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Sagen- und Märchengestalten – Das wütende Heer

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Das wütende Heer

Nicht immer führte Wotan seine Schar zur fröhlichen Jagd. Oft galt es einen nächtlichen Zug gegen die toten Feinde zu führen, zu dem er die Schatten gefallener Krieger versammelte. Schon der Name bezeichnet den göttlichen Ursprung des Geisterzuges, es ist das wütende, das Wutes-, Wodes- oder Wuotesheer, verschieden von der wilden Jagd. In der weiten Ebene um Chalons in Frankreich, wo einst die mörderische Schlacht gegen die wilden Scharen der Hunnen entbrannte, erhoben sich in jeder Nacht die toten Leiber von der blutigen Walstatt, um den Kampf mit Streitaxt und Schwert, für den die Erde nicht weit genug erschien, hoch oben in der Luft von Neuem aufzunehmen.

Die Gefallenen jener frühen Zeit waren Heiden, ihre Geister verfielen nach späterer christlicher Anschauung der Hölle, deren schadenfrohe Dämonen die Unseligen immer zu neuem Kampf anfeuerten. Aber auch als die Streitenden längst nicht mehr dem heidnischen Glauben zugehörten, erhielt sich die Sage einer nächtlichen Wiederholung der Schlacht in den Lüften, denn ein Blutbad der Menschen untereinander, besonders aber christlicher Völker, hatte für die naive Anschauung früher Zeiten etwas so Unnatürliches, Furchtbares, dass auch das Mittelalter, hoch hinauf bis zur neueren Zeit, die Vorstellung eines ruhigen Totenschlummers nicht wohl mit dem Leben und dem blutigen Ende der Krieger vereinigen konnte. Durch alle Jahrhunderte hindurch zieht die Sage des Geisterkampfes in der Nacht, tapfere Helden wecken mit Speerstoß und Schwerterklang die Gebeine der Schläfer, welche aus dem Schoß der Erde emportauchen, um den schon so oft ausgefochtenen Streit noch einmal zu bestehen. Während das graue Altertum die im Kampf Erschlagenen zu den Göttern emporsteigen ließ, ihr Heldengeleit zu bilden, wies das Christentum die gefallenen Krieger den Teufeln zu, die auf dem Kampfplatz in der Nacht nach der Schlacht einen jubelnden Umzug hielten, weil die Beute, welche sich ihnen bot, ihr unterirdisches Reich so trefflich mehrte. Alle diejenigen, denen das Schlachtfeld zum Grab wurde, galten dem Volk und seiner naturwüchsigen Auffassung überhaupt als unselig, denn ihr Ende war gekommen, ehe denn Gott es ihnen bestimmte, herbeigeführt durch eigenen oder fremden Willen. Es unterschied sich der im Kampf erlegene nach seinem Tod nicht sonderlich von denen, die den Tod freiwillig gesucht hatten.

Ein Priester, den sein Weg in der Nacht über ein spanisches Schlachtfeld führte, vernahm dort in den Wolken ein hohles Sausen und Brausen. Er sah die Geister und Teufel kämpfen, während sie mit lauter Stimme einen toten Helden zu ihrem Beistand herbeiriefen: »Herr Walter von Milene! Herr Walter von Milene!« Wenn die unheimliche Schar dem eilenden Priester nahte, musste er mit dem Arm einen Kreis um sich ziehen, dessen geweihtes Rund die Toten nicht zu durchbrechen vermochten. Das währte bis zum Hahnenschrei, da zerstoben die kämpfenden Geister in alle Lüfte.

Schlimmer erging es einem badischen Edelmann, der zur Stadt geritten war, dort mit seinen Genossen beim Würfelspiel Hab und Gut vergeudete und über den Verlust in gotteslästerliche Flüche und Verwünschungen ausbrach. Als er spät am Abend sich zur Heimfahrt rüstete, warnte sein Diener ihn vor dem Nachtheer, das über einen alten Walplatz zu reiten pflegte, allein der Ritter vermaß sich hoch und teuer, gerade den Geistern zum Trotz desselben Wegs zu ziehen. Draußen vor der Stadt, auf dem einsamen offenen Feld, tummelten sich allnächtlich Scharen von Reitern in allerlei Rüstungen, unter die der halb trunkene Edelmann, seinem Tier die Sporen gebend, mitten hineinsprengte. Sie fielen ihn mit ihren Schwertern an, schleuderten den Vorwitzigen vom Ross herab und würden ihm sicher an das Leben gegangen sein, wenn nicht sein Diener ihm zu Hilfe geeilt wäre und St. Katharina, deren Fest man gerade feierte, um Beistand angerufen hätte. Die gespenstischen Reiter ließen nun wohl von ihm ab, blieben ihm aber die ganze Nacht hindurch hart auf der Ferse, und erst als der Morgen graute, verschwanden die kämpfenden Schatten.

Besonders unheimlich wurde arglos Wandernden die Stelle, wo ein Mord, eine Untat verübt oder wo im blutigen Zweikampf einer oder beide Kämpfer gefallen waren. Ruhelos trieben dort die unseligen Geister ihr böses Wesen. Dementsprechend sind jene Schlachtfelder vor allen furchtbar, auf denen zu dem Menschen verderbenden Streit sich noch ein zweites fluchwürdiges Moment hinzugesellte, wie auf dem Lügenfeld, wo die verräterischen Söhne Ludwig des Frommen ihren greisen Vater mit schlimmeren Waffen befugten als Schwert und Speer. Dafür erneuert sich an jedem Jahrestag in mitternächtigem Tosen jene Schlacht und jagt die erdenmüden Schläfer aus ihrer Ruhe erbarmungslos empor.

Bei Frankenberg in Hessen liegt die Totenhöhe, eine Ebene auf dem lang gestreckten Höhenzug. Dort ist in grauer Vorzeit eine blutige Schlacht geschlagen worden und alljährlich um dieselbe Zeit steigen die Leiber der Erschlagenen aus der Erde empor und kämpfen miteinander. In einer eisigkalten Winternacht wanderte ein Trupp Holzhauer über die Hochebene der Heimat zu, da vernahmen sie wilden Schlachtenruf, hörten den Boden unter sich dumpf erdröhnen und erblickten schattengleiche Hünengestalten zu Ross und zu Fuß, die wütend miteinander kämpften. Halb tot vor Angst warfen die Männer ihre schweren Äxte von sich und flohen zum nächsten Dorf. Erst als es tagte, getrauten sie sich umzukehren und ihr Handwerkszeug zu suchen. Da waren keine anderen Spuren im Schnee sichtbar als ihre eigenen, und wie weit sie auch voll Verwunderung spähten, fand sich kein sichtbares Zeichen des nächtlichen Treibens mehr vor.

In Böhmen, Hessen, im Elsass und in Baden werden besonders aus dem 12. und 16. Jahrhundert wunderbare Dinge berichtet. Da stürmten die Gespenster in hellen Haufen, bei Tag und bei Nacht umher, jeder gefallene Krieger erschien so zerhauen und verstümmelt, wie er auf dem Schlachtfeld gelegen hatte. Ein Graf von Leiningen, der kurz zuvor erschlagen worden war, durchzog das Land mit einem Haufen von mehr als fünfhundert Reitern. Ein Mann, dem er begegnete, zog hurtig den geweihten Reis um sich und beschwor alsdann die Schattengestalten, ihm zu offenbaren, wer sie seien. Der Graf aber rief ihn an: »Wir sind keine Teufel, sondern vielmehr die Seelen derer, welche erschlagen wurden und nun in feuriger Rüstung kämpfen müssen, bis die Erlösungsstunde naht.«

Eine andere Sage trennt die Krieger, welche für das Vaterland und ihr gutes Recht gestritten und nur aus höheren Rücksichten, als aus eitler Eroberungssucht oder Kampfeslust in den blutigen Streit gezogen waren, von denen, die, nach Beute und zuchtlosem Wandel lüstern, den Krieg zu ihrem Gewerbe gewählt hatten.

Zu Schletstadt erschienen einmal zwei Pilgerheere. Das eine bildeten tote Männer in weißen Gewändern, die am Morgen in ihre Gräber heimkehren durften, das andere bestand aus wild blickenden Reitern in roter Rüstung, auf flammenden Roßen, welche zum Kampf in einen Berg zogen, wo höllische Flammen sie umfingen.

Ein Weib sah das Totenheer vorüberfliehen, mitten im Tross erblickte sie ihren Mann, der lange vorher im Krieg den Tod gefunden hatte, mit gespaltenem Kopf. Da drängte das treue Weib sich furchtlos durch die Geister, riss sich den Schleier vom Haupt und verband damit die klaffende Wunde am Kopf des Gatten. Einer der Kriegsknechte hieß sie dafür aus einem großen goldenen Becher trinken, den er ihr reichte. Kaum aber hatte sie ihn an die Lippen gesetzt, als auch schon das ganze Heer zerstoben war. So behielt sie den Becher als ein Wahrzeichen in der Hand.

In dem Wuetten-Hör zog ein jeder, wie er gestorben war. Der eine trug Arm oder Bein vor sich, der andere die Eingeweide, ein Dritter das Haupt. Bei Tag sausten sie über Berge und durch Wälder mit Trommeln und Pfeifen, nachts mit glühenden Fackeln, die sie in ihren entfleischten Händen schwangen. Es ist nicht gut, den Geistern zuzuschauen, wenn sie dahinziehen. Wie bei der wilden Jagd soll der Begegnende sich mit dem Angesicht zur Erde werfen und sich an irgendetwas festhalten, wenn es auch nur ein Strohhalm wäre. Auch wer den Kopf durch die Speichen eines Wagenrades steckt, kann von den Vorübersausenden nicht beschädigt werden. Wer aber dem Heer mutig entgegentreten will, der muss ein gewisses Wort aussprechen, womit er den Zauber unschädlich macht. Ein lustiger Wanderbursche kannte das verhängnisvolle Wort und redete dreist den Führer des Zuges an, der ihm auch antwortete. Als der Bursche endlich die Formel sprach, zog das Heer in Sturmeseile davon.

Zuweilen fuhren die Toten in einem Wagen, aus dem unharmonische Musik, Hundegebell und Katzengeschrei ertönten. Sonst ziehen sie auch mit Trommelschall und Hörnerklang oder unter lautem Schlachtgesang dem Streit entgegen, ihnen voraus der Warner, ein alter Mann mit weißem Stab, der die Begegnenden aus dem Weg gehen heißt. Von der regelmäßigen Fahrt des wütenden Heeres stammen die Namen der Heergassen, welche sich noch heute in manchen Städten finden. Das Totenheer zeigt sich vom St. Bartholomäustag an bis zu dem Tag der Heiligen drei Könige, im Frühling, und besonders in den Osternächten. Versunkene Heere steigen nur einmal im Jahre zu der Erdoberfläche empor, zuweilen auch nur alle sieben Jahre. Der König im Berg klagt: »Nun muss ich wieder hundert Jahre schlafen.«

Je näher die Sage dem Heidentum steht, desto segensreichere Vorbedeutung hat der Umzug des wütenden Heeres für das Gedeihen der Früchte. Später ging diese Seite der Überlieferung beinahe ganz verloren und die Erscheinung bedeutete Unglück, Krankheit dem Einzelnen, Revolution oder Krieg ganzen Völkern.

So traf König Heinrich IV. von Frankreich auf das wütende Heer und wurde bald darauf ermordet. Die chasse Hérode, (die Jagd des Herodes) dicht am Erdboden hinstreifend, ging dem Ausbruch der Französischen Revolution voran, als Vorzeichen blutigen Unheils.

In verwünschten Bergen hausen die alten Götterheere, deren Lenker zu einem der Lieblingshelden des Volkes wurde. So liegt in Hessen der Odenberg, wohin einst Karl der Große mit seinem Heer kam, dem er auf einem milchweißen Ross voranritt. Am Odenberg vermochten die Kriegerscharen, von Durst gequält und von der Hitze ermattet, nicht mehr weiter zu ziehen. Da schlug der Schimmel des Königs mit seinem Huf einen Stein vom Felsen ab und aus der Öffnung sprudelte silberhell ein mächtiger Born (Quelle). Der Stein mit der Hufspur soll derselbe sein, welcher noch heute, in die Gudensberger Kirchhofswand eingemauert, zu sehen ist. Die Quelle mit ihrem klaren, kalten Wasser wurde hoch geehrt und besitzt allerlei geheimnisvolle Kräfte. Darauf schlug König Karl eine gewaltige Schlacht am Odenberg. Das Blut der Seinen wie das der Feinde floss in Strömen, und Purpurbäche durchströmten das Ackerfeld, deren Spur noch heut zu sehen ist, sobald der Regen den roten Grund aufwühlt. Als der Feind in die Flucht geschlagen war und die Nacht hereinbrach und die von dem heißen Kampf ermatteten Krieger sich zur Ruhe auf den harten Boden hinstreckten, da öffneten sich lautlos die Wände des Bergs und nahmen den greisen König und sein Heer samt allen Toten in die weiten, unterirdischen Hallen ein. Dort ruhen nun die Kriegsmüden, bis ihre Zeit da ist, zu erwachen, alle sieben oder alle hundert Jahre. Wer in der rechten Stunde am Berg vorübergeht, der vernimmt darin dumpfes Stimmengewirr und Pferdewiehern. Brausend erschließen sich die Felsentore, ein Getöse, als ob eine unsichtbare Reiterschar an ihm vorüberzöge, schlägt an sein Ohr und bald hört er die Waffen hoch droben in den Lüften erklingen.

Der nächtliche Zug geht bis zum Glisborn, dort werden die Pferde getränkt. Niemand kann ihm folgen, denn die Reiter ziehen mit Sturmeseile hinweg. Erst wenn Mitternacht vorüber ist, lenken sie den schattenhaften Zug zurück in den Odenberg, in dessen Höhlen sie schlummern, bis ihr König sie von Neuem ruft. Durch den gebogenen Arm kann man die Geisterscharen im Odenberg in schimmernden Rüstungen ein- und ausziehen sehen. Die Sage ging später von Karl dem Großen auf Kaiser Karl den Fünften über, dem die Kämpfe mit dem Landgrafen von Hessen einen märchenhaften Nimbus verliehen. Er lebt nun fort in der Sage, und die Frauen auf dem Land bringen ihre unartigen Kinder zur Ruhe, indem sie ihnen zurufen: »Du, der Quinte kommt!«, wie es anderwärts heißt: »Der Ruprecht kommt!« oder: »Der Wuwelax guckt aus dem Ofen!« Der Karl Quinte führt sein Heer zur Geisterschlacht, wenn ein Krieg dem Land droht. Sonst reitet er allein aus dem Odenberg hervor in roter Rüstung, auf einem roten Ross, feurig nickt ihm der Helmbusch vom Haupt, und so jagt er der Windsbraut gleich um den Waldsaum des Berges und verschwindet wieder in demselben.

Die Sage von einem Krieg verkündenden Helden wurzelt im ältesten Heidentum des Nordens. In langem Kampf waren einst die tapfersten Krieger gefallen, da schritt in der Nacht die Valkyria (Schlachtenjungfrau) über das blutige Feld, die im Todeskampf erstarrten zu neuer Fehde weckend. So kämpfen sie Tag für Tag, um bei Anbruch des Morgens in den bleiernen Totenschlaf zurückzusinken. Wie der Held seine Mannen, so weckt hier die Schlachtenjungfrau die Gefallenen zu neuem, erbitterten Streit. Wo das Nordlicht seine feurigen Strahlen schießt, da lässt die Sage der Letten die Seelen gefallener Krieger in der Luft fortkämpfen, den Bewohnern der Erde Blutvergießen künden. Sturm, Donner und Blitz sind die Anzeichen, dass die Seelen miteinander streiten.

Heere in den Wolken deuten kluge Leute auf nahe bevorstehenden Krieg, nicht minder nächtliche Erscheinungen von fremden Soldaten oder Wagen mit Verwandten, wie sie in der Altmark zu Anfang des Jahrhunderts sich zeigten. In dunkler Nacht pochte es an die Fenster des Torhüters zu Gransee. Als der Mann erwachte, vernahm er Stimmengewirr und Säbelklirren. Erschrocken sprang er auf und eilte an das Tor, um es zu öffnen. Ein unabsehbarer Zug finsterer Kriegergestalten, denen zahllose Wagen mit Verwundeten und Toten folgten, versperrte die Straße. In gebrochenem Deutsch herrschten ihm die Anführer ihre Befehle zu. Erst als es ein Uhr vom Turme schlug, verschwand der ganze Spuk, und der Mann stand allein auf der öden Gasse. Das sollte die Kriegsnot vorbedeuten, welche bald schwer genug über die deutschen Lande hereinbrach.

Wie Karl der Große im Odenberg, so thront Friedrich der Erste im Kyffhäuser. Sein roter Bart ist durch den steinernen Tisch gewachsen, auf dem sein Arm das schlummertrunkene Haupt stößt. Lange schläft er so mit halb geöffneten Augen, bis ein glückliches Menschenkind zur rechten Stunde erscheint und den Berg offen findet. Da hebt der alte Kaiser das müde Haupt empor und winkt dem halb erwachten Edelknaben: »Hinaus vors Schloss, du Zwerg, und sieh, ob noch die Raben herfliegen um den Berg.« Immer wird ihm die gleiche Kunde und seufzend lehnt er sich zurück: »So muss ich auch noch schlafen, verzaubert hundert Jahr.« Wer in den Berg eindringt, Spielleute, Hirten, Knaben, dem spendet der Kaiser oder sein holdseliges Töchterlein eine unscheinbare Gabe, die sich draußen in blitzendes Gold verwandelt. Wie im Kyffhäuser ruht der alte Held auch im Untersberg bei Salzburg, zu Trifels oder in einer Felsenkluft bei Kaiserslautern. Zweimal umschließt sein Bart den Tisch. Wenn er das dritte Mal herumgewachsen ist, naht der Welt Ende und der Kaiser erwacht.

Dann zieht er mit seiner alten, treuen Schar aus dem Berg hervor und hängt seinen Schild auf dem Walserfeld an einen Birnbaum, zum Wahrzeichen für alle, die herbeiströmen. Der Baum ist dürr und scheinbar vertrocknet, dreimal ist er schon umgehauen worden, allein er trieb immer wieder starke Sprossen, aus denen er neu erwuchs. Wenn er zum vierten Male grünt, Blätter, Blüten und Früchte trägt, dann ist das Ende da, und der Kaiser reitet zu ihm hin. Auf dem Feld wird eine furchtbare Schlacht geschlagen werden, so schrecklich, dass den Kämpfenden das strömende Blut in die Schuhe rinnt. Die Guten töten alle Bösen, Engel stoßen in die Posaunen und der Jüngste Tag bricht an.

So tief wurzelte der Glaube an eine künftige Wiederkehr des geliebten Herrschers, dass ein altes Sprichwort sagt, »Auf den alten Kaiser hinein stehlen« oder »Dahin leben wie auf den alten Kaiser«, nämlich auf den Nimmermehrstag, auf eine ungewisse, zukünftige Veränderung aller Dinge. Später vermischte die Sage beide Kaiser, Friedrich den Ersten mit dem Zweiten, wie ja Wotan in Karl den Großen überging und dieser wieder in Karl den Fünften. Auch des alten Frankenkönigs greiser Bart ist durch den Tisch gewachsen, an dem er der Erlösung harrt. Wie er als ein Toter aus dem hochlehnigen Sessel in seiner Gruft noch saß, das Schwert über die Knie gelegt, die schwere Krone auf dem Haupt, hatte er sich dem Volksbewusstsein unauslöschlich eingeprägt, und alle Sagen schildern ihn genau so im Berg ruhend.

Von seinen Gefährten berichtet man, dass sie mit eisernen Kugeln kegelten, wie der wilde Jäger in mancher Überlieferung mit eisernen Karten oder Würfeln spielt. Ein Schmied suchte in den Hecken um den Odenberg nach einem Weißdorn, den er zu einem Hammerstiel zu verwenden gedachte. Mitten im Gebüsch erschloss sich ihm eine Öffnung des Bergs, durch die er hineintrat in eine weite Halle, in der starke Männer mit gewaltigen Kugeln spielten. Als er voll Erstaunen ihnen zuschaute, rief ihn einer von ihnen an, ob er mit ihnen kegeln wolle. Doch der Schmied lehnte es ab. Als er gehen wollte, boten sie ihm ein Geschenk nach seiner Wahl und er nahm eine der Eisenkugeln mit. Zu Haus angelangt machte er sie glühend und legte sie dann auf den Amboss. Beim ersten Hieb zersprang sie jedoch in Stücke und jedes Stück erwies sich als reines Gold.

Auf dem Königsweg in Westfalen erscheint die Bärenkutsche, in welcher König Wittekind von Hohensyburg nach Soest fahren soll. Wittekind war der berühmte Herzog der alten Sachsen, der lange der Macht Karl des Großen und dem Andringen des Christentums widerstand, zu dem er sich endlich der äußeren Form nach bekannte. Doch das heidnische Wesen lebte in ihm fort und er sitzt nun, versunken in einem Hügel seines Heimatlandes, besserer Zeiten harrend. Nur ein gewaltiger Krieg lockt den alten Helden aus seiner Ruhe hervor. Wenn aber stürmische Tage für die deutschen Lande herannahen, ziehen die Bergentrückten aus ihrer stillen Klause hervor und halten feierlichen Umzug. Da birgt der Rodensteiner auf nächtlicher Fahrt seine Schätze im Schnellerts, der Rothentaler lässt sich im Aargau wieder blicken, der Graurock auf dem Rockenstuhl, und der sagenhafte Held des Nibelungenliedes, Dietrich von Bern, mischt sich unter die Führer des wütenden Heeres.

Auf der grünen Insel, im meerumbrausten Irland, wo die Sage über Fels und Klippe ihre buntesten Fäden schürzt, steigt bei nahender Gefahr der alte Herrscher jenes Landes, O’Donoghue, auf milchweißem Streitross aus den Fluten eines Sees empor, in den er einst versank, um nun seinem Reich beizustehen in der Bedrängnis. Und wie Kaiser Karl in stiller Nacht sein Geisterpferd über die Rebenhügel des Rheins lenkt, sie mit einem Zauberspruch zu reicher Fülle segnend, steigt nach einer anderen Sage auch der irische Fürst in jeder ersten Mainacht aus der kühlen Flut empor und durchreitet das Land, um es zu segnen. In schwüler Sommerdämmerung, wenn der Elfen leichte Schar sich auf der grünen Insel zum Tanz schwingt, kann man auch den einst mächtigen Grafen zu Kildare schauen, der, auf herrlichem Streitross sitzend, die Scharen seiner toten Krieger in langen Zügen an sich vorüberwallen lässt.

Die volkstümliche Dichtung aller Zeiten suchte dem Tod, der nun einmal aus dem blühenden Leben nicht mehr hinweg zu bannen war, die herbe Bitterkeit zu nehmen. Wirklich schaudervoll und schrecklich ist nur das Todesbewusstsein, das völlige Getrenntwerden von allen Annehmlichkeiten des Daseins, von Hab und Gut, von den Geliebten, von Ruhm und Ehre, mit einem Wort von allem, was des Menschen Herz erfreut. Das zahllose Heer der Geschiedenen trennte sich nicht ganz von dem überlebenden Geschlecht. Doch, um Religion und Sitte genug zu tun, war es nicht selig, nicht beglückt in diesem Mittelstand, der die Last der Sünden erst von ihnen streifte. Mannigfach sind die Bedingungen, vielfach verändert die Zustände, in denen die Seelen verweilen müssen. Nur der Grundgedanke herrscht unstreitig vor, die entschiedene Loslösung zu verhindern, und einer tröstete den anderen, wenn ein Freund geschieden. »Er geht ins alte Heer, zur großen Armee«, das heißt, er wird aufgenommen in die Reihen der Toten, denen die Nacht gehört. Ein Herrscher, wie Karl der Große, dem es vergönnt war, mit unbeugsamem Willen und starker Hand ein Volk aus der Tiefe der Unbildung empor zu ziehen zu einer beträchtlichen Höhe der Kultur, dem Gott dazu die seltene Gabe eines langen, von körperlichen Leiden ungetrübten Daseins verliehen hatte, musste und konnte in der Erinnerung nicht so dahinsterben und verschwinden, wie ein gewöhnlicher Sterblicher. Notwendig schloss der Volkssinn gerade diesen König an die Wotansage an, ihn mit der Heiden altem Göttervater in eins verschmelzend. So zeigen ihn deutsche und fränkische Sagen, nur dass diesen die naive Treue in der Bewahrung einzelner Züge mangelt, welche den deutschen eigen ist. An der Spitze des wütenden Heeres in Frankreich reitet der große Karl, sein Heldensohn Roland trägt die Fahne und der Zug wendet sich gegen die Sarazenen. An diese erste und älteste Überlieferung schließt sich die wilde Jagd, deren Führer Hellequin genannt wird, zuweilen auch Karolus Quintus oder Allequintus. Welcher Karl damit bezeichnet wird, ist schwer zu ermitteln, denn die Sage vom Hellequin stammt aus dem 13. Jahrhundert und findet sich mehrfach in den Schriften jener Zeit. Karl V. von Frankreich wie Kaiser Karl V. lebten später und konnten doch erst nach ihrem Tod in den Sagenkreis aufgenommen werden. Näher liegt der Ursprung des Wortes Hellequin von der deutschen Helle, Hellekin. Spätere Zusätze verwandelten den bergentrückten König Karl in einen unseligen Geist, der nächtliche Kreuzzüge gegen die Ungläubigen unternimmt.

Herzog Richard I. von der Normandie, der Sohn Robert des Teufels, war ein unerschrockener Held, der keine Furcht kannte und darum den Beinamen »sans peur« empfing. Einst vernahm er von seinen Rittern, dass allnächtlich das wütende Heer über den Wald hinzieht und unter dem Schatten eines breitlaubigen Baumes von der langen Fahrt ausruhe. Solch Abenteuer reizte seinen tatendurstigen Sinn. Er ritt zum Wald und nahm hundert auserlesene Gefährten mit sich. Als die Dämmerung hereingebrochen war, ertönte in weiter Ferne seltsames Geräusch, das nah und näher drang, bis endlich wildes, unheimliches Brausen die Luft erfüllte und zwei Männer sichtbar wurden, die ein vielfarbiges Tuch auf den Waldboden ausbreiteten. Aus der Höhe herab trat der Geist eines Helden in den Mittelpunkt des Kreises, eine große Schar schattenhafter Gestalten drängte sich huldigend um ihn her. Da schwang der Herzog sich rasch vom Pferd und mit beiden Füßen auf das Tuch, die Geister durch den kecken Sprung am Boden fesselnd. Entsetzen ergreift seine Ritter, sie geben ihren Herrn verloren, der Macht des Bösen verfallen und entfliehen. Alle, ohne sich nur umzuschauen. Der Herzog aber beschwört den Heldengeist, ihm zu sagen, wer er sei und er nennt sich Karl V., der seine Sünden durch allnächtliche Kämpfe gegen die Ungläubigen im Morgenland büßt. Das lockt Richard den Furchtlosen, er verlangt die Fahrt mit dem König zu teilen und bestürmt den Geist so lange, bis dieser sagt: »So ziehe denn mit uns, doch was du auch sehen und hören mögest, halte das Tuch fest, auf welchem du fährst!« Das gelobte der Held und mit Windeseile hob der Zug sich vom Boden auf und brauste durch die Luft hinweg. Nach Mitternacht vernahm Richard den Klang eines Glöckleins und forschte begierig, wo sie seien? »Über dem Sinai««, entgegnete der büßende Schatten, »dort beginnt soeben im Kloster der heiligen Katharina die Einuhrmesse.« Der Herzog bat, dort, ehe er weiterziehe, sein Gebet sprechen zu dürfen, und der Geisterzug hielt an, um ihn herabzulassen. Scheidend gab der Führer ihm ein Stück des Tuches mit der Weisung, dass sein Fuß nicht davon weichen dürfe, begehre er anders die Heimat wieder zu schauen. »Bete für uns!«, rief ihm der Geist noch zu, »auf der Rückfahrt holen wir dich ab.« Lange und inbrünstig spricht Richard seine Gebete für die armen Seelen, in deren Geleit er kam, dann beschaute er die Kirche und die Kapellen, welche fromme Andacht mit reichen Altären und Opfergaben geschmückt hatte. Dort kniete ein fremder Rittersmann, zu der Heiligen seine Gebete emporsendend, auf dass sie ihn, der schon sieben Jahre lang von dem Schloss seiner Väter und seinem geliebten Weib fern geblieben, endlich wieder heimführen wolle aus der Gefangenschaft der Sarazenen. Die Stimme dünkt dem Herzog bekannt, er tritt näher hinzu und schaut dem Mann ins Gesicht. Da erkennen sich beide, und froher Hoffnung voll erhebt der Ritter sich von seinen Knien, den Herzog als ein Zeichen nahender Erlösung zu begrüßen. Scheidend hatte er einst mit seinem Weib den Ehering geteilt und ihr dabei gesagt, die eine Hälfte zu bewahren, während er die andere nahm: Wenn er in sieben Jahren von der Pilgrimschaft nach dem heiligen Grab nicht zurückgekehrt sei, möge sie dies als ein Zeichen seines Todes annehmen und ein neues Eheband knüpfen. Schwer bedrängt von habgierigen Verwandten hatte nun die trauernde Witwe einen zweiten Gemahl erkoren und zur Festesfeier den Herzog selbst geladen, der nun in des Ritters rechte Hand gelobte, sichere Kunde von dem Verschollenen heimzubringen in die Normandie. Damit die Edelfrau ihm Glauben schenke, händigte der Gatte ihm den halben Trauring ein. Als sie noch miteinander redeten, ertönte in den Lüften das Gebrause des Geisterheeres, Richard nahm Abschied und schwang sich wieder auf das Tuch. Bleich und blutig waren die Schatten im harten Kampf geworden, manchem das Schwert zerbrochen, die Rüstung arg zerhauen. Dumpfe Stille schwebte über dem nächtlichen Zug. Der Furchtlose entschlummerte wie daheim auf seinem Lager. Als das Morgenrot ihn weckt, liegt er unter dem Baum, an welchem das wütende Heer zu rasten pflegte. Da eilt er heim, freudig begrüßt von den Seinen, die ihn verloren gegeben hatten. Richard besteigt noch an demselben Tag ein schnelles Ross, reitet zu der Burg des verschollenen Ritters und überbringt der Edelfrau die Hälfte des Ringes mit der Botschaft ihres Gemahls. Dieser erlangte durch Herzog Richard die Freiheit. Ein vornehmer Sarazene, den Richard einst gefangen mit sich führte, wurde aus seiner Haft entlassen und dessen Heimkehr löste in Palästina des Christenritters Bande.

Nach einer anderen Sage traf der Herzog, im Wald verirrt, auf eine Meute jagender Hunde, Horntöne schallten in sein Ohr, Jäger zu Fuß und zu Ross brausten an ihm vorüber. Vergeblich trieb der erzürnte Gebieter sein schnaubendes Tier mit Zuruf und Sporn dem fremden Zug nach, der unberechtigt im Wald jagte.

Das Pferd witterte die Geister und scheute zurück. Endlich nahte dem Herzog eine der Schattengestalten und er erkannte seinen vor Jahresfrist verstorbenen Seneschall, den er voll Erstaunen anruft, um von ihm zu erfahren, weshalb er hier sich zeige? Darauf erwiderte ihm der Geist: »Wohl Herr, war ich Euer Seneschall, doch nun bin ich tot und fahre mit dem wütenden Heer.« Er geleitete alsdann Richard den Unerschrockenen zu einem Dornbusch, in dessen Zweigen Hellequin saß. Diesen fragte der Herzog, mit welchem Recht er hier zu jagen sich erkühne? »Wir wandern so lange schon verwünscht umher«, klagte der Unselige, »sind so erschöpft und müde, leiden so große Angst und Pein, dass man es nicht schildern könnte in vielen Tagen. Gott gebot uns, diesen Wald zu durchstreifen jede lange, bange Nacht. Das ist das Recht, das ich zur Wanderung habe.« Nun breitete der Seneschall ein Tuch von wunderbarer Arbeit auf dem Boden aus, Hellequin stieg von dem Dornbusch herab und ließ sich darauf nieder. Dann offenbarte er dem Herzog, wer er sei und dass er zur Büßung irdischen Gelüstes umziehen müsse, bis die Schuld gesühnt sei.

Scheidend verehrte er Richard das kostbare Tuch zu einem sichtbaren Wahrzeichen des Erlebten. Es ist dasselbe, auf welchem die nächtliche Fahrt geschah. Das Tuch ist wunderbaren Ursprungs, nämlich Odins oder Wotans Mantel, der Wolkenhimmel, in den der Gott sich selbst und diejenigen einhüllt, die er durch die Luft empor trägt, es hat in der zweiten Sage, weil diese neuer und nicht mehr völlig rein berichtet wird, von seinem hohen Wert eingebüßt und geht endlich über in eine Gabe, wie kunstreiche Zwerge sie wohlwollend den Menschen zu verehren pflegten.

Allnächtlich zog ein Kriegsheer über den Rhein, dessen Ufer von den Reiterscharen völlig bedeckt erschienen. Da kam ein deutscher Rittersmann des Weges und schaute verwundert den gespenstischen Tross. Ganz zuletzt erblickte er einen Söldner, der zwei Pferde leitete und erkannte in ihm seinen Koch, der wenige Tage vorher eines jähen Todes verblichen war. Von ihm erfuhr er, dass der ungeheure Zug das Heer der Toten sei. Es müsse jede Nacht vom Elsass nach Jerusalem durch die Lüfte fahren und kehre vor Tagesanbruch zurück. Auf dem Handpferd des Verstorbenen sitzend, zog der Ritter mit den Toten in das Morgenland und zurück. Zur Erinnerung verehrte der Koch ihm ein Salamandertuch und ein Messer. Wer von diesem verwundet wurde, verfiel unrettbar dem Tod, das Tuch nützte sich nimmer ab und konnte nur durch Feuer von Schmutz und Staub gesäubert werden.

Auch die schwäbische Sage weiß von einem Koch. Dem Schimmelreiter folgte ein feuriger Wagen, mit Verstorbenen angefüllt. Eine Strecke hinter ihnen erschien ein Mann, der Kochlöffel in einem Bund auf dem Rücken trug und jeden Vorübergehenden anhielt, um nach der Richtung zu forschen, welche der Wagen mit seinen Insassen genommen hatte, er sei der Koch und müsse das Mahl der anderen rüsten. So pflegten nach dem Glauben unserer Urväter die Götter das Land zu durchziehen, im Wagen fahrend oder auf Böcken reitend, ihnen folgte Andhrimnir, dessen Aufgabe es war, den auf der Jagd getöteten Eber zu einem Mahl für die Unsterblichen zu bereiten.

In dieser Weise verflochten sich die Mythen von der wilden Jagd, vom wütenden Heer, von dem Umzug der Toten und von der Wiederkehr tapferer Fürsten aus dem Berg zu einem in sich zwar gegliederten, doch niemals in allen einzelnen Teilen klar gesonderten Ganzen.