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Starke Frauen VI

Phoolan Devi, die indische Rachegöttin

Ihr Name, Phoolan, bedeutet im Dialekt ihres Heimatdorfes die Blume, eine Benennung, die angesichts des Schicksals, das sie erwarten sollte, an Zynismus nicht zu überbieten ist.

Phoolan Devi wurde am 10. August 1963 in Gorha Ka Puwa, einem kleinen Dorf im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh, geboren.

Ihre Mutter hieß Moolan und ihr Vater Devidin. Die Familie gehörte zur Shudra, der vierten Kaste im indischen Kastensystem. Sie stellen, auch heute noch, abgesehen von den Unberührbaren, die außerhalb jeder Kaste stehen, die unterste Schicht der indischen Gesellschaft dar, Tagelöhner, Diener, Pachtbauern.

Vier Söhne und eine Tochter braucht man für eine glückliche Familie, so heißt ein geflügeltes Sprichwort in Nordindien, denn Töchter waren nur gegen Geld zu verheiraten. Die Devis hatten vier Töchter, ein Schicksal, das in Indien selbst eine wohlhabendere Familie als den Devis das Genick brechen konnte und sie in den finanziellen Ruin stürzte. Deshalb waren Phoolans Eltern mehr als erleichtert, als sie ihre 11-jährige Tochter mit einen 35-jährigen Mann verheiraten konnten, dessen Frau verstorben war.

Für Witwer fiel die Aussteuer immer geringer aus, und so zahlten die Devis nur eine Kuh, eine Ziege und etwa 500 Rupien, damit dieser Mann ihnen ihre Tochter abnahm.

Es war in ihren Augen ein guter Handel, zumal dieser Mann, Putti Lai, ein Mitglied der höheren Thakur–Kaste, versprach, seine Braut vorerst nur für Hausarbeiten einzusetzen, bis sie ins rechte Alter kam, um sie zu gebrauchen.

Aber das Versprechen hielt keine Woche, dann begann Lai, die Elfjährige beinahe täglich zu vergewaltigen.

Das kleine Mädchen begriff in ihrem Alter nicht einmal, was Putti Lai mit ihr tat. Sie begriff nur, dass die Schmerzen so unerträglich waren wie das Gefühl der Erniedrigung. Sie riss aus, wandte sich Nachbarn zu und flehte um Hilfe, mit dem Ergebnis, dass diese Nachbarn sie an den Haaren wieder zurück zu ihrem Mann schleiften.

Aber Phoolan Devi gab nicht auf.

Sie floh erneut, diesmal ins Dorf ihrer Eltern.

Ihr Ehemann verfolgte sie und drohte ihren Eltern, worauf diese versuchten, Phoolan zur Rückkehr umzustimmen. Sie wussten, welche Schande es für ihre Tochter bedeuten würde, als entlaufene Ehefrau in ihrem Dorf zu leben.

Aber Phoolan weigerte sich.

Sie riss sich den Schmuck von den Armen, den sie seit ihrer Hochzeit trug, und warf ihn ihrem Mann vor die Füße. Als ihr Mann den Schmuck einsteckte und davonging, war Phoolan gesellschaftlich erledigt.

Immer noch ein Kind wurde sie von jedem im Dorf wie ein Verbrecher behandelt, nur weil sie ihrem Vergewaltiger davongelaufen war. Es sprach sich herum, dass in Gorha Ka Puwa ein Mädchen lebte, das jede Ehre verwirkt hatte. Es ist unfassbar und doch Tatsache, dass danach im Dorf regelmäßig ältere Männer aus höheren Kasten auftauchten, ihr am Fluss auflauerten oder sie kurzerhand sogar im Haus ihrer Eltern vergewaltigten.

Man muss sich dabei vor Augen führen, dass dies keine mittelalterlichen Gräueltaten waren, sondern Ereignisse, die zwischen den Jahren 1974 und 1979 in dieser Form tatsächlich stattgefunden haben.

Im Frühjahr 1979, kurz vor ihrem sechzehnten Geburtstag kam es schließlich zu einem Ereignis, das als der Wendepunkt in Phoolans Leben angesehen werden kann.

 

Ein älterer Mann mit einem grauen, von Falten durchzogenen Gesicht sprach sie in der Mittagshitze bei der Feldarbeit an. Er wollte wissen, wo er Phoolan Devi finden konnte.

»Was willst du von ihr?«, fragte Phoolan, obwohl sie die Antwort genau wusste.

Der Alte aus der höheren Kaste der Thakur lächelte und gab ihr zu verstehen, dass eine in Unehre gefallene, von niederer Herkunft dazu da war, schmutzige Arbeiten und ebenso schmutzige Gelüste zu bedienen.

»Ich habe von ihr gehört und muss sie haben«, sagte er.

Phoolan bat den Mann zu warten, ging zu einer nahen Baumgruppe und schnitt einen dicken Ast ab, der gut in der Hand lag. Bevor der alte Lustgreis wusste, was ihm geschah, schlug sie solange auf ihn ein, bis er blutend das Weite suchte.

»Du wolltest Phoolan«, schrie sie ihm hinterher. »Hier hast du Phoolan.«

Als ihre Wut verraucht war, machte sie sich auf den Weg zurück in ihr Dorf. Der Vorfall würde sich bis zu ihrer Ankunft sicherlich herumgesprochen haben, deshalb rechnete sie schon mit dem Schlimmsten.

Doch niemand kam, um sie zu bestrafen.

War Gewalt die Sprache, die ihre Peiniger verstanden?

Nach und nach begann sich Phoolan gegen ihre Verfolger zur Wehr zu setzen. Sie drohte ihnen mit Mord und gab vor, ein Gewehr zu besitzen. Es funktionierte, die Demütigungen wurden seltener und in den Augen der Menschen stand nicht mehr Verachtung oder der Ausdruck widerlichster Gelüste. Furcht war darin zu lesen.

Zwischen ihrem 17. und 18. Lebensjahr wurde sie von zwei Banditenbanden unter Baboo Gujar Singh aus der Kaste der Thakur und Vickram, einem Mallah, entführt. Im Streit um sie erschoss Vickram Singh und heiratete Phoolan. Zusammen führten sie eine Banditenhorde, deren Überfälle immer öfter durch Phoolans Rachsucht angetrieben wurden.

Einer dieser Raubzüge führte sie auch in das Dorf ihres ersten Ehemannes. Phoolan verprügelte Putti Lai fürchterlich, ließ ihn auf einen Esel setzen und trieb ihn durchs ganze Dorf. Ein Umstand, der nun Putti Lai jegliche Ehre nahm.

Bald jedoch kam es unter den Banditen zu einem Streit um die Zukunft der Bande, in dessen Verlauf Vickram von seinem früheren Partner Shiri Ram getötet wurde. Phoolan gründete daraufhin eine eigene Bande und nannte sich fortan Phool Singh.

Gnadenlos verfolgte sie die Mitglieder der Thakur–Kaste, die sie für ihr Unglück verantwortlich machte, beraubte und tötete sie, wo sie ihrer nur habhaft wurde.

Das dabei erbeutete Geld verteilte sie unter den Armen des Landes und den Angehörigen niedriger Kasten, was ihr den Ruf eines indischen Robin Hoods einbrachte.

Doch es gab auch eine dunkle Seite an ihr.

So soll sie Verrätern oder Männern, die ihre Frauen misshandelten, bei lebendigem Leib Nase und Penis abgeschnitten haben und 1981 beim sogenannten Massaker von Behmai 22 Thakurs getötet haben. Bei einem ihrer Raubzüge gelang es ihr und ihren Männern sogar den Palast von Jagamanpur einzunehmen.

Daraufhin begann die Regierung erbarmungslos Jagd auf sie zu machen. Dabei zerstörte die Polizei bei einem Zugriffsversuch das Dorf Guloli vollständig, in dem sie aus Hubschraubern Bomben abwarfen und die Siedlung anzündeten.

Am 12. Februar 1983 ergab sich Phoolan endgültig.

10 000 Menschen kamen, als sie auf einer Bühne vor dem Bildnis der Göttin Durga und einem Porträt von Mahatma Ghandi dem Ministerpräsidenten des Bundesstaates Madhya Pradesh, Arjun Singh, ihre Waffen übergab.

Dabei handelte sie einen Vertrag aus, der ihrer Familie Land zusicherte und ihr eine achtjährige Haftstrafe einbrachte.

Man brachte sie zuerst in das Gefängnis von Gwalior, wo sie schlecht behandelt wurde. Sie stand jedoch in ständigem Briefkontakt zu Indira Ghandi und Arjun Singh und setzte so durch, dass sie nach Tihar verlegt wurde. Trotzdem kam sie erst elf Jahre später frei.

Ihr wurde nie der Prozess gemacht, weil man Angst hatte, dass in einer Verhandlung sämtliche Misshandlungen der Polizei und die Verfehlungen der Obrigkeit zur Sprache kommen würden.

Man hatte ihr unter anderem während ihres Gefängnisaufenthaltes ohne Einwilligung die Gebärmutter entfernt. Als Grund gab der zuständige Arzt Jahre später folgende Antwort: »Wir wollen nicht, dass noch mehr Phoolan in die Welt gesetzt werden.«

 

Nach ihrer Haftentlassung war sie als Menschenrechtlerin tätig und wurde von den Armen als Heldin gefeiert. Sie setzte sich für die Rechte der Frauen ein und gewann als Mitglied der Samajwadi Party, einer linken Partei, 1996 und 1999 einen Sitz im indischen Parlament.

Am 25. Juli 2001 wurde sie auf dem Bürgersteig vor ihrem Wohnhaus in Neu-Delhi von drei Maskierten erschossen. Drei Kugeln trafen sie in den Bauch, zwei in den Kopf. Als die Polizei endlich eintraf, war sie bereits verblutet. Beteiligt daran waren Männer der Thakur–Kaste, die Rache für das Massaker von Behmai wollten.

Am 10. August 2014 wurde Sher Singh Rana nach vielen dubiosen Verhandlungen als Mörder verurteilt. Einflussreiche Politiker erreichten, dass die aus dem Schuldspruch resultierende Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt wurde.

Wenn man die Jahreszahlen weglässt, könnte man meinen, hier ein mittelalterliches Schuld- und Sühnespektakel zu lesen.

Dem ist aber nicht so, das Ganze hat sich tatsächlich in unserer Neuzeit abgespielt.

Seit dem Tod von Phoolan Devi sind gerade einmal vierzehn Jahre vergangen.

Und es hat sich nichts geändert!

Alle 21 Minuten wird heute in Indien eine Frau vergewaltigt.

Quellen:

  • Tagesspiegel vom 5. August 2013
  • Veena Kade–Luthra: Phoolan Devi. Die Legende einer indischen Banditin. Neue Kritik Schauer Kg. Frankfurt. 1983
  • Phoolan Devi: Ich war die Königin der Banditen. Bastei Verlag. Bergisch Gladbach. 1998
  • Who´s who

(gs)