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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Ein schlüpfriger Fußboden

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 19

Ein schlüpfriger Fußboden

Der den Herrn Montagu Smythje von der Montego Bay nach Willkommenberg bringende Wagen kam die große Allee herauf und gelangte vor dem großen Haus gerade eine Stunde vorher an, ehe Herbert Vaughan auf seinem elenden Klepper und von Quashie begleitet an dem Eingangstor der Pflanzung war.

Herbert, der beim Vorwärtsreiten seine Augen fest auf das Haus gerichtet hielt, vermochte keinen einzigen Menschen, weder vor dem Haus, noch vor der Tür, noch an den Fenstern zu erblicken, obgleich die venezianischen Fensterläden weit aufstanden.

Dieser Umstand, dass nicht ein einziges menschliches Wesen vor dem Haus zu finden war, erregte natürlich bei dem jungen Mann ganz eigene Gedanken. Sowohl sein Onkel als auch alle Dienstleute waren sämtlich im Haus selbst mit dem aristokratischen und geehrten Gast beschäftigt. Niemand bekümmerte sich um ihn.

Die Wahrheit lag in der Tat dieser Annahme nicht fern. Sein Onkel dachte wirklich nicht an ihn. Nachdem er die bereits erwähnten Vorkehrungen getroffen hatte, befürchtete der Pflanzer gar keinen unangenehmen Zwischenfall mehr.

Herr Smythje war um halb vier am Nachmittag angekommen. Vier Uhr war die gewöhnliche Mittagszeit auf Willkommenberg, sodass gerade hinreichende Zeit für den Kammerdiener vorhanden war, die mannigfachen Koffer und Mantelsäcke auszupacken und seinen stutzerhaften Herrn zum Mittagessen anzukleiden.

Alles dies war geschehen, bevor der junge Zwischendeckpassagier beim Haus ankam. Das Mittagsmahl war auf den Tisch gestellt worden, die Glocke hatte die Gäste geladen, Herr Vaughan hatte den geehrten Gast seiner Tochter Käthchen vorgestellt, und alle drei, Vater, Tochter und nach Herrn Vaughans Ansicht der mutmaßliche Schwiegersohn hatten sich an den Tisch gesetzt.

Da nur drei Couverte gelegt waren, so war die Anzahl der Gäste vollständig und das Mahl begann.

Es schien weiter kein Gast erwartet zu werden und es wurde auch keiner als fehlend erwähnt.

In der Absicht des Herrn Vaughan hatte es gelegen, die Vorstellung des Herrn Smythje bei seiner Tochter von so großer Wirkung als möglich zu machen.

Er war klug genug, um die Macht der ersten äußeren Erscheinung zu kennen.

Aus diesem Grund hatte er es so eingerichtet, dass beide sich nicht vor dem Mittagessen zu Gesicht bekamen, wo sie in gewähltem und vollständigem Anzug erscheinen mussten.

In soweit ein günstiger Eindruck auf Herrn Smythje hervorgebracht werden sollte, war diese Absicht des Herrn Vaughan auch vollständig erreicht.

Seine Tochter erschien in der Tat prächtig, strahlend wie der Edelstein, der in ihrem Haar schimmerte, anmutig, wie nur die Natur und zierlich, wie die Kunst allein ein Mädchen auszustatten vermag.

Selbst das Herz des Cockney empfand, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, jenes wahrhafte Gefühl der Bewunderung, das Schönheit im Verein mit jungfräulicher Bescheidenheit stets sicher ist, einzuflößen. Für den Augenblick wenigstens waren alle Erinnerungen an die gewohnten Ballettmädchen sowie alle die verworrenen Eindrücke der Freudenhäuser vollständig verwischt und ein ernsteres und edleres Gefühl hatte Raum gewonnen.

Selbst der niedrig gesonnene Loftus Vaughan hatte Einsicht genug, diese Wirkung zu bemerken. Doch wie lange sie anhalten, wie lange die Pflanze einer reinen Leidenschaft in diesem unangemessenen Boden fortgrünen möchte, dies war hingegen eine Frage, deren Entscheidung einen geschickteren Physiologen erfordert haben würde, als Loftus Vaughan.

Der Zuckerpflanzer frohlockte, als er seinen Erfolg gewahrte. Smythje war unbezweifelt breit geschlagen.

Wäre der berechnende Vater indes in gleicher Weise bemüht gewesen, die Wechselseitigkeit dieses schönen ersten Eindruckes zu beobachten, so würde er bald enttäuscht worden sein. Denn so gewiss wie bei Herrn Smythje ein Gefühl der Bewunderung herrschte, so gewiss hatte bei Käthchen Vaughan eine gewisse Abneigung Platz gewonnen, oder, etwas gemäßigter ausgedrückt, eine vollkommene Gleichgültigkeit.

Das schlimmste Zeichen von allen, das schlimmste, mindestens für die Hoffnungen des Besitzers von Montagu, war, dass Käthchen von dem Augenblick an, wo sie bei Tisch saß, ganz Fröhlichkeit und Lächeln war.

Der Gast schien allerdings ganz entzückt über diese muntere Liebenswürdigkeit zu sein. Aber, Smythje, du standest dann sicher nicht hinter den Kulissen oder im Garderobezimmer, deine Schlüsse täuschen dich selbst, denn hättest du so viel wie ich gewusst, du hättest wahrlich lieber einen finsteren und mürrischen Blick vorgezogen!

In der Tat, der Londoner hatte wirklich höchst unglücklich debütiert. Eine großartige Ungeschicklichkeit war bei der Vorstellung vorgekommen, gerade in dem entscheidenden Augenblick, wo alle Augen und alle Ohren weit offen für eine gegenseitige erste Begrüßung waren.

Herr Vaughan hatte einen großen Fehler begangen, als er die Vorstellung in der großen Halle stattfinden ließ.

Selbst Eis war nicht glatter als ihr Fußboden und die Folge davon war unvermeidlich. Wäre der Cockney auf Schlittschuhen gewesen, so würde er sich vielleicht höchst geschickt benommen haben, denn viele Winter hatten ihn auf der Serpentine gesehen, wo er Figuren gleich einer Acht lief.

Nun aber gewährten seine feinen Glanzstiefeln durchaus gar keinen Haltepunkt auf dem polierten glänzenden und ungeheuer glatten Fußboden eines jamaikanischen Esszimmers. Und so fiel er, während er eine seiner anmutigsten Stellungen versuchte, wie ein Stein zu den Füßen derjenigen, die er bloß zu begrüßen beabsichtigt hatte.

Mit diesem Fall hatte er alles verloren, jede Möglichkeit, Käthchen Vaughans Herz zu gewinnen. Tausend tugendhafte, tausend heroische Taten hätten ihn bei ihr nimmer wieder aufrichten können.

Herr Montagu Smythje war viel zu sehr von sich selbst eingenommen, um durch einen so unbedeutenden Unfall aus der Fassung gebracht zu werden. Sein Kammerdiener hatte ihn im Nu wieder auf die Füße gestellt, und mit einem kleinen Fluch und der hinzugefügten Bemerkung, dass der Fußboden »verdammt glibberig« sei, schnurrte er vorsichtig nach seinem Stuhl hin und setzte sich sofort.

Das Mittagsessen nahm nun seinen Anfang.

Obgleich der Londoner sein ganzes Leben lang gewohnt gewesen war, aufs Beste zu speisen, so konnte er doch ein aufrichtiges Gefühl der Bewunderung bei der reichlichen und üppigen Mahlzeit, die vor ihn hingestellt worden war, nicht unterdrücken.

Vielleicht in keinem Teil der Welt zittert der Esstisch so unter der Last der vortrefflichsten Fleischspeisen, als auf den Westindischen Inseln. In den Zeiten, wo die Zuckerpflanzungen noch so außerordentlich einträglich waren, mochte man aus Jamaika ein ganz gewöhnliches Mittagsessen ganz wohl als ein reiches Festessen bezeichnen. Schildkrötensuppe war die gewöhnlichste, und die kostbarsten Gerichte standen in der größten Mannigfaltigkeit auf der Tafel. Selbst das gewöhnliche alltägliche Dessert war ein des Apicius würdiger Genuss und die Weine waren leicht und mild, Champagner, Bordeaux und klare Rheinweine.

Das waren noch schöne Zeiten für die weiße Oligarchie der Zuckerinseln, Tage der Lustbarkeiten und des üppigsten Lebens, bevor der Donnerkeil des edlen Wilberforce die dunkle Grundlage zertrümmerte, worauf sich ihr Gepränge und ihr glänzender Wohlstand stützten.

Das von Loftus Vaughan für den englischen Gast hergestellte Mittagsessen war ganz in dieser alten Weise und ließ in der Tat nichts zu wünschen übrig. Hinter den Stühlen erschienen Haufen von farbigen Dienern, die schweigend und ohne alles Geräusch über den spiegelhellen Fußboden dahin glitten. Junge Mädchen von verschiedener Farbe und Körperbildung, einige von ihnen schon fast ganz weiß, standen in Zwischenräumen um den Tisch, fächelten die Gäste mit langen Pfauenfedern und füllten die große Halle mit einer künstlichen Strömung frischer, kühler Luft.

Montagu Smythje war entzückt. Selbst in seiner »teuren Metropole« hatte er niemals so vortrefflich gespeist.

»Prächtig, prächtig auf Ehre! Ein Gastmahl für einen Fürsten.« So rühmte und pries er seinen westindischen Wirt.

Herr Vaughan war seinerseits über das Gelingen aller der von ihm mit großem Fleiß betriebenen Vorbereitungen hoch erfreut. Es war ihm offenbar gelungen, einen ersten, höchst günstigen Eindruck auf seinen Gast hervorzurufen. So weit als menschliche Einsicht in die Zukunft zu schauen vermag, musste nun alles gut und vortrefflich vonstattengehen. Deshalb zweifelte er auch nicht länger und wie sollte er es unter den obwaltenden Umständen auch –, dass die prächtigen Besitzungen von Schloss Montagu und Willkommenberg in nicht gar zu langer Zeit zu einer einzigen großartigen Herrschaft vereinigt sein würden.

Käthchen benahm sich bewunderungswürdig, obgleich er hierüber weniger Besorgnisse gehegt hatte. Bei allen seinen Berechnungen war es ihm nie eingefallen, ihren Willen mit in Anschlag zu bringen. Als seine Tochter war sie ihm Gehorsam schuldig, und vielleicht glaubte er sogar, dass sie ihm diesen doppelt schuldig sei, da er nicht nur ihr Vater, sondern auch ihr Herr war.

Käthchen gab ihm keineswegs irgendeinen Grund, sich über ihr Betragen zu beklagen. Sie benahm sich ganz nach seinem Wunsch, und dieselbe anmutig lächelnde Freundlichkeit, die einen solchen günstigen Eindruck auf den neu angekommenen Gast hervorbrachte, täuschte in gleicher Weise den Vater.

Ah, Loftus Vaughan! Du mochtest es wohl verstehen, die Schösslinge deines Zuckerrohrs zur rechten Zeit zu beschneiden du mochtest die Kristallisation des Zuckers vielleicht aufs Pünktlichste kennen doch solche Anzeichen, welche die bewusstlose Zuneigung eines jungen Mädchenherzens verkünden, waren viel zu feine Dinge, um je von dir begriffen zu werden.