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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Teufel auf Reisen 5

Carl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Erster Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Drittes Kapitel – Teil 3
Faust und Gretchen

Die Pause benutzte der gallsüchtige Registrator, um das endlich angelangte Butterbrot zu verzehren, wobei er jedoch fortwährend dem Zeitungsmarder wütende Blicke zuwarf. Plötzlich entstand ein fürchterlicher Lärm, der alte grämliche Spitz fuhr auf einmal von seinem Platz auf und flog dem Pudel des Philologen an den Hals. Der Registrator, seinen Liebling in Gefahr sehend, ergriff seinen Regenschirm und führte damit einen Rolandshieb, um dem vierbeinigen Gefährten seiner freudlosen Tage beizustehen. Klirrend fiel dem Kellner, der eben mit einem Hühnerfrikassee vorüber wollte, der Teller aus der Hand.

Die siebenzehnjährige Blondine stieß einen Todesschrei aus und lispelte: »Mein neues Tibetkleid ist ganz mit Soße übergossen!«

Alles schrie durcheinander.

Einige riefen: »Es ist empörend!«

Andere: »Schmeißt ihn raus!«

Und wie es schließlich häufig geht, so musste auch jetzt der Unschuldige büßen, denn der Registrator hatte die allgemeine Verwirrung benutzt, um sich mit seinem Spitz zu drücken, und der Zeitungsmarder wurde statt seiner beim Kragen erfasst und trotz des von ihm erhobenen Protestes an die frische Luft gesetzt.

»Habe ich meine Sache gut gemacht«, fragte, sich ins Fäustchen lachend, der Teufel.

»Ausgezeichnet. Es war wirklich ein genussreicher Abend.«

»Jetzt wollen wir aber auch gehen. Nach dieser Aufregung bedürfen wir der Ruhe. Wir kehren in unser Hotel zurück und plaudern dort noch ein Stündchen auf unserem Zimmer.«

Worin diese Unterhaltung bestand, wollen wir dem Leser verschweigen, nur so viel sei bemerkt, dass Schwalbe zu seinem infernalischen Bekannten bereits so viel Zutrauen gefasst hatte, dass er es nicht für nötig erachtete, von dem Zahn des heiligen Loyola Gebrauch zu machen, als er sich zu Bett legte, an dessen Wirkungen er übrigens – so weit hatte ihn bereits der Teufel umgarnt – stark zu zweifeln begann.

Am anderen Tage bereiteten sich die Herren auf den Besuch vor, den sie, der erhaltenen Einladung gemäß, der Familie Pilz zu machen beabsichtigten. Schwalbe war, infolge der Zaubermittel, welche sein Freund Berthold ausgeübt hatte, äußerlich und innerlich wenigstens um zehn Jahre jünger geworden. Seine Gestalt schien schlanker, seine Haltung war fester, in seinen Bewegungen gaben sich mehr Biegsamkeit und Eleganz kund. Auch sein Geist war frischer und für äußere Eindrücke empfänglicher. Er fühlte sich mehr als je dazu aufgelegt, mitten ins Leben zu treten und dessen Annehmlichkeiten zu genießen. Berthold betrachtete ihn vom Fuß bis zum Kopf, und indem ein zufriedenes Lächeln seinen Mund umspielte, sagte er: »Nun, tut es Ihnen jetzt noch leid, meine Bekanntschaft gemacht zu haben?«

Leider müssen wir bemerken, dass der Teufel über unseren Freund bereits einen solchen Einfluss erlangt hatte, dass dieser sehr leichtsinnig antwortete: »Keineswegs. Es macht sich jetzt bei mir eine ganz andere Anschauung vom Leben geltend. Ich glaube, ich war früher ein recht einfältiger Träumer, der bei aller eingebildeten Weisheit im Finsteren tappte.«

»So ist es recht, mein Sohn«, lachte der falsche Baron von Schwefelkorn mit einem etwas verdächtigen Grinsen, »und nun kommen Sie, der Wagen hält vor der Tür und es ist Zeit, dass wir uns auf den Weg begeben.«

»Sie werden heute gleich ein Gemisch von Leuten kennenlernen«, bemerkte er unterwegs, »welches nicht bunter zusammengesetzt sein kann; ein Abklatsch im Kleinen von dem, was Ihr Menschen die Welt im Großen nennt.«

»Also hübsch bunt zusammengesetzt?«, wiederholte der Doktor.

»In allen möglichen Farben«, lachte sein Gesellschafter, »von dem schmutzigsten Grau bis zum grellen Hochrot.«

In diesem Augenblick hielt der Kutscher vor einem großen eleganten Haus, und der Lohndiener, welchen sie mitgenommen hatten, sprang vom Bock und riss den Wagenschlag auf. Die beiden Herren stiegen aus.

Ein geräumiger, von korinthischen Säulen getragener Portikus nahm sie auf, Orangeriebäume, an denen teilweise reife Früchte hingen, waren in der Vorhalle zu beiden Seiten bis zum Fuß der Treppe aufgestellt und diese selbst, mit feinen Teppichen belegt, konnte ebenfalls als ein architektonisches Kunstwerk gelten.

»Alles geschmackvoll und elegant«, bemerkte Schwalbe, überrascht umherblickend.

»Was aber keineswegs das Verdienst meines Freundes Pilz ist«, fügte Berthold hinzu. »Wäre es nach ihm gegangen, so würden sich beim Bau dieses palastähnlichen Gebäudes die größten Lächerlichkeiten geltend gemacht haben. So bestand er unter anderem hartnäckig darauf, dass die Knäufe der Karyatiden, welche die Decke des Portikus tragen, Ochsenköpfe darstellen sollten. Es verleihe dies, so behauptete er, dem Ganzen einen stillen ländlichen Charakter, obgleich sein Haus, wie Sie bemerkt haben werden, im belebtesten Stadtteil liegt. Glücklicherweise steht er unter dem Einfluss seiner Frau, die sich auf ihre ästhetische Bildung nicht wenig zugutetat. Und so kamen an die Stelle der Ochsenköpfe Satyre – eine kleine Anspielung, die sich der Baumeister auf das Genie des Herrn Pilz erlaubte.«

Die beiden Herren waren oben angelangt und betraten ein Vorzimmer, welches wieder mit dem Gesellschaftssalon in Verbindung stand. Ein baumlanger Bediensteter, auf das Bunteste mit Goldtressen ausstaffiert, in kurzen, schwarzen Plüschbeinkleidern und weißen Strümpfen, stand bereits wartend an der Tür und so wie er unsere Bekannten erblickte, riss er diese auf und rief oder brüllte vielmehr mit aller Anstrengung seiner Lungen: »Herr Berthold, Chef des Handlungshauses Hermann Florian Berthold, nebst Neffe!«

Sogleich stürzte ihnen Herr Pilz unter allen Zeichen zuvorkommender Höflichkeit entgegen. Etwa zwei Schritte vor Berthold blieb er stehen, machte eine tiefe Verbeugung und sagte: »Sehr angenehm, Sie persönlich kennenzulernen, mein verehrter Freund! … parole ohn’ Ehr’ (statt d’honneur) sehr erfreut, Sie in meine Arme schließen zu können! … Deren Neffe? … Umarme Sie gleichfalls in Gesellschaft von Ihrem Herrn Oheim! … Comment purtzlez-vous … Na, man sieht es Ihnen wohl an, dass Ihnen nichts abgeht … ha, ha, ich befinde mich, Gott sei Dank, ebenfalls recht wohl!«

Während dieser Worte hatte der Doktor Gelegenheit, Herrn Pilz etwas näher zu betrachten. Es war dies eine kleine runde, stämmige Gestalt, mit einem starken Ansatz von Beleibtheit, mit einem eckigen, mit großen abstehenden Ohren besetzten Kopf, mit einem breiten, von dicken Lippen eingefassten Mund, mit ein paar grauen Augen, aus denen ein eitles Selbstbewusstsein sprach.

»Wollen Sie nicht die Gewogenheit haben, uns Ihrer Frau Gemahlin und Ihrer Fräulein Tochter vorzustellen«, fragte Berthold, indem er auf den Emporkömmling einen Blick warf, als wollte er sagen: »Derartige Käuze gibt es zum Überfluss in der Welt.«

»Sehr obligiert!«, rief Herr Pilz mit einer Verbeugung, »es geht nichts über Höflichkeit in der Welt, und ich schätze mich glücklich, von mir selbst sagen zu dürfen, dass ich es darin sehr weit gebracht habe.«

Mit diesen Worten schritt er unseren beiden Bekannten voran und führte sie zum Sofa, von welchem sich Frau Pilz mit einer halben Verbeugung erhob, während Fräulein Klothilde, die Tochter des Hauses, die Herren mit einem genialen Lächeln, welches sehr viel Selbstvertrauen und Unabhängigkeitssinn verriet, begrüßte.

»Mein Geschäftsfreund, Herr Berthold und dessen Neffe – meine Frau und meine Tochter«, stellte Herr Pilz vor.

Die etwa fünfzig Jahre alte Dame schlug sentimental die Augen empor, was ein ihr gegenüberstehender, kranichartig aufgeschossener, sehr hagerer Herr mit spitzen Schultern und einem sehr dünnen Bärtchen, sogleich auffing und ebenfalls ein Gesicht machte, als fühle er sich von Weltschmerz angehaucht.

»Ich bin erfreut, Sie in unserem Hause willkommen zu heißen«, sagte sie mit einer leichten aristokratischen Neigung des Kopfes. »Wie ich höre, stehen Sie mit meinem Mann in enger Geschäftsverbindung?«

»Sehr eng liniiert,« (statt liiert) fiel Pilz mit einer zuvorkommenden Verbeugung ein. »Ich bin wirklich erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Und die Dame sank scheinbar erschöpft auf ihren Sitz zurück.

»Ausgezeichnet viel Anstand«, murmelte Pilz wieder, indem er seinen breiten dicken Mund an das Ohr Bertholds brachte. »Sie müssen nämlich wissen, meine Frau stammt aus einer Professorenfamilie und hat eine erschrecklich gelehrte Bildung genossen. Überhaupt«, fuhr er laut fort, indem er den Kopf stolz in den Nacken zurückwarf. »Ja, in der Tat, ich darf wohl behaupten, dass Sie sich bei jedem Schritt, den Sie hier tun, auf klassischen Boden bewegen werden. Auch meine Tochter …«

Herr Pilz hielt hier plötzlich inne, denn seine Frau hatte ihm einen Blick zugeworfen, als wenn sie sagen wollte: »Kusch, Sultan, halte dich still!«

Und Berthold gewann hierdurch Zeit, sich an die Tochter des Hauses zu wenden.

Die schlanke Blondine sah ihn sehr keck und herausfordernd an, ohne zu ahnen, in was für einer gefährlichen Nähe sie sich befinde.

»Ich bin besonders glücklich, Ihnen mein Kompliment machen zu dürfen«, begann Schwalbes Begleiter mit einer geschmeidigen Verbeugung.

»Ich weiß schon, ich weiß schon,« fiel diese mit einer abwehrenden Bewegung ein, »es sind die alten Redensarten, Sie kennen mich noch gar nicht, aber Sie finden mich bereits unbeschreiblich liebenswürdig.«

»Ungemein genial,« sprach hier Vater Pilz wieder dazwischen, »jedes Wort ist eine Genialität.«

»Das finde ich auch«, bemerkte Berthold, »es verrät jedenfalls Geist, wenn eine junge Dame den Mut besitzt, solche gedankenlose Redensarten, die sich leider noch zu häufig gellend machen, dem Spott preiszugeben.«

»Oh, die sollen Sie nur erst näher kennenlernen«, fiel Pilz wieder wohlgefällig ein, »ich bin wahrhaftig nicht auf den Kopf gefallen, aber sie gibt mir manchmal Nüsse zu knacken …«

»Papa, du sprichst heute wieder einmal recht viel dummes Zeug«, rief Klothilde.

»Was sie witzig sein kann!«, lächelte dieser behaglich.

»Nein, es ist mein voller Ernst, und pfui! Was hast du da für eine Weste an.«

»Es ist das Neueste. Weißer Grund mit blassroten Blumen.«

»Ei, das sind ja Gänseblumen. Wirklich, man kommt in Versuchung, dich für einen alten Gänserich zu halten!«

»Da hören Sie’s «, entgegnete Papa Pilz lachend, »die weiß Schiller und Goethe auswendig.«

Indem rief die Dame des Hauses, wobei sie eine unbeschreiblich verächtliche Gebärde machte: »Baron, reichen Sie mir mein eau de mille fleures, er ist heute mit seinem Geschwätz wieder einmal unerträglich … Es erregt mir Nervenschmerz!«

Während der hagere, kranichartige Baron sich in Bewegung setzte, um den ihm erteilten Befehl zu erfüllen, ließ Pilz die Unterlippe hängen und zog ein Gesicht, als wenn er eben einen moralischen Fußtritt erhalten hätte.

»Ihre ästhetische Bildung macht sie mitunter etwas reizbar«, flüsterte er Berthold zu, »Mais que voulez vous, wie der Franzose sagt, eine gewisse Hausordnung ist notwendig, also …«

Er wurde durch die Stimme seiner Frau unterbrochen.

»Willst du die Herren nicht auch mit den übrigen Herrschaften bekannt machen?«, rief diese etwas ungeduldig.

»Sogleich, meine Liebe. Zunächst, meine Herren, erlaube ich mir, Ihnen den Baron von Schmalhals vorzustellen. Langjähriger Hausfreund – ein Herr von großen Verdiensten, die meine Frau bei ihrer ästhetischen Bildung am Besten zu würdigen versteht -ein Mann, dem ich mein volles Vertrauen schenke und welchen ich daher auch ein für alle Mal damit beauftragt habe, mich in allen dringenden Fällen zu vertreten.«

Berthold blinzelte mir verstohlen zu, während der Baron sentimental die Augen verdrehte und Frau Pilz mitleidig die Schultern zuckte.

»Dies hier«, fuhr deren Mann mit großer Ernsthaftigkeit fort, indem er auf eine Persönlichkeit zeigte, deren langer Leib wie ein zusammengeklapptes Taschenmesser aussah und welche mit ihren Kinnbacken fortwährend die Bewegung des Kauens machte. »Dies hier ist Herr Professor Windbläser.«

»Professeur des langues«, fügte dieser mit einer Verbeugung hinzu.

»Ha, ha, Professor der Lange,« lachte Pilz. »Köstlich! – Charmant! Dacapo! Einen solchen Witz soll mir einmal einer nachmachen. Na, Professor,« fügte er beruhigend hinzu, »gleich geht es zu Tisch, hoffentlich haben Sie einen guten Appetit mitgebracht?«

Der professeur des langues rieb sich sehr behaglich die Hände und begann wieder leise seine Kinnbacken zu rühren und gleichzeitig mir dem Mund zu schnalzen.

»Es bleibt mir jetzt nur noch übrig, Sie mit dieser Dame hier bekannt zu machen«, fuhr der Hausherr fort. »Fräulein Krickel – ein Muster von Anmut und Liebenswürdigkeit – eine vertraute Freundin meiner Tochter Klothilde.«

Fräulein Krickel verbeugte sich. Sie hatte rötliches Haar, eine spitze Nase und ein paar Augen, denen es nicht an Schlauheit fehlte, die aber auch zugleich List und Falschheit verrieten. Sie mochte bereits zweiunddreißig Jahre alt sein, und der Ärger, sich noch immer im jungfräulichen Stand zu befinden, schien sie bereits ziemlich gallsüchtig gemacht zu haben.

»Meine teure Therese«, rief Klothilde und legte dabei schmeichelnd ihren Arm um die Taille ihrer älteren Freundin.

»Mein süßes Herzenskind«, antwortete diese, wobei sie dem jungen Mädchen einen ihrer zuckersüßen Blicke spendete.

»Ja, ja«, sagte Pilz äußerst befriedigt, »ein Herz und eine Seele!«

»Und auch ein Gedanke«, fügte Klothilde hinzu. »Therese denkt so wie ich und ich denke so wie Therese.

Sie ist so ein Stück Blaustrumpf und ich bin es auch. Sie schwärmt für die Emanzipation der Frauen und ich schwärme ebenfalls dafür. Sie würde mir ihren Beistand nicht versagen, wenn ich zu einer kühnen Tat aufgelegt wäre, und deshalb liebe ich sie so sehr.«

»Erschrecklich viel Verstand«, flüsterte Pilz Berthold zu, indem er gleichzeitig einen bewundernden Blick auf seine Tochter warf, »mitunter beschleicht mich im Stillen so eine Ahnung, als wenn ihr genialer Geist sich wirklich eines Tages durch eine Tat bemerkbar machen würde, von der ich jetzt noch keine Ahnung habe.«

»Das scheint mir auch so«, antwortete Berthold trocken, machte dabei aber ein so behagliches Gesicht, als wenn er eben einen an der Angelrute zappelnden Fisch aus dem Wasser gezogen hätte.

»Liebe Frau«, rief Pilz, sogleich hielt er aber auch inne und sagte: »Sie ist eben wieder mir dem Baron Schmalhals in einem ästhetischen Gespräch begriffen, und in solchen Fällen erlaube ich mir grundsätzlich nicht, sie zu stören.«

Fräulein Therese verzog spöttisch das Gesicht und ihre Augen nahmen einen katzenartigen Ausdruck an. Herr Windbläser wischte sich den Mund und spitzte die Ohren, denn er erwartete jeden Augenblick die Meldung, dass die Suppe auf dem Tisch stehe.

Fortsetzung folgt …