weg zurückgelegt, zu dem man sonst wohl Tag und Nacht bedarf, und oft musste der Schiffer wieder umkehren, die Zurückgebliebenen zu holen.

Böse Geister, auch solche, die ein menschliches Anliegen von der ewigen Ruhe abwendet, schweifen rastlos umher. Ihr Schattenleben endet mit der Erlösung, welche durch bestimmte Worte und Handlungen den Bann vernichtet, unter dem die Verwünschten leiden. Zuweilen bedarf es nur geringer Dinge, wie in der Sage vom feurigen Mann mit dem Markstein, der jammernd auf- und niedergehend rief: »Wo soll ich ihn hinsetzen?« Erlöst wurde durch eines betrunkenen Bauern grobe Antwort: »Du Esel! Setz’ ihn hin, wo du ihn hergenommen hast!« Manchmal wird die Erlösung nach Geisterjahren berechnet, die viel länger als gewöhnliche dauern.

Da soll ein dürres Reislein wieder ausschlagen und zu einem Baum emporwachsen, aus dessen Holz die Wiege für den einstigen Befreier geschnitzt werden muss, ehe das verwünschte Burgfräulein zur Ruhe eingehen darf. Der Volksglaube unterscheidet zwischen gewöhnlichen Gespenstern und verwünschten Leuten, unter welchem letzteren Namen man das zahlreiche Geschlecht der weißen Frauen, der weißen und grünen Jungfern, der spukhaften Mönche, der Männer ohne Kopf und der Irrlichter zusammenfasste.

Gespenster trennen sich nicht von dem Ort, wo der Leib begraben liegt, bleiben wenigstens in der Nähe ihrer einstigen, sterblichen Hülle. So tief hatte der Glaube an das Walten unseliger Schatten sich eingebürgert, dass gelehrte Männer sich die vergebliche Mühe machten, Art und Entstehung derselben zu erforschen und die Erscheinungen nach einem gewissen System zu ordnen.

Sie fanden, dass der Mensch aus drei Substanzen zusammengesetzt sei, nämlich aus dem Leib, dem Astralgeist und der unsterblichen Seele. Der Leib, so lehren sie, bildet sich aus Erde und Wasser. Er kehrt zu seinem Ursprung zurück, wenn der Tod erfolgt ist und die Verwesung eintritt, während die empfindende Seele sich in einem gewissen, leuchtenden Kreis um den Körper bewegt. Der feurige oder weißlich schimmernde Astralgeist besteht aus Feuer und Luft, kleidet sich aber in die Gestalt des Toten und muss eine unbestimmte Bußezeit aushalten, nach deren Ablauf er sich in seine Grundelemente auflösen darf. Die unsterbliche Seele unterliegt keinem Mittelzustand, sie geht unmittelbar zur Hölle oder in Gottes Schoß. Mit dieser wunderlichen Teilung aber begnügte die Menge sich nicht. Jeder schuf sich, nach dem Maß seiner Fantasie, eine neue Art. Es ist unmöglich, bei der mannigfaltigen Verworrenheit dieser Geistertheorien eine Übersicht derselben in wenigen Blättern zu geben. Möge daher die Mitteilung des Bekanntesten aus dem Geisterglauben früherer Zeiten genügen.

Wenn Mitternacht vom Turm dröhnt, springen, durch unsichtbare Hand gelöst, die Deckel von den Särgen, in weißen, schleppenden Hemden entsteigt das Heer der Toten den offenen Gräbern, und der unheimliche Tanz der klappernden Gerippe beginnt. Von zwölf bis ein Uhr nachts sausen die lustigen Gestalten frei umher, ihnen gehört die Finsternis, wie den Lebenden des Tages freundliches Licht. Doch ist solcher Totentanz wohl zu unterscheiden von jenem, der zum ewigen Gedächtnis ansteckender Seuchen sich auf Mauerwerk alter Kirchen gemalt findet, wo der Tod leibhaftig den schaurigen Reigen führt und die Lebenden ihm folgen müssen, der zitternde Greis am Stab, wie das Kind an der Mutterbrust, der Fürst wie der Bettler, wo hoch und niedrig, jung und alt, alles in den tollen Strudel hineingerissen wird.

Man frage den alten, eisgrauen Glöckner, der zugleich die sogenannte Amtswohnung des Totengräbers innehat und dessen Kämmerlein dicht an der Kirche inmitten des Friedhofs liegt. Er weiß es, weshalb die unheimlichen Scharen in nächtlicher Stunde hervorkommen aus den Grüften, die alten Toten jagen die neuen und verfolgen sie, bis diese sich eine Art von Bürgerrecht dort unten erworben haben. Wer die Seinen dagegen schützen will, der lege ihnen Dost, Dorant und Stubkraut in den Sarg, deren Duft die Poltergeister fernhält. Der Alte weiß es auch und hat oft genug heimlich zugeschaut, wie die Toten in der Nacht vor Allerseelen ihren eigenen Gottesdienst in der Kapelle halten. Hell flammt der Kerzenschein durch die trüben Fenster, aber innen ist es leichenstill. Nur wer am Sonntag geboren ist, in der Nacht zwischen elf und zwölf, oder am 27. Februar, oder am 30. Juli, der am 25. Dezember, besitzt die Gabe, Geister zu sehen, sogar am lichten Tag.

Zu Spa, einer berühmten Heilquelle in den Niederlanden, erschien einst in dem Haus eines Gastwirts der Geist seiner verstorbenen Frau. Besonderen Groll schien der ruhelose Schatten gegen das eigene Töchterlein zu hegen. Er polterte in ihrer Kammer, ergriff mit Härte das zitternde Mädchen im Bett und vertrieb durch feurige Drohschrift, die unter einem flammenden Kreuz an der Tür sich zeigte, alle Mägde, welche zum Schutz der Jungfrau die Kammer mit ihr zu teilen versuchten. In einer Nacht, als der Unhold ärger denn je gewütet und dem Mädchen höchst seltsame, für eine Mutter unangemessene Anerbietungen gestellt hatte, durchbrach die halb zu Tode Geängstigte den glühenden Kreis im Zimmer und entfloh. Zufällig übernachtete ein niederländischer Offizier in dem zunächst gelegenen Gemach. Vom Lärm geweckt, rief er den Wirt herbei und forschte bei ihm nach der Ursache desselben.

»Ach, gnädiger Herr«, rief der arme Mann mit erhobenen Händen, »ich bin sehr unglücklich durch diesen bösen Geist. Nicht allein, dass ich dem frommen Pater, der hier im Hause wohnt, allwöchentlich eine beträchtliche Summe für Seelenmessen zahlen muss, verjagt mir des toten Weibes Schatten auch die Kundschaft meines Hauses. Gestern erst hat mich eine reiche und vornehme Familie verlassen, alle Dienstboten laufen mir davon, und mein eigenes Kind hat schier den Tod von dem unheimlichen Wesen.«

Der Offizier schwieg und strich nachdenklich seinen Bart. »Also ein Pater wohnt bei Euch im Haus und kann den Spuk nicht bannen?«, fragte er endlich.

Der Wirt schüttelte traurig den Kopf. »Es muss ein boshafter Teufel die Gestalt meiner Seligen angenommen haben«, sagte er, »sie war so gut und sanft und liebte ihre Tochter über alle Maßen. Pater Ignaz meint, sie möchte wohl ketzerischem Glauben nachgehangen haben, als sie noch auf Erden wandelte.«

Der Fremde lächelte, als habe er seine eigenen Gedanken. Endlich entgegnete er: »Wisset, mein guter Mann, ich bin viel umhergekommen in der Welt und verstehe mich auch auf Geister aller Art. Wollt Ihr, dass ich Euch den Spuk gründlich vertreibe, so soll es geschehen. Aber Ihr dürft niemandem auch nur das Geringste davon vertrauen. Bringt Euer Kind heimlich hinweg, doch erst am späten Abend, mich aber lasst in seinem Bett die Nacht zubringen. Ihr und ein paar handfeste Leute, auf die Ihr Euch verlassen könnt, harrt in der Kammer nebenan, bis Ihr einen Schuss fallen hört, dann erscheint, aber nicht eher. Auch könnt Ihr Euch mit tüchtigen Knüppeln bewaffnen.«

Wer weiß, ob es hilft!, dachte der verwunderte Wirt, versprach jedoch pünktlichen Gehorsam.

Vor Mitternacht schlüpfte der Kriegsmann sacht in die verrufene Kammer und die Jungfrau durch eine Hintertür hinaus zu einer alten Base. Gegen zwölf Uhr rauschte es draußen auf dem Gang, die Tür der Kammer öffnete sich und ein Ungetüm erschien auf der Schwelle, so scheußlich anzusehen, dass den unerschrockenen Helden doch ein leichter Schauer überlief. Es ragte bis an die Decke des Gemaches, hatte Fledermausflügel, ein Totenantlitz mit zwei glühenden, tellergroßen Augen. Seltsam schwankend, indem Feuer und Dampf dem schnaubenden Rachen entströmten, schritt es hin und her und rief in furchtbarem Tone: »Bist du meines Befehls gewärtig? Wirst du tun, was ich verlange?« Zugleich erschien an der geschlossenen Tür ein glühendes Kreuz und darunter die Worte: Gehorche dem Pater in allem, wenn dir meine Seligkeit und dein Leben lieb sind!

Da hatte der Offizier das Entsetzen von sich abgeschüttelt, sprang entschlossen empor und mit jähem Griff dem flammenden Gespenst an die Kehle, das solchen Entschlusses und einer so muskulösen Hand nicht vorhersah, das Gleichgewicht verlor und mit dem Angreifenden zugleich zu Boden stürzte. Ein wildes Ringen begann, doch glückte es dem Offizier, eine der Pistolen zu erreichen, die er unter dem Bett verborgen hatte.

Jetzt blitzte es auf in dem dunklen Gemach, ein heftiger Knall erschallte, die Tür flog auf und der Wirt mit seinen Leuten, die Fackeln und derbe Knüttel in den Händen schwingen, erschienen.

Es regnete Schläge und Schimpfreden auf das Gespenst, das kläglich auf den Knien um Gnade bat. Als die Arme zu ermatten begannen, riss der erboste Wirt dem Geist die Teufelsfratze ab und prallt entsetzt zurück, als ihm des Paters feistes Angesicht geschwollen und blutrünstig entgegenstarrte.

»Holla«,« sagte der Offizier, »ist das nicht der fromme Mann, der den Geist ohne Handschuhe nicht anzugreifen wagte? Bindet ihm die Hände auf den Rücken und peitscht ihn zu seinen Oberen, dass sie den sauberen Bruder erkennen!«

Jammernd umfasste der Pater des Offiziers Knie und beschwor denselben, ihn nicht dem öffentlichen Hohn und der Verachtung preiszugeben; nimmer solle sein Fuß wieder Spa berühren, die Liebe habe ihn so verblendet.

»Wohlan!«, sagte der Offizier mit Lachen und wehrte den Wirt ab, der mit neu erwachtem Grimm auf den Pater losgehen wollte, »diesmal soll es Euch geschenkt sein, doch unter zwei Bedingungen, ehrwürdiger Herr. Erstlich leistet ihr der Jungfrau in meiner Gegenwart Abbitte für alles Ungemach, das ihr durch Euch widerfahren ist, für die Schmach, die Ihr derselben anzutun gedachtet, und bekennt frei, wie Ihr den höllischen Spuk dargestellt habt. Zweitens liefert Ihr mir die leuchtende Materie aus, mit welcher Ihr an dieser Tür und Eurem eignen Leibe Feuer und Flammen so künstlich hervorzurufen wusstet.«

Wie tief auch der Mönch gedemütigt erschien, fuhr er bei diesem Ansinnen doch ungestüm empor und bat flehendlich, ihm wenigstens die erste schmachvolle Bedingung zu erlassen. Doch da half kein Sträuben.

»Ihr habt keine Wahl«, rief der Offizier, »wollt Ihr tun, was ich fordere, so mögt Ihr noch zu dieser Stunde frei hinwegziehen. Weigert Ihr Euch aber dessen, so soll die Morgenröte Euch in sicherem Gewahrsam finden.«

Unentschlossen blickte der Pater um sich her. Als er aber die handfesten, trotzigen Burschen an der Tür des Wirts erboste Mienen und die kalten, spöttischen Blicke des Kriegers gewahrte, entsank ihm der Mut und er gelobte zu tun, was man von ihm fordere. Nachdem er in flehentlichen Ausdrücken die erste Bedingung erfüllt hatte, bat er den Offizier ihn in seine Kammer zu geleiten, wo er ihm einen beschriebenen Pergamentstreifen und ein stark riechendes, mit einer schwärzlichen Masse umhülltes Päckchen überreichte. Dann zog er eilends durch die dunkle Nacht von dannen.

»Werft das Höllenzeug ins Wasser«, sagte der Wirt und blickte misstrauisch auf das schwarze Pulver. »Riecht es nicht, als ob Satan selber hindurchgefahren sei? Werft es fort, ich bitte Euch.«

Doch der Offizier hatte bereits mit gespanntem Blick den Zettel überflogen. Jetzt hob er das Auge empor, und eine stolze Freude leuchtete auf seinem Antlitz. »Ihr wisst nicht, was Ihr fordert, wisst nicht, was ich hier halte! Vor Jahren tauchte ein Gerücht auf von wichtigen Entdeckungen in der Chemie. Phosphor nannte man den neuen Stoff, dessen Bereitung ein tiefes Geheimnis blieb, das von den wenigen Eingeweihten vielleicht mit ins Grab genommen würde, hätte nicht ein günstiger Zufall mich in Euer Haus geführt. Als ich des Paters hässliche Vermummung von Feuer und Dampf umgeben und doch nicht brennen sah, die flammende Schrift an der Tür erblickte, den durchdringenden Geruch des Feuerstoffes atmete, da dämmerte eine dunkle Ahnung in mir auf. In diesem Augenblick ist sie mir zur freudigen Gewissheit geworden. Ich bin im Besitz des kostbaren Geheimnisses – eine der wichtigsten Erfindungen des Menschengeistes darf nicht mehr fürchten, der Vergessenheit anheimzufallen.«

Nicht immer lösten die schreckhaften Erscheinungen sich so befriedigend wie diese. Seltsam ist es, dass die Gespensterfurcht, und mit ihr das Heer der Geister zuweilen ganz verschwand, dann wieder auftauchte und gewissermaßen epidemisch wurde. Aber das hängt mit dem Wesen und Charakter der verschiedenen Kulturepochen zusammen, die bald zu leerer Verständigkeit neigen, bald zu einem dunklen Gefühlsleben, einer Fantasie, die mit verworrenen Stoffen geschwängert, abenteuerliche Gebilde aus ihrem Schoß erzeugt, welche die nachfolgenden Zeilen als Aufgabe überkommen. Besonders krankte daran das 17. Jahrhundert, und mit Schrecken verweilt das Auge auf der Fülle einer Literatur, die uns aus allen Ländern Europas bändeweise Werke über Geister- und Gespenstererscheinungen bringt.

Im Jahr 1661 lebte in der Grafschaft Wiltshire in England John Monpesson, der Gastwirt und zugleich Gerichtsbeamter war und einst als solcher einen herumziehenden Gaukler verhaften ließ, weil dessen Legitimation sich als falsch erwies. Der Landstreicher rühmte sich, von einem Holländer allerlei zauberische Geheimnisse erlernt zu haben, deren höchste Kraft, (gewissermaßen die Quintessenz), in einer Trommel steckte. Diese wurde ihm abgenommen und in Monpessons Haus aufgestellt. Bald darauf entwich der Eigentümer des kostbaren Gegenstandes aus dem schlecht verwahrten Gefängnis und verlegte in des Richters eigene Wohnung den Tummelplatz seiner Geisterstreiche. Am Tag lärmte der Spuk klopfend und trommelnd durch Keller, Küche und Wohngemach. Nachts warf er die Kinder aus den Betten, kratzte die Erwachsenen und fuhr im Schornstein auf und nieder. Trat diesem unsichtbaren Dämon ein unerschrockener Gast mit Degen oder Pistole entgegen, so schwieg das Lärmen, nach einem Schuss in den Kamin fand man sogar Blutspuren, allein die Gespensterfurcht hielt den Leuten eine dichte Binde über die Augen, und der spukende Trommler vermochte schließlich seinen Unfug selbst am hellen Tag zu treiben, bis endlich das Haus des Gastwirts in üblen Ruf und der einst wohlhabende Mann an den Bettelstab kamen.

Die Seelen der Toten, die keine Ruhe finden können, werden als Poltergeister auf den Dächern erblickt, die sie abdecken, um die Vorübergehenden mit den Ziegeln zu bewerfen. Auch zertrümmern sie Fensterscheiben, Töpfe, Schüsseln usw. und verüben den mannigfaltigsten Unfug. Betrüger und Verbrecher suchten diesen Aberglauben zu benutzen.

Ein spanischer Edelmann erzählte: »Als ich einst, in meinem Bett liegend, in der heiligen Schrift las, wie ich stets vor dem Entschlummern zu tun pflege, vernahm ich plötzlich Geräusch unter mir. Ein schwarzer Arm langte hervor, nahm das Licht von dem Stuhl, auf dem es stand, und löschte es aus. Darauf kroch eine Gestalt aus derselben Richtung her, warf sich auf mich, als wolle sie mich erwürgen und hätte das vielleicht ausgeführt, wenn ich nicht in einem günstigen Augenblick meine Stimme zu lautem Hilferuf erhoben hätte. Diener mit Fackeln eilten herbei, fanden also niemanden außer mir. So wunderlicher Einfalt gegenüber konnte freilich der Übermut der Betrüger bis ins Unglaubliche ausarten.

Sehr fesselnd und mancherlei Deutungen fähig ist die Geschichte des berühmten Gespensterhauses zu Lucca in Italien. Vor mehr als zweihundert Jahren reiste nach dieser Stadt ein vornehmer Neapolitaner, Signor Sergio, in Begleitung einiger Diener, alle wohl beritten, wie die Sitte jener Zeit es heischte, und mit Waffen gut versehen. Als er das Tor erreichte, sah er sich von mehreren fein gekleideten Kavalieren begrüßt, die ihm zwar alle fremd erschienen, deren einer jedoch sich als den Freund eines seiner Freunde unter dem ihm bekannten Namen des Signor Pandulfo vorstellte. Zierliche Reden wurden gewechselt, und die Herren luden den Reisenden zu einer festlichen Abendtafel ein, welche ihm zu Ehren veranstaltet werden sollte. Obwohl der Neapolitaner anfänglich diese Ehre ablehnte, die Ermüdung nach dem langen Ritt vorschützend, vermochte er doch den dringenden Bitten des liebenswürdigen Pandulfo auf die Dauer nicht zu widerstehen. Signor Sergio entließ daher alle Diener in ein Wirtshaus, das ihm besonders empfohlen war, einen Einzigen ausgenommen, einen Mohren, von dem er sich niemals trennte, und begleitete Pandulfo zu dessen eigener glänzend eingerichteter Wohnung, wo er ein wahrhaft fürstliches Nachtessen bereitet fand.

Gegen Mitternacht, als der reichlich genossene feurige Wein das Blut in raschere Wallung gebracht hatte, begann der Gastgeber folgendermaßen: »Wahrlich, Signor Sergio, der Ruf Eurer Weisheit und Eures Verstandes, wie Eurer feinen und wahrhaft edlen Sitten, der längst zu mir gedrungen war, täuschte nicht, wie es manchmal zu geschehen pflegt. Lasst Euch meine aufrichtige Bewunderung gestehen, denn ich schwöre bei dem tapferen Degen meines Vaters und bei der unbefleckten Ehre meiner Mutter, niemals sah ich so viele Kenntnisse mit so hoher Würde und so großer Bescheidenheit gepaart. Es würde daher ungeziemend und meiner wie Eurer unwürdig sein, wenn ich Euch morgen in der Frühe weiter ziehen ließe, ehe Ihr Luccas schönsten Schmuck, ja die Zierde ganz Italiens, die berühmte Signora Clara Bianchi mit ihren Töchtern erblickt habt. So es Euch gefällt, will ich einen meiner Diener entsenden, dass er in ihrem Palast Euren und meinen Besuch anmelden.«

Signor Sergio, obwohl vom Wein erregt, konnte dennoch seine Bedenken bei diesem Vorschlag nicht verhehlen. Pandulfo aber lächelte und sprach, er sei vertraut genug mit den Gewohnheiten jenes Hauses, um zu wissen, dass die Signora ihm eher die späte Überraschung, als eine Nichtbeachtung von Signor Sergio vergeben werde.

Demgemäß ging der Diener in den Palast der Dame und kehrte bald mit einer dringenden Einladung, sie zu besuchen, zurück. Durch die menschenleeren, finsteren Straßen eilten beide Kavaliere dem Haus zu. Der Mohr, der trotz Pandulfos Vorstellungen auf keine Weise von seinem Herrn zu trennen war, leuchtete mit einer Fackel. Wie eine schwarze, gigantische Masse lag der Palast Bianchi in einem weiten Hof, den ein Säulengang ringsum einzufassen schien. Kaum jedoch überschritten sie die Eingangsschwelle, als wie durch Zauberschlag alle Räume glänzend erleuchtet wurden. Zwischen den Säulen gewahrte man Marmorstatuen von wunderbarer Schönheit, durch die bläuliche Flamme, die sie bestrahlte, wie zu geisterhaftem Leben erweckt. Zahlreiche Diener empfingen die Gäste am Fuß der breiten Treppe, wo der Mohr zurückbleiben musste. Eine seltsame Stille herrschte ringsum. Keiner der goldbetressten Lakaien öffnete den Mund, und als Signor Sergio sich fragend zu seinem neuen Freund wendete, schien es ihm einen Augenblick, als glühten Pandulfos Augen mit einem unerklärlichen Ausdruck von Hohn und Schadenfreude ihn an.

Betroffen hemmte der Fremde den Schritt, allein sein Führer lächelte ihm spöttisch und selbstbewusst entgegen.

»Erschreckt Euch dieses Schweigen um uns her? Bedenkt die späte Stunde und das Frauen den Palast bewohnen. In den Gemächern werdet Ihr Leben in schönster Fülle schauen.«

Sie gingen weiter durch eine zweite Säulenhalle, herrlicher noch als die erste. Türen von seltener, künstlerischer Arbeit wehten vor ihnen auf. Durch ein prachtvoll geschmücktes Vorgemach traten sie in ein rundes Kabinett, in welchem Signora Clara Bianchi ihre Gäste empfing. Es bedurfte aller weltkundigen Sicherheit des vielgereisten Neapolitaners, um bei dem Anblick, der sich ihm hier bot, nicht außer Fassung zu geraten. Von dem hellen Grund einer seidenen, blumendurchwirkten Tapete, in der flüssiges Licht auf- und niederzusteigen schien, denn es befand sich keine Ampel im Gemach und doch herrschte ein wildes, wohltuendes Tageslicht darinnen, hoben sich die dunklen Frauengestalten, in tiefe Trauer gekleidet, wundersam ab.

Niemals hatte Signor Sergio so viel Schönheit vereinigt gesehen und er wusste kaum, was ihm Auge und Sinne mehr fessle und verwirre, ob die majestätische Gestalt der Mutter oder die unaussprechliche Lieblichkeit der Töchter. Doch auch hier dieselbe Schweigsamkeit, auf eine höfliche Entschuldigung seines späten Erscheinens nichts als eine wohlwollende Neigung des Hauptes, ein süßes Lächeln. Nur Pandulfo sprach, doch seine Stimme hallte scharf wie Stahl an der Zimmerwölbung wieder. Jetzt öffneten sich gleichsam von selbst die Flügel des golddurchwirkten Eingangs und die Mutter schritt ihm voran durch Säle und Gemächer, in denen reich gearbeitete Schränke, die sie nacheinander öffnete, ihn die wunderbarsten Dinge schauen ließen: Schmuck in allen Farben, aus allen Zeiten, hier in roten Strahlen glühend, dort wie Sonnengold oder Frühlingsglanz, blau, violet, Perlen von seltener Größe und Zartheit, dass keine der mächtigsten Fürstinnen Europas auch nur den zehnten Teil solcher Reichtümer aufzuweisen vermöchte. Je weiter sie gingen, desto mehr eilte die Signora, von einer fieberhaften Hast getrieben. Traumgleich schwebten die kostbarsten Erzeugnisse an Sergios bewundernden Blicken vorüber. Einige Male wagte er eine Bitte um längeres Verweilen, allein die Dame sah ihm mit ihren großen schwarzen Augen so seltsam, fast beunruhigend ins Gesicht, während sie lautlos vor ihm herzuschweben schien und Pandulfo und die beiden Töchter längst nicht mehr in ihrer Nähe waren, dass der Neapolitaner allmählich in jene Art der Bezauberung versank, die den flatternden Vogel unter dem glänzenden Blick der Schlange überfällt. Endlich betrat er ein Gemach, welches keinen weiteren Ausgang zu haben schien, und auch dieses war, wie alle vorhergehenden, mit Schränken rings umher besetzt. Da unterbrachen feierliche Klänge die dumpfe Stille, bald brausend wie voller Orgelton, bald leise hinsterbend wie der letzte Seufzer einer entfliehenden Seele. Jetzt berührte die Signora mit ausgestreckten Händen die Türen der Schränke, dass sie aufflogen und ihren Inhalt dem begierig Forschenden enthüllten. Dort lagen menschliche Gerippe und einzelne Knochen in wilder, schrecklicher Verwirrung, ein Chaos längstvermoderter Geschlechter. Entsetzen erfasste den Gast, als er diese schaurigen Trümmer sah und vor ihnen die hohe, furchtbar schöne Frau, schweigsam wie das Grab und doch mit wunderbar beredtem Auge ihn drängend – wüsste er nur, wozu? Ein schlechter Scherz trat ihm auf die Lippen, er sagte fast, ohne zu wissen, was er sprach. »Ließet ihr die Mumien aus Ägypten überführen, Eure Sammlungen damit zu bereichern?« Da flammte ein zorniger Blitz in dem Auge der Dame auf. Ihre Lippen bewegten sich, ihre Hände drohten. Die Gerippe schienen Leben zu empfangen, eines nach dem andern glitt aus dem Wirrsal hervor, schloss die klappernden Glieder ineinander, und plötzlich umringte der Toten Menge den Neapolitaner, der jetzt entschlossen den Degen zog und zu dem Ausgang eilte, von den Gespenstern verfolgt.

Ohne sich umzuschauen, brach der Geängstigte mitten durch die von allen Seiten auf ihn Einstürmenden, flog durch Säle und Zimmer, erreichte mit Mühe den oberen Säulengang und sprang nun vier, fünf Stufen auf einmal die Treppe hinab, mit schallender Stimme nach seinem Diener rufend. Unten kam ihm der Mohr mit der noch brennenden Fackel entgegen, die er, wie sein Herr den Degen, mutig gegen die Verfolger schwang. Doch erst als es beiden gelungen war, auf dem Hof auf die Straße zu entfliehen, schwieg hinter ihnen der Tumult, und das Gebäude lag plötzlich wie ein riesiger Trümmerhaufen vor ihnen da. Völlig erschöpft von dem nächtlichen Abenteuer, eilte Signor Sergio dem Gasthof zu, der bereits seine Diener aufgenommen hatte, und beschloss, am nächsten Morgen den Wirt um die Lösung des seltsamen Erlebnisses anzugehen. Als der Tag angebrochen war, begab er sich mit dem Mohren zuerst zu der Wohnung des treulosen Pandulfo. Doch wie erstaunte er, eine leere, wüste Stätte zu erblicken, wo er die Nacht zuvor so lustig geschmaust und gezecht zu haben sich erinnerte! Leicht war es, von hier aus zum Palast Bianchi zu gelangen. Ein halb zerfallener Säulengang, von Schlingpflanzen überwuchert, fasste rings den Hof ein, dessen verwitterte Tore nur noch lose in den rostigen Angeln hingen. An der Eingangstür war das reichlich sprossende Gras zertreten und zeigte deutliche Spuren des heftigen Kampfes.

»Seht, Herr!«, rief der Mohr und deutete auf die Ecke eines grauen Pfeilers, »hier sind noch die Steine vom Rauch meiner Fackel geschwärzt, die ich dort abschlug, Eurer harrend.«

Eine breite Treppe führte hinauf, das Gestein hing lose in den Fugen, Spinngewebe überzog die Malerei der Wände. Vor den öden Räumen, in denen jeder Tritt schaurig widerhallte, während der Windhauch wie leise klagend durch die Fensterlücken zog, graute dem Neapolitaner, und er kehrte in das Wirtshaus zurück, wo die gesattelten Rosse seiner zur Weiterreise harrten. Indem er das Frühstück einnahm, erzählte er dem Wirt, was ihm begegnet war.

»Excellenza«, entgegnete dieser mit schlauem Lächeln, »Ihr habt Euch besser aus diesem nichtswürdigen Geisterhaus gerettet, als irgendein anderer vor Euch getan. Manche starben dort vor Schreck, andere trugen schweren Schaden an Geist und Körper davon. In dem Palast Bianchi hauste einst eine fremde, schreckliche Verbindung, die es verstand, unter allerlei Vorgehen reiche und angesehene Gäste in die fürstlich geschmückten Räume zu locken. Aber das Haus war wie die Höhle des Löwen, wo man nur die Fußstapfen derer erblickt, welche hineingehen. Ein gewisser Luigi, das Haupt der Bande, ein großer, schöner Mann mit krausem Haar und schwarzen, durchdringenden Augen – so erscheint er noch heute und erschien er auch Euch – wusste die Fremden zu kirren, deren Leichname spurlos verschwanden. Viele Jahre hindurch mordeten die Bösewichter ungescheut; endlich ereilte sie die strafende Gerechtigkeit, sie wurden eingefangen und gerichtet; das Haus stand öde, niemand mochte es kaufen oder gar bewohnen. In bestimmten Nächten erneuert sich der Spuk und der Vorübergehende vernimmt dumpfes Geräusch in Hof und Erdgeschoss, während an den Fenstern der Gemächer blaue Flämmchen hüpfen. Man sagt, wer das Wort zu sprechen wüsste, das die Geister der Ermordeten zur Ruhe bringt, vermöchte dort unermessliche Kostbarkeiten zu entdecken.«

Gespenster, wie sie in diesem verfallenen Palast hausen sollten, gab es in Menge, und ihre Geschichte wurde teils durch die Sage von Mund zu Mund fortgepflanzt, teils existieren über den Verlauf ihrer Erscheinungen Altenstücke, die von glaubwürdigen Personen unterzeichnet sind, sodass es schwer, zuweilen unmöglich ist, zu entscheiden, wer dabei der Betrogene war.