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Der Welt-Detektiv Band 6

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Das Geheimnis zweier Ozeane 26

Drittes Buch
Erstes Kapitel

Im Eisberg eingeschlossen

Am 13. Juli war die Pionier mit nördlichem Kurs wieder unterwegs zum Stillen Ozean. Inzwischen sollten noch die Oberflächenschichten der antarktischen Gewässer erforscht werden, die in der Nachbarschaft von Treibeis liegen. Der raue Polarwinter hatte begonnen. Das U-Boot kreuzte in geringer Tiefe, fast unmittelbar unter den Eisfeldern.

Am Morgen des 14. Juli zeigten sich auf der Kuppel des Ultraschall-Bildschirms die ersten Risse in der Eisdecke. Sie wurden immer häufiger. Das Boot näherte sich in langsamer Fahrt der Grenze des unbeweglichen Eises. Immer häufiger tauchten Eisberge auf, deren Unterwasserteile vorsichtig umschifft wurden. Offenbar wütete auf dem Ozean ein heftiger Orkan. Eisschollen hoben und senkten sich; sogar die riesigen Eisberge schwankten leicht.

Im Steuerraum befanden sich Kapitän Woronzow, Oberleutnant Bogrow, Lordkipanidse und Schelawin. Die Wissenschaftler mussten eine geeignete Stelle für ihre Forschungen wählen, die es auch gestattete, den Infrarot-Aufklärer zur Sicherung einzusetzen.

Kurz nach zwölf erschien auf dem Bildschirm eine große Wake1, mit Eisschollen bedeckt, die schaukelnd gegeneinanderstießen. Auch hier schien die Wirkung des Sturmes ziemlich stark zu sein, sodass an ein ungestörtes Arbeiten nicht zu (lenken war.

Um fünfzehn Uhr zeigte sich zwischen zwei riesigen Eisbergen wieder eine lange, breite Wake. Ein Infrarot-Aufklä rer erhob sich etwa sechzig Meter über die Oberfläche, damit die Beobachter auf dem U-Boot eine klare Vorstellung über die Beschaffenheit der Eisberge und über ihre Umgebung erhalten konnten.

Weit und breit war kein Schiff, nichts Verdächtiges zu sehen.

Treibeis bedeckte den Ozean. Ein Schneesturm fegte über die See, Eisschollen schoben sich aufeinander oder zerschellten beim Zusammenstoßen. Nur zwei große Eisberge erhoben sich unbeweglich aus dem Chaos und standen wie Inseln im Wüten der Elemente.

Jeder der beiden Riesen war nicht weniger als etwa dreihundertfünfzig Meter lang und etwa zweihundert Meter breit. Ihr oberer Teil lief nicht spitz zu, sondern bildete eine größere Fläche. Die Wake, die wie ein Kanal zwischen ihnen lag, war geschützt und ruhig. Die Wände der Eisberge schimmerten grünlich und waren durchsichtig wie Glas. Es schien, als hätten sich diese Eiswände erst vor kurzem voneinander abgespalten, und weder Schnee und Nebel noch Wind und Gischt hatten ihre makellose Durchsichtigkeit zu trüben vermocht.

»Eine bessere Stelle als diese Wake kann man, glaube ich, kaum finden«, sagte der Kapitän zu dem Zoologen. »Wenn Sie und Schelawin nichts dagegen einzuwenden haben, können Sie sich zum Verlassen des U-Bootes fertigmachen. Inzwischen taucht die Pionier bis zu hundert Metern unter der Oberfläche auf. Genügt das?«

»Voll und ganz, Kapitän«, erwiderte Lordkipanidse. »Beeilen Sie sich aber bitte. Ich möchte so bald wie möglich diese Gewässer verlassen.«

Schon fünfzehn Minuten später gingen der Zoologe und der Ozeanograf, begleitet von ihren ständigen Mitarbeitern Skworeschnja, Zoi, Marat und Pawlik, von Bord des U-Bootes. Schelawin und Skworeschnja schwammen ganz nahe an die Eisberge heran, um ihre Flügelräder aufzustellen, Wasserproben zu entnehmen und die Temperatur zu messen. Lordkipanidse arbeitete mit den anderen in der Mitte des Kanals; sie sammelten Proben des in dieser Jahreszeit artenarmen Planktons.

»Nanu!«, hörte man Schelawin erstaunt ausrufen. »Hier ist ja eine riesige Einbuchtung in der Eiswand. Fast dreißig Meter tief. Interessant, wie weit sie sich hinzieht. Andrej Wassiljewitsch, stellen Sie das mal fest … Arsen Dawidowitsch, lassen Sie bitte die gegenüberliegende Eiswand untersuchen. Wahrscheinlich waren beide Eisberge ursprünglich eine kompakte Masse, und an dieser Stelle haben sie sich gespalten. Sehr interessant!«

»Gut, Iwan Stepanowitsch! Zoi wird gleich nachsehen«, antwortete der Zoologe.

Einige Minuten später ergaben die Feststellungen der beiden Taucher eine fast völlige Übereinstimmung in den Abmessungen der beiden Eiswände; beide wiesen eine fast gleich große Einbuchtung auf.

»Somit ist es klar«, folgerte Schelawin, »dass im Innern des ursprünglichen Eisberges, fast in seiner Mitte, eine tiefe und breite Schlucht eingeschlossen war. Der Eisberg hat in Längsrichtung dieser Schlucht einen Riss bekommen und ist in zwei Teile zerfallen. Das muss in Anbetracht der verhältnismäßig frischen Bruchstelle vor Kurzem, vielleicht sogar erst vor ein paar Stunden, geschehen sein. Beide Eisbergteile entfernen sich langsam voneinander, und es ist möglich, dass schätzungsweise nach vierundzwanzig Stunden hier kein Kanal, sondern offene See sein wird. Wir müssen uns beeilen, Arsen Dawidowitsch!«, schloss der Ozeanograf seine Ausführungen.

»Ich denke, wir schaffen es schon«, antwortete der Zoologe und tauchte mit seinen Mitarbeitern etwa dreißig Meter unter die Oberfläche.

Schelawin und Skworeschnja schwammen zur Mitte des Kanals und führten dort in verschiedenen Tiefen zahlreiche Temperaturmessungen durch. Dann entnahmen sie in einiger Entfernung von den Eisschollen dem Wasser Proben zur Feststellung seiner chemischen Zusammensetzung. Für diese mühselige Kleinarbeit benötigten sie fast fünf Stunden.

Sie brauchten jetzt nur noch von den Flügelrädern die Strömungsgeschwindigkeit unmittelbar am Eisberg abzulesen, die Geräte abzubauen und dann zum U-Boot zurückzukehren. Der Ozeanograf verabredete mit dem Zoologen, dass sie sich in einer Viertelstunde auf der Plattform der Druckkammer treffen wollten.

Schelawin betrachtete wieder seine Messgeräte. Ihm fiel sofort eine außergewöhnliche und plötzliche Steigerung der Strömungsgeschwindigkeit auf, die von den Flügelrädern angezeigt wurde.

»Was ist denn nun los?«, rief der Ozeanograf verdutzt. »Vor fünf Stunden schwamm der Eisberg noch ganz gemächlich dahin, und jetzt jagt er mit Dampfergeschwindigkeit durchs Meer und dazu noch in entgegengesetzter Richtung!«

»Wahrscheinlich hat der Wind aufgefrischt und gedreht«, bemerkte Skworeschnja, »und bläst jetzt dem Eisberg in die Flanke.«

»Wissen Sie, was das bedeutet? Beide Eisberghälften prallen bald aufeinander! Man muss das U-Boot schnellstens warnen! Das kann ja ein Unglück geben!«

Schelawin setzte sich mit der Pionier in Verbindung. Doch bevor er sprechen konnte, hörte er die erregte Stimme des Oberleutnants.

»Alle Mann sofort an Bord zurückkehren! Der Kanal schließt sich! Die Eisberge nähern sich einander! Höchste Eile! Ich öffne jetzt die Kammer!«

»Wir beeilen uns! Skworeschnja, lassen Sie die Flügelräder stehen! Schnell zurück!«

Beide Taucher jagten mit voller Geschwindigkeit zum U-Boot. Der Zoologe, Zoi, Marat und Pawlik waren ihnen schon vorausgeeilt.

Doch kurz bevor sie die Pionier erreicht hatten, hörten sie ein furchtbares Getöse. Ein mächtiger unsichtbarer Wasserstrahl schleuderte wie eine riesige Fontäne Menschen und Schiff nach oben. Das U-Boot sackte aber sofort nach unten und nahm seine ursprüngliche Lage wieder ein, doch die Menschen wirbelten nach allen Seiten. Skworeschnja wurde gegen die Eiswand der Einbuchtung gedrückt. Pawlik schnellte wie der Pfropfen einer Sektflasche einige Meter hoch in die Luft. Trotz seines Schreckens hatte er bemerkt, dass das brodelnde Wasser eine kleine Wake gebildet hatte, die von steilen, einige Dutzend Meter hohen Eiswänden umschlossen war.

Fünf Minuten später waren alle, zwar erschrocken, aber unverletzt, auf der Plattform der Kammer versammelt. Nur Skworeschnja ächzte und stöhnte und rieb sich seine metallenen Schenkel und Seiten.

Die Stimme des Kapitäns unterbrach sofort diese zwecklosen Bemühungen.

»Arsen Dawidowitsch, ist bei Ihnen jemand zu Schaden gekommen?«

»Alles in Ordnung, Nikolai Borissowitsch.«

»Skworeschnja, untersuchen Sie sofort den Grund der Wake, insbesondere an der Vereinigungsstelle der beiden Eisberge. Funken Sie dann, was Sie festgestellt haben!«

Unter Wasser bewegte sich Skworeschnja langsam an der frischen Eisnaht entlang. Der Zusammenprall der beiden Eisberge war anscheinend mit furchtbarer Gewalt erfolgt. Tiefe Löcher und abgespaltene Eisstücke kennzeichneten die Linie ihrer Vereinigung. Das nördliche und südliche Ende der Wake hatte sich unregelmäßig zusammengeschlossen, aber sonst waren beide Eisberge so eng zusammengepresst, dass nicht der geringste Spalt zu entdecken war.

Der Kapitän hörte sich diese Einzelheiten an und murmelte ab und zu besorgt: »So … hm … übel … sehr übel!«

Als Skworeschnja an Bord zurückgekehrt war und den Steuerraum aufsuchte, traf er dort außer dem Kapitän und dem Oberleutnant noch Schelawin und Lordkipanidse an. Alle hatten bedenkliche Gesichter.

»Die Situation ist äußerst unangenehm«, sagte der Kapitän, auf und ab gehend. »Es ist möglich, dass das Eis noch lange in dieser Lage verharren wird. Der Frost wird beide Hälften noch fester zusammenschweißen und der Wind, falls er nicht dreht, wie eine riesige Presse wirken und die Arbeit des Frostes noch unterstützen.«

»Aber die Windrichtung kann sich ändern«, bemerkte der Zoologe, »und die beiden Eisberge wieder voneinander trennen; der Hohlraum in ihrem Innern bleibt ja bestehen.«

»Auf Winddrehung besteht nur geringe Hoffnung«, entgegnete Schelawin. »Vergessen Sie nicht, dass wir uns in der Zone beständiger Westwinde befinden, die in diesen Breiten um den ganzen Erdball über die weiten, freien Flächen des Weltmeeres wehen.«

»Ja«, meinte der Kapitän nachdenklich. »Nicht genug, dass wir hier wie in einer Mausefalle gefangen sitzen, wir sind auch noch zur völligen Untätigkeit verdammt. Hinzu kommt, dass Wind und Strömung uns nach Ost, in die südlichen Gewässer des Atlantik, abtreiben werden.«

»Ich denke, wenn dieser Eisberg durch die Macht des Orkans geborsten ist«, bemerkte Oberleutnant Bogrow, »so kann der gleiche Orkan, der jetzt noch wütet, diese beiden Eisberge auch wieder auseinanderreißen.«

»Natürlich, eine solche Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen«, pflichtete ihm der Kapitän bei. »Aber wann kann das eintreffen? Wie lange müssten wir darauf warten? Zudem können wir uns keinen Zeitverlust leisten, auch der Plan der wissenschaftlichen Arbeit im Stillen Ozean ist sehr umfangreich. Wir können, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Jeder Tag ist kostbar.«

»Um so mehr«, warf Schelawin ein, »als dieses passive Abwarten durch Sturmeinwirkung ganz anders ausgehen kann, als wir es hoffen. Der Orkan kann unseren Eisberg an ein unbewegliches Eisfeld herantreiben, und dort kann er für längere Zeit festfrieren. Ebenso ist es möglich, dass wir unterwegs auf eine Sandbank auflaufen. Nein, der Kapitän hat recht, wir können nicht warten!«

»Aber was sollen wir tun?«, fragte der Oberleutnant.

Nach einem kurzen Schweigen sagte der Kapitän: »Vorläufig, Alexander Leonidowitsch, lassen Sie den Infrarot-Aufklärer über dem Eisberg kreisen, damit wir sehen, was oben los ist. In zwei Stunden rufe ich die Offiziere zu einer Besprechung in meine Kajüte. Wir müssen dann einen Entschluss fassen.«

Während der Besprechung meldete der Oberleutnant, die Länge des Eisberges betrage von West nach Ost 475 Meter, die Breite – dort, wo sich das U-Boot befand – 368 Meter von Süd nach Nord. Die Breite der Wand, die die innere Wake von der offenen See trenne, betrage an der nördlichen Seite 92 Meter, an der südlichen 76. Die Wassertemperatur in der Wake sei 1,8° unter null. Man müsste annehmen, dass sie bald zufrieren würde. Lufttemperatur: 32° unter null. Die hohen Wellenberge in der offenen See ließen Windstärke zehn vermuten. Windrichtung aus West. Der Eisberg bestehe aus sehr festem Eis, die Bruchstellen seien an den Seiten schon zusammengefroren …

Die Besprechung verlief sehr lebhaft. Es wurde beschlossen, erst drei Tage lang die Sturmwirkung abzuwarten und den Schiffsrumpf zur Bildung eines Dampfmantels zu erhitzen, um ein Gefrieren der Wakenoberfläche und ein festes Zusammenfrieren der Eisberghälften zu verhindern. Außerdem wurde der Vorschlag des Chefakustikers Tschishow, beide Ultraschallkanonen mit voller Leistung in Aktion treten zu lassen, angenommen. Die Heck- und Bugkanone sollten das Eis an der Verbindungslinie beider Eisberge lockern und so dem Sturm seine Arbeit erleichtern.

Es folgten lange, aufreibende Stunden des Wartens und der Untätigkeit. Der Orkan nahm noch an Heftigkeit zu. Riesige Wellenberge rollten über die See und krachten wie Rammböcke gegen die Eiswände.

Die Ultraschallkanonen arbeiteten Tag und Nacht und lockerten das Eis an den Verbindungslinien beider Eisberge.

Das unaufhörliche Summen der Motoren raubte der Schiffsbesatzung Schlaf und Ruhe.

 

Zoi hatte die erste Nacht nach der Einschließung schlecht geschlafen und war mit heftigen Kopfschmerzen ins Labor gekommen. Er hatte nur wenig Lust zum Arbeiten.

Zwei Tage schon wurde er von einer seltsamen Unruhe gequält. Sie hatte am Tage der Feier zu Ehren Skworeschnjas begonnen. Er musste immer wieder an den bösen Blick schwarzer, tief liegender Augen, an die Angst und die Verwirrung in einem Kindergesicht denken.

Wie lächerlich!, sagte er sich, das Mikroskop einstellend. Wegen des Rucksackes! Man denke nur: Man hatte seinen Rucksack angerührt! Welche Nichtachtung der Person! Welche Kränkung!

Zoi schüttelte den Kopf. Man musste sich für den anderen schämen! Wie konnte sich nur ein erwachsener, vernünftiger Mensch so gehen lassen!

Aber handelte es sich wirklich nur um den Rucksack? Da war doch noch dieses Kästchen … Er hatte es aus Pawliks Händen gerissen …

Zoi blickte nachdenklich in die Ferne.

Was hat es nur für eine Bewandtnis mit diesem Kästchen aus der Schreibmaschine, das man während einer Tiefsee-Exkursion mit sich herumschleppt? Wozu brauchte man es dort? Der ungeheure Wasserdruck hätte es doch eigentlich platt drücken müssen … und trotzdem hatte es dem Druck standge halten. Folglich war es gar kein einfaches Kästchen für Reserveteile. Vielleicht war es aber doch zusammengedrückt? Pawlik hatte davon nichts erzählt. Man musste ihn fragen. Das wäre sehr wichtig.

Warum das so wichtig sein sollte, darüber war sich Zoi im Augenblick noch nicht klar.

Er traf Pawlik in Pletnjows Kajüte an. Der Junge saß an einem kleinen Tischchen und schrieb. Als er Zoi erblickte, wurde er verlegen und klappte das Heft zu.

»Guten Tag, Pawlik! Nun, was machst du?«, fragte Zoi, um ein Gespräch anzuknüpfen.

Pawlik rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her.

»Ich schreibe etwas auf … Wolltest du zu Pletnjow? Er hat Dienst.«

»Dienst …? Hm … so, so …« Zoi setzte sich an den Tisch. »Ich habe Kopfschmerzen und keine Lust zum Arbeiten … Da wollte ich dich besuchen … Was schreibst du denn da? Ein Tagebuch etwa? Das ist sehr schön! Und deine unangenehmen Erlebnisse, schreibst du die auch auf?« Zoi lächelte gutmütig. »Hast du auch die Geschichte mit Gorelows Kästchen aufgeschrieben?«

Pawlik wurde immer verlegener und errötete bis an die Haarwurzeln.

»Ja«, sagte er leise. »Es gibt viel Interessantes hier … Und damit ich’s nicht vergesse, notiere ich alles. Später will ich es meinen Kameraden vorlesen … wenn ich wieder in die Schule gehe. Aber erzähle niemandem davon, Zoi. Ich bitte dich sehr darum.«

»Warum sollte ich das? Weiß der Kapitän, dass du ein Tagebuch führst?«

»Der Kapitän?« Pawlik schaute Zoi verwundert an. »Wozu? Sogar Pletnjow weiß nichts davon. Ich schreibe immer, wenn er Dienst hat. Du bist der Erste, der es erfährt. Und du hast mir versprochen, niemandem davon zu erzählen … Stimmt’s? Wirst du schweigen?«

»Ich werde schon schweigen, verlass dich darauf. Aber dem Kapitän musst du es sagen. Bevor das U-Boot Wladiwostok anläuft, musst du ihm das Tagebuch zeigen. Das ist Vorschrift. Sie gilt für alle, die an der Fahrt teilnehmen.«

»Wirklich?«, fragte Pawlik verlegen. »Das wusste ich nicht. Wozu muss es der Kapitän wissen?«

»Aber das ist doch klar, Pawlik! Hier auf unserem Boot muss vieles geheim gehalten werden, wie das U-Boot gebaut ist und welche Bewaffnung es hat. Stell dir nur vor, du schreibst davon etwas in dein Tagebuch. Du kannst dein Heft verlieren, oder man stiehlt es dir, und auf irgendeine Weise gelangt es in die Hände des Feindes … Du weißt doch, er spioniert überall herum. Daran musst du immer denken, Pawlik.«

Pawlik hatte still auf seinem Stuhl gesessen und aufmerksam zugehört.

»Ich werde nichts mehr in mein Tagebuch über die Pionier schreiben, Zoi!«, rief er nun. »Nichts! Gar nichts! Ich gebe dir mein Ehrenwort! Und das Tagebuch lege ich selbstverständlich dem Kapitän vor. Soll er es sich ansehen.«

»Ja, Pawlik, man muss sehr vorsichtig sein und auch darauf achten, was ringsherum passiert, was andere Leute tun. Wenn du bemerkst, dass irgendjemand etwas Seltsames treibt, etwas Unbegreifliches oder Unerlaubtes sagen wir mal, er nimmt aus unserem U-Boot irgendwelche Gegenstände mit … dann Pass auf, Pawlik! Beobachte ihn unauffällig und vorsichtig! Wenn dir dabei etwas nicht ganz geheuer erscheint, vertraue dich einem zuverlässigen, erfahrenen Menschen an. Und wenn dir klar wird, dass es sich um eine krumme Sache handelt, dann gehe sofort zum Kapitän, erzähl ihm das …

Zoi schwieg. Pawlik sagte mit leiser, unsicherer Stimme:

»Zoi, vielleicht ist es besser, wenn ich überhaupt kein Tagebuch führe … wenigstens hier auf dem U-Boot nicht?«

»Das kannst du ruhig tun, wenn es dir Spaß macht«, antwortete Zoi. »Aber schreibe nur das auf, was uns nichts schaden kann. Übrigens wird der Kapitän später alles das, was geheim ist, ausstreichen … Aber zum Beispiel solche Sachen«, Zoi lächelte, »wie unsere Abenteuer in der Tiefsee oder, sagen wir, dein Krach mit Gorelow wegen des Kästchens kannst du ruhig schildern … Übrigens«, fuhr Zoi lächelnd fort, »wie sah denn das Kästchen aus?«

»Das Kästchen?« Pawlik horchte auf. »Ja, wie sah es eigentlich aus? Es war so ein viereckiges geripptes Ding, etwa zehn Zentimeter im Durchmesser, sehr schwer … Ich konnte es kaum in der Hand halten.«

»Warum war es denn so schwer?”

Pawlik blickte Zoi erstaunt an.

»Das weiß ich nicht. Gorelow sagte, in diesem Kästchen seien Reserveteile von seiner Schreibmaschine …« Pawlik überlegte. »Als ich es aber bei dem Streit mit Marat in der Hand hielt, war irgendwelches Zubehör für die Exkursion darin. Das hat mir jedenfalls der Ingenieur gesagt.«

Pawliks Gesicht zeigte Ratlosigkeit.

»Was kann das nur für Zubehör gewesen sein?«, fragte Zoi weiter. »Du nimmst doch auch an solchen Exkursionen teil und musst wissen, was wir mitnehmen. Ich zum Beispiel kann mir nicht vorstellen, was Gorelow meinte. Nun, was nehmen wir in solchen Fällen mit? Einen Stahldrahtkescher – er ist sperrig, man kann ihn nirgends verstauen, er muss auch immer zur Hand sein. Ein Messer, einen Meißel, eine Pinzette … Was noch? Zwingen, ein Skalpell? Diese Dinge brauchen nur Lord und ich … Was könnte also noch im Kästchen gewesen sein?«

Pawlik wurde unruhig.

»Ich weiß es nicht, Zoi«, murmelte er. »Der Ingenieur hat es mir doch so erzählt …«

»Sooo … Aber warum war er dann plötzlich so wütend auf dich? Bis dahin war er doch immer freundlich zu dir, nicht wahr?«

»Ja!«, antwortete Pawlik lebhaft. »Er hat mir die Maschinen erklärt, hat oft mit mir gescherzt. Nur einmal – es ist schon lange her – ist er sehr fuchtig geworden. Aber das war nur ein Missverständnis. Damals … in dem Sargassomeer …«

»Weshalb war er denn damals so wütend?«, forschte Zoi.

»Aber ich habe es dir doch schon gesagt, es war ein Missverständnis. Er hatte sich geirrt.«

»Schon gut … meinetwegen«, sagte Zoi etwas ungeduldig. »Aber worin bestand dieses Missverständnis? Was war damals zwischen euch passiert? Sag es mir doch!«

»Aber …« Pawlik war ganz verwirrt von Zois beharrlicher Fragerei. »Ich verstehe nicht, warum du dich so aufregst? Ich hatte vor der Tür seiner Kajüte einen beschriebenen Papierfetzen gefunden. Ich wollte sehen, was darauf stand, da kam er auf mich zu, riss mir den Zettel aus der Hand und schaute mich so wütend an, dass ich heftig erschrak …«

»Weiter … was stand auf dem Zettel?«

»Ich erinnere mich nicht mehr, Zoi … Einzelne Worte … Es war doch nur ein Papierfetzen …«

»Aber immerhin«, drängte Zoi, »wenn es auch einzelne Worte waren. Denk mal nach.., ich bitte dich, streng dein Gedächtnis ein wenig an!«

»Darauf standen …«, sagte Pawlik stockend, »irgendwelche Grade … Breiten- und Längengrade … und noch … wie heißt es nur? So ein komisches Wort …« Pawlik rieb sich die Stirn und schloss die Augen. »Es beginnt mit T, nein, mit K, ein schwieriges Wort … Gorelow hat es mir später erklärt. Wir haben uns dann versöhnt, es war gar nicht sein Papierchen. Er entschuldigte sich und führte mich zu den Maschinen, um sie mir zu erklären. Unterwegs fragte ich ihn, was das Wort bedeutete …«

»Sehr schön. Was hat er dir denn gesagt?«

»Aha, jetzt weiß ich’s!«, rief Pawlik erfreut. »Das sind Größen … Größen … welche die Lage eines Punktes in der Geografie oder in der Seefahrt bestimmen..

»Koordinaten?«, rief Zoi, vom Stuhl aufspringend. »Koordinaten?«

»Jawohl, Koordinaten!« Und als habe dieses Wort sein Gedächtnis wieder aufgefrischt, sprudelte Pawlik hervor: »Und außerdem stand noch drauf: den 26. Mai, achtzehn Uhr, Sargassomeer, und dann, glaube ich, etwas über ein Flugboot … weiter nichts.«

Zoi saß reglos da, die Augen starr auf einen Punkt gerichtet. Seine Lippen waren blass. Erschrocken schaute ihn Pawlik an. Er hatte Zoi noch nie so gesehen und wusste nicht, was das bedeuten sollte.

»Und weiter nichts …«, murmelte Zoi vor sich hin, kaum die Lippen bewegend. »Weiter nichts … Ja, der 26. Mai …«

»Ich erinnere mich sehr gut an dieses Datum«, sagte Pawlik leise. Er wollte seinen Freund Zoi aufheitern. »Das war Papas Geburtstag. Und ausgerechnet an diesem Tage hatte ich mich mit der Schildkröte im Tang verheddert. Dann diese spanische Karavelle, der Krake und der Pottwal …«

Als er schwieg, wandte sich Zoi langsam wieder dem Jungen zu.

»War das alles, Pawlik?«, fragte er leise. »Alles, was an diesem 26. Mai geschah?«

Pawlik blickte Zoi verständnislos an.

»Und die Bomben hast du vergessen?«, fragte Zoi weiter. »Hast du vergessen, dass genau am 26. Mai die Station unserer Pionier mit Bomben belegt wurde?«

Pawlik wurde abwechselnd rot und blass. Mit weit geöffneten Augen starrte er Zoi an.

»Ich … war damals krank«, sagte er schließlich. »Wegen des Pottwals … Marat hat mir später davon erzählt …«

»Dann ist es, Pawlik, dass wir dir und dem Pottwal danken müssen. Dafür danken, dass ihr uns von diesem verdammten Ort … von diesen Ko-or-di-na-ten … fortgelockt habt«, sagte Zoi mit zuckenden Lippen.

Er erhob sich und blickte Pawlik ernst an.

»Denke daran, Jungchen! Denke daran, dass du keinem von unserem Gespräch erzählen darfst. Keinem Menschen. Versprichst du mir das?«

Pawlik nickte schweigend. »Ja«, antwortete er leise. »Mein Ehrenwort!«

Zoi ging zur Tür, drehte sich aber, als habe er etwas vergessen, noch einmal um.

»Und, Pawlik, sei wachsam! Halte die Augen offen, und wenn du etwas Verdächtiges bemerkst, lass es dir nicht anmerken und erzähle es mir sofort. Versprichst du das?«

»Gut, Zoi«, flüsterte der Junge.

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  1. Öffnung in der Eisdecke