Die sechs schlafenden Jungfrauen 3
Die sechs schlafenden Jungfrauen oder: Der schreckliche Zweikampf
Eine furchtbare Ritter- und Geistergeschichte von Wilhelm Bauberger erzählt
Kapitel drei
Alfreds kühne Unternehmung
Der darauffolgende Tag verstrich den Bewohnern der Schwefelburg unter den eifrigsten Vorbereitungen zum bevorstehenden Streit. In der Nacht vor dem dritten Tag, als tiefer Schlummer über der weiten Erde ruhte und die Schwefelburg ausgestorben schien, ertönte plötzlich das Horn des Torwarts und kriegerisches Getümmel wurde hörbar. Ritter, Knappen und Knechte eilten geschäftig umher, und Fackeln erleuchteten den Burghof. Es galt einen unerwarteten Angriff auf die Heckeburg. Mit 120 Reitern und ebenso viel Bogenschützen zog Alfred von Steinkopf in möglichster Stille aus der Burg. Mit dem Grauen des Morgen kam die Schar vor der Heckeburg an.
Urach spottete der nur kleinen Macht des Schwefelburgers und schickte einen Herold desselben mit allen möglichen Beleidigungen zurück. Alfred wütete. Gern hätte er sogleich einen Sturm unternommen, aber der Feind war mächtiger. Obwohl es in der Burg an Lebensmitteln fehlte, so war wiederum die Jahreszeit den Belagerern keineswegs günstig.
Nach einigen Tagen, da Alfred noch immer vergebens auf ein Mittel sann, mit Glück einen Sturm zu unternehmen, stürzte plötzlich ein Reisiger atemlos in dessen Zelt und meldete, ein Zufall habe ihm verraten, aus der Heckeburg sei ein verwegener Knappe entwischt, der alle Dienstmannen der Ritter Friedrich von Witzel und Brömser von Hiller aufgeboten habe, noch am Abend um zehn Uhr vereint das Lager des Schwefelburgers zu überfallen. Zu gleicher Zeit wollte Urach einen Ausfall machen, um die Belagerer zu vernichten.
Alfred traf sogleich Anstalten, dies zu verhindern. Am Abend zog er in möglichster Stille mit 150 Mann ab, nachdem er das Kommando der Zurückbleibenden seinen Freunden Adolf von Heerschau und Heinrich von Questenberg übertragen hatte. In einem Hohlweg, durch den die feindliche Hilfstruppe kommen musste, wurde haltgemacht und die Mannschaft nach Alfreds Einsicht verteilt. Nicht lange ließ der Feind auf sich warten. Als er sorglos ankam, wurde er von drei Seiten angegriffen. Es entstand ein furchtbarer Kampf. Die Feinde fielen, von Alfreds und der seinen wütenden Schwertern getroffen, oder warfen die Waffen weg und flehten um Gnade. Wohl hundert Tote und Verwundete vom Feind bedeckten den Kampfplatz, während Alfred nur drei Tote und vierzig Verwundete zählte. Über hundert Mann wurden gefangen genommen.
Der Jubel über den erfochtenen Sieg war im Lager allgemein. Am folgenden Morgen gab Alfred einem Gefangenen die Freiheit, der die Niederlage im Hohlweg auf der Burg erzählen musste. Der wilde Urach tobte und fluchte. Die wenigen Lebensmittel waren für die Dauer nicht ausreichend und man riet dem belagerten Burgherren, mit dem Feind zu unterhandeln. Davon wollte Ritter Urach nichts hören, bis ihn ein fast gänzlich misslungener Ausfall, den er in der Verzweiflung unternahm, auf andere Gedanken brachte. Es wurde ein Herold mit Friedensvorschlägen in das Lager geschickt, worauf Alfred nichts weiter verlangte, als was er zu Anfang der Belagerung begehrt hatte, nämlich die erb- und eigentümliche Abtretung von drei namhaften Dörfern und einen Fischteich, in welchem der Sage nach die besten Karpfen in der Gegend gefangen wurden. So schwer es den Heckeburger fiel, auf diese Bedingungen einzugehen, so musste er, von den vereinten Bitten seiner Verbündeten bestürmt, doch einwilligen und begab sich selbst in Alfreds Lager. Die Ritter wurden von diesem gastlich bewirtet und sodann von dem Burgpriester die Urkunde abgefasst und ausgefertigt, die auch von den Rittern mit drei Kreuzen unterzeichnet und deren Wappen am Schwertknopf beigedruckt wurde. Ehe die Ritter schieden, wandte sich der edle Alfred noch an den alten Urach mit versöhnlichen Worten.
»Herr Ritter«, sprach er, »zürnt mir nicht, dass ich in dieser Fehde so glücklich gegen Euch war. Ich gestehe es offen, nur dem sonderbaren Entschluss, Euch in der Burg, die ohne Lebensmittel war, zu belagern. Meinem Sieg im Hohlweg verdanke ich diese für mich günstige Urkunde. Aber selbst dann hätte ich mit meiner geringen Macht nur wenig ausgerichtet, wenn Ihr Eure Streitkräfte hättet gehörig entwickeln können. Zürnt also nicht mir, sondern einzig und allein meinem Glück!«
Urach erwiderte kein Wort, sondern lächelte etwas gezwungen. Aber auf seiner Burg angekommen sagte er zu seinen Gefährten: »Kumpane, wenn ich dem Schwefelburger nicht ewige Rache geschworen hätte, bei Gott! Ich könnte den herrlichen Jüngling lieben!«
Das Lager wurde noch am selben Tag abgebrochen und unter begeisterten Kriegsgesängen zog das kleine Heer zur Schwefelburg zurück.