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Der Welt-Detektiv Band 6

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Starke Frauen I

Unbequem und laut
Aufstieg und Fall von Henriette Arendt, der ersten Polizistin Deutschlands

Am Anfang stand eine Idee, die als solche für das Wilhelminische Kaiserreich Deutschlands im gleichen Maße revolutionär wie grandios war.
Aber genauso war auch ihr Scheitern durch die verkrusteten Strukturen der Behörden und der vorgefassten Meinung einer damals hauptsächlich von Männern bestimmten Gesellschaft.
Was anno1903 in Stuttgart so vielversprechend begann, endete bereits fünf Jahre später in einem Skandal, an dessen Ende die Polizei der württembergischen Landeshauptstadt am Pranger stand.
Was war geschehen?
Anfang besagten Jahres entschloss sich das Stadtpolizeiamt Stuttgart zu einem überregionalen vielbeachteten Modellversuch, der bereits Wochen später im ganzen Kaiserreich Nachahmer fand. Die Rede ist vom Versuch, eine weibliche Person im Polizeidienst zu etablieren. Ein Experiment, das im Dezember 1908 zu einem jähen Ende kam, indem diese Frau ihre Stellung kündigte, um einer unehrenhaften Entlassung zu entgehen.
Sie wurde in der Öffentlichkeit als alkoholkranke, Gift spritzende Furie dargestellt, der man obendrein noch eine Affäre mit einem Polizeiassessor nachsagte. Ihre Personalakte war auf 200 Einzelblätter angewachsen, als sie sich schließlich krank und resignierend von Stuttgart abwandte.
Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen.
Henriette Arendt, am 11. November 1874 in Königsberg geboren, war die Tochter des Großkaufmanns und Stadtverordnetenvorstehers Max Arendt und Nichte der bekannten Philosophin Hannah Arendt. Sie war ausgebildete Krankenschwester mit Referenzen des jüdischen Krankenhauses in Berlin, dem Schwesternverband vom Roten Kreuz Haus Augusta und der Lungenheilanstalt Schömberg. Am 1. Februar 1903 trat sie in Stuttgart ihre Stellung als erste weibliche Polizeiassistentin an.
Ihre Hauptaufgabe war es, bei der polizeilichen Untersuchung aufgegriffener Frauen zu assistieren und diese sogenannten verwahrlosten Wesen anschließend zu betreuen. Also Prostituierte, die entweder unerlaubt auf der Straße vagabundierten und damit jederzeit inhaftiert werden konnten, oder Frauen, die per Inskription die Erlaubnis zu ihrem Gewerbe erhalten hatten, obwohl es dieses im Wilhelminischen Kaiserreich offiziell gar nicht gab.
In beiden Fällen waren sie der Willkür der Polizei ausgesetzt. Sie waren entweder Freiwild oder Sklavinnen für die Ordnungshüter und genau das wollte Henriette Arendt ändern.
Der Reichtagsabgeordnete Friedrich Naumann bezeichnete sie einmal als Vertreterin der menschlichen Fürsorge gegenüber der Unterwelt der Frauen.
Mit viel Einsatz schaffte es Arendt, Vertrauen zu jenem Personenkreis aufzubauen, der das Stadtpolizeiamt bisher nur als Instrument der Repressionen kannte.
In Vorträgen und Bittbriefen warb sie um Gelder für ihre Arbeit, einen eigenen Etat gestand ihr das Polizeipräsidium nämlich nicht zu.
Sie ging sogar soweit, manchmal eine dieser hilfsbedürftigen Frauen bei sich zu Hause aufzunehmen. Diese Zeit beschrieb Arendt in ihrem Buch Menschen, die den Pfad verloren, das noch während ihrer Dienstzeit veröffentlicht wurde.
Henriette Arendt erledigte ihre Arbeit nicht, wie es im Kaiserreich von einer Frau erwartet wurde, also heimlich, still und fleißig, sondern unbequem und laut.
Statt die Polizei und die städtischen Behörden für ihr Wirken zu loben, prangerte sie in der Öffentlichkeit gnadenlos die vorherrschenden Missstände an, und deren gab es viele. Angefangen von bürokratischer Engherzigkeit, von Frauen, die wegen Syphilis inhaftiert wurden, bis hin zu den Inskriptionslisten für Prostituierte.
Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich ein krankes Baby, das in einer verwahrlosten Wohnung jämmerlich sterben musste, weil es Arendt nicht erlaubt wurde, dorthin einen Arzt zur Untersuchung zu schicken.
Henriette Arendt, die sich noch nie hatte verbiegen lassen, bewies Rückgrat und zeigte ihre eigene Behörde daraufhin wegen fahrlässiger Kindstötung an. Ein noch nie dagewesenes Politikum.
Bald hatte Arendt alle gegen sich. Die Behörden, weil sie deren verkrustete Strukturen aufdeckte, aber auch die Wohlfahrtsvereine und die Stuttgarter Honoratiorenfrauen, weil sie sich nicht von ihnen vereinnahmen ließ, sondern den Bedürftigen in vielen Fällen unbürokratisch auf eigene Faust und aus eigener Tasche half.
Die etablierten Wohltätigkeitsorganisationen brachten sie darauf in Misskredit, indem sie sich in der Presse über die eigenartige Liebestätigkeit einer gewissen städtischen Beamtin beklagten. Das ging sogar soweit, dass sie Arendts Initiative zur Gründung eines Dachverbands Kinderschutz torpedierten.
Sie wurde als Nestbeschmutzerin und Sensationsschriftstellerin dargestellt.
Der Höhepunkt dieser Kampagne, die man heutzutage als klassisches Mobbing bezeichnen würde, war erreicht, als man sie offen der Geldunterschlagung bezichtigte.
Unter dem Druck der Öffentlichkeit ließ sie Karl Wurster, ihr bisher immer wohlwollender Vorgesetzter, im Februar 1907 schließlich wie eine heiße Kartoffel fallen.
Es kam zu einer Untersuchung, in der ihr zwar nichts nachgewiesen werden konnte, aber Henriette Arendt nahm die Sache so mit, dass sie sich krank meldete. Als ihr die Mitarbeiter ihrer eigenen Behörde auch noch eine drei Jahre alte Affäre mit einem Assessor vorhielten und ihr einen Rücktritt nahelegten, kündigte sie fristlos.
Sie sah sich ihrer Ehre beraubt und wie ein Gebrandmarkter aus dem Amt gestoßen.
Ihr nachfolgendes Buch Erlebnisse einer Polizeiassistentin wurde eine einzige Brandschrift und Abrechnung mit der verlogenen Doppelmoral der wilhelminischen Gesellschaft.
Das Buch entwickelte sich zu einem Skandal und der Fall Arendts zum reichsweiten Menetekel. Es vergingen über zwei Jahre, bis im Deutschen Kaiserreich wieder eine Polizeiassistentin eingestellt wurde. Henriette Arendts aufrichtige, ehrliche und kompromisslose Art hatte nicht nur den Verlust ihres Arbeitsplatzes zur Folge, sondern veränderten auch ihr Leben grundlegend.
Sie galt im Nachhinein als Pionierin der Emanzipation der Frau in einem Berufsfeld, das bis dato ausschließlich Männern vorbehalten war. Dank ihrem Wirken waren bis 1913 bereits in 19 Städten Polizeiassistentinnen eingestellt. Die ersten Frauen in Polizeiuniformen folgten in den späten zwanziger Jahren.
Henriette Arendt erlebte all das nicht mehr.
Sie starb 1922 im Alter von nicht einmal 48 Jahren, ungebeugt und weiterhin davon überzeugt, dass sie das Richtige getan hatte.
»Wenn ich meine vielen Fehler und Schwächen auch klar erkenne und auch in dem von mir so geliebten Amt vielleicht mit zu großer Leidenschaft und ungestümen Eifer vorangegangen bin und dem schwäbischen Volkscharakter zu wenig Rechnung getragen habe, darf ich doch das unerschütterliche Bewusstsein haben, dass ich vielen Menschen geholfen habe.«
Henriette Arendt war eine starke Frau, weltoffen, modern und der Zeit im Schwabenland weit voraus.
Weitere Reportagen über starke Frauen werden in dieser Rubrik in loser Reihe folgen.

Quellen:

  • Phillipp Obergassner Stuttgarter Zeitung November 2013
  • Unterlagen des Polizeihistorikers Dr. Dirk Götting
  • Biographien der jüdischen Pflegegeschichte

(gs)