Westernkurier 01/2010
Auf ein Wort Stranger,
in den wenigsten Büchern liest man etwas über weibliche Strafgefangene. Wie ihre Namen sind auch ihre Lebensgeschichten in Vergessenheit geraten. Vereinzelte Tagebucheintragungen, Zeitungsberichte, Briefe und Akteneinträge von Gefängnissen erzählen die Schicksale einiger dieser Frauen.
Aus diesem Grund wendet sich in dieser Ausgabe meine geschätzte Westernexpertin Montana der Thematik »Sträflinge im Unterrock« zu.
Wer hat nicht vom Gefängnis in Yuma gelesen, 1873 auf einer Klippe am Colorado River erbaut. Den meisten Verbrechern graute es, wenn sie den Namen nur hörten. Im Sommer stieg die Temperatur hinter den Mauern und hohen Granitwänden auf bis zu 48 Grad Celsius, im Winter war es bitterkalt, was Krankheiten und Tod mit sich brachte. Die Dunkelzelle, ein kleiner Kerker im Inneren des Berges, in den kein Tageslicht drang, galt als gefürchtet. Es gab weder Decke noch Matratze, manchmal verirrten sich Schlangen und Skorpione dort hin. Insassen, die bei Handgreiflichkeiten, Drogenkonsum oder Arbeitsverweigerung ertappt wurden, kamen in den Genuss dieser Zelle. Den wenigsten gelang aus Yuma die Flucht. Während des 36-jährigen Bestehens des Gefängnisses verbüßten über 3000 Männer und 29 Frauen ihre Haftstrafen.
Die Jüngste, Rosa Duran, wurde als 16-jährige wegen Raubüberfalls eingesperrt, die Älteste, Allegracio de Otero, war zwischen 55 und 70 Jahre alt. Sie hatte einem Indianer Alkohol verkauft und damit gegen die Anordnung der Bundesregierung verstoßen. Als Frau inhaftiert, bedeutete nicht nur von der Gesellschaft ausgestoßen, sondern aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit zur völligen Isolation verdammt zu sein.
Lizzie Gallagher, die ihren Liebhaber erstochen hatte, wurde 1878 als erste weibliche Gefangene an das Gefängnis überwiesen. Ihre Anwesenheit bereitete der Gefängnisleitung große Schwierigkeiten, da die Anstalt für Frauen nicht vorbereitet war. Den Insassen wurden die Haare geschoren, davor schreckte man bei einer Frau zurück, auch die Kleidung stellte ein Problem dar. Die Männer trugen gestreifte Häftlingsdrilliche, Lizzie durfte ihre eigene Kleidung behalten und bekam eine Zelle für sich, wohin man ihr auch das Essen brachte, da sie es nicht gemeinsam mit den Männern im Speiseraum einnehmen durfte. Die Leitung hoffte, sie vorzeitig zu entlassen, was auch geschah. 42 Tage nach ihrer Inhaftierung wurde sie von John C. Fremont, dem damaligen Gouverneur des Arizona Territory, begnadigt.
Georgie Clifford, auch bekannt unter dem Namen Georgie Redmont, war dem Opium verfallen, als sie 1895 eingeliefert wurde. Nach eineinhalb Jahren Haft ließ man sie aufgrund neuer Beweise frei, inhaftierte sie 1897 erneut, da sie ihren Liebhaber mit dem Messer angegriffen hatte. Das Gericht erklärte sie für geisteskrank und wies sie in eine Irrenanstalt ein. Sie bat ins Gefängnis zu dürfen, weil sie nicht mit Verrückten leben wollte, doch man verweigerte ihr diesen Wunsch. Georgie brach aus, wurde gefasst und später wieder freigelassen, weil sich offenbar niemand mit ihr abgeben wollte. Monate später starb sie an ihrer Drogensucht im Alter von nur 24 Jahren.
Pearl Hart, war die wohl berühmteste Gefangene.
Sie wurde 1872 in Ontario, Kanada geboren, kam mit 16 Jahren in ein Mädchenpensionat, lernte Frederick Hart kennen und brannte mit ihm ein Jahr später durch. Pearl kehrte mehrmals zu ihrer Mutter zurück, da Hart Trinker und Gelegenheitsspieler war, doch er überredete sie jedes Mal wieder, ihm eine Chance zu geben. 1893 reisten sie gemeinsam nach Chicago. Pearl war von den Wild West Shows fasziniert, besonders von Annie Oakley. Beeindruckt von Geschichten und Legenden über den Wilden Westen verließ sie ihren Ehemann, reiste nach Colorado, um in Saloons als Sängerin aufzutreten. Als sie ihre Schwangerschaft bemerkte, kehrte sie zu ihrer Familie nach Kanada zurück. Die Faszination des Westens ließ sie nicht los. Sie gab ihren Sohn in die Obhut ihrer Mutter und reiste nach Arizona, verdiente ihren Lebensunterhalt, indem sie verschiedene Jobs annahm. 1895 traf sie in Phoenix ihren Ehemann Frederick wieder. Sie lebten eine Zeit lang zusammen, besuchten Saloons und Spielhöllen, Pearl rauchte, trank und nahm Drogen. Als ihr zweites Kind, eine Tochter zur Welt kam, fand Frederick das häusliche Leben allmählich langweilig und schlug seine Frau. Pearl brachte auch ihre Tochter zu ihrer Mutter und zog vom Leben enttäuscht, von einer Goldgräberstadt zur nächsten.
Die Zeit der Postkutschenüberfälle war längst vorbei, doch die Einwohner Arizonas wurden eines Besseren belehrt. Am 30. Mai 1899 zwangen zwei Banditen mit gezogenen Revolvern eine Kutsche zum Halten. Bei dem Kleineren schien es sich um eine als Mann verkleidete Frau zu handeln. Dunkle Locken quollen unter dem schmutzigen Cowboyhut hervor und die Hände, die die Taschen der Reisenden durchsuchten, waren klein und schmal. Bevor die Banditen verschwanden, reichte der Kleinere jedem Fahrgast vier Dollar für Unterkunft und Verpflegung. Die offenbar unerfahrenen Räuber versuchten ihre Spuren zu verwischen, wurden jedoch einige Tage später gefasst. Pearl und ihr Partner Joe Boot hatten das gesamte Geld bei sich. Sie war nie zuvor mit dem Gesetz in Konflikt geraten, doch die Reporter bezeichneten sie in ihren Artikeln als abgebrühte Verbrecherin. Noch Jahre später haben sich Journalisten mit dem Leben der berühmten Postkutschenräuberin befasst. Pearl wurde ins Gefängnis nach Tucson gebracht, woraus sie wahrscheinlich mit Hilfe von Ed Hogan, einem Vertrauten von ihr, floh. Tage später fasste man sie in New Mexico und brachte sie zurück. Ihr unglückseliges Leben rief viel Mitgefühl hervor, vor allem bei Frauen. Am 25. November 1899 wurde sie wegen Raubüberfalls vor Gericht gestellt und freigesprochen. Der tobende Richter entließ die Gefangene, verhaftete sie jedoch sofort wieder, um sie wegen Diebstahls anzuklagen. Er verpflichtete neue Geschworene. Das Gericht verurteilte sie im Alter von 28 Jahren zu fünf Jahren Haft und ließ sie ins Gefängnis von Yuma überstellen.
Neun Monate war Pearl alleine in einer aus dem Felsen gehauenen Zelle untergebracht. Sie kam von den Drogen los, begann in ihrer Einsamkeit Theaterstücke und Gedichte zu schreiben, las Zeitung, freute sich über Besucher und Journalisten und erzählte über ihr Leben. Ab 20. Oktober 1900 teilte sie ihre Zelle mit Elena Estrada, die ihren Liebhaber ermordet hatte und zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war. Im November 1901 traf Alfrida Mercer ein, wegen Ehebruchs zu sechs Monaten Haft verurteilt. Zu dieser Zeit war dies ein verabscheuungswürdiges Verbrechen, wenn es von Frauen begangen wurde. Wenige Tage später kam die sechzehnjährige Rosa Duran in die Zelle. Rosa und Elena konnten sich von Anfang an nicht leiden, prügelten sich und landeten für drei Tage in der Dunkelzelle. Daraufhin stellte der Gefängnisdirektor, der sich weiteren Ärger mit den Frauen ersparen wollte, eine zweite Zelle zur Verfügung. Eine weitere Gefangene traf ein, die neunzehnjährige Jesus Chacon, die man wegen Brandstiftung schuldig gesprochen hatte. Sie und Rosa teilten sich eine Zelle. Die Leitung bemühte sich, für einige Frauen eine Begnadigung zu erwirken und gab als Grund Raumknappheit an.
Pearls Mutter und ihre Schwester wandten sich mit einem Begnadigungsgesuch an den Gouverneur. Das Gesuch schien überzeugend zu sein, denn der Gouverneur willigte unter der Bedingung ein, dass Pearl Arizona verlassen musste. Pearl nahm die Bedingung an und wurde zwei Jahre nach ihrer Inhaftierung freigelassen. Rosa Duran begnadigte man ebenfalls.
Der weitere Verlauf von Pearls Lebensweg bleibt rätselhaft. Anhaltspunkte wurden in einem Brief entdeckt, mit dem Vermerk Nicht zur Veröffentlichung. Darin steht, dass Pearl nach Arizona zurückgekehrt sei, einen bekannten Politiker geheiratet und einen Sohn mit ihm bekommen hätte.
Das Gefängnis wird seit vielen Jahren nicht mehr als Haftanstalt genutzt. Heute besuchen Touristen diesen Ort und wandern auf den Spuren der Vergangenheit, versetzen sich für einige Augenblicke in die Zeit des Wilden Westens.
So long Fellows,
eure Montana
Quellen:
- Anne Seagraves, Töchter des Westens
- www.legendsofamerica.com